Die Illusion vom ewigen Sommer
Am Sonntag endet die Sommerzeit: Wie es dann weitergeht, ist nach einer europaweiten Umfrage zur Zeitumstellung unklar. Vor den Folgen einer erneuten Umstellung auf die "ewige Sommerzeit" im nächsten Frühjahr warnt der Neurobiologe Peter Spork.
Welche Zeit soll nach der Abschaffung der Zeitumstellung gelten, Sommer- oder Winterzeit? Wer hier schon rein namenstechnisch einen Vorteil hat, ist klar zu erkennen. Umfragen zufolge gäbe es derzeit auch eine knappe Mehrheit für die ganzjährige Sommerzeit. Der Neurobiologe und Wissenschaftsautor Peter Spork kann davor nur warnen:
"Ich fordere die Abschaffung der Sommerzeit. Weil das Leben in der Sommerzeit eigentlich in der Zeitzone der osteuropäischen Zeit ist. Wir gehören in die mitteleuropäische Zeit, dann, wenn die Sonne um zwölf am höchsten steht."
Die MEZ als Normalzeit
Die Winterzeit, das ist eigentlich die Mitteleuropäische Zeit, unsere Normalzeit. Im Vergleich zu dieser gehen die Menschen in der Sommerzeit abends später zu Bett, als sie es normalerweise machen würden - es ist ja länger hell, erklärt Peter Spork:
"Abendliches Licht verhindert, dass der Melatoninspiegel ansteigt und das verhindert, dass ich müde werde."
Eltern können das wahrscheinlich aus Erfahrung bestätigen, wenn die Kinder nach der Zeitumstellung im Frühling gar nicht daran denken, plötzlich im Taghellen schlafen zu gehen, so der Neurobiologe:
"In Wirklichkeit ist es noch nicht spät, nur die Uhr zeigt die falsche Uhrzeit an. Und die Kinder gehen dann ins Bett, sind überdreht können aber nicht schlafen, weil die innere Uhr sie noch nicht auf Schlafen eingestellt hat."
Die innere Uhr ist genetisch verankert
Die innere Uhr, das ist keine Phrase, sie ist genetisch verankert. Alle Lebewesen sind seit den ersten Tagen ihrer Existenz mit dem Umstand verbunden und vertraut, dass es diesen 24-Stunden Rhythmus gibt. Er steuert Körper und Geist. Läuft die Uhr aus dem Takt, etwa durch einen Jetlag, benötigen wir Zeit, uns darauf einzuschwingen. Bei der Sommerzeit würde das so nicht funktionieren.
"Die meisten sagen, das ist ein Mini-Jetlag", sagt Peter Spork. "Aber ein Mini-Jetlag habe ich, wenn ich nach Großbritannien reise oder nach Kiew, und der ist wirklich nach ein, zwei Tagen weg, weil dort auch die biologische Zeit eine andere ist. Aber hier bei uns wiederholt sich diese Mini-Jetlag-Situation jeden Tag, es ist, als ob ich jeden Tag nach Kiew reise, weil ich jeden Tag in der falschen Zeitzone aufwache. Sieben Monate lang jeden Tag ein Mini-Jetlag."
Bei der Sommerzeit passt also die innere Uhr mit den Zeigern der Uhr am Handgelenk nicht zusammen, das sagen auch viele andere Spezialisten, die sich mit der Chronobiologie, also den biologischen Rhythmen beschäftigen. Sie befürchten mit der Sommerzeit langfristig negative Effekte.
Peter Spork: "Es erhöht das Risiko für Herzkreislauf- und Stoffwechselkrankheiten, Diabetes, Übergewicht, psychische Krankheiten. Russland hat für drei Jahre die ganzjährige Sommerzeit eingeführt, die hatten so viele psychische Probleme, dass sie hinterher auf die ganzjährige Normalzeit gewechselt haben."
Erkenntnisse eines russischen Forschungsprojektes
Eine russische Forschergruppe hat bei knapp 8000 Jugendlichen die Auswirkungen der ganzjährigen Sommerzeit untersucht: Sie schliefen weniger, waren müder, zeigten Symptome der Winterdepression, die direkt mit zu wenig Sonnenlicht zusammenhängt. In Deutschland würde die ganzjährige Sommerzeit viel Dunkelheit im Winter bedeuten, erläutert Peter Spork:
"Morgens würde es in Norddeutschland erst um 10 Uhr hell werden. Neben den biologischen Problemen hätten Sie ein erhöhtes Unfallrisiko, weil alle im Stockdustern zur Arbeit fahren. Für Schüler wäre es noch mitten in der Nacht. Es ist totaler Stress für den Körper."
Unabhängig von Normalzeit oder Sommerzeit waren 80 Prozent dafür, dass die Zeitumstellung grundsätzlich abgeschafft wird. An der europaweiten Umfrage haben 4,6 Millionen Menschen teilgenommen, davon kamen mehr als drei Millionen aus Deutschland. Ein erstaunlicher Wert, meint der Neurobiologe:
"Das hat verschiedene Gründe: Es wird bei uns schon lange diskutiert, ist im öffentlichen Bewusstsein. Das ist in anderen Ländern nicht so. Und dann ist es eben so, dass die Deutschen eine Frühaufsteher-Gesellschaft sind. Wir leiden besonders darunter, denn wir stehen schon zu früh auf."
Zeigerumstellung statt Zeitumstellung
Der Zeitforscher Karlheinz Geißler vermutet ein besonderes Interesse der Deutschen an der Uhr:
"Die Deutschen sind das Volk, das am stärksten auf Uhrzeit hin erzogen worden ist im Laufe der Geschichte. Sie brauchen nur durch den öffentlichen Raum gehen. Es gibt nirgends so viele öffentliche Uhren wie in Deutschland. Die Deutschen sind die veruhrzeitlichsten Menschen der Welt."
Eine derart mit Zeitanzeigern verbundene Bevölkerung ließe sich nun mal ungern die Zeit diktieren. Außerdem seien die Motive für die 1980 eingeführte Umstellung nicht mehr vorhanden, sagt Karlheinz Geißler:
"Das heißt, die ökonomischen Gründe, die Ölkrise besonders, oder Kriegssituationen. Alle diese Krisensituationen, die zur Zeitumstellung oder zur Uhrumstellung führten, sind weggefallen. Es gibt keinen Grund mehr, die Uhr umzustellen."
Karlheinz Geißler, der übrigens keine Armbanduhr trägt und auch kein Smartphone besitzt, glaubt sowieso nicht an die Zeitumstellung:
"Das ist eine größenwahnsinnige Formulierung, wir stellen natürlich nicht die Zeit um. Wir verändern nur die Zeiger auf der Uhr, das heißt unser Messgerät stellen wir um, nicht die Zeit."
Das Zeitkorsett lockern
Und Peter Spork meint, dass die Problematik dieser Umstellung die Deutschen vielleicht gar nicht so betreffen würde, wenn sie nicht in einem so engen Zeitkorsett steckten. Er rät deshalb:
"Wir müssen später anfangen zu arbeiten und mit Freizeitaktivitäten im Licht verbringen. Mehr Tageslicht dann, wenn es meine innere Uhren stabilisiert."