Zeitzeuge Peter Grabley

Peter Grabley, 1931 geboren, war 1945/46 mit einer Wanderbühne auf Brandenburgs Dörfern unterwegs, sein Vater war der Intendant, seine Stiefmutter Schauspielerin. Danach kam er auf ein Internat nach Wickersdorf/Thüringen.
Mit einer Wanderbühne unterwegs

Was für mich heute noch erstaunlich war, das aller erste Programm bestand aus Liedern und "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit!" und Gedichten von Weinert – also hochpolitische Sachen. Die Leute haben das akzeptiert. Die sind in Scharen, sicher aus Neugier, aber nie wieder habe ich eine solche Aufgeschlossenheit im kleinsten Dorf erlebt. Das war eine tolle Zeit – und schlug sich dann in der Verpflegung nieder. Das war, kann ich mich erinnern, ich war mit meiner Stiefmutter, die war ja damals noch relativ knusprig, so 35, 36. Und wir sind dann irgendwann einmal mit dem Zug gefahren, da war alles überfüllt, aber es gab Abteile für sowjetische Offiziere. Und da hat die nur noch das Wort Artist gesagt – da wurde die Tür aufgerissen: Die haben vor Künstlern und vor Kunst einen unerhörten Respekt gehabt und waren doch sehr entgegenkommend, auch mit der Lizenz. Du brauchtest ja auch, wenn man da rumtigert, eine Lizenz usw.

Es war also schon toll – mit einer Einschränkung: Die ganze Fuhre wurde gezogen von einem Holz-Gas-Trecker, den wir noch hatten aus der Zeit, wie meine Eltern dort Landwirtschaft notgedrungen betreiben mussten während der Nazizeit. Und der Kommandant von Rheinsberg beschlagnahmte den, weil er sagte, das wäre also für ihn, für seine Leute. Und dann zog mein Vater los. Der hatte sich … - da schossen ja über Nacht Dolmetscher… - die irgendwie mal Russisch konnten, also so umgesiedelte Leute oder was weiß ich Jedenfalls ließ er sich ein Papier von dem auf Russisch schreiben, ein Dokument, dieser Trecker ist also Eigentum der Wanderbühne und wird freigegeben, oder was da drauf stand, weiß ich nicht. Dann nahm mein lieber Vater drei Flaschen hochprozentigen Schnaps und ging zu dem Kommandanten – und dann haben die sich gegenseitig zugeprostet. Und als der Kommandant dann richtig einen in der Krone hatte, hat er dann das Papier unterschrieben. Und dann kam mein Vater leicht torkelnd und sagte, schnell weg aus dem Kreis Rheinsberg, raus! [lacht] Also das gab’s natürlich aus.

Kulturarbeit

Aber im großen und ganzen waren die unerhört aufgeschlossen, alles. Es gab einen extra SMAD-Befehl Nummer so und so viel ab 46, die sogenannten Pajochs, also die extra Verpflegung für Künstler. Berlin, die Möwe die sagenhafte – da ist jetzt eine Ständige Vertretung oder was drin, in der Marienstraße, wurde von den Sowjets gegründet. Und die waren also in Bezug auf die Förderung der Kultur unerhört aufgeschlossen. Die ersten Lizenzen der Theatereröffnung auch später in West-Berlin stammten alle von den Sowjets. Also die waren ganz mächtig da hinterher. Die hatten da eine große Unterstützung eigentlich gegeben.

Beruflicher Werdegang

Und es war eine harte Zeit. Es gab nicht viel zu essen. Ich hatte damals schon eine Schwerstarbeiter-Karte, aber als junger Mann hast du ständig Kohldampf gehabt. Und es war auch beruflich anstrengend. Also man musste früh um 7 auf der Bühne sein, aufbauen. Das war ein Tourneetheater. Das heißt, manchmal ging das bis nachts um 2. Da wurde dann ringsherum von Luckenwalde aus, in Jüterbog oder in Baruth oder so wurde gespielt. Und da wurde es immer spät. Aber es war eine sehr interessante Zeit, und ich habe da eine Menge gelernt.

Und dann bin ich 1947 nach Wickersdorf in Thüringen – das liegt bei Saalfeld auf der Höhe - in eine traditionsreiche Internatsschule gegangen. Da habe ich dort Abitur gemacht. Die ersten Jahre gehungert, gehungert, gehungert. War klar, wir hatten wenig zu essen. Wir haben dann selber Land gerodet als Schüler und haben dann Kartoffeln angebaut usw. Und von da aus bin ich dann nach Karlshorst an die Hochschule für Ökonomie, habe ich dort studiert. So, das erste, richtig bewusste Erlebnis war 1946 in Luckenwalde. Ich war zwar der Sohn des Intendanten und fing dort an als Bühnenarbeiter. Das erste, was mein Meister zu mir sagte: Bist du in der Gewerkschaft? Mit Unorganisierten arbeiten wir nicht zusammen. [lacht] Es war das Schlüsselerlebnis.

Aufbruchstimmung

Diese ganze Generation – wenn man heute also über DDR usw. redet, vergisst man das immer – diese ganze Generation verdankte dem Umbruch eigentlich alles. Dort öffnete sich der Weg zur Bildung. Und ich kann mich erinnern, aus der Zeit 47 gab es bei der FDJ die so genannten Grundrechte der jungen Generation. Die waren damals postuliert, weil sie eben noch nicht selbstverständlich waren: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Männer und Frauen, also Jungs und Mädchen gleichberechtigt. Und Bildung. Das waren die drei Dinge, unter denen die FDJ sozusagen die Jugend mobilisiert hat. Das war typisch für diese Zeit gab es von Brecht ein Gedicht, das dann auch vertont worden ist: "Um uns selber müssen wir uns selber kümmern. Fort mit den Trümmer und was Neues aufgebaut. Um uns selber müssen wir uns selber kümmern und herauskriegen, wer sich traut." Also das war diese Stimmung. Aufbruch ist richtig. Also es war eine richtige Aufbruchstimmung. Und erstens waren wir den Krieg entronnen. Zweitens war dieser Schritt in die Bildung die Möglichkeit zu lernen, zu studieren, sozusagen eine Berufsperspektive zu haben. Und das Land musste wieder aufgebaut werden. Das war für uns völlig klar.

Hunger

Hunger, ja Hunger, hatte ich Ihnen schon gesagt, hatten wir reichlich. In Wickersdorf dort hatten wir eine Küchenkommission, die überwachte, dass alle … Ordentlichkeiten. Die gingen rum mittags mit einer Waage, so einer altertümlichen Kaufmannswaage. Jeder kriegte 200 Gramm Kartoffeln abgewogen, auf dem Tische.

Flüchtlinge und Vertriebene

Es gab also immer in den ersten Jahren gewisse Spannungen, würde ich sagen, zwischen der sesshaften Bevölkerung und den Umsiedlern, den Evakuierten. Und das war eine der großen – ich weiß nicht, wie es im Westen gelaufen oder gepackt worden ist – für die DDR-Leute war es die große Lösung: die Bodenreform. Mit einem Schlag wurden zwei Drittel der Umsiedler sozusagen mit Land, wenn auch unter primitiven Bedingungen – eine Kuh, einen halben Pflug usw. -, aber das war ein Befreiungsschlag in Bezug auf die Umsiedler.

Verhältnis zur sowjetischen Besatzungsmacht

Und mit den Russen hatte ich – toi toi toi – von Anfang an eigentlich nur gute Erfahrungen. Dann war ich auch altersmäßig in der Klasse, wo sie nicht glaubten, dass ich Soldat war oder so. Und die waren an sich kinderfreundlich. Also auch 45 gerade mit Verpflegung usw. da waren die relativ umgänglich. Und später gab es für mich eben die Freunde, und wir haben begeistert die Lieder von den Partisanen gesungen usw. und so fort. Ich habe die nicht als Besatzer empfunden, das war auch so eine Sache: Die waren da. Und später war mir außerdem klar, dass wir als DDR ohne die gar nicht existieren konnten – militärisch nicht, ökonomisch nicht.

Innerdeutsche Grenze

1949, 1950 war es üblich, dass in Sonneberg und bei Saalfeld in Gräfenthal – war das Gräfenthal? Probstzella, wo der Zug nach München durchfährt, dort wurde zum Weltfriedenstag am 1. September und zum 1. Mai von Ostseite die Grenze geöffnet. Weil die Leute wollten rüber, die hatten Verwandtschaft usw. Und da war es immer so, die Grenzer im Osten zogen sich zurück und machten den Schlagbaum auf. Und drüben die Amis ließen die Leute nicht rüber. Bis Mittag staute sich dann ein ganzer Pulk, und dann haben die es auch aufgegeben. Dann sind die rüber von Probstzella nach Coburg oder... Also 49, wollte ich damit sagen, oder auch bis 50 rein, war das so, dass von Ostseite das Grenzregime sehr locker gehandhabt wurde.