Zeitzeuge Gottlieb Bernauer
Gottlieb Bernauer, Jahrgang 1929, hat 1947 das Abitur in Nürtingen gemacht und dann in Tübingen studiert. Er war zuletzt Schulleiter.
Schule nach dem Krieg
Als ich nach Nürtingen kam, war ich eigentlich in der Abiturklasse. Aber während ich noch da war, wurde entschieden, dass in Zukunft nicht mehr 12, sondern wieder 13 Jahre dauern sollte. Das wurde in dem Jahr eingeführt. Da haben nur die alten Soldaten, also die Kriegsteilnehmer, die älter waren, die durften das Abitur 47 machen. Und alle vom Jahrgang 28 an mussten ein zusätzliches Jahr machen.
Es gab ja noch eine ganze Menge Lehrer, die natürlich vorher mitmarschiert waren. Die haben sich sehr zurückgehalten. Auch im Geschichtsunterricht ist man ja natürlich nicht bis in die Gegenwart gekommen. Das war damals noch nicht üblich. Das heißt also, wir haben es gerade bis zum 1. Weltkrieg geschafft bis zum Abitur. Aber immerhin, das war eben der Vorteil bei unserem Schulleiter, der hat durchaus Ausblicke bis in die Gegenwart herein gezogen. Das war etwas, was mich doch sehr bestimmt hat. Ich war eigentlich vorher eher in Richtung Biologie/Chemie ausgerichtet und hatte gedacht, dass ich - wenn ich studieren kann - das mache. Aber in diesem letzten Jahr hab ich mich zu Literatur und Geschichte bekehrt. Und dann brauchte ich ein drittes Fach und da hab ich Englisch dazu genommen.
Politische Orientierung
Wenn ich mich einer Partei oder einer Art von Politik zugehörig fühlte, dann war das am ersten Theodor Heuss und das, was er vertreten hat, also sozusagen altschwäbischer Liberaler. Damals war er ja zunächst Kultusminister in Württemberg. Mich hat der Heuss damals mehr überzeugt als der Reinhold Maier. Ich erinnere mich noch, wie ich Reinhold Maier dann als Student in Tübingen erlebt habe und wie mir seine politische Philosophie zu individualistisch war. Ich war damals wirklich noch ziemlich stark von dem geprägt, was man sozusagen Volksgemeinschaft oder Gemeinschaftsgefühl nennt. Da war mir das zu individualistisch. Das habe ich dann erst im Laufe der Zeit - fast möchte ich sagen - überwunden.
Geistiger Aufbruch
Tübingen? Als ich hinkam 48, war ein ungeheurer Aufbruch. Also, da war eben die Repression, die vorher geherrscht hat, die war nicht mehr da. Wenn ich dran denke, die Professoren, die ich gehört habe, die wirklich, fast möchte ich sagen, begeistert haben. In Philosophie war es auch ein ganz alter Herr, Eduard Spranger, der mich aber sehr beeindruckt hat mit seiner Art zu philosophieren. Einführung in die Philosophie bei Spranger, da saß nicht bloß ich, da saß wirklich fast die ganze Universität. Morgens um 8.00 war der größte Hörsaal, das Audimax war voll, und die Leute saßen bis in den Fenstern, weil da wirklich so etwas wie auch ein geistiger Aufbruch da war.
Aber in der Universität selber, in den Veranstaltungen hat es eigentlich…, wurde das weniger thematisiert. Natürlich kam die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus durchaus vor, am stärksten - erinnere ich mich - bei dem Theologen Helmut Thielicke. Am Donnerstag war immer "dies academicus", das war ja auch etwas, was dazu gehört, dass eben nicht das reine Fachstudium mehr das einzig Wahre sein sollte, sondern dass die Studenten auch eine Chance haben sollten, allgemeinere Bildung mitzukriegen. Und an dem "dies academicus" hat man nun beim Theologen, beim Psychologen, beim Mediziner, beim Chemiker - es gab ja viele berühmte Leute in Tübingen und da waren die alle da. Wir haben uns das angehört. Und Thielicke war ungeheuer eindrucksvoll.
Doch der Antimarxismus war natürlich im Grunde noch ein Erbe aus der Zeit des Nationalsozialismus, aber jetzt haben wir natürlich angefangen, uns wirklich ernsthaft damit auseinander zu setzen. Das heißt also, nicht bloß zu sagen, Bolschewismus ist böse. Dass Stalin böse war, das stand ja unmittelbar vor Augen. Dafür gab es nun wirklich genügend Beispiele. Das war ja kein Geheimnis. Wir wussten ja von Leuten, die in Deutschland als Fremdarbeiter geholt worden waren. Und als sie zurückkamen in die Sowjetunion, wurden sie in die Straflager gesteckt, weil sie - ja, warum? Weil sie sich haben nach Deutschland holen lassen, weil sie verpflichtet wurden, da als Arbeiter tätig zu sein.
Also, das war keine Alternative, obwohl es natürlich nun auch Leute gab, natürlich gab's Kommunisten damals, auch im Parlament. Und da gab es einige honorige Leute dabei, das war unverkennbar, aber natürlich auch grässliche Schwätzer.
Es war für uns ein Aufbruch, das ist gar keine Frage. Wir wussten damals ja zunächst natürlich überhaupt nicht, wie es werden würde, aber wir waren überzeugt, dass wir auf jeden Fall versuchen wollten, was Besseres draus zu machen als das, was vorher gewesen war.
Als ich nach Nürtingen kam, war ich eigentlich in der Abiturklasse. Aber während ich noch da war, wurde entschieden, dass in Zukunft nicht mehr 12, sondern wieder 13 Jahre dauern sollte. Das wurde in dem Jahr eingeführt. Da haben nur die alten Soldaten, also die Kriegsteilnehmer, die älter waren, die durften das Abitur 47 machen. Und alle vom Jahrgang 28 an mussten ein zusätzliches Jahr machen.
Es gab ja noch eine ganze Menge Lehrer, die natürlich vorher mitmarschiert waren. Die haben sich sehr zurückgehalten. Auch im Geschichtsunterricht ist man ja natürlich nicht bis in die Gegenwart gekommen. Das war damals noch nicht üblich. Das heißt also, wir haben es gerade bis zum 1. Weltkrieg geschafft bis zum Abitur. Aber immerhin, das war eben der Vorteil bei unserem Schulleiter, der hat durchaus Ausblicke bis in die Gegenwart herein gezogen. Das war etwas, was mich doch sehr bestimmt hat. Ich war eigentlich vorher eher in Richtung Biologie/Chemie ausgerichtet und hatte gedacht, dass ich - wenn ich studieren kann - das mache. Aber in diesem letzten Jahr hab ich mich zu Literatur und Geschichte bekehrt. Und dann brauchte ich ein drittes Fach und da hab ich Englisch dazu genommen.
Politische Orientierung
Wenn ich mich einer Partei oder einer Art von Politik zugehörig fühlte, dann war das am ersten Theodor Heuss und das, was er vertreten hat, also sozusagen altschwäbischer Liberaler. Damals war er ja zunächst Kultusminister in Württemberg. Mich hat der Heuss damals mehr überzeugt als der Reinhold Maier. Ich erinnere mich noch, wie ich Reinhold Maier dann als Student in Tübingen erlebt habe und wie mir seine politische Philosophie zu individualistisch war. Ich war damals wirklich noch ziemlich stark von dem geprägt, was man sozusagen Volksgemeinschaft oder Gemeinschaftsgefühl nennt. Da war mir das zu individualistisch. Das habe ich dann erst im Laufe der Zeit - fast möchte ich sagen - überwunden.
Geistiger Aufbruch
Tübingen? Als ich hinkam 48, war ein ungeheurer Aufbruch. Also, da war eben die Repression, die vorher geherrscht hat, die war nicht mehr da. Wenn ich dran denke, die Professoren, die ich gehört habe, die wirklich, fast möchte ich sagen, begeistert haben. In Philosophie war es auch ein ganz alter Herr, Eduard Spranger, der mich aber sehr beeindruckt hat mit seiner Art zu philosophieren. Einführung in die Philosophie bei Spranger, da saß nicht bloß ich, da saß wirklich fast die ganze Universität. Morgens um 8.00 war der größte Hörsaal, das Audimax war voll, und die Leute saßen bis in den Fenstern, weil da wirklich so etwas wie auch ein geistiger Aufbruch da war.
Aber in der Universität selber, in den Veranstaltungen hat es eigentlich…, wurde das weniger thematisiert. Natürlich kam die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus durchaus vor, am stärksten - erinnere ich mich - bei dem Theologen Helmut Thielicke. Am Donnerstag war immer "dies academicus", das war ja auch etwas, was dazu gehört, dass eben nicht das reine Fachstudium mehr das einzig Wahre sein sollte, sondern dass die Studenten auch eine Chance haben sollten, allgemeinere Bildung mitzukriegen. Und an dem "dies academicus" hat man nun beim Theologen, beim Psychologen, beim Mediziner, beim Chemiker - es gab ja viele berühmte Leute in Tübingen und da waren die alle da. Wir haben uns das angehört. Und Thielicke war ungeheuer eindrucksvoll.
Doch der Antimarxismus war natürlich im Grunde noch ein Erbe aus der Zeit des Nationalsozialismus, aber jetzt haben wir natürlich angefangen, uns wirklich ernsthaft damit auseinander zu setzen. Das heißt also, nicht bloß zu sagen, Bolschewismus ist böse. Dass Stalin böse war, das stand ja unmittelbar vor Augen. Dafür gab es nun wirklich genügend Beispiele. Das war ja kein Geheimnis. Wir wussten ja von Leuten, die in Deutschland als Fremdarbeiter geholt worden waren. Und als sie zurückkamen in die Sowjetunion, wurden sie in die Straflager gesteckt, weil sie - ja, warum? Weil sie sich haben nach Deutschland holen lassen, weil sie verpflichtet wurden, da als Arbeiter tätig zu sein.
Also, das war keine Alternative, obwohl es natürlich nun auch Leute gab, natürlich gab's Kommunisten damals, auch im Parlament. Und da gab es einige honorige Leute dabei, das war unverkennbar, aber natürlich auch grässliche Schwätzer.
Es war für uns ein Aufbruch, das ist gar keine Frage. Wir wussten damals ja zunächst natürlich überhaupt nicht, wie es werden würde, aber wir waren überzeugt, dass wir auf jeden Fall versuchen wollten, was Besseres draus zu machen als das, was vorher gewesen war.