Zeitzeugin Gertrud Buttgereit

04.05.2009
Gertrud Buttgereit, Jahrgang 1927, flüchtete 1944 aus Ostpreußen und war dann mit ihrer Mutter und Schwester bis 1947 in einem dänischen Internierungslager. Ostern 1947 kam sie und andere Flüchtlinge nach Württemberg.
Vertriebene

Ostern 45 sind wir in Dänemark als Flüchtlinge angekommen. Und 47 Ostern sind wir in Biberach an der Riß angekommen auf dem Bahnhof und wie eine Viehherde ins Lager gegangen. Die Leute guckten zum Fenster, es war Ostern, erst Feiertag. Und wir, unser letztes Hab und Gut, es war erschütternd. Ostern sind wir in Biberach angekommen. Vorher kamen wir noch nach Jütland, wurden wir eingeschleust übers Rheinland mit dem Transport. Hunderte Flüchtlinge waren dort. Die gingen überall dann hin in die französisch besetzte Zone. Das haben wir mitbekommen in Dänemark. Da waren wir ja vollkommen nach dieser Internierung von Deutschland abgeschnitten. Zu dieser Zeit hatte meine Mutter einen Bruder, der Pfarrer in Dessau war. Und der hat uns dann, nachdem überhaupt ein Schriftverkehr mit Dänemark und diesen Internierten entstand, mitgeteilt, er wird sich bemühen für eine Aufnahmegenehmigung für uns. Gut, das haben wir dann zugesagt. Wir haben sehnlichst erwartet, bis wir wieder wegkommen aus diesem Lager. Und dann wurde eines Tages durch Lautsprecher bekannt gegeben, Witwen mit Kindern dürfen sich in die französisch besetzte Zone melden. Und wir sind dankbar, dass das dann geklappt hat, dass wir wenigstens hier nach Württemberg gekommen sind.

Von Dänemark gekommen, Ostern 1947, bis nach Biberach an der Riß. Da sind wir in einem Auffanglager, das war ein ehemaliges englisches Gefangenenlager. Und da sind wir so 15 bis 20 Personen in einem Raum. Da waren wir dann etwa vier Wochen. Also, das war schon sehr erdrückend.

Na, so nach vier, fünf Wochen hat man uns dann nach Bad Niedernau bei Tübingen hingebracht. Und dort wurden wir dann, das war ein Hotel, das stillgelegt war, da sind wir dann so fünf bis zehn in einem Zimmer untergekommen. Und dann hat man sich bemüht irgendwie, dass man die Familien dann irgendwo in Ortschaften unterbringen kann. Und da kam auch das Arbeitsamt von Reutlingen und wir durften unsere Berufswünsche sagen, die Jungen, die in der Berufsausbildung waren. Und dann hat man uns eines Tages mit dem Bus in die verschiedenen Gemeinden gefahren und untergebracht.

Unterbringung in der neuen Heimat

Es waren ältere Leute, hatten uns aufgenommen. Oben in einem kleinen Dachstübchen waren drei Betten drin, drei Stühle, ein Tisch und, so wie man zu dieser Zeit gehabt hat, eine kleine Herdfeuerung. Ja, so ein kleiner, ja, der Herd, da konnte man auch kochen zur Not. Und gewaschen haben wir uns in einer Schüssel. Das war unter der Treppe. Das Wasser mussten wir von unten holen aus der Küche im Eimer - und auch ebenso die Toilette.

Flüchtlinge, gut, die Sprache hat schon Schwierigkeiten. Ich meine, hier im Schwäbischen eckten wir schon an. Das war ein Hofgut, das der Stadt Reutlingen gehörte. Ich hatte das große Glück, meine Kollegin war eine Schwäbin aus dem Kreise Münsingen oben. Die hat mir sozusagen den Einstieg etwas erleichtert, auch die Sprache.

… und für uns Flüchtlinge nach diesen vielen schlimmen Jahren, man hatte Arbeit gehabt, man hat das Essen gehabt und dann hat man sich so ein bisschen weiter geschoben, um einfach vorwärts zu kommen. Wir konnten uns das gar nicht vorstellen. Wie soll das eines Tages mal alles so weitergehen?

Da wurden auch Volontäre ausgebildet, das war recht für uns junge Mädchen. Ich war damals ja 17, 18 Jahre. Das war für uns Mädchen schon manchmal lustig. So hat man das ein bisschen unterdrückt, dieses ganze Flüchtlingsschicksal.

Es fehlt am Nötigsten

Da war alles, da war alles. Wir haben eine kleine Abfindung von daheim gekriegt, aber das war ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir haben müssen Kleider betteln gehen. In Reutlingen beim Evangelischen Hilfswerk hieß es, da gibt es Kleider von Care-Paketen von Amerika. Da ist man Stunden angestanden, um einen Unterrock, damals trug man noch Unterröcke, um ein Kleid oder irgendwas. Das war erdrückend, erdrückend. Damals hat man das auf sich genommen. Wir haben müssen kofferweise hinschmeißen und nachher hat man sich müssen erniedrigen und betteln.

In der Wohnung, wo wir waren, die Leute, das waren ältere Leute und die Tochter war so zwischen 20 und 30. Sie haben uns eigentlich gut aufgenommen. Sie haben das bedauert und haben uns manches Stück Brot auch gegeben. Und die hatten dann noch zwei Kühe, haben uns dann auch Milch gegeben. Aber so im Ort hieß es dann immer, na, das sind ja die Flüchtlinge. Aber im Haus selber, da haben die jungen Leute dann für uns Musik gemacht, ach, Mädchen, das war für euch, haben sie gesagt, die wollen euch aufmuntern. Ihr werdet bestimmt Arbeit finden.