Zeitzeugin Charlotte Helmke

04.05.2009
Charlotte Helmke, geboren in Bremen, Jahrgang 1925. Hat nach dem Krieg eine Ausbildung zur Außenhandelskauffrau gemacht, gab ihren Beruf jedoch bald auf und heiratete.
Kälte und Heizung

Was schlimm war, wie gesagt, was Sie aus…, das ist wirklich war, das ist die Hunger- und Heizung-, Brenngeschichte. Es kam ja früher die… 46 und 47 war auch noch ganz schwierig mit dem Brennen, ganz schwierig. Wenn wir irgendwo…Ach so. Und wenn wir hinfuhren… Als ich 47 und 46 mal nach Sylt fuhr, mussten wir ein paar Briketts mitbringen. Es ist wirklich wahr. Jeder brachte drei oder vier, Sie konnten ja nicht so viel schleppen, Briketts und gaben sie ab, damit gekocht werden konnte und so. Also, es ist eine verrückte Zeit, nicht? … Und Sie fahren, in den Bürgerpark sind wir ja oft gegangen und haben Holz aufgesammelt, jedes Holz, was da lag, das haben wir alles verbraucht, um zu Heizen.

Und dann kamen diese Kohlen, ja am Güterbahnhof kamen dann oft diese Kohlenwaggons an. Und wenn die entladen wurden und dann waren wir dann schon heimlich dann nachher dabei und mit Taschen und haben uns die Reste aufgesammelt. Das war ja wirklich, wenn Sie das überlegen, eine irrsinnige Zeit, nicht?

Hunger

Aber ich will Ihnen sagen: 46 und 47 waren die schlimmsten Jahre, insofern weil wir eben nichts Richtiges zu Essen hatten. Der ganze Kampf von all den Bremern ging darum, wie willst du überleben. Im Bezug auf … Es war ja auch nichts da, Kleidung, es war auch ganz schlecht. Die Geschäfte hatten ja gar nichts mehr und Sie hatten ja Ihre Marken, Lebensmittelmarken. Da gab es da z.B., 46 hatten wir erst mal nur Marken für 1.000 Kalorien am Tag, mehr nicht. Und dann 47, da kam das, 47, 48, da bekamen wir schon 2.000 Kalorien am Tag.

Schwarzhandel und Hamstern

Die schlimmste Geschichte war dieser Schwarzhandel, den wir machten. Das war 47, 48. Das war schlimm. Und der dollste Handel war am Bahnhof. Und wir tauschten ja immer bei dem - es durfte nur keiner das sehen - irgendwelche Sachen und bekamen dann Zigaretten, amerikanische Zigaretten. Und eine Schachtel amerikanische Zigaretten war dann so 100 Reichsmark wert. Und mit dieser einen Schachtel konnten sie denn vielleicht mal ein Pfund Butter beim Bauern oder so was bekommen. Also, es war alles … Es ging um Zigaretten und von den Zigaretten bekamen Sie dann die Lebensmittel. Und dann bei dem Bauern, alles, was sie hatten, die sagten ja nachher: Geh mal hin zu dem Bauern und hier in der Umgebung oder hier in (Blockland?), die haben die Perserteppiche liegen da von uns. Die haben sie im Kuhstall liegen. Weil wir haben ja viel, Teppiche und alles, dahin (gebracht), um was zu Essen zu haben.

Ich weiß, ich bin mit meiner Schwester mit dem Fahrrad dann, mit dem Fahrrad wohlgemerkt, dann Richtung Blockland, und haben dann die größten Bauerngeschichten da abgeklappert und hatten denn, bekam ich mal Taschentücher oder ich hatte… Was war denn noch? Wir kriegten mal so Stoffsachen, so 50 x 50 und so, wo man sich so Kissen oder irgendwas von nähen konnte. All diese Dinge, die hab ich dann zum Bauern mitgebracht mit meiner Schwester. Und dann haben wir versucht, bisschen Mehl zu bekommen und mal ein Stück Speck oder so was.

Und die Amerikaner, die wollten ja viel haben - Uhren, fragten immer nach Uhren, haben Sie clocks, haben Sie clocks, Uhren oder Ringe oder Schmuck, da waren sie ja scharf dahinterher. Also, da kamen sie dann in allerlei… mussten Sie in der Regel cinschen mit denen, ja, ja, ja, ja…

Ja, .. keine Öfen, keine Heizung. Nun hatten wir so Brennhexen. Mit denen konnten wir mit Holz und ein paar Briketts und hauptsächlich auch mit Torf und so haben wir dann geheizt.

Ausgangssperre

Ja, die waren eigentlich sehr höflich. Es war natürlich schwierig. Man musste 46, als dann der Amerikaner da war, der hatte ja auch Interesse an Bremen, auch dass die Brücken wieder gingen, weil der ja Bremen, Bremerhaven war die Zulieferung, wo sie ihre Waren bekamen, also, auch als Hafen, Bremen war für sie sehr interessant. Dafür haben sie auch gesorgt, dass es dann so ein bisschen war, dass der Aufbau dann ein bisschen flotter vorwärts ging.

Und nun musste man abends um 8.00 Uhr zu Hause sein. Nachher war es, glaub ich, 9.00 Uhr. Und das war sehr schwierig. Das war auch als die Amerikaner hier waren, also, ja, das muss so 46/ 47 gewesen sein, bis 48.

Eine Hochzeit 1948

Ich habe 48 im Juli geheiratet. Und da war es auch sehr schwierig schon, aber schon ein bisschen besser mit dem Essen. Wir konnten nicht in die Kirche gehen. Die Kirche hier in der Luthergemeinde, ich bin ja evangelisch, war kaputt. Aber unser Pastor war da. Und ich hatte eine Haustrauung. Aber das war eigentlich auch sehr schön. Mein Kinderzimmer wurde ausgeräumt. Und dann kam der alte Schreibtisch da rein. Da wurde so eine große Decke rüber gehängt. Das war dann da sein Altar. Und da hatte er seine Sachen drauf gestellt. Und alle unsere Verwandtschaft, das waren so 30 Personen, die kamen dann mit rein. Und dann wurden wir da getraut. Stellen Sie sich das vor.

Und dann gab es, dann hatten wir ein Wohnzimmer und Esszimmer zusammen. Da wurde dann eine große Tafel gemacht. Und dann haben die alle zusammen getan und jeder hat etwas dabei getragen und dann gab es ein ordentliches Essen. Ja, ich weiß noch, dass es Fleisch gab und Gemüse. Gemüse hatten wir ja auch vom Garten. Also, das war wunderbar. Und ich weiß noch, dass der Pastor, das war Pastor Vogt damals, und der war also begeistert. Und der hat gegessen, also, wie "nicht klug". (lacht)

Währungsreform

Ich habe ja geheiratet am 7., sehen Sie mal, das ist der 7. Juli, drei Tage nach der Währungsreform haben wir geheiratet, drei Tage danach. Und da bekamen wir 300 D-Mark von der Firma. Und mit diesen 300 D-Mark sind wir dann nach Sylt zur Hochzeitsreise gefahren. Das war ganz toll. Wir waren vorher schon mal da. Und dann hab ich gesagt, du, jetzt sollen die auch wissen, dass wir verheiratet sind… Ich war nämlich schon mal einmal da und da waren wir nur verlobt und haben aber in einem Zimmer gewohnt. Und das durfte man ja doch nicht machen.

Ja, dann wurde es ja eben anders. Dann auf einmal nach dieser Geschichte, auf einmal waren die Geschäfte ja auch wieder voll. Auf einmal gab es also Sachen, die Sie, auch an Esswaren oder irgendwas, es waren wieder Büchsen da uns so was. Auf einmal war wieder alles da. Also, wie schnell das gehen konnte und so, das weiß ich nicht, aber wir waren erstaunt. Es ging ganz schnell. Ja, es war sehr schön. Das war sehr gut, dass Sie wieder regelrechte Sachen hatten und alles. Aber es war ja natürlich auch gar nicht, nicht gerade billig. Aber wenn ich denke, damals war's ja viel billiger als heute.

Wohnen und Wiederaufbau

Jeder legte ja was weg, denn die wollten ja alle weiter. Wir konnten ja nicht… Wir lebten ja alle sehr beengt. Zum Beispiel hier bei dem Haus auch. Das mussten wir ja noch Jahre abgeben, die Wohnung. Sie durften ja nur soundso viel Quadratmeter haben. Und dann wurde das aber besser. 49 wurde das besser. 48 war es noch, aber 49 wurde es schon etwas besser. Und da haben wir Ende 49, da kam hier der "Lüning-Bau", nannte sich das. Die stellten dann diese Fertighäuser her, kleine Baracken, so wie Baracken.

Und 49 haben wir das gebaut und hatten uns das Geld geliehen. Und da kostete dieses, das waren vielleicht - wie viel waren das denn, warte mal eben - das sind so, na das waren wohl so 70 m², nicht ganz. Also, der Vorraum war nicht. Die Tür war da, war nur diese kleine Geschichte. Ich zeig Ihnen das mal. Na ja, und dann haben wir dafür bezahlt, das weiß ich noch, 20.000 D-Mark.

Sehen Sie mal, die Leute mussten ja alle sehen, dass sie sich was aufbauten und dass sie eine Wohnung bekamen. Ich meine, da waren ja die Mieten noch nicht so hoch. Also, das war schon schwierig.

Verhältnis zu den Amerikanern

Ich kann nur sagen, dass sie mir gegenüber sehr anständig waren. Ich hab sogar ein ganz erstaunliches Erlebnis gehabt. Ich kam von meinem Mann und da war das schon nach 8.00. Und dann kamen die Amerikaner mit dem Jeep angefahren, hielten mich an und sagten, und die sagten immer, seid vorsichtig, denn es passiert was, und hielten mich an und sagten, ob ich nicht wüsste, it's too late, it's too late. Und da hab ich gesagt, ja, sorry, und hab ihnen das versucht zu erklären. Und da sagten die sogar, take your bicycle, und dann konnte ich mein Fahrrad, we take at with you and you can drive with us.. Und dann durfte ich dann da mit denen fahren. Und da saß der Fahrer mit seinem Beifahrer und ich in der Mitte. Und hinten war das Fahrrad. Und da sagte der zu mir, der eine legte die Hand auf meinen Oberschenkel und fragte mich - das vergesse ich nie wieder -, do you like this? - Ich sag, oh, no, no, no, I don’t like it. No, no, please, I go out of the car, no, no. Und dann wurde er ganz nett und dann zeigte er mir, have you picture, und dann zeigte er mir auch seine Fotos von der Familie. Und dann erzählte der von der Familie, brachte mich nach Hause, aber sehr nett, also, sehr anständig dann und nett. Er hat's versucht. Er hat gedacht, ach, vielleicht kriegen sie da so jemand.

Aber für mich war das nachher ganz schlecht. Ich kam nach Hause. Und Sie können sich ja vorstellen, in der Gegend, wo überall dann die Wohnungen sind, die Leute gucken raus. Ah, sagen die da, auch schon wieder so ein Ami-Liebchen. Es waren ja nachher, die Frauen waren ja vielfach junge Frauen, die auch irgendwo arbeiteten, wo auch Amerikaner waren, die waren ja nachher mit denen befreundet.

Ja, Kino, ja, natürlich. Kino war doch da. Kino war, ach, ich weiß gar nicht, was gab's denn damals noch? Da gab's doch diese tollen Filme, nicht jetzt diese Blut- und Bodenfilme, sondern da kamen dann diese amerikanischen Krimi.

Trümmerfrauen

Deswegen nannte man uns ja nachher die Trümmerfrauen. Wir mussten ja die Häuser und dann die Steine abklopfen, dass die Steine wieder in Ordnung (waren), weil wir die brauchten für das Aufbauen, die Häuser wieder aufgebaut werden. Manchen Sonnabend, Sonntag musste ich Steine kloppen.

Politik nach der Nazi-Zeit

Politische Wahrnehmung aus der Zeit ist eigentlich wenig. Wir haben uns für Politik, weil ja eben durch diese Nationalsozialisten, durch den Nationalsozialismus und die meisten Jugendlichen oder in meinem Alter, waren ja irgendwie verbunden, ich war ja auch im BDM drin, muss ich sagen. Jungvolk und dann nachher BDM, kamen Sie rein, wenn Sie dann etwas älter waren. Und ich fand das ja immer sehr gut. Da hatten sie schon was… Da organisierte ich so Ausflüge usw.

Und ich habe mich lange dann nachher, nach dem Kriege jetzt, also, habe ich mich sehr oft, weil wir schon alleine durch unsere, durch die Verbindung der geschäftlichen Verbindung mit dem Handel durch ätherische Öle liegt vielfach in den Händen von jüdischen Firmen. Und … Ist ja Weltfirmen gibt’s ja jetzt. überall können Sie ja ätherische Öle kaufen auf der Welt. Aber die waren besonders damals. Und da haben wir sehr viele Geschäftsfreunde gehabt, und hier auch nachher Juden, die teilweise Deutsche waren, ausgewandert nach Amerika, und kamen dann hier wieder zurück und sind aber hier gewesen. Und wir haben auch oft Auseinandersetzungen gehabt, die aber fruchtbar waren.

Ich habe z.B. eine Frau gehabt, eine Frau Schwarz, die hab ich kennen gelernt, und die kam dann. Die hat zu mir gesagt: Frau Helmke, Sie haben mir den Glauben an Deutschland wiedergegeben. Und das stimmt, also, das ist Wahrheit. Und da sag ich, wieso? - Ja, weil ich ihr das nämlich erzählt habe, wie genau das gewesen ist, dass wir wirklich… Ich habe es nicht gewusst. Ich habe es nicht gewusst, bis zuletzt! Und ich wollte das auch gar nicht glauben, dass es diese schrecklichen Konzentrationslager (gab).

Deutsche Teilung

Dass wir zweiteilig (sind), das hat man erst gar nicht wahrgenommen. Das hat man gar nicht erst so wahrgenommen, wahrscheinlich, vielleicht mehr die Leute, de an der Grenze waren, die an der Grenze wohnen, wir hier oben eigentlich wenig, in Norddeutschland eigentlich weniger. Ja, das war vielleicht auch ein gewisser Egoismus, war vielleicht auch mehr. Die Leute waren vielleicht mehr auf sich selbst, also auf … und haben sich nicht so sehr für die Politik interessiert.

Aufnahme von Vertriebenen

Ja, also, Sie sprachen ein bisschen anders. Aber die waren… Natürlich hatten sie ein bisschen eine andere Art, aber wenn man ihnen das sagte, wie sie es machen sollten, dann war das gut. Ja, sie kochten anders und vielleicht machten sie ein bisschen anders sauber oder so und kannten das nicht so ganz so, waren ja auch teilweise aus kleinen Verhältnissen. Aber natürlich war das auch ganz gut. Ja, ja, ja, und dann natürlich gab es…. war es ja so, dass sie dann nach einer gewissen Zeit, wenn sie hier waren, die haben ja dann auch ein Haus bekommen oder eine Wohnung und kriegten dann eine Unterstützung. Und dass sie dann sagten, ah, Mensch, die kriegen mehr als wir und wir müssen uns das ja so schwierig erarbeiten. Daher kam das nur, dieser Hass. Hass nicht, aber daher kam vielleicht diese Unzufriedenheit. Ja, das ist ein gewisser Neid. Aber ich muss ja sagen, das ist mir eigentlich abgegangen.