Zeitzeuge Theodor Lassen

Theodor Lassen, geboren in Hamburg, Jahrgang 1912. War in amerikanischer Gefangenschaft und kam in Bremen zum Kanalbauamt, wurde Leiter des Amtes für Stadtentwässerung und Stadtreinigung.
Winter 1947
Ein Jahr vor der Währung, 48 gab's ja die DM. 47 war noch ein schlechtes Jahr. Es war ein schlechtes Jahr, weil wir erst mal den kältesten Winter hatten. Es gab ja noch keine Feuerung und sonst was. Es ging der Kohlenklau um, wenn Ihnen das bekannt ist. Da wurden Kohlen von den Güterzügen (gestohlen). Da in Bremen, neben dem Hauptbahnhof, an einer Hauswand stand: "Wer Gott vertraut und Kohlen klaut, der hat ne warme Bude". Das waren Zeiten, die waren noch sehr unvollständig.

Verhältnis zu den Amerikanern

Wir waren eine amerikanische Besatzung, eine Enklave, weil hier in Bremerhaven die ganzen Verladehäfen waren für die Rückkehrer der Armee. Denn Amerika hatte ja ungeheuere Menschen durch die Invasion hierher gebracht oder Truppen. Dadurch war Bremen sehr forciert, einmal, weil man hier durch musste, wenn man nach Bremerhaven musste. Wir hatten ein großes amerikanisches Konsulat. Dort wurde alles verladen. Die Truppen, die hatten ja eine große Präsenz da, die Amerikaner.

Das Verhältnis war eigentlich verhältnismäßig gut, weil die Amerikaner auch sehr lässig sind. Ich hatte dienstlich auch dann mit ihnen zu tun, weil ich bei der Bremischen Stadtentwässerung war, dem so genannten Kanalbauamt. Und die Kanäle waren ja alle zerstört durch diese ungeheueren Bombenlasten, die wir bekommen haben. Da war der Amerikaner natürlich sehr darauf (bedacht), um die hygienischen Verhältnisse wieder herzustellen. Diese Großkanäle, die wir von 3,50 m Durchmesser hatten und mehr, die hatten riesige Löcher in den Decken. Das musste alles wieder hergestellt werden. Da war also nur Arbeit, Arbeit und was zu tun, um erst einmal die hygienischen Verhältnisse sicherzustellen, dass die Kanalisation wieder voll im Einsatz ist. Das war der größte Wille des Amerikaners hier. Ich meine, da gab es sonst noch andere Dinge, die mit dem Leben der Menschen zu tun hatten.

Die Amerikaner hatten hier einmal ihre Kasinos usw., und die haben sich eigentlich mit Bremen sehr liiert. Etliche Frauen haben hier ihren Mann gefunden. Der damalige amerikanische Konsul hatte auch eine Bremerin. Das war eine Fernsehsprecherin. Die hat er dann als Frau mit nach Haus genommen. Also, das war wohl ein sehr gutes Verhältnis, besser, glaube ich, als in den englischen Besatzungszonen.

Die Englischen waren ja in Niedersachen, ganz Niedersachsen. Die Engländer waren selbst sehr arme Leute, auch der englische Soldat. Ich kenne das vom Krieg her. Und die Amerikaner waren doch besser dran. Die hatten eine völlig andere Versorgung, eine Versorgung, die war so im Überfluss. In bremischen Häfen wurde ja mit entladen. Das war ja auch ein großer Hafen früher. Und da fiel natürlich viel ab für die Bevölkerung, einmal durch unregelmäßige Sachen oder sie haben gehandelt. Wir hatten ja keine Zigaretten. Ich bin ja Nichtraucher, ich hab nie geraucht. Aber die Zigaretten waren sehr gefordert, die amerikanischen. Da wurde gechinscht mit Amerikanern, sonst was.

In meinem Amt, wo ich war, da war extra von den Amerikanern eine Aufsicht, die beaufsichtigte, dass auch nun mit aller Kraft diese Arbeiten durchgeführt wurden, um die hygienische Sicherheit der Stadt wieder herzustellen.

Wiederaufbau

So begann dann der Wiederaufbau. Das ging bis 1947. Das waren die schwersten Jahre - 45, 46, 47 und 47 die Kälte. Die Häuser waren ja alle zerstört, die Leute hatten Notunterkünfte. In den Notunterkünften standen die Eisperlen an den Wänden, weil sie auch nicht genug heizen konnten. Und die Verpflegung war genau noch nichts Vollständiges. Wir hatten ja kein Geld, denn die Reichsmark, die zählte nicht, die paar, die man hatte. Das war auch alles still gelegt. Die Banken funktionierten ja noch nicht richtig vollständig.

Währungsreform

Das ging erst mit der Währung 48. Im Juni 1948 war die Währung, dass wir festes, hartes Geld bekamen. Das war natürlich wie im Himmel für die Leute. In den Läden war vorher nichts, also nur Plunder oder was aus altem Material vom Krieg gemacht worden ist, was die Industrie, die es überhaupt erst gab ... , die Industrie musste ja auch aufgebaut werden. Die hatte ja auch ihre Not, um überhaupt produktionsfähig zu werden. Am ehesten ging das mit den Großfirmen los. Aber die hatten alle ihre Schwierigkeiten. Es gab kein Material genug, es fehlte an allem. Aus Stahlhelmen wurden Töpfe gemacht oder sonst was, um überhaupt an Material zu kommen. In meiner Behörde mussten wir aus Betondecken das Alteisen rausholen, den alten Stahl, um Steigeisen für unsere Schächte zu haben. Es fehlte an allem.

Mit der Währung war es dann, als ob die Welt aufblühte. Mit einem Mal kam alles wieder in den Schwung. Der Aufbau war dann so rasant, weil auch die Materialien da waren. Die Leute kriegten auch einen Aufschwung, die konnten sich auch wieder Kleidung kaufen. Wir hatten vorher schlechte Bekleidung. Teilweise hatten wir noch unsere Uniformen an. Die haben wir färben lassen, damit das nicht so auffiel, als wenn man immer noch als Soldat rum lief. Das waren alles Dinge, die uns sehr, sehr behindert haben. Und mit der Währung ging ein neues Leben los.

Improvisation und Tauschwirtschaft

Der Schwarzmarkt, der war 1948 vorbei. Vorher gab es immer den Schwarzmarkt. Es wurde gehandelt. Ich musste z. B. für meine Firma nach Pfauen in Nürnberg. Da kriegten wir unsere Müllfahrzeuge. Ich war bei der Stadtentwässerung, und die Stadtentwässerung hatte auch die Stadtreinigung dabei. Ersatzteile, alles fehlte. Da mussten wir dort und dort hin. Oder wir haben auch teilweise aus alten Militärfahrzeugen Dinge ausgebaut, um hier lebensfähig zu sein, für die Müllabfuhr, für die Stadtentwässerung. Meine Dienststelle, wo ich war, die lag in Trümmern. Auch die Fahrzeuge, man musste alles wieder neu aufbauen. Das war ja nicht einfach, wenn man nichts hat.

Wir besorgten uns Heringe in kleinen Fässern vom Bremerhaven, die wir mitnahmen, um da die Leute zu hofieren, um das zu kriegen, was wir haben wollten. Es waren also furchtbare Zeiten. Wir mussten nach Stuttgart und nach Cannstatt, überall wo wir Ersatzteile brauchten. Wir mussten immer etwas mitnehmen.

Altbatterien: wir hatten sehr viele Elektrofahrzeuge noch, die einen vollen Elektroantrieb haben, da gehört eine Riesen-Batterie zu, da mussten wir das Blei wieder nach Hagen in Westfalen, das Altblei wieder anliefern, um einen neue Batterie zu kriegen, vor 47 in den schlechten Jahren. Nach 1947 fing es an, da gab es alles wieder. Nicht am nächsten Tag, aber es lief in ganz kurzer Zeit an. Da war man erstaunt. Wo kommt das her?

Wiederaufbau
… aufgebaut, ungeheuer gebaut. Die Werften wurden wieder aufgebaut. Die Russen hatten die AG-Weser-Hallen ja vollständig abgebaut mit allem Drum und Dran. Bis zum Pflaster haben die alles mitgenommen. Dann haben wir wieder aufgebaut. Wir haben natürlich dadurch das Modernste bekommen. Das war im Ersten Weltkrieg so, weil sie uns alles genommen haben, und im Zweiten das Gleiche. Wir waren in der Technik dann fortschrittlich, weil wir dann das Neueste und Modernste gebaut haben.

Vertriebene

Ja, Vertriebene. Ich hatte ja einen großen Personalbestand. Da waren etliche Vertriebene dabei. Die mussten den Führerschein Klasse II haben, um Lkw zu fahren, diese großen Kanalreinigungsfahrzeuge. Also, die haben wir schon bei uns mit aufgenommen, weil das ja Leute waren aus den Ostgebieten. Das waren ja reine Deutsche. Da haben wir etliche von gehabt. Die waren, wenn sie Arbeit kriegten, sehr schnell integriert. Auf dem Platz, wo ich war, das war ein Riesengelände, hatten wir zwei große Baracken stehen. Die eine Baracke war unsere Dienststelle, weil die Hauptdienststelle ausgebombt worden war. Das Bremer Bauhaus, das stand auf der Weserinsel, das waren Notunterkünfte.

Politische Teilung

Die Oder-Neiße-Linie, das war ein Thema, das uns belastete, die Teilung. Das wissen Sie ja. Wir hatten ja die ganzen Flüchtlinge hier, das konnte man ja nicht mehr verschweigen oder irgendwie an die Wand drücken. Das war ein Tagesthema. Bei jeder Gelegenheit war da die Trennung. Zwischen Ost und West einmal, die war schon sehr scharf. Und die Gebietsverluste, die standen sehr oft auf der Tageszeit. Das war eines der wichtigsten Themen, wenn man sein Hab und Gut verliert und wenn man die Hälfte des Landes verliert. Das waren doch wichtige Themen.

Kulturleben und tägliche Arbeit

Es gab hier schon Astoria, das war ein Lokal mit sehr großem Varieté-Angebot. Das gab es schon. Ich hab keine Zeit dazu gehabt, ich hab nur gebaut, nur geschaffen.

Das Geld war gar nicht da. Wir hatten ja da vorher noch keine feste Währung. Sie hatten auch nichts zu tauschen. Sie waren doch froh, dass sie mal ein paar Zigaretten kriegten oder die Kinder mal ein Stück Schokolade von den Amerikanern kriegten. So war das doch. Wir waren wie ne arme Maus. Wir haben nur geschafft und nur gearbeitet.

Das kulturelle Leben ging erst ab 48 los, wo es alles wieder gab, wo man sich erst mal einkleiden konnte richtig wieder. Die Theater waren wieder auf, alles, Theater waren auf und so, das Astoria war auf, so dass ein Angebot schon da war. Aber die, die unter dem Krieg nicht gelitten haben, die ihr Hab und Gut erhalten hatten, die konnten ja da hingehen, aber wir nicht. Wir die Ausgebombten, wir hatten doch alles verloren - Haus und Hof, Bekleidung und alles, was dazu gehört. Wir mussten uns doch wieder einen Grundstock schaffen. Das konnten wir nur durch Arbeit und durch diese Arbeit, dass man was konnte und dass man auch noch bisschen für kriegte. Und wenn es dann mal Ware war und auch nicht sehr viel Geld, aber was man hat, das hat man, das wissen Sie doch. So war das.