Zeitschrift der Strasse

Bloß kein Mitleidsbonus

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Blick in einer Ausgabe des Bremer Obdachlosenmagazins "Zeitschrift der Straße" © Foto: Anja Enders
Von Franziska Rattei |
Die Bremer "Zeitschrift der Straße" wird von Menschen in Not verkauft – so wie viele Obdachlosenzeitungen in Deutschland. Doch in Bremen engagieren sich auch Studenten aus den unterschiedlichsten Fachbereichen für das Heft. Für diesen Ansatz wird das Projekt heute von der Standortinitiative der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft als "Ort der Ideen" ausgezeichnet.
Bugs sitzt auf einem kleinen Klapphocker. Er trägt einen dicken Anorak und Fäustlinge, die schwarze Mütze hat er tief in die Stirn gezogen. Neben dem Mann liegen zwei Hunde, in Decken eingekuschelt. Davor: ein aufgeklappter grüner Koffer, in dem verschiedene Ausgaben der "Zeitschrift der Straße" aufgestellt sind. Durchsichtige Plastikhüllen schützen das Papier vor dem kaltfeuchten Winterwetter.
Bugs, eigentlich heißt er Bernhard Richter, ist seit Tagen erkältet. Er ist schon seit einer guten Stunde hier, an seinem Stammplatz vor dem Supermarkt in der Bremer Hemmstraße. Eigentlich wäre er gern eine Arbeit im Büro, am Schreibtisch würde ihm keinen Spaß machen, sagt er. Sein Berufswunsch ist Schauspieler. Aber im Moment hält er sich mit dem Geld vom Amt und dem Zeitschriftenverkauf über Wasser.
"Also, da hab ich immer so meinen Tabak, Hundefutter, Kaffee und so was, und mal ins Kino gehen kann ich auch. Alles okay."
Der 50-Jährige verkauft die „Zeitschrift der Straße“, kurz ZdS, seitdem die erste Ausgabe vor drei Jahren erschienen ist. Die Käufer Leser zahlen zwei Euro pro Nummer, Bugs bekommt sie für die Hälfte. Inzwischen hat sich die ZdS etabliert, sagt er. Er hat viele Stammkäufer.
"Also entweder die Leute mögen die gar nicht die Zeitschrift, oder die sind schwer begeistert, weil es halt eben so ein jugendlicher innovativer Journalismus ist, ne."
Bugs Kunden gefällt, dass sich jede Ausgabe um eine Bremer Straße oder ein Bremer Viertel dreht. Viele kaufen nicht nur die aktuelle Nummer, sondern auch noch ein ältere dazu. Sind sind halt Lokalpatrioten, sagt der Verkäufer. Um Bilder, Layout und Gestaltung kümmern sich Design-Studenten der Hochschule für Künste, die Artikel stammen von Journalistik-Studenten.
Dazu kommt, dass jede Nummer den Namen einer Bremer Straße oder eines Bremer Viertels trägt. Und weil die Bremer Lokalpatrioten sind, wie Bugs sagt, kaufen sie oft nicht nur die aktuelle Ausgabe, sondern auch noch eine ältere dazu. Bugs plant einen Artikel über Vorurteile, aber im Moment hat er andere Probleme, sagt er. Da überlässt er das Schreiben lieber anderen.
Jede Ausgabe wird 8000 Mal verkauft
Einer der jungen Macher der Obdachlosenzeitung ist der Student Benjamin Eichler. Der 24-Jährige arbeitet regelmäßig als Autor für die ZdS. Er ist in das Vertriebsbüro in der Innenstadt gekommen, um. sich mit dem Chefredakteur zu treffen. Sein Journalistik-Studium an der Hochschule Bremen hat er fast abgeschlossen. Weil ihm die Lehre zu theoretisch war, hat er sich bei der Zeitschrift der Straße gemeldet.
"Die Motivation ist für mich auf jeden Fall, die Geschichten, die ich da entdecken kann. Also ich glaube, es gibt keine Plattform für mich, bei der ich so spannende Geschichten aufspüren kann, mich mit so interessanten Menschen unterhalten kann. Und das ist für mich die ganz große Bereicherung dahinter, dass ich in Nischen eindringen kann, wo ich sonst nicht reinkommen würde ansonsten - und das Ganze auch noch veröffentlichen darf."
Für einen Artikel hat der junge Autor Menschen gesucht, die im Bremer Bürgerpark Herzen in alte Bäume geritzt haben. Benjamin Eichler wollte hat ihre Liebesgeschichten erzählten. Nach diesem Muster funktioniert das Konzept der Zeitschrift: Die Autoren konzentrieren sich auf ihre Umwelt, sehen oder hören etwas und gehen dann einer Geschichte nach. Damit will sich die ZdS von den in Anführungszeichen – "üblichen" – Obdachlosenzeitungen unterscheiden.
Armin Simon, leitender Redakteur: "Unsere Idee war, dass wir ein Produkt schaffen, was so spannend ist, dass die Leute, die es lesen, es gerne kaufen; wegen der Geschichten und dass sie es nicht kaufen, weil sie dem armen Menschen, der es verkauft auf der Straße, ein bisschen helfen wollen. Und deswegen haben wir gesagt, dann müssen wir uns mit unseren Geschichten, mit dem Inhalt des Heftes und mit der Gestaltung in erster Linie nach denen richten, die es lesen wollen. Und das sind nun mal nicht Leute, die Hartz-IV-Probleme haben."
Der Erfolg der ZdS gibt dem Konzept Recht. Jede Ausgabe wird rund 8000 Mal verkauft, Während die Artikel von angehenden Journalisten stammen, übernehmen Design-Studenten das Layout und die Grafik der Zeitschrift. Das Marketing organisieren Wirtschaftsstudenten, und den Vertrieb erledigen ehrenamtliche Helfer und die Verkäufer auf der Straße. So ist es ein Medien-, Lern- und Sozialprojekt. Noch zehrt das Projekt von einer Anschubfinanzierung, aber bald - hoffen alle Beteiligten - wird es sich selbst tragen.