Zeitzeugin Lieselotte Arnhold

Lieselotte Arnhold, 1924 geboren, war Kindergärtnerin in Magdeburg und später Diplom-Pädagogin.
Magdeburg bei Kriegsende
Magdeburg war ein einziger Trümmerhaufen. Der hatte ja schon viele Angriffe vorher während des Krieges gehabt, aber kleinere. Aber der Hauptangriff war ja am 16. Januar 1945. Da lag Magdeburg also in Schutt und Asche. Es war ganz schlimm, ja, war ganz schlimm. Der Breite Weg war eine wunderschöne Barockstraße, ein Haus schöner als das andere. Das lag also alles in Schutt und Asche. Besonders die Innenstadt war eben ganz, ganz stark zerstört. Viele Bombenopfer gab es. Viele waren verzweifelt, waren zwar auf der einen Seite froh, dass der Krieg zu Ende war, aber wie sollte es weitergehen. Jeder hat sich gefragt: Was kommt denn jetzt?

Obdachlosigkeit

Es gab 220.000 Obdachlose in der Stadt. Und am Stadtrand wurden dann Behelfsheime gebaut, wo die Leute erst mal unterkamen. Aber es hat eben ewig gedauert, bis die Trümmer weggeräumt waren. Zum Beispiel am Universitätsplatz war ein riesengroßer Trümmerberg. Der hieß noch jahrelang "Mont Klamott". Da lagen also die Trümmer und man sah überall Frauen, die ja beschäftigt werden mussten, und es musste ja auch wieder Ordnung geschaffen werden in der Stadt, die eben Steine geputzt haben. Ich selber war auch bei einer Baufirma mehrere Monate beschäftigt, weil es ja in meinem Beruf als Kindergärtnerin zunächst erst mal keine Einrichtung und keine Arbeit gab. Natürlich hatte man zwei Scheiben trocken Brot mit, eine Mohrrübe aus dem Garten und kaum was zu essen. Also, es war schon ganz schön schwer. Und abends war man fix und fertig. Man musste die Reste abschaben von den Steinen, die noch gut waren in den Trümmern, damit sie wieder verwendet werden konnten für den Aufbau.

Neuorientierung

Und man wusste ja nicht, wie geht’s denn nun weiter. Zwölf Jahre Faschismus lagen hinter uns. Ich war z.B. so ein nordischer Typ, blond und blauäugig. Ich war vielleicht auch mal vorgesehen, um im Osten zu siedeln oder so. Ich war im Arbeitsdienst. Ich war im Landjahr. Ich war nicht in der Partei, in der Nazipartei, aber ich war eben in dem Sinne geprägt auch durch die Gesellschaftsordnung. Und für mich war es sehr schwer, mich nun zurechtzufinden mit dem Neuen zuerst. Ich hab mich zuerst sehr schwer getan.

Heizungsnot und Hunger

Es gab ja nur Braunkohle, also, diese Braunkohlenstücken. Wir hatten einen eisernen Ofen und dort saß alles ringsrum und man war entweder von vorne warm. Und dann musste man sich umdrehen, damit man ein bisschen Wärme auch hinten bekam. Auf dem Ofen hatten wir Ziegelsteine gelegt. Die mussten warm werden. Die wurden in Zeitungspapier gewickelt. Die nahm man mit ins Bett, damit man sich wärmen konnte. Es war schon sehr schlimm. Zum Feueranmachen hat man Klammern genommen oder altes Spielzeug oder irgendwie einen alten Zaun abgerissen und verbrannt. Es gab ja hier keinen Wald in der Stadt und am Stadtrand und da musste man sich eben behelfen. Es war überhaupt eine Zeit, wo nur improvisiert wurde.

Es gab ja Lebensmittelkarten zu dieser Zeit. Das wurde eingeteilt nach Kategorien - Schwerstarbeiter, Schwerarbeiter, Angestellte, Hausfrauen, Lehrer, Kinder. Das war ja alles so minimal, was man da bekommen hat auf den Lebensmittelkarten: Da kriegte ich z.B. am Tag 300 g Brot, 20 g Nährmittel, 20 g Zucker, 20 g Fleisch, das sind noch nicht mal zwei Scheiben Wurst, 10 g Fett und 30 g Marmelade.

Schwarzmarkt

In Magdeburg gab es einen Schwarzen Markt, das weiß ich vom Hörensagen. Um den Bahnhof herum und in der Bahnhofstraße gab es einen Schwarzen Markt. Ich hätte auch gerne mal z.B. mich mit einem Stück Lux-Seife gewaschen, aber es gab nur zwei Sorten Seife bei uns. Das war einmal Schwimmseife, die war ganz leicht. Wenn sich die Familie damit gewaschen hat, war das Stück alle. Oder es gab Tonseife. Die war hart und kratzig und man musste sich was unterlegen, denn sonst gab es also hässliche Flecke auf der Erde. Na ja, das war also alles nicht so schön. Wir sind nicht im Schmutz umgekommen, aber - wie gesagt - es war eben alles improvisiert.

Improvisation gefragt

Wir haben z.B. falsche Leberwurst gemacht aus Haferflocken. Haferflocken gekocht, da kam dann ein bisschen Majoran dran und ein bisschen Fett und Gewürze. Das haben wir aufs Brot geschmiert. Oder wir haben, wenn einer Geburtstag hatte, aus Kaffeeersatz eine Mokkatorte gebacken oder aus Mohrrüben eine Mohrrübentorte. Not macht erfinderisch, sagt man immer. Das war wirklich eine Zeit, wo man erfinderisch sein musste.

Das Gleiche betraf ja auch die Kleidung. Auch da musste man erfinderisch sein. Es wurden alte Wehrmachtssachen eingefärbt. Ich hatte z.B. aus einem karierten Bettbezug ein wunderhübsches Dirndlkleid. Dann haben wir z.B. auch Zuckersäcke aufgerebbelt, Zuckersäcke! Da war so ein Faden drin, den konnte man zum Stricken nehmen. Dann gab es weiße Kniestrümpfe oder einen Pullover oder einen Schal daraus, aber das hat fürchterlich gekratzt.

Kinder als Kriegsopfer

Die Kinder, die ich z.B. im Kindergarten dort hatte, da waren viele Väter auch gefallen oder noch vermisst, noch nicht zurückgekommen. Und die Frauen arbeiteten alle. Man musste eigentlich erst mal viel Wert darauf legen, dass die Kinder wieder lachen lernten. Das war ja durch den Fliegeralarm hier in den Städten… - die hier zurückgeblieben waren, wenn Alarm war, mussten sie mit den Müttern in den Keller oder mit den Großeltern. Und da waren die Kinder zum Teil auch verängstigt, wenn die Sirenen heulten. Das ist dann für sie schlimm gewesen. Und wir haben in unserer Arbeit dann eigentlich großen Wert darauf gelegt, dass die Kinder wieder fröhlich werden konnten, wieder ein bisschen lachen konnten, mal Spaß hatten.

Gründung der DDR

Der 7. Oktober war der Tag, wo die DDR gegründet wurde. Und viele haben eben damit auch die Hoffnung verbunden, jetzt kommt ein neues Leben, jetzt wird es vielleicht für uns besser. Ich war eigentlich zu der Zeit noch relativ unpolitisch, muss ich sagen, unbedarft in der Beziehung, nur eine abwartende Haltung und eben suchend und was ist jetzt richtig. Ich habe mich eben sehr schwer getan nach 45 die ganzen Jahre.

Verhältnis zur Besatzungsmacht UdSSR

Sie haben z.B. auch angefangen, hier die Kultur mit zu bestimmen. Es gab das Alexandrow-Ensemble, es gab andere Ensembles, die sich mit deutschen Kulturgruppen zusammengetan haben und hier also das Leben ein bisschen mit bereichert haben durch Kultur. Aber ansonsten war doch erst mal Reserviertheit da und Abwarten. Und es gab natürlich auch, dass Vergewaltigungen auch noch stattgefunden haben. Aber wenn das rausgekommen war, wurden die schwer bestraft - mit Prügel und allem, und nach Hause geschickt oder sonst was. Uns wurde ja dann auch immer wieder gesagt: Die Russen selber haben auch viel eingebüßt während des Krieges. Dort sind auch viele Menschen umgekommen, Familien auseinander gerissen worden. Und wir haben ihnen auch viel Leid angetan.