Zeitgeschichte

"Eine ersatzreligöse Vergewisserung"

Ein Mann hält ein Foto des verstorbenen Nelson Mandela.
Trauer und Verehrung bewegen seit Tagen nicht nur die Bewohner Südafrikas. © Kim Ludbrook / picture alliance / dpa
Moderation: Ute Welty  · 10.12.2013
Nelson Mandelas Tod bewegt die Welt. Der Historiker Paul Nolte sieht in ihm einen Helden, der typisch ist für unsere Zeit. Nicht seine Stärke, sondern das Eingestehen von Schwäche werde verehrt.
Ute Welty: Deutschlandradio Kultur am Dienstagmorgen. Noch im Tod eint Nelson Mandela die Menschen. Mehr als 90.000 werden heute im Stadion von Johannesburg gemeinsam trauern, unter anderem der amtierende und der ehemalige französische Staatspräsident. Hollande und Sarkozy sind allerdings getrennt geflogen. Abgesagt hat seine Teilnahme der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Angeblich wäre die Reise zu teuer gewesen. Wie dem auch sei, die Anteilnahme rund um den Globus ist riesig. Und man muss schon intensiv darüber nachdenken, ob und wer einen ähnliches Gemeinschaftsgefühl auslösen könnte. Bei diesem Nachdenken hilft uns jetzt der Historiker Paul Nolte von der Freien Universität Berlin. Guten Morgen!
Paul Nolte: Ja, schönen guten Morgen!
Welty: Sehen Sie jemandem, dem die Welt mit derart viel Sympathie und Anteilnahme begegnet oder begegnet ist?
Mandela - der globale Held
Nolte: Also im Moment sehe ich tatsächlich überhaupt niemanden, der diese Art von ikonischer Verehrung genießt, genossen hat auch in den letzten Jahren, obwohl sich im Moment des Todes und noch dazu dann eines, ja, man muss ja doch auch sagen, lange erwarteten Todes, wie er sich bei Mandela natürlich auch aufgrund des Alters abgezeichnet hat, das noch einmal zuspitzt. Im Tod wird dann diese Trauer und diese Verehrung dann natürlich ganz besonders aktualisiert. Es fallen einem aber, glaube ich, überhaupt nur ganz wenige Namen ein aus den letzten Jahrzehnten, die einen ähnlichen globalen Kultstatus erreicht haben. Auch der von John F. Kennedy, des amerikanischen Präsidenten, der vor 50 Jahren erschossen ist. Wir haben ja gerade auch in den letzten Wochen in Deutschland viel darüber gesprochen. Der von Mahatma Gandhi natürlich, Mutter Teresa vielleicht - das sind so diese Erscheinungen, diese Figuren des 20. Jahrhunderts, die zu globalen Helden geworden sind.
Welty: Haben Sie in diesem Zusammenhang auch so etwas wie historische Gesetzmäßigkeiten feststellen können, ein Koordinatensystem, das den Werdegang solcher Menschen positiv beeinflusst?
Nolte: Gesetzmäßigkeiten vielleicht nicht, aber es fällt doch auf, dass diese globalen Helden, denen Verehrung aus allen Teilen der Welt und interessanterweise auch aus ganz unterschiedlichen politischen Lagern häufig auch entgegenschlägt, dass das doch, glaube ich, relativ neuartige Erfindung ist, das ist ein neuer Typus von Held. Noch am Ende des 19., am Anfang des 20. Jahrhunderts, ja bis in die 60er-, 70er-, zum Teil bis in die 80er-Jahre hinein hatten wir ja andere Sorten von Helden, auch solche Helden, die für uns heute längst zu Negativhelden geworden sind, an die wir nicht mehr so gerne zurückdenken, Diktatoren, die große Verehrung genossen haben, vielleicht nicht partei- und lagerübergreifend oder geradezu global, aber doch sehr international mit einer großen Ausstrahlung, und vergessen wir nicht den Typus der revolutionären Helden, der Lenin, der Che Guevara, der Mao, die bis in die 70er-Jahre hinein auch gerade in vielen westlichen Gesellschaften, aber auch in globaler überspannender Perspektive auch eine Brücke zwischen westlicher Identität und der Identität von Nachzüglergesellschaften der Dritten Welt geworden sind. Und diesen Vergleich finde ich besonders interessant - was unterscheidet Mandela oder Gandhi oder Mutter Teresa von Che Guevara oder Mao? Ja, es ist vor allen Dingen natürlich die Gewaltlosigkeit, die Bescheidenheit, ganz andere Eigenschaften, die wir heute in besonderer Weise schätzen.
Nelson Mandela reckt die Faust, nachdem er aus der Haft entlassen wurde.
Bild eines Helden: Nelson Mandela reckt die Faust, nachdem er aus der Haft entlassen wurde.© picture-alliance / dpa
Welty: Sie haben es gerade schon angedeutet - der oder die Deutsche zuckt ja beim Wort Held eher zusammen. Auf der anderen Seite interessieren sich vor allem junge Leute für Vorbilder, Leitfiguren und eben auch Helden, was vor ein paar Jahren der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten zum Thema bewiesen hat. Warum sind Bedürfnis und Scheu offenbar gleichermaßen groß?
Die Angst vor falschen Helden
Nolte: Ja, die Scheu, ist klar, warum die groß ist, kommt aus mehreren Quellen. Wir haben in Deutschland eine besondere Scheu, mit Helden umzugehen, weil uns auch falsche Helden vorgehalten worden sind, und wir uns in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der Zeit der Kriege, in der Zeit des Nationalsozialismus an den Helden die Finger verbrannt haben. Wir haben da auch ein besonderes Heldenbild eingeimpft bekommen, das sehr viel mit Militär zu tun hatte, mit Gewalt, mit strammer Männlichkeit, und insofern ist es kein Wunder, dass wir erst einmal etwas Zeit brauchen, auch um den Heldenbegriff umzudeuten. Und ein besserer Begriff ist uns vielleicht nicht eingefallen, manchmal sagt man ja auch Vorbilder, und, na ja gut, aber, warum nicht Helden? Und andere Gesellschaften sprechen auch von heroes - wir müssen uns eben nur, und das tun wir ja mit Figuren wie Mandela, daran gewöhnen, dass das eben nicht die starken Helden sind, sondern die schwachen Helden, die selber gelitten haben, die sich zurückgenommen haben, die ihre eigene Schwäche eingestanden haben und unter dieser Schwäche jahrzehntelang vielleicht in Unterdrückung gelebt haben und Haft oder Folter in Kauf genommen haben und dann doch irgendwie siegreich daraus hervorgegangen sind. Das ist das besondere Moment, glaube ich, in der Verehrung dieser Helden. Dieses Moment des Leidens, da sind Helden, die strahlen erst mal gar nicht, die stehen für Leiden und strecken trotzdem die Hand zur Versöhnung aus, gestehen ihre eigene Schwäche ein, verzichten auf Gewalt. Also, man merkt dann auch schon, das sind Begriffe, die auch fast schon religiöse Qualitäten gewinnen: Leiden, Versöhnung - das sind auch Kategorien, in denen wir so etwas wie eine ersatzreligiöse Vergewisserung suchen.
Welty: Gefallen sind jetzt vor allem Namen des 20. Jahrhunderts. Heißt das im Umkehrschluss, dass diese Vorbilder im 21. Jahrhundert, auch wenn es noch relativ jung ist, zugegeben, rarer werden?
Nolte: Ach, ich glaube, das kann man nicht sagen. Wir sind ja noch in den Ausläufern des 20. Jahrhunderts, und manche Leben, wie das von Mandela, erstrecken sich in das 21. Jahrhundert, haben aber doch vor allem im 20. Jahrhundert ihre Wirksamkeit entfaltet und den Grund gelegt. Wir warten mal ab. Manchmal kann man es ja auch noch gar nicht sagen. Es sind ja häufig auch lange Leben, erfüllte Leben gewesen, nicht immer - zu manchen dieser Heldentypen und auch zu manchen Beispielen dieser ikonischen Verehrung gehört gerade das Trauma eines plötzlichen Verlustes, eines abgekürzten, eines drastisch abgekürzten Lebens, wie bei John F. Kennedy, und bei anderen ist es eigentlich ein Leben, auf das wir erst aufmerksam geworden sind in dem Moment, in dem diese Helden selber schon 50 oder 60 Jahren alt waren, so mit der globalen Megapräsenz, wenn ich das mal so etwas salopp sagen darf, von Nelson Mandela. Also mit anderen Worten, wir wissen noch gar nicht, ob mancher 30- oder 40-Jährige, der unter uns ist, vielleicht in 50 Jahren als neuer Mandela oder als neue Mandela auf uns wirken wird.
Welty: Der Historiker Paul Nolte über einen der ganz Großen. Heute findet in Johannesburg die zentrale Trauerfeier für Nelson Mandela statt. Und ich sage Danke für dieses Gespräch hier in der Ortszeit, das wir aufgezeichnet haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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