Zeitungen statt Geheimdienste an die Leine legen

Von Jochen Spengler |
Über die Massenausspähungen oder den Horchposten auf der britischen Botschaft in Berlin wird in den britischen Medien kaum diskutiert. Vielleicht, weil man im Land von John le Carré und James Bond seit dem Kalten Krieg ein unverkrampft-fasziniertes Verhältnis zu den eigenen Spionen pflegt, so Jochen Spengler.
Großbritannien gefährdet seinen langjährigen Ruf als Vorreiter der Pressefreiheit. So lautete die Warnung, die 70 Bürgerrechtsorganisationen aus 40 Staaten vorgestern in einem offenen Brief an den "Guardian" formulierten. Die Regierung solle gefälligst die Meinungsfreiheit verteidigen, statt die Medien des Landes zu bedrohen, forderten sie - völlig zurecht.

Denn letzte Woche hatte der konservative Premierminister David Cameron seine Attacke noch einmal verschärft - auf jene linksliberalen Zeitungen, die wie der "Guardian" oder der "Independent" sporadisch Snowdens Schatulle öffnen und die staunende Öffentlichkeit aus der wundersamen Welt der Geheimdienste informieren.

Solche Berichte schadeten dem Land und gefährdeten seine Sicherheit, sagte Cameron und drohte: Die Regierung dürfe und werde nicht untätig bleiben. Vor Monaten bereits hatten Beamte ihrer Majestät im Keller des "Guardian" die unsinnige Zertrümmerung eines Laptops, auf dem Snowden-Dokumente gespeichert waren, persönlich angeordnet und überwacht.

Doch damals wie heute erklärt der Regierungschef nicht, worin der Schaden für das Land denn nun konkret bestehe, welche der veröffentlichten Informationen mutmaßlichen Terroristen genutzt und in die Hände gespielt haben könnten.

Snowdens Enthüllungen gefährden nicht die Sicherheit des Landes, sondern die Macht der Geheimdienste, insofern die Öffentlichkeit endlich die Wahrheit über deren völlig ausgeuferte Überwachung und die unzureichende Kontrolle durch die demokratischen Institutionen erfährt.

Angeblicher Geheimnisverrat der Zeitungen
Doch im Mutterland des Parlamentarismus ereignet sich derzeit Merkwürdiges. Es wird kaum über den Skandal der Massenausspähungen diskutiert oder darüber, wie man die Geheimdienste wieder an die Leine legen könnte. An die Leine sollen die Zeitungen wegen angeblichen Geheimnisverrats. Debattiert wird nicht über die beunruhigende Botschaft, sondern über die Bestrafung des Boten. Wenn denn überhaupt berichtet wird.

Die heutige Enthüllung des "Independent" über einen Horchposten auf der britischen Botschaft in Berlin geht über eine rein innenpolitische Angelegenheit weit hinaus, wurde aber erst nach der Einladung des britischen Botschafters ins Auswärtige Amt von anderen Medien vorsichtig aufgegriffen.

Vielleicht weil man im Land von John le Carré und James Bond, von MI 5 und MI 6 seit dem Kalten Krieg ein unverkrampft-fasziniertes Verhältnis zu den eigenen Spionen pflegt. Außerdem haut die Erkenntnis, dass Geheimagenten weltweit von den eigenen Botschaften aus agieren, in London keinen vom Hocker. Nach dem Motto – von wo denn sonst?

Die Gegenfrage: Gelten immer noch die Spielregeln des Kalten Krieges, heute allerdings auch gegenüber den Freunden?

Als im Sommer einige Bundesminister empört Aufklärung über das Wirken des britischen Spionagedienstes GCHQ verlangten, da kam aus London die lapidare Antwort, Geheimdienstaktivitäten kommentiere man prinzipiell nicht. Damit sollte sich die Bundesregierung nicht schon wieder abspeisen lassen.
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