Zeitzeuge Edwin Stader

Edwin Stader, Jahrgang 1930, aus Hof. Er war bei Kriegsende15 Jahre alt, lernte zunächst Schreiner und arbeitete später als Zollbeamter.
Kriegsende

Das Frappierende war ja, dass wir hier in unserem Hofer Winkel eigentlich eine neutrale Zone waren. Wir waren nicht behelligt von Bombenangriffen oder auch von irgendwelchen Grenzübergriffen durch die Tschechei. Denn die Tschechei war ja praktisch weiter reingerückt durch den Anschluss von Sudentenland, und die Teilung Deutschlands war ja noch nicht so gravierend, wie man dann später mit Stacheldraht und Minenfelder das gesehen hat. Aber meine Eindrücke waren also, jetzt ist Ende, jetzt ist alles aus.

Nahrungsmangel und Kälte

Man hat nichts mehr zu essen gehabt, wenn man heim gekommen ist. Sagt die Mutter, ich hab fei nix zu essen... Dann hat in der Not mittags hat die Mutter aus Runkelrüben, wie nennt man die, so ähnlich wie Zuckerrüben, hat sie Salat gemacht und Spinat gemacht und eine handvoll Gerstenkörner rein und dann haben sie dann den ganzen Tag arbeiten müssen, also sie waren schon ausgepumpt.

Wir haben ja auch nichts mehr zum Heizen gehabt. Da sind wir praktisch nachts auf die Trümmergrundstücke. War verboten, war ja geplündert, aber was wollten wir weiter machen? Wir haben die Stiegsäulen abmontiert, wir haben die Holzverschläge alles raus, zusammen gebündelt noch auf den Trümmergrundstücken, haben es nach Hause geschafft, damit wir überhaupt einen warmen Ofen oder dass die Mutter was kochen kann. Das hat einen natürlich, wollen wir mal sagen, geprägt, dass man auch mit dem Geringsten zufrieden war.

Der Vater vermisst

Und natürlich auch, wird der Vater wiederkommen, der praktisch vermisst war. Und da ist er mit 42 Jahren eingezogen worden zu den Gebirgsjägern, zu der ersten Gebirgsdivision. Das letzte Mal, wie er auf Urlaub war, das war im April 44, und im August 44 ist dann die Mitteilung gekommen, dass also der Vater vermisst ist. Es ist durch irgendwelche Kriegswirren in Albanien die Verbindung abgebrochen und man hat nichts mehr gehört. Und das war natürlich auch dann, als junger Mensch willst du irgendwie was erfahren, wo der Vater geblieben ist. Beim Roten Kreuz nachgefragt und überall nachgefragt und seitdem haben wir nichts mehr erfahren. So wie der Vater war, als junger Mensch passt man ja auf, wenn er erzählt hat, dann sind auch keine Gefangenen gemacht worden.

Arfbeitsleben

Das hat einen natürlich ein bisschen selbstständig gemacht als junger Mensch, man war auf sich selber angewiesen. Meine Mutter war ein bisschen unentschlossen, sie hat immer gedacht, also hoffentlich geht`s gut und hoffentlich gehen wir nicht den Bach runter. Meine Mutter hat dann nach 1952 wieder das Arbeiten begonnen und dann wurde ich ja Schreiner. Ich hab Schreiner gelernt bis 1948, mit 3, 5 und 12 Mark in der Woche. Es war schon eine harte Sache, gell, einen so einen geringen Verdienst. Nach der Schreinerlehre, was haben sie verdient - 32 Pfennig in der Stunde, dann haben sie in der Woche 80 Stunden, können sie sich vorstellen, 80 Stunden gemacht, um ein Geld zu verdienen.

Na ja und dann kam auch eine Rezession, kam eine Zeit, wo Arbeitslosigkeit war. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, das war 1950. Da hab ich gedacht, jetzt bis du arbeitslos, du hast ja deine Arbeit gemacht, du warst mit Zufriedenheit usw. Was kommt jetzt auf dich zu, wenn du später mal eine Familie gründen willst, wenn du verheiratet bist und du bist nur arbeitslos? Und da hab ich mich dann beim Staat beworben, da bin ich Zollbeamter geworden.

Die 20 Mark, die hat die Mutter kassiert, die wir gekriegt haben, nach 48. Also das erste Geld, das wir sauber verdient haben, das haben wir zurückgelegt ein Kollege und ich. Da sind wir für 200 Mark nach Rom gefahren, das war 1950, das war natürlich für uns schon was wert. Wir haben ein Jahr gespart, dass wir 200 Mark zusammen gekriegt haben und dann sind wir damit zum Heiligen Jahr nach Rom gefahren. Das war schon interessant. Das ist angeboten worden bei uns in der Jugend, Kolping. Der Kolpingverein, das war für uns interessant. Geld war immer knapp, weil es war ja wenig zu verdienen.

Wenn ich mir überlege, wie wir aufs Dorf gezogen sind. Ich hab als Zollbeamter 175 Mark des Monats gehabt, davon habe ich 43 Mark Miete bezahlt, also es war schon knapp, aber eine sichere Einnahme. Sie haben ja dann keine Arbeitslosigkeit mehr vor der Tür gehabt. Mein erstes Motorrad, das ich mir kaufte, das hat – das weiß ich noch wie heute – das hat 418 Mark gekostet und das hab ich abgestottert. Das Geld war schon knapp.

Suche nach Kohlen

Mit dem Fahrrad auf dem Buckel, damit man irgendwas gerettet hat, sind wir losgezogen. Wir waren teils bombengeschädigt, aber nicht das man sagen kann, es war einschränkend, zu stark einschränkend. Da war in Hof die ganze Bahnhofstraße, die war mindestens mit 20 solchen Lokomotiven übersät. Und dort aus diesen Kohlentendern haben wir dann unsere Kohlen geklaut, die haben wir bloß gebraucht zum Einschüren. Wo gehst Du denn heute hin?, hat es geheißen. Oh, wir machen raus in die (Weiser?)-Kaserne, da holen wir uns wieder unsere Anthrazitkohlen. Und dann sind wir mit den Säcken halt los. Und wenn wir dann draußen eine Streife gesehen haben, da war ja Militärpolizei, da sind wir voll in Deckung in die Kohlentender und in die Lokomotiven rein und haben gewartet, bis sie weg waren. Und dann sind wir mit unserer gestohlenen Kohle nach Hause gezogen.

Einmarsch der Amerikaner

Wir konnten in dem Haus nicht mehr wohnen, das Dach war weggerissen. Die Amerikaner, hat es geheißen, die paar amerikanischen Panzer sind schon in Köditz, also am Stadtrand von Hof. Und da weiß ich bloß noch, eine Stunde, zwei später, wir waren alle im Keller, und dann war dann das Kettengerassel. Da sind die durch die Straße gefahren und haben gerade dort Halt gemacht, sind raus und haben bei uns die Haustüre eingeschlagen. Also, die war zugesperrt, das war Dummheit. Und dann haben sie raus einen Stahlhelm voll Eier und ein Ritterkreuz. Bei uns im Haus war der stellvertretende Leiter vom Landratsamt Hof gewohnt. Und die haben immer von den Bauern ein bisschen was zugeschoben gekriegt. Und dessen Schwiegersohn war ein Sturmschützkommandeur an der Ostfront, war nebenbei Ritterkreuzträger, deswegen haben die, sehe ich noch wie heute, wir haben durch das Kellerfenster geschaut, bringt der da einen deutschen Stahlhelm raus, die Eier liegen oben drauf und vorne runter hängt das Ritterkreuz. Ja Gotteswillen. Da haben wir schon gewusst, die haben praktisch ausgeräumt. Und das war der Eindruck für uns.

Nach zwei, drei Tagen ist ein Amtsblatt herausgekommen in der Stadt an alle Haushalte, es war so Flugblatt ähnlich. Und da hat es geheißen, also die ehemaligen Pimpfe und Hitlerjungen sollen zum Saaldurchstieg kommen, zu einer gewissen Uhrzeit. Unsere Mütter haben uns zum Saaldurchstieg geführt. Da hat der damals eingesetzte Oberbürgermeister Dr. Weinauer, der hat gemeint, wir sind Werwolf als ehemalige Hitlerjungen. Also, wir sollen da Ruhe halten, sonst hat er die Möglichkeit, dass er uns nach Sibirien schaffen lassen kann. Das weiß ich noch wie heute. Und die Mütter haben alle eine Angst gehabt, der wollte hier uns nur schockieren.

Vertriebene

Wir haben praktisch, unsere Familie stammt mehr oder weniger aus dem Bamberger Bereich. Damit waren praktisch keine verwandtschaftlichen Beziehungen weder nach Sachsen noch nach Thüringen und ins Sudentenland selber, da waren ja die Verbindungen unterbrochen. Im Gegenteil, die einen sind schon vorher geflüchtet und dann ist der große Treck gekommen, wo sie die Leute ausgewiesen haben, praktisch. Die sind ja mit 50 Kilo gekommen. Wir haben keinen Kontakt zu Sudetendeutschen gehabt, die herüben waren. Und den Kontakt, den wir gehabt haben zu den Verwandten im Elsass und in Plauen, der hat sich erschöpft durch einen normalen Besuch.

Teilung

Wir waren verheiratet und haben an der Grenze gewohnt, am Dreiländereck in Prex. Da hat man natürlich dann stufenweise das Abschotten der Grenze zum Warschauer Pakt oder wie man es nennt oder zur Sowjetzone augenscheinlich vor sich gehabt. Zuerst war bloß ein kleiner Draht gezogen mit ein paar Holzpflöcken. Diese Anlage hat sich sukzessive dann erhärtet, erweitert, je länger der kalte Krieg gelaufen ist. Dann ist erst einmal das Schussfeld geräumt worden. Man hat erst einmal die Häuser weggerissen. Man hat Stahltrossen um die Häuser rum, man hat mit schwerem Räumgerät die Häuser weggerissen, hat sie eingeebnet, hat dann gleichzeitig sozusagen ein Schussfeld gemacht, das Tag für Tag, wie sagt denn, mit Ackergeräten hergerichtet, dass man jede Fußspur gesehen hat, also es war ein Zehnmeterstreifen. In den Zehnmeterstreifen hat man dann Minen gelegt. Einen haben wir gesehen. Es war makaber, wie sie den hochgehoben hat wieder, Stahlhelm ist davon geflogen. Der hat wahrscheinlich irgendwie die Zündung nicht richtig eingestellt. Wenn eine Mine explodiert ist im Frühjahr, da konntest du drauf warten, wenn es warm geworden ist, im Februar, wenn es warm geworden ist und es ist irgendwie eine Eisdecke abgebrochen, dann ist eine Mine hoch gegangen. Da hat man mit den schwarzen Rauchwolken gesehen.

Deutsche Teilung

Aber wir haben selber zu der Zeit, also die Zeit praktisch von 45 an bis 52, bis ich dann zur Zollverwaltung kam, war für mich eigentlich unpolitisch, vollkommen unpolitisch. Man hat da auch nichts gemerkt. Man hat vielleicht am Rande dann gemerkt, wenn Flüchtlinge gekommen sind aus Ostpreußen oder sonst was, Spätaussiedler usw., aber, dass wir das wieder recht zur Kenntnis genommen haben, nicht.

Für uns war das plötzlich ein anderes System, man hat sich politisch gar nicht damit so befasst wie später. Später war man dann engagierter, hat man sich mehr rein gekniet, aber zu der Zeit haben wir das so genommen, wie es gekommen ist. Wir haben das gar nicht so bewusst mitgekriegt, dass plötzlich, nachdem wir sozusagen auch die DM gehabt haben und der deutsche Staat, dass die drüben dann gegen gesteuert haben, das haben wir eigentlich nicht so miterlebt.

Den Verwandtenbesuch, den wir dann so unternommen haben, der hat natürlich uns dann schon irgendwie in Spannung gehalten. Denn das war ja, in dem Moment, wenn Sie den Fuß auf die Sowjetzone gesetzt haben, waren Sie sowieso schon wie immer unter Strom, haben sie gesagt, hoffentlich machst du nix verkehrt, hoffentlich machst du alles richtig. Wir sind lieber in den Süden gefahren, wie wenn wir in die Zone gefahren sind.