Zensur in China
Auch die Internetzensur wird kritisiert: mit weißen DIN-A4-Blättern, die die Protestierenden in ihren Händen halten. © Getty Images / Kevin Frayer
Polizei durchsucht Handys von Passanten
12:55 Minuten
In China finden die größten Proteste seit 1989 statt. Um sich zu organisieren, umgehen die Protestierenden die staatliche Überwachung und Zensur. Der Staat reagiert mit massivem Polizeiaufgebot, Handykontrollen und Ablenkungsmanövern auf Twitter.
China befindet sich in der größten Corona-Welle seit Beginn der Pandemie, gleichzeitig hat das Land extrem strenge Corona-Regeln. Die „Null-Covid-Politik“ gehört weltweit zu den härtesten Maßnahmen, die gegen die Ausbreitung des Virus ergriffen wurden. Es gibt immer wieder Lockdowns mit Ausgangssperren, Massentests in kurzen Abständen, Kontaktverfolgung und Zwangsquarantäne in eigens dafür eingerichteten Orten.
Widerstand mit weißen Blättern
Diese Einschränkungen haben im ganzen Land zu Protesten geführt. Doch den Demonstrierenden geht es um mehr als die strengen Corona-Maßnahmen. Das Vertrauen in die Regierung ist ins Taumeln geraten. Der Widerstand richtet sich gegen einen restriktiven und übergriffigen Staat, der die Meinungsfreiheit bekämpft. Auch die Internetzensur wird kritisiert: mit weißen DIN-A4-Blättern, die die Protestierenden in ihren Händen halten.
„Aus geleakten Zensuranweisungen von Chinas Cyberspace-Behörden geht hervor, dass sie die höchste Stufe des Notfallmanagements eingeführt haben“, sagt Vincent Brussee, der beim Mercator Institute for China Studies zu Zensur und dem Social-Credit-System forscht.
Die chinesischen Behörden haben die Internetzensur zu großen Teilen an die privaten Plattformen ausgelagert: Die Netzwerke Weibo und WeChat hätten zehntausende Mitarbeitende, die Inhalte filtern und dafür sorgen sollen, dass keine unerlaubten Dinge verbreitet werden, erklärt Brussee.
Chats wurden zu Protestgruppen
Westliche Netzwerke wie Facebook, Telegram oder Instagram sind in China verboten. Doch mithilfe von VPN-Diensten umgehen die Menschen die Sperren. Polizisten durchsuchen unter anderem deshalb die Handys von Passanten: Sie fordern die Menschen dazu auf, Fotos und Videos der Proteste zu löschen. Werden ausländische Apps oder VPN-Dienste gefunden, notieren sie die Personalien.
Um sich zu organisieren, nutzen die Protestierenden vor allem Telegram und WeChat, erklärt Brussee: „Ironischerweise hatten viele Communities während der COVID-19-Pandemie ihre eigenen Gruppen eingerichtet, um Infos über Corona-Maßnahmen oder Lockdowns zu verbreiten.“ Jetzt ermöglichen diese Gruppen es den Menschen, ihre Frustration miteinander zu teilen.
Keine einheitlichen Forderungen
„Aber es handelt sich um personalisierte, verstreute Netzwerke. Das macht es schwierig, etwas auf nationaler Ebene zu organisieren. Obwohl diese Proteste in ganz China entstanden sind, haben sie keine einheitlichen Forderungen oder Slogans. Das macht es für die Protestierenden auch schwieriger, wirklich Veränderung auf nationaler Ebene zu erreichen. Weil sie einfach zu zersplittert sind und weil jedes Mal, wenn ein Gruppenchatbesitzer von der Polizei verhaftet wird, der Chat sofort geschlossen werden kann“, sagt Brussee.
Spam als staatliche Protestbekämpfung
Vor einigen Tagen wurde Twitter mit Spam-Inhalten überschwemmt: Wenn Nutzer auf Chinesisch nach Städten suchten, in denen Proteste stattfanden, zum Beispiel Shanghai oder Peking, wurden ihnen Werbung für Pornografie und Glücksspiel angezeigt. Laut Medienberichten soll es sehr wahrscheinlich eine von den chinesischen Behörden initiierte Kampagne sein.
Auch Brussee teilt diese Einschätzung: „Es ist eine sehr gängige Strategie, die sie auch in der Vergangenheit genutzt haben, zum Beispiel während der Proteste in Hongkong 2019. Jetzt haben sie alle möglichen Dinge gepostet, um abzulenken und die Protestnachrichten unter einer Flut von Spam zu begraben. So soll verhindert werden, dass wieder Proteste organisiert werden.“
Delle im Image des Staates
Das Ausmaß der Demonstrationen hat eine historische Bedeutung. Es sind die größten Proteste seit der Demokratiebewegung von 1989, die damals vom Militär blutig niedergeschlagen worden sind. Trotzdem hält der Analyst Brusse es für unwahrscheinlich, „dass sie sich zu einer landesweiten Widerstandsbewegung entwickeln, die sich auch wirklich gegen die Kommunistische Partei Chinas aussprechen wird. Aber es hinterlässt sicherlich eine Delle im Image des chinesischen Staates und der chinesischen Null-Covid-Politik.“
(Joyce Lee / nog)