Zeitzeugin Rosa Wallbaum

Zeitzeugin Rosa Wallbaum · 04.05.2009
Rosa Wallbaum, 95 Jahre alt. Rosa Wallbaum ist, nachdem ihr Mann von einem U-Boot-Einsatz nicht zurückgekommen war, mit ihren beiden Kindern zu ihren in Kiel lebenden Eltern gezogen. Sie hat sich ehrenamtlich in der Arbeiterwohlfahrt für Flüchtlinge engagiert.
Im Krieg vermisst

1947 war ich schon verwitwet. Mein Mann ist U-Bootsfahrer gewesen und galt als vermisst. Ja, dann hab ich dann Nachrichten eingeholt bei den Engländern und mit allen möglichen Leuten hab ich mich in Verbindung gesetzt. Und ich erfuhr nichts. Und dann war das dann so, dass man – mein Mann war Berufssoldat, und dann wollten sie mir ja sein Gehalt, das ich bekommen hätte, wollten sie sperren, außer, ich lasse meinen Mann für tot erklären. Das war ein ganz, ganz schwerer Gang, den ich nicht alleine machte, sondern eben mit meiner Mutter. Denn das ist etwas Endgültiges. Er konnte praktisch gar nicht mehr leben. Also, er hat das Boot manövriert in englischen, in nordenglischen Gewässern – das konnte man noch feststellen Aber dann fehlte jede Nachricht. Und durch die Turbulenzen Ende des Krieges hab ich das nicht erfahren. Und dann hab ich meinen Mann für tot erklären lassen müssen und bekam dann eben auch dann die Witwenpension.

In der britischen Besatzungszone

Also, wir sind nicht ausgebombt. Ich wohnte im Haus meiner Eltern und wir wohnten hier in Kiel in der britischen Besatzungszone. Und ich muss sagen, ich hatte das Gefühl, es war eine Besatzungszone, die man überhaupt nicht bemerkte – also, ganz zurückhaltend. Und einigermaßen florierte ja auch die ganze Versorgung. Hier in Norddeutschland, da hat das wirklich alles funktioniert.

Flüchtlinge und Vertriebene

Also, Flüchtlinge kamen und 47 war Kiel noch fürchterlich zerstört. Und die Leute, die hier als Flüchtlinge hergekommen waren und in den Lagern lebten, und zwar – ich will das jetzt mal richtig deutlich sagen – in verlausten Lagern, nicht? Denn das waren ja vorher so genannte "Fremdarbeiterlager" gewesen. Wo sollten sie hin, die aus dem Osten kamen? Die wurden aufgenommen. Ich hab sofort mich zur Verfügung gestellt, überall mitzuhelfen. Und dann bin ich in die Lager gegangen. Und ich muss wirklich sagen: Als ich raus kam, also, mir war speiübel zumute. Ich weiß das heute noch genau. Also, die verschiedenen Gerüche, das waren ja keine abgeteilten Zimmer für drei oder vier oder fünf Personen, sondern es waren richtig große Räume, in denen verschiedene Familien wohnten.

Ernährungslage

Und wenn Sie denn – morgens gingen Sie zum Schlachter und holten sich Wurstbrühe, also, das ist das Wasser gewesen, in dem die Würste gekocht wurden. Und da kostete ein Liter 40 Pfennig. Das war die Grundsubstanz für das, was man darauf kochen konnte. Denn die Zutaten, die wir bekamen alles das, was auf Marken aufgerufen war, aber es war natürlich sehr knapp. Und ich bin immer ausgekommen, weil ich mit bei meinen Eltern lebte und weil wir dann mehrere Karten hatten und der eine aß mehr und der andere weniger. Und dann hatten meine Eltern einen Garten, so dass wir eigentlich nicht zu denen zählen konnten, die gehungert hätten, wir Kieler. Aber die Leute, die im Lager wohnen musste, die waren arg dran.

Schwierigkeiten bei der Integration

Und dann hab ich dann auch gesehen, mit wie wenig Gepäck sie angekommen waren. Und sie hatten zu Hause ja alles gelassen – wir kommen ja wieder, wir können das ja nachher weiter… Wir können in unser Haus wieder hinein. Das war natürlich alles verloren.

Und die Flüchtlinge waren in Kiel. Da gab das Rivalen – die ausgebombten Kieler und die Flüchtlinge. Und die ausgebombten Kieler, die behaupteten natürlich auch ihr Recht, wenn sie evakuiert waren, wieder nach Kiel zurückzukommen. Aber die Flüchtlinge waren in den Lagern und die Lager mussten aufgelöst werden zum Teil. Und dann war das natürlich eine fürchterliche Wohnungsnot. Die wurden einfach beschlagnahmt, Räume einer Wohnung. Meine Eltern hatten eine Dreizimmerwohnung und ich hatte eine Dreizimmerwohnung in Elmschenhagen. Die hab ich auch aufgegeben und bin zu meinen Eltern gezogen, damit wir zusammen sein konnten. Die Ernährung war dann besser sichergestellt für uns alle fünf – meine Eltern, meine beiden Jungs und mich.

Arbeit in Flüchtlingslagern

Ich bin in die Lager gegangen. Erstmal fing die Arbeiterwohlfahrt gleich auch an mit Sternfahrten, also für die Kinder Sternfahrten machen. Und das bedeutete, dass ich mich als Helferin selbstverständlich zur Verfügung gestellt habe. Und dann bekam ich – ich glaube – 50 Karten. Aber ich hab mindestens 100 Kinder mitgenommen. Dann hab ich ihnen gesagt, das tut mir leid, ich nehm euch mit, aber ihr könnt kein Brötchen und keine Milch bekommen Aber die Kinder waren natürlich froh, wenn sie auch mit dem Dampfer fahren konnten und am Strand sein konnten. Und irgendwie haben wir das dann gedeichselt, dass dann doch noch ein bisschen mehr da geliefert wurde und jedes Kind auch sein Brötchen und seine Milch bekam.

Und ich muss sagen, da gab das wirklich Kinder, die kein Brot mit hatten. Also von zu Hause dann ein Stück Brot mitzunehmen, war für einen Tag am Strand üblich. Und die hatten das nicht. Wir sind mit den Kindern gefahren und dann sind wir zu Fuß gegangen. Und dann sind wir gegangen und die Kinder haben gesungen. Und ich weiß nicht, ob Ihnen noch bekannt ist, dass unter dem Bahnhof damals ein Tunnel war. Die Kirche, die St. Jürgens Kirche, der St. Jürgens Friedhof ist ja alles jetzt planiert und Straße – und natürlich Parkplätze. Und damals war das, denn die Kirche war stehengeblieben und der Bahnhof war auch insofern nicht betroffen, der Tunnel war noch. Und dann sind wir durch den Tunnel gerannt. Und dann haben sie gesungen und geschrien. Und ich hab gedacht, oh Gott, das ist noch gar nicht lange her, da haben sie geweint, weil sie in den Bunker mussten. Und dann sind wir da durchgerannt und die haben geschrien. Und ich hatte immer noch dieses Bedrückte, was wir vorher während des Krieges hatten. Ich konnte das einfach nicht loswerden.

Hilfe zum Überleben

Mit der Arbeiterwohlfahrt, muss ich sagen, hab ich sehr viel gemacht. Wir sind sammeln gegangen. Ich hab gedacht, das ist direkt eine Befreiung gegenüber dem, was kurz vorher noch gewesen ist. Und das waren ja auch sehr viel Spenden. Und sehr viel Spenden, und ich muss sagen, da hab ich mir damals den Kopf zerbrochen. Was haben wir über Europa für Elend gebracht, wir Deutschen? Und jetzt helfen sie uns – die Schweden und die Schweizer, auch die Holländer, genau wie auch in den Schulen. Die Schulbrote hab ich auch gemacht. Ich bin gleich immer überall dabei gewesen, damit man hilft.

Wenn man irgendwo ging, auch so auf der Straße – Butter, Butter? Also, ich hab weder schwarz gekauft, noch hab ich was verkauft. Ich hab nichts verkauft. Aber mein Vater, der war Platzmeister und das war in der Nähe einer Fischfabrik. Und dann brachte er immer Bücklinge mit. Och, das war eine herrliche Bereicherung unseres Speisezettels. Und ich wohnte ja im Haus meiner Eltern.

Ich kann auch sagen, durch den Fleiß meiner Eltern, wir haben eigentlich – auch meine beiden Kinder, die haben nie gehungert. Ich muss aber auch zugeben, dass wir auch nicht so weit gingen mit unserer Großzügigkeit, anderen noch viel abzugeben. Also, wenn ich da einige kannte und so, so reichlich hatten wir das ja nun auch nicht, aber ich konnte das einfach nicht ertragen, wenn ich ein Brötchen biss oder in ein Brot biss, dass andere daneben saßen und mir jeden Biss in den Mund abzählten. So ist das nämlich wirklich gewesen.

Und die Flüchtlinge, die kamen, die konnten ja gar nichts kompensieren. Die Hiesigen, die hatten immer noch einiges. Aber die Flüchtlinge konnten ja nur das Notwendigste, was sie tragen konnten, mitnehmen und das andere zu Hause lassen. Es gab Leute, gerade auch die Bauern, ich meine, sie müssten für das, was sie erzeugten, mussten sie ja schwer arbeiten. Aber sie haben eben nicht gehungert.

Währungsreform

Also, wir bekamen ja erst jeder erst mal 40 Mark und das war dann ja stattliches Geld und man konnte alles dafür kaufen. Und da war plötzlich auch wieder alle auf dem Markt, was vorher nicht da war. Wir mussten, beispielsweise sind wir Schuhe-Bezugsscheine beantragen. Und dann ging man in einen Laden und da war alles nicht da. Nichts konnte man kaufen. Aber am 21. Juni, an einem Montag, da waren die Läden voller Schuhe zum Beispiel. Früher konnte ich für meinen Bezugsschein keine Schuhe kaufen, aber da war alles da. Da war das ja die feste Währung.

Schule nach dem Krieg

47 kam mein ältester Sohn zur Schule. Und ich hab gleich gedacht, ich gehe in den Elternbeirat. Da waren verschiedene Lager. Da waren Flüchtlingskinder, waren Einheimische. Und die Lehrer haben das sehr schwer gehabt. Es waren ja große Klassen. Ich weiß, 47 Kinder hatte der Lehrer, wo mein Ältester zur Schule ging. Und dann hab ich mich gleich gemeldet. Damit erreichte ich auch, dass sich mehrere freiwillig meldeten. Sonst wehren sie sich ja meistens dagegen. Aber das war gleich mit Arbeit verbunden. Ja, die Schulen waren ja alle kaputt. Das war ja auch das Schlimme. Und die hatten in den ersten Jahren vier Schichten, vormittags zwei und nachmittags zwei, weil die Schulen ja alle kaputt waren. Aber da waren ja genügend Lehrer da.

Entnazifizierung

Und die mussten ja auch aussortiert werden, denn dass man die Lehrer, die den Hitler gepriesen haben, dass man die nicht wieder auf die Kinder loslässt, das war eigentlich etwas, was wir haben wollten, dass sie nicht wieder in den Schuldienst kamen. Aber es war sehr schwer. Sie haben das Beamtenverhältnis, nicht?