Zeitnot und ihre Gründe

Eine Frage der Geschlechtergerechtigkeit

08:25 Minuten
Illustration einer verzweifelt arbeitenden Mutter auf dem Laufband mit Kindern, die zur Schule gehen.
Kein Einsparpotential für mehr Freizeit: Wer sich alleinerziehend um Kinder kümmert, dem helfen keine Optimierungstipps, sondern Enlastung, sagt Teresa Bücker. © imago / Ikon Images / Jens Magnusson
Teresa Bücker im Gespräch mit Ute Welty |
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Zeitmangel ist oft kein persönliches, sondern ein strukturelles Problem. Zu diesem Schluss kommt Publizistin Teresa Bücker in ihrem neuen Buch. Frauen, Alleinerziehende, Pflegende hätten besonders wenig Zeit. Ein Grund ist die schlechte Bezahlung.
Wer wenig Zeit hat, muss sich besser organisieren: Diesen häufig geäußerten Rat können viele Menschen nicht umsetzen. Sie seien in Aufgaben eingebunden, die man nicht abgeben könne, sagt die Publizistin Teresa Bücker. Dazu zählt sie beispielsweise Alleinerziehende und pflegende Angehörige.
Sie hätten sehr wenig Zeit für sich selbst, für Erholung, aber auch für politisches Engagement. In ihrem Buch "Alle_Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit" fordert sie eine neue Zeitkultur und -politik.
Teresa Bücker im Porträt
Sieht Zeit als eine Frage von Macht und Freiheit: Teresa Bücker ist SZ-Kolumnistin und Buchautorin. © imago / Jürgen Heinrich
"Strukturell zeitarm" seien auch Mehrfachbeschäftigte, sagt Bücker. Dieses Problem nehme in Deutschland zu: "Zuletzt waren es 3,5 Millionen Menschen, die in mehrere Jobs eingebunden sind. Die haben sehr lange Arbeitstage."
Die eigentliche Ursache sei finanzielle Ungerechtigkeit. Wer wenig Geld verdiene, könne sich nur eine Wohnung am Stadtrand leisten und habe dadurch längere Arbeitswege. Zwei Stunden Pendelstrecke könne man nicht einfach "wegzaubern".
Genauso sei es mit der Sorge um Kinder oder andere Angehörige: Das "Einsparpotential", um eigene Freizeit zu gewinnen, sei sehr gering. "Da braucht es ganz konkret Entlastung von Menschen, die auch mithelfen."

Männer zaubern sich mehr Freizeit

Allerdings sei Deutschland "gar nicht so modern, wie wir wirklich denken", betont die SZ-Kolumnistin und frühere Chefredakteurin des feministischen Onlinemagazins "EDITION F". "Die Sorgearbeit ist zwischen den Geschlechtern auch weiterhin so ungerecht verteilt, dass Frauen pro Tag im Schnitt sehr viel weniger Freizeit haben, weil wir mehr von der unbezahlten Arbeit zu Hause übernehmen."
Gerade am Wochenende könne man sehen, dass Männer sich auf eine "wundersame Art und Weise mehr Freizeit zaubern" – bis zu vier Stunden mehr allein an einem Samstag. Da sollten Paare "in die persönliche Auseinandersetzung" für eine gleichberechtigte Partnerschaft gehen.

Millionen Menschen brauchen eine Kur

Bücker wendet sich auch gegen die Annahme, wonach die Menschen heutzutage mehr Freizeit hätten als früher. Die Arbeitszeit in Vollzeitjobs sei "relativ konstant" geblieben und liege bei durchschnittlich 43,5 Stunden in der Woche.
Man müsse stärker auf die gesundheitlichen Belastungen schauen, fordert die Autorin. Viele Menschen würden früher aus dem Beruf ausscheiden, weil die Arbeitslast zu hoch war.
"Wir haben Millionen von Menschen, die sind gesundheitlich so belastet, dass sie eigentlich eine Kur beantragen müssten", so Bücker. Es gehe darum, Arbeit gerechter zu verteilen, Arbeitszeiten zu verringern und den Druck herauszunehmen.
"Der Gedanke, dass man alles in der Rente nachholen kann, der ist auch etwas schief", fügt Bücker an. Viele kämen gar nicht bis zum Rentenalter. Sollte es auf 69 Jahre angehoben werden, würden ungefähr zwanzig Prozent der Menschen in Deutschland "keinen einzigen Tag der Rente" erleben, lautet die Prognose der Buchautorin.
(bth)

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