Zensiert oder totgeschwiegen
Im Fokus des Buches von Ines Geipel stehen die Lebensgeschichten ostdeutscher Autorinnen, deren Werk aus politischen Gründen nicht erscheinen durfte. Die Frauen wurden als staatsgefährdend eingestuft, zensiert oder totgeschwiegen.
In Diktaturen sind die ungeschriebenen Kapitel der Literaturgeschichte oft auf besondere Weise erhellend. Das gilt auch für die Zeit der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR, hier steckt die Darstellung unterdrückter Literaten noch in den Anfängen.
Schon aus diesem Grund ist das Buch der Berliner Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Ines Geipel verdienstvoll. In seinem Fokus stehen die Lebensgeschichten ostdeutscher Autorinnen, deren Werk aus politischen Gründen nicht erscheinen durfte. Bewusst gegen derzeit zunehmende Tendenzen zur Weichzeichnung der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland schreibt Geipel:
"Die DDR war kein Märchen. Insofern sind die zwölf Porträts auch ein Bericht über enormen Druck, die Paranoia eines Regimes und die rigide Vernichtung von kreativem Potential. Doch in erster Linie handeln sie von zwölf Dichterinnen, die sich nicht normieren ließen, sich in ihre Zeit stellten, ihre Lebendigkeit verteidigten, um ihre Stimme und ihren Ausdruck kämpften und unter harschen Verhältnissen und Literatur bar jeder Moden schrieben."
Die genannten Autorinnen wurden als staatsgefährdend eingestuft, zensiert oder totgeschwiegen. Dabei waren die Organisatoren dieser kalten Bücherverbrennung bislang erfolgreich, denn die Schicksale, denen sich Ines Geipel widmet, sind zum größten Teil kaum oder gar nicht bekannt geworden. Einige Schriftstellerinnen sind an dem Druck, dem sie schon in ihrer Entwicklungsphase ausgesetzt waren, zerbrochen.
Ihre einfühlsamen Beschreibungen stützt Geipel auf die Auswertung von oftmals schwer zugänglichen Quellen, wie etwa unveröffentlichte Tagebücher, Briefe, Gedichte und Gespräche mit Zeitzeugen und Hinterbliebenen. Die oft mühsam ausfindig gemachten Originaltexte der Autorinnen vermitteln einen Eindruck davon, welches kreative Potential hier im Keim erstickt wurde.
Dass die Hoffnung auf einen wirklichen demokratischen Neubeginn unbegründet war, musste die 1864 geborene Ricarda Huch bereits in der frühen Nachkriegszeit erfahren. Vor Hitlers Deutschland empfand die in Jena lebende Symbolfigur der inneren Emigration nur Grauen und Ekel. Den neuen Machthabern in der Sowjetischen Besatzungszone aber stand sie zunächst loyal gegenüber. In dieser Zeit eilte der betagten Huch der Ruf als "Königin der inneren Emigration" voraus.
"Schon aus diesem Grund wollte die neue Macht sie als politische Stimme des Aufbruchs. Die Grande Dame der deutschen Literatur ließ sich rufen, genoss fortan ihre beinah kultische Verehrung – als Ehrenvorsitzende des neu gegründeten "Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" in Thüringen, als Alterspräsidentin im Thüringischen Landtag, als Teilnehmerin eines wöchentlichen Arbeitskreises, der über die Geschicke der Stadt zu entscheiden hatte."
Doch nach und nach steigerte sich ihre Skepsis bis zur Ablehnung – sicherlich auch, weil ihr Buch "Urphänomene" ohne das Kapitel "Freiheit" erscheinen musste. Tief bestürzt äußerte sie sich 1946 in einem Brief über die Verschleppung unschuldiger junger Menschen. Ein Jahr später spricht sie desillusioniert vom Sklavenland: Man sei so gefesselt, wie man es die zwölf Jahre vorher gewesen sei.
Wer die Fesseln lockern wollte, bekam die Staatsmacht schnell zu spüren. 1950, ein Jahr nach Gründung der DDR, wurde die damals 20jährige Edeltraut Eckert verhaftet, weil sie in eine Flugblattaktion mit Aufrufen wie "Freiheit der Ostzone" und "Feindschaft dem Terror" eingebunden war. Dafür erhielt sie 25 Jahre Haft im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck. Ein Arbeitsunfall, bei dem die 24jährige regelrecht skalpiert wurde, führte zu ihrem frühen Tod. Wenige Monate zuvor hatte sie mit Blick auf die unbestimmte Entlassung aus der Haft an die Eltern geschrieben:
"Einmal, aber das liegt so weit, muss es ja so sein. Es fragt sich nur, was dann von dem Menschen, der damals von Euch ging, übrig geblieben ist."
Vor dem Hintergrund der "Gruppe 47 Ost", wie Geipel eine nur drei Jahre bestehende Schriftstellervereinigung aus Thüringen nennt, erzählt sie die literarischen Anfänge der 1922 geborenen Autorin Ursula Adam. Deren Lebensweg steht für viele, die sich den rigiden Vorgaben nicht anpassen wollten und der DDR den Rücken kehrten. Ein von ihr verfasster unveröffentlichter politischer Sketch brachte (Str.) Ursula Adam ins Gefängnis – einen Tag nach der Entbindung von ihrem Sohn. Die Anklage formulierte zu dem im Grunde harmlosen Text vor Gericht:
"Das Manuskript strotzt vor Gemeinheiten gegen die Einrichtung der DDR und die Sowjetische Besatzungsmacht. Als Grund ihrer hetzerischen Tätigkeit gibt die Adam an, dass sie sich unter dem Kommunismus etwas anderes vorgestellt hat. Ein Sketch von diesem Format hätte nur den Interessen der westlichen Kolonialherren gedient. Es ist festgestellt, dass die Angeklagte durch die Abfassung der Manuskripts den Frieden des deutschen Volkes gefährdet hat."
Während der fast siebenmonatigen Haft wurden Mutter und Säugling getrennt. Kurze Zeit nach der Haftentlassung starb das unterernährte Kind in einem Kinderheim. Im Sommer 1951 flüchtete Ursula Adam aus der DDR nach West-Berlin. Etliche ihrer früheren Texte erschienen später im RIAS und im SFB. Daneben verfasste sie Prosa, Gedichte und Theaterstücke. Ihr zu kurzes Leben endete 1979. Da war sie 56.
Der Wille zu unverbogener Eigenständigkeit ist das Band, das die geschilderten Künstlerbiografien verbindet. Vor diesem Hintergrund erscheinen Aushängeschilder der DDR-Literatur wie Heiner Müller und Christa Wolf in einem fragwürdigen Licht.
So eröffnet dieses Buch nicht nur ein neues Blickfeld auf wichtige Kapitel der deutschen Literaturgeschichte, sondern gibt auch Anlass zu weiteren Fragen. Auf jeden Fall ist es ein wichtiger Anfang. Und dieser Anfang weckt die Neugier auf mehr.
Ines Geipel:
Zensiert, verschwiegen, vergessen. - Autorinnen in Ostdeutschland 1945-1989
Artemis & Winkler Verlag; Düsseldorf; 2009
Schon aus diesem Grund ist das Buch der Berliner Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Ines Geipel verdienstvoll. In seinem Fokus stehen die Lebensgeschichten ostdeutscher Autorinnen, deren Werk aus politischen Gründen nicht erscheinen durfte. Bewusst gegen derzeit zunehmende Tendenzen zur Weichzeichnung der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland schreibt Geipel:
"Die DDR war kein Märchen. Insofern sind die zwölf Porträts auch ein Bericht über enormen Druck, die Paranoia eines Regimes und die rigide Vernichtung von kreativem Potential. Doch in erster Linie handeln sie von zwölf Dichterinnen, die sich nicht normieren ließen, sich in ihre Zeit stellten, ihre Lebendigkeit verteidigten, um ihre Stimme und ihren Ausdruck kämpften und unter harschen Verhältnissen und Literatur bar jeder Moden schrieben."
Die genannten Autorinnen wurden als staatsgefährdend eingestuft, zensiert oder totgeschwiegen. Dabei waren die Organisatoren dieser kalten Bücherverbrennung bislang erfolgreich, denn die Schicksale, denen sich Ines Geipel widmet, sind zum größten Teil kaum oder gar nicht bekannt geworden. Einige Schriftstellerinnen sind an dem Druck, dem sie schon in ihrer Entwicklungsphase ausgesetzt waren, zerbrochen.
Ihre einfühlsamen Beschreibungen stützt Geipel auf die Auswertung von oftmals schwer zugänglichen Quellen, wie etwa unveröffentlichte Tagebücher, Briefe, Gedichte und Gespräche mit Zeitzeugen und Hinterbliebenen. Die oft mühsam ausfindig gemachten Originaltexte der Autorinnen vermitteln einen Eindruck davon, welches kreative Potential hier im Keim erstickt wurde.
Dass die Hoffnung auf einen wirklichen demokratischen Neubeginn unbegründet war, musste die 1864 geborene Ricarda Huch bereits in der frühen Nachkriegszeit erfahren. Vor Hitlers Deutschland empfand die in Jena lebende Symbolfigur der inneren Emigration nur Grauen und Ekel. Den neuen Machthabern in der Sowjetischen Besatzungszone aber stand sie zunächst loyal gegenüber. In dieser Zeit eilte der betagten Huch der Ruf als "Königin der inneren Emigration" voraus.
"Schon aus diesem Grund wollte die neue Macht sie als politische Stimme des Aufbruchs. Die Grande Dame der deutschen Literatur ließ sich rufen, genoss fortan ihre beinah kultische Verehrung – als Ehrenvorsitzende des neu gegründeten "Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" in Thüringen, als Alterspräsidentin im Thüringischen Landtag, als Teilnehmerin eines wöchentlichen Arbeitskreises, der über die Geschicke der Stadt zu entscheiden hatte."
Doch nach und nach steigerte sich ihre Skepsis bis zur Ablehnung – sicherlich auch, weil ihr Buch "Urphänomene" ohne das Kapitel "Freiheit" erscheinen musste. Tief bestürzt äußerte sie sich 1946 in einem Brief über die Verschleppung unschuldiger junger Menschen. Ein Jahr später spricht sie desillusioniert vom Sklavenland: Man sei so gefesselt, wie man es die zwölf Jahre vorher gewesen sei.
Wer die Fesseln lockern wollte, bekam die Staatsmacht schnell zu spüren. 1950, ein Jahr nach Gründung der DDR, wurde die damals 20jährige Edeltraut Eckert verhaftet, weil sie in eine Flugblattaktion mit Aufrufen wie "Freiheit der Ostzone" und "Feindschaft dem Terror" eingebunden war. Dafür erhielt sie 25 Jahre Haft im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck. Ein Arbeitsunfall, bei dem die 24jährige regelrecht skalpiert wurde, führte zu ihrem frühen Tod. Wenige Monate zuvor hatte sie mit Blick auf die unbestimmte Entlassung aus der Haft an die Eltern geschrieben:
"Einmal, aber das liegt so weit, muss es ja so sein. Es fragt sich nur, was dann von dem Menschen, der damals von Euch ging, übrig geblieben ist."
Vor dem Hintergrund der "Gruppe 47 Ost", wie Geipel eine nur drei Jahre bestehende Schriftstellervereinigung aus Thüringen nennt, erzählt sie die literarischen Anfänge der 1922 geborenen Autorin Ursula Adam. Deren Lebensweg steht für viele, die sich den rigiden Vorgaben nicht anpassen wollten und der DDR den Rücken kehrten. Ein von ihr verfasster unveröffentlichter politischer Sketch brachte (Str.) Ursula Adam ins Gefängnis – einen Tag nach der Entbindung von ihrem Sohn. Die Anklage formulierte zu dem im Grunde harmlosen Text vor Gericht:
"Das Manuskript strotzt vor Gemeinheiten gegen die Einrichtung der DDR und die Sowjetische Besatzungsmacht. Als Grund ihrer hetzerischen Tätigkeit gibt die Adam an, dass sie sich unter dem Kommunismus etwas anderes vorgestellt hat. Ein Sketch von diesem Format hätte nur den Interessen der westlichen Kolonialherren gedient. Es ist festgestellt, dass die Angeklagte durch die Abfassung der Manuskripts den Frieden des deutschen Volkes gefährdet hat."
Während der fast siebenmonatigen Haft wurden Mutter und Säugling getrennt. Kurze Zeit nach der Haftentlassung starb das unterernährte Kind in einem Kinderheim. Im Sommer 1951 flüchtete Ursula Adam aus der DDR nach West-Berlin. Etliche ihrer früheren Texte erschienen später im RIAS und im SFB. Daneben verfasste sie Prosa, Gedichte und Theaterstücke. Ihr zu kurzes Leben endete 1979. Da war sie 56.
Der Wille zu unverbogener Eigenständigkeit ist das Band, das die geschilderten Künstlerbiografien verbindet. Vor diesem Hintergrund erscheinen Aushängeschilder der DDR-Literatur wie Heiner Müller und Christa Wolf in einem fragwürdigen Licht.
So eröffnet dieses Buch nicht nur ein neues Blickfeld auf wichtige Kapitel der deutschen Literaturgeschichte, sondern gibt auch Anlass zu weiteren Fragen. Auf jeden Fall ist es ein wichtiger Anfang. Und dieser Anfang weckt die Neugier auf mehr.
Ines Geipel:
Zensiert, verschwiegen, vergessen. - Autorinnen in Ostdeutschland 1945-1989
Artemis & Winkler Verlag; Düsseldorf; 2009