Zeitzeuge Werner Bader

04.05.2009
Werner Bader, Journalist, geboren am 4.3.1922 in Haidemühl/Brandenburg. Er ging nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst in sein Heimatdorf zurück, dann zum Studium nach Berlin.
Ein Erlebnis mit einem US-Soldaten
Wir sind nur auf Nebenwegen gelaufen. Und ein Erlebnis ist mir unvergesslich: Plötzlich, wir waren drei Mann, niemand hat ihn gesehen, stand ein richtig dicker US-Sergeant, ein Neger, vor uns mit der Maschinenpistole. Ich weiß noch, ich dachte, um Gottes Willen, jetzt hast du den Krieg überlebt und nun wirst du hier auf so einem Waldweg in Deutschland erschossen. Denn da hätte niemand drum gekräht, wenn man da drei Leichen gefunden hätte. Dann sagt der – wir die Hände hoch -, der sagt, nehmt die runter. Sit down, setzt euch hin, nestelte eine Packung amerikanischer Zigaretten aus seiner Uniformtasche, gab jedem eine Zigarette – Cigarette? Cigarette? – zündete sie uns an und sagte dann folgenden Satz: "You are man second class. I’am man second class." Ihr seid Menschen zweiter Klasse und ich bin ein Mensch zweiter Klasse. Und sagte, good luck, und war weg.

Hunger

Wir haben ja erst im September, auf unserem Dort im September 1945 Lebensmittelkarten gekriegt. Ich weiß heute noch nicht, wie haben wir vom Mai bis September das überhaupt überstanden? Man hatte eben, weil man auf dem Dorf wohnte, Kartoffel im Keller, ein paar Rüben und musste dann irgendeine Mehlsuppe machen oder sonst was. Es war eine wirklich schlimme, schlimme Zeit. Als ich nach Hause kam in mein Dort Heidemühl, kam eines Tages – ich war kaum da – einer, ein Bekannter, und sagte, wie das auf dem Dorf so ist: Du stehst auf der Liste, morgen wirst du abgeholt. Um das mal ganz einfach zu sagen, Sibirien oder der Westen, dann haut man ab. Also, ich bin nach Westberlin gegangen – hamstern. Man fuhr irgendwo raus mit der S-Bahn und notfalls ein Band Goethe, wenn der Bauer lesen wollte, oder ein Ring oder eine Kette wurde vertauscht für zwei Pfund Kartoffel oder mal ein halbes Pfund Butter. Dann lebte man ja ungeheuer gut. Das reichte wieder für eine Weile.

Schwarzmarkt

Der größte Schwarze Markt war vor dem Reichstag in Berlin. Aber ich hab ein Erlebnis vom Schwarzen Markt in Potsdam. Denn da waren am Brandenburger Tor – noch heute, wenn ich da um die Ecke fahre, erinnere ich mich daran – da stand ich und hatte das einzige Kleidungsstück, was die Russen bei uns zu Hause im Schrank gelassen hatte, einen Damenmantel. Und den habe ich dort verscheuert an eine Russin für 1.200 Mark. Das heißt drei Semester Gebühren. Ich konnte drei Semester – man musste sich ja selber finanzieren – drei Semester konnte ich damit bezahlen. Das war schon was.

Studium im Hungerwinter

Ich hab in einem kleinen Verlag gearbeitet für 72 Pfennig die Stunde. Nun rechnen Sie mal, mein Zimmer kostete 35 Mark, wie viel Stunden ich brauchte, um bloß das Zimmer, die Monatsmiete aufzubringen. Und nebenbei musste ich ja studieren. Und das Härteste war der Winter 48. Und das heißt, mein Studium vollzog sich so, dass – wenn ich in mein kleines Zimmer kam, das ja kalt war – hab ich mir den Mantel übergezogen über meine normale Kleidung und hab dann Handschuh angezogen und da habe ich dann nachts studiert.

Es gab den schönen Slogan: Pomm ist besser als Frau, komm. Pomm war Kartoffelpulver, das die mit ihren Flugzeugen reingeflogen haben. Und da sagte man, das scheußliche Kartoffelpulver ist besser als Frau komm, wenn die Russen kommen und wieder die Frauen vergewaltigten.

Die deutsche Teilung

Die Spaltung Deutschlands, die hat ja fast ein genaues Datum. Sie begann eigentlich am 10. Juni 1945. Denn da haben die Russen die Parteien zugelassen als erste in Deutschland – KPD, SPD, CDU und LDP. Und die wurden zugleich gezwungen, nicht mehr gesamtdeutsch zu sein. Und am 20./21. April 1946 war im Ostberliner Admiralspalast die Gründung der SED. Und ich war als blutjunger Journalist dabei. Man hatte mich hingeschickt. Und mir bubberte ein bisschen das Herz - so eine große Geschichte da für einen Anfänger. Und ich war für den Westberliner Kurier da. Und ich hatte Manschetten als Neuling. Und bei meinem Versuch, in diesem großen Saal mal zu gucken, wie die das Politbüro wählen wollen, die hatten so was wie Wahlzettel, da sagte ein Ordner zu mir: Hau ab. Wenn wir noch die alten Kommunisten wären, würden wir dir jetzt die Knochen kaputtschlagen.

Vereinigung von SPD und KPD

Stellen Sie sich vor, die Scheinwerfer auf der großen leeren Bühne gehen an. Von links kam der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands, Wilhelm Pieck, von rechts der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Otto Grotewohl. Und sie gehen bis in die Mitte und gründen ihr Parteiabzeichen, nämlich die beiden ineinander verschlungenen Hände – und Jubel und Tränen bei den über tausend Delegierten, denn jetzt war die Einheit der Arbeiterklasse geschaffen. Und das behaupteten die Veranstalter.

Erfahrungen mit Franzosen

Ich war dann, wie gesagt, bei dem Kurier. Die Zeitung war französisch lizensiert. Die Zeitungen waren ja alle lizensiert. Da habe ich mal eine Meldung gehabt, als zum ersten Mal ein russischer Soldat wegen der Vergewaltigung einer deutschen Frau bestraft wurde. Und da kam der Kontrolloffizier, Oberst Ravou (?), ein scheußlicher Mensch, der kam mit rin – Wer hat diese Meldung gemacht? Ich meldete mich. Und da kam die klassische Form: Sie haben wohl noch Goebbelsche Ganglien im Gehirn. Sie sind sofort entlassen.

Damals trafen sich ja immer die Siegermächte-Außenminister: Molotow war noch dabei. Und die kamen mal in Paris zusammen und da kam einer von meiner französisch lizensierten Zeitung, ein Franzose, und sagte: Ich sollte ihm mal erklären, was die Partei neuen Typs ist. Mit anderen Worten: Sie wollten über die SED viel wissen. Und ich sollte dann so ein Organigramm zeichnen. Das hab ich auch gemacht und dem mitgegeben. Und nach der Konferenz kam er mit einer Riesenflasche französischen Cognacs wieder. Ich sag: Wie das? – Ja, zum Dank. Denn keiner von denen, die zuliefern mussten für den Außenminister, hatten diese Frage beantworten können. Und er glänzte, indem er… So ist mein Organigramm bis in die Außenministerkonferenz eingegangen. Manchmal dreht man also ein ganz klein bisschen an der großen Schraube mit – durch Zufall.

Verfassung der DDR

Ich war, Sie glauben es nicht, dabei, als in Ausschüssen die Verfassung diskutiert wurde. Das hieß ja noch nicht Volkskammer, in der Nationalen Front. Da durfte man noch hin als Journalist, wenn auch schief angesehen. Und dann kam der Tag heran. Und ich hatte mir besorgt einen Verfassungstext. Und in meiner Zeitung "Der Kurier", das war eine Abendzeitung, die kam so um 11.00 vormittags raus, da stand das schon drin, die Verfassung. Und ich hielt sie … Ich war dann in dieser Sitzung, in der sich der Volksrat umgebildet hat in die Volkskammer. Und das Schöne war, die Abgeordneten kriegten erst an dem Tag, an dem sie abstimmen sollten, diesen Verfassungstext überhaupt. Und ich hatte ihn schon in der Zeitung. Können Sie sich vorstellen, dass ich stolz war? Aber wie!

Blockadewinter

Wir erhielten im Blockadewinter 25 Briketts pro Person. Über 200 Menschen erfroren in dem kalten Winter. Weihnachten gab es 8 Kerzen. Elektrischen Strom nur täglich eine Stunde. Und ganz Berlin war nach Planquadraten aufgeteilt. Und so konnte es geschehen, dass die Frauen nachts um 1.00 Uhr aufstanden, um eine Stunde in ihrem Planquadrat Kurfürst Wilhelm zu bügeln.

Die politische Teilung in Berlin

Ernst Reuter wurde damals als Oberbürgermeister von Berlin gewählt. Die Russen verhinderten seinen Amtsantritt. Die Freie Deutsche Jugend, FDJ, unter Führung von Heinz Kessler, dem späteren Verteidigungsminister der DDR, machte Randale im Roten Rathaus. Es war dramatisch und gefährlich. Die Stellvertretende Bürgermeisterin Luise Schröder, SPD, trat dem Mob mutig entgegen, aber erfolglos. Und ein anderer Stellvertretender Bürgermeister, Ferdinand Friedensburg von der CDU, bat uns junge Westberliner Journalisten doch unterm Hemd oder Pullover Akten herauszuschmuggeln für die Weiterarbeit in Westberlin. Wir haben es getan – durch den Heizungskeller hinten raus, in der Hoffnung, nicht von der FDJ geschnappt und verprügelt zu werden.