Zeitzeugin Inge Bullert

04.05.2009
Inge Bullert, geboren 1924 in Berlin, Schauspielausbildung in Wien. Bei Kriegsende in Berlin, 1947 Theaterengagement in Osnabrück, seit 1948 in Hamburg am Harburger Theater.
Brennstoff ist Mangelware

Und nun musste ich für das Baby ja auch immer was warm machen, Fläschchen warm machen - geschweige vom… Ja, Baden war unmöglich. Und dann bin ich morgens, ich sehe mich da noch, es war ja in der Jahreszeit schon ganz früh hell, um fünf Uhr ging ich schon los mit irgendeiner Tasche oder wo ich was transportieren konnte, und habe alles sozusagen - wie soll ich sagen - abgeholzt, um was zum Heizen zu haben. Und da hab ich auch in den Ruinen gesucht. Also, da war auch was Brennbares, Holz, aus Holz. Und deswegen auch früh um Fünf, damit ich nicht so sehr gleich beobachtet werde. Also, ja und überhaupt…

Tauschwirtschaft

Und dann auch mit dieser Zettelwirtschaft. Das ging ja auch die ersten Jahre. Das war auch da, das gab's überall in Berlin, sicher auch in anderen großen Städten. Auf riesigen Tafeln oder auch Wänden, wo nur irgendwas beklebt war, Zettel, Tauschzettel. Da hatte ich ein Exemplar "Vom Winde verweht". Und so hab ich angeboten gegen Gries. Ich war da auch auf der Straße und man musste ja auch immer gucken, wo gibt’s eventuell noch was.

Heimkehr des Vaters

Und da plötzlich kommt mir ein Mann entgegen, noch in so abgewetzter Wehrmachtsuniform. Und dann sehe ich, es ist mein Vater. Der kam aus der Gefangenschaft zurück. Und schon, als ich ihn da kommen sah, es ist wirklich gnadenlos und grausam, aber ich hab dann von vielen Parallelfällen gehört…. Die ganze Kriegszeit war mein Vater Soldat, war nicht zu Hause. Und wir hatten natürlich auch ganz Furchtbares mitgemacht. Ich, sofort dachte ich: Mein Gott, jetzt auch noch mein Vater. Ich hatte gleich - konnte ich nicht verhindern - die Empfindung, mein Vater stört jetzt, furchtbar, aber es war so. Denn die Kriegszeit über mit meiner Mutter waren wir so ein eingeschweißtes Team geworden.

Ernährungslage

Und für den Säugling bekam ich auch eine Karte und sogar, ich glaube, so ein Achtel Butter. Ich weiß nicht, ob einmal im Monat, und so was. Und dann hatte ich die Butter natürlich zu Hause. Und dann fehlte von der Butter etwas. Und ich wusste, das war mein Vater. Und da hab ich ihm eine Szene gemacht. Ich könnte jetzt noch weinen, also, über mich. Und der hatte natürlich auch Hunger.

Meine Mutter nahm dann einen Rucksack und was sie auch noch an Taschen (hatte), fuhr über Land zu den Bauern - und das war also eine Tortur, erst mal war's verboten, Hamstern - und packte dann auch irgendwas ein, also, Bettwäsche oder ich weiß nicht. Nachher war es ja so, dann hieß es: Die Bauern haben in ihren Kuhställen Perserteppiche, weil das alles die Städter gebracht haben, um dagegen irgendwas Essbares … Es war so ähnlich.

So. Es war unterschiedlich, aber immer irgendwas. Und natürlich auch, sie war da, ich glaube, sogar manchmal über Nacht weg, und mit Sorge… Und wenn man Pech hatte, einmal ist ihr das auch passiert, später war das dann… Es war ja verboten. Hamstern ist verboten. Und dann waren auch an den Bahnhöfen Kontrollen, ja, von der Polizei. Und Leute, die mit Rucksäcken nun da runter kamen, und wenn es auch noch, also nicht S-Bahn, aber eben Züge, die eben auch über Land oder eben Station machten, also, irgendwie in ländlichen Gebieten, die mussten ihre Rucksäcke und Taschen öffnen. Und wenn dann Hamsterware drin war, hat man ihnen das alles weggenommen.

Kälte

Und dann, also, wir hatten Dielenfußboden. Und meine Mutter war vor allem sehr…. Es musste alles tipptopp sauber sein. Dann hat meine Mutter oder auch ich den Boden feucht aufgewischt. Nach kurzer Zeit war auf dem Boden eine kleine Eisschicht. So kalt war es. Ja und dann eben die eingefrorenen Wasserleitungen, das war ja nun noch extremer, als dann gleich nach dem Krieg, als die Wasserwerke noch nicht arbeiten konnten… Wir gingen auf Eimer, also, so unappetitlich das ist. Aber es ist ja bekannt, wenn alle das machen und machen müssen, gut, dann ist das normal - so traurig es ist. Und die Eimer waren dann ja bald voll. Und entweder nach draußen, da war so eine Grünanlage, rausgekippt - erst mal geguckt, ist da nicht gerade jemand am Fenster, obwohl es die anderen ja auch machten, oder dann zum Schluss auf die Straße einfach.

Die sowjetische Besatzung

Das erste, was in unserem Keller an Russen dann, also, wo wir mit Russen direkt in Berührung kamen, (waren) ein Soldat und eine Soldatin in Uniform. Die kamen und natürlich erst mal alle mit Taschenlampen. Die mussten ja erst mal gucken, die hatten ja Angst da auch bedroht zu werden und so. Und diese Soldatin, die sah dann, dass da in einem kleinen, so einem ovalen Waschkorb, den hatte meine Mutter vorbereitet, da lag nun dies Baby. Und da kam sie gleich, also, so eine, wie ich sie so klischeehaft auch aus russischen Filmen (kannte), die russische Soldatin ja sehr beeindruckend, auch beängstigend, nicht so, hm, nicht so Kommandeuse oder so. Und die war aber dann doch wohl irgendwie erstaunt. Und sie konnte kein Deutsch, ich natürlich auch kein Russisch. Durch Zeichensprache, wie alt ist denn das Kind, und da hab ich ihr so gesagt, drei, Tage nicht, drei Wochen. Irgendwie hat sie das kapiert und hat dann auch irgendwie so gestaunt. Und auch der Russe, der hatte nun alle abgeleuchtet und so und dachte, die tun uns nichts, und dann gingen sie wieder raus.

Vergewaltigung

Und sehr leise, vielleicht auf Gummi, die hatten Gummisohlen. Plötzlich stehen da zwei russische Soldaten und gleich den Revolver oder Pistole gleich auf mich gerichtet und so. So. Also, ich erstarrte natürlich, weil ich ja, es wurde ja vorher immer schon berichtet darüber… Und ich weiß auch noch meine Gedanken, vor allem beide richteten die Pistolen auf mich, dachte ich, aha, jetzt erschießen die mich. Und dann plötzlich, so ganz kalt, das ist ja auch ein Schutz, diese Erstarrung plötzlich. Ich hab auch nicht gejammert, nur feststellend, aha. Also, der Säugling, Axel war ja da unten im Keller. Jetzt muss meine Mutter, diese alte Frau, die war damals 42, die muss jetzt das Kind groß ziehen, denn ich ging davon aus, sie erschießen mich jetzt. Vorher vergewaltigen sie mich und dann erschießen … So.

Aber eben auch erstaunlich die Reaktion, die man nicht beeinflussen kann, dass ich eben also gar nicht, gar keine Todesangst hatte. Und nun ging das so weiter: (Es waren) zwei und einem polterte eine Weinflasche aus der Uniformjacke. Die waren sicher auch angetrunken. Denn die waren da in jedem Haus, um zu plündern. Gut, wahrscheinlich, das machen wohl immer Soldaten.

Und dann, die Einzelheiten können Sie sich ja vorstellen. Der eine, der hielt mich fest und warf mich dann zu Boden und so und riss mir dann auch gleich die Unterwäsche runter. Und dann, der eine machte sich dann ans Werk und der andere hielt mir dann die Pistole vor. Und dann wechselten sie sich ab. Also, so war das dann. Aber Sie sehen ja, ich erzähle das hier also fast auch irgendwie mit einem Lachen aus Staunen, also eben, also die Situation, die ist ja auch eigentlich völlig unbegreiflich erst mal oder unvorstellbar in normalen Zeiten. So. Und dann plötzlich waren sie weg und hatten mich nicht erschossen. Da war ich erst mal schon… Dachte ich, ach, die haben mich ja gar nicht erschossen.

Und nun, ich musste erst mal eine Weile mich da beruhigen, können Sie sich ja denken. Und dann erst nach längerer Zeit, weil meine Mutter machte sich ja wohl auch Sorgen inzwischen, und dann ging ich wieder in den Keller runter. Und ich weiß nur, meine Mutter sagte, wo warst du denn, ich hab mir ja solche Sorgen gemacht … und so. Ich hab ihr gar nichts gesagt. Ich glaub, ich wollte nur mal gucken oder so, ob nun… Also, ich hab ihr nie davon, auch später nie davon erzählt. Sie sagte nur, du bist ja leichenblass.

Erlebnisse mit russischen Soldaten

Und dann ja auch, Uhri, Frau komm, das war immer noch auf den Straßen, Frau komm und Uhri, Uhri, das war so das Bekannteste. Die waren wild auf Taschenuhren. Und einige hatten dann auch gleich so drei, den Unterarm voller Uhren. Und auch Fahrräder… Und wir hatten, auch durch die Ausbombung, und hatten dann später noch mal eins hilfreicherweise noch ergattern können, ein Fahrrad. Das war so wichtig. Und meiner Mutter ist das dann auch geklaut worden. Da war sie auch unterwegs, als noch die Russen auch überall waren, auch in Wilmersdorf. Und war nichts zu machen. Der hielt sie einfach an und irgendwie - oder riss sie runter und stieg auf und weg damit.

Und auch ja, auch brenzlige Situationen: Ich erinnere mich auch, da hieß es dann manchmal - oder nicht also in dem Fall - irgendwas gibt’s da irgend bei einem Bäcker, da wird jetzt die ganze Bäckerei, die Backstube… Die Russen lassen das, die Bevölkerung kann sich da bedienen. Und wir gleich hin mit Eimern. Und da war eine ganz lange Schlange. Und dann gingen auch Russen da immer so rechts und links an diesen Schlangen und guckten dann immer so, eben auch nach Frauen. Ich war da ja jung. Also, da wurde mir auch ganz mulmig. Und ich weiß auch, dass sie dann auch aus der Schlange da ein paar Frauen einfach rauszogen und da irgendwohin verschwanden.

Das Plündern war, also, Plündern, es war ja, die Russen haben es ja gestattet. Klar. Und für die war das eine Genugtuung, diese Deutschen, jetzt sehen wir sie, wie die Tiere raffen sie und so. Klar, die standen da auch und richtig so, belustigten sich. Ist ja psychologisch nachvollziehbar. Jetzt war es umgedreht und so.

Und dann auch mit Karstadt, also, es war ja voll da und ein Gewühle und Raffen. Und plötzlich, ich war da auch noch am Raffen, alle anderen auch, meine Mutter, plötzlich über Mikrophon, also, ein Russe, der etwas Deutsch konnte, der rief dann: Alle raus, schnell, wir sprengen das Haus jetzt. Und nun, in Todesangst… und dann auch, wie heißt es so, dawei und so. Und die jagten uns da raus. Und das Haus wurde gar nicht gesprengt. Die haben sich ein Vergnügen daran gemacht, uns wie die Hasen zu jagen.

Rückkehr der Kultur

Ja, das nannte sich damals städtische Bühnen Hamburg-Harburg und war auch ein von Hamburg subventioniertes Theater. Das eigentliche Theatergebäude war ausgebombt. Und da wurde gespielt in Rönneburg. Das war auch so ein größeres Lokal mit Bühne, aber auch mit Garderobemöglichkeiten und so. Ja, also, die erste Rolle, die ich bekam, das war ja noch eine doch anspruchsvollere Rolle. Das war "Des Teufels General". Das Stück war damals ja so gang und gäbe, das war ja da gerade erst auf die Bühne gekommen, nicht, Zuckmayer, und an allen Theatern, auch in den großen Theatern gespielt.

Und die Spielstätten, das waren meistens so Gaststätten, die eine Bühne hatten. Und da spielten wir. Und auch mit dem Essen erinnere ich mich. Da gab es dann - also, ich staunte natürlich nur - Schmalz in großen Töpfen und dann Schinken und so was, also, alles Dinge, die in der Stadt also ja nun Raritäten waren oder lange nicht gesehen wurden. Und dann hab ich das auch bestaunt. Ach, nein, so was hab ich ja lange nicht gesehen, wunderbar. Und dann sagte mir dann jemand aus der Runde, ich weiß nicht, eine Bäuerin oder wer, na ja, dafür kriegen Sie in der Stadt aber manchmal Fischkonserven, die kriegen wir dann nicht! Die werden nicht hier zu uns …