Zentralafrikanische Republik

"Das ist kein religiöser Konflikt"

Dieudonné Nzapalainga im Gespräch mit Philipp Gessler |
Tausende Menschen sind dem gegenseitigen Abschlachten zwischen Christen und Muslimen in Zentralafrika bereits zum Opfer gefallen. Wurzel für die Gewalt sei häufig bittere Armut, sagt Dieudonné Nzapalainga. Europa könne dem Land in vielfacher Hinsicht helfen.
Philipp Gessler: Am Anfang dieser Woche waren die drei höchsten religiösen Führer der Zentralafrikanischen Republik in Berlin. Sie warben für eine stärkere Hilfe der Bundesrepublik bei der Befriedung und beim Wiederaufbau ihres in einem Bürgerkrieg versinkenden Staates mitten in Afrika. Tausende Menschen sind diesem gegenseitigen Hinschlachten schon zum Opfer gefallen. Derzeit ermorden sogenannte Anti-Balaka-Milizen, die sich christlich nennen, Muslime. Zuvor hatten muslimische bewaffnete Männer, vereinigt in einer Séléka genannten Allianz, in Bangui viele Christen ermordet.
Dazwischen stehen seit ein paar Monaten neben afrikanischen Truppen auch französische Soldaten. Ihre Mission heißt "Operation Sangaris". Die ausländischen Truppen sollen die verfeindeten Bürgerkriegsparteien an weiterem Blutvergießen hindern. Am Montag hatte ich die Möglichkeit, mit Dieudonné Nzapalainga zu sprechen. Der Erzbischof von Bangui ist eine ausgleichende Kraft im zerstrittenen Land – und zugleich der Vorsitzende der Zentralafrikanischen Bischofskonferenz. Meine erste Frage an ihn war, warum er es nicht als adäquat betrachtet, das derzeitige Gemetzel in seinem Land als einen religiösen Konflikt zu bezeichnen.
Dieudonné Nzapalainga: Wir sagen, dass dies deswegen nicht angemessen ist aus einem ganz einfachen Grunde, weil an der Spitze derjenigen, die die Befehle zum Töten geben, kein einziger Priester, kein einziger Imam oder Pastor ist, sondern es sind stets Politiker, die sich bestimmte Gruppen zu eigen machen, es sind Politiker, die dann die jungen Menschen aufhetzen gegen bestimmte Gemeinschaften oder bestimmte Bevölkerungsgruppen, die dann getötet werden. Wir sagen hierzu nein, wir, die Muslime und die Christen, weigern uns, wir sagen: Wir lassen uns nicht in Geiselhaft nehmen. Wir vertreten eine ganz andere Botschaft.
Gessler: Haben denn die religiösen Führer in Ihrem Land etwas falsch gemacht, dass tatsächlich es manche als einen religiösen Konflikt sehen?
Nzapalainga: Ich bin deswegen der Meinung, dass die Führer der Religionsgemeinschaft keinen Fehler begangen haben, weil wir von Anfang an uns dagegen gestellt hatten. Bereits fünf Tage, nachdem Séléka diese gewaltsamen Kämpfe begonnen hatten, haben christliche und muslimische führende Geistliche sich zusammengeschlossen, haben gesagt, nein, wir sind hier nicht mit von der Partie, das ist kein religiöser Konflikt, es ist ein militärisch-politischer Konflikt, es geht um den Machtkampf, es geht darum, sich Bodenschätze anzueignen, es geht darum, den politischen Raum für sich zu beanspruchen. Wir waren von Anfang an beiseite gestanden, wir haben gesagt, nein, wir treten ein für die Botschaft des Friedens, für die Versöhnung, für den Dialog, für das Verständnis zwischen den unterschiedlichen Gruppen.
"Für mich ist der Fremde eine Art Jesus Christus"
Gessler: Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie als Erzbischof von Bangui einem führenden Imam der Zentralafrikanischen Republik auch Schutz gegeben in Ihrer Residenz. Ist denn dieses Zeichen der Verständigung unter den religiösen Gruppen verstanden worden?
Nzapalainga: In der Tat, Sie haben ja den Präsidenten der islamischen Glaubengemeinschaft gesehen hier bei dieser Konferenz, ich habe ihm Zuflucht gewährt in meiner erzbischöflichen Residenz, denn für mich ist er in der Tat ein Bruder. Wir haben es ganz klar ausgedrückt: Wir wollen nicht in die Fallen hineintappen, die die politischen, manipulierenden Kräfte uns stellen. Wir sagen ganz klar nein dazu. Wir treten ein für den Geist der Brüderlichkeit zwischen den Menschen, wir sagen ja zur Heiligkeit des menschlichen Lebens. Es gibt keinen Grund, das menschliche Leben zu töten. Und was die Zukunft angeht, so ist unsere Botschaft auch eindeutig: Muslime und Christen gemeinschaftlich wollen sich zusammenfinden, wollen eben einander Gastfreundschaft gewähren. Für mich ist jeder Fremde oder jeder Bruder, den ich aufnehme, eben eine Art Jesus Christus. Ich versuche, an ihm das zu bewerkstelligen, was eben Jesus selbst gesagt hat: Ich war in der Fremde, ich hatte keine Zuflucht, und ihr habt mich aufgenommen.
Gessler: Die Milizen der Anti-Balaka betrachten sich selbst ja als christlich, und viele von ihnen töten und verfolgen Muslime. Haben Sie als Erzbischof Einfluss auf diese jungen Männer, um sie aufzuhalten?
Nzapalainga: Was diese Anti-Balaka angeht, so mögen sie sich als christlich bezeichnen, es sind aber keine christlichen Milizen, im Gegenteil, sie sind das genaue Gegenteil dessen, was das Leben des Christen, die Botschaft des Christen ausmacht, die ich auch vertrete. Und deswegen klage ich sie auch an und nenne das Ding ganz klar beim Namen. Sicherlich: Wenn ich in Gegenden komme, wo die Anti-Balaka die Macht haben, dann höre ich sehr wohl an, was sie zu sagen haben. Ich versuche, ihre Beschwerden zu verstehen. Wie kommt es eigentlich dazu, dass sie die Waffen ergriffen haben, dass sie töten? Dennoch sage ich dann immer ganz klar, was meine Meinung ist. Es steht geschrieben: Du sollst nicht töten. Gott wird von dir Rechenschaft über das Blut deines Bruders verlangen, so wie er es auch von Kain verlangt hat, der Abel getötet hatte, und wo Gott dann sagte: Wo ist dein Bruder? Der Zorn und der Hass, der Geist der Rache soll hier keinen Platz greifen.
Ich versuche auch, die jungen Leute aufzuklären, weshalb sie in diese Lage geraten sind. An der Wurzel steht häufig Armut, bittere Armut, die dann ausgenutzt wird von diesen militärischen Führern, um die Menschen aufzuhetzen und andere töten zu lassen. Doch die Machthaber werden dann die freiwerdenden Ministerposten und all die hochrangigen Ämter bekleiden und ihr, so sage ich den jungen Männern, ihr werdet weiterhin in Armut leben. Nein, das ist kein Weg. Ich verkünde hier den Weg des Friendens, der Dialogbereitschaft, des Verständnisses und des gemeinsamen Zusammenlebens.
"Die Kirchen Europas können ebenfalls helfen"
Gessler: In Bangui, der Hauptstadt – und der Platz Ihres Bischofssitzes – ist nach meinen Informationen praktisch kein Muslim mehr lebend, also kaum ein Muslim lebt da mehr. Glauben Sie denn, dass im Zuge einer Friedensmission, wie Sie das fordern, die muslimische Bevölkerung wieder zurückkehren könnte?
Nzapalainga: Die Muslime, die jetzt die Hauptstadt verlassen, tun dies wegen mangelnder Sicherheit. Mit großer Bekümmernis stelle ich die Flucht und das Wegziehen meiner muslimischen Brüder fest. Sie versuchen einfach nur zu überleben, und fliehen deshalb aus der Zentralafrikanischen Republik in ein anderes Land. Es ist jetzt Aufgabe der nationalen und auch internationalen Stellen, also der Regierungen, Sicherheit wiederherzustellen. Die Justiz muss wieder instand gesetzt werden. Wenn jemand ein Verbrechen begangen hat, muss er zur Rechenschaft gezogen werden. Bisher sieht es noch so aus, dass bewaffnete gewalttätige Gruppen häufig zur Selbstjustiz greifen. Sie schwingen sich selbst zum Richter auf, sie üben grausame Rache, und sie vertreiben auch die Leute. Wir vertreten eine ganz andere Meinung, wir meinen, dass die Schicksale der einzelnen Bevölkerungsgruppen miteinander verknüpft sind. Wir wollen, dass Frieden und Sicherheit wieder einkehren. Wir sind überzeugt, dass die Bevölkerungsgruppen, die Religionen zusammenleben müssen, dass wir in der Zukunft eine gemeinsame, friedliche Gemeinschaft in der Zentralafrikanischen Republik aufbauen müssen und dass nur so die Zukunft unseres Landes gesichert ist.
Gessler: Was kann denn die Europäische Union und was können vielleicht auch die europäischen Kirchen tun, um wieder Frieden in Ihrem Land zu fördern?
Nzapalainga: Die Europäische Union kann dadurch helfen, dass sie die menschlichen Kräfte, die Humanressourcen bereitstellt, um die Sangaris-Truppen zu unterstützen, die Entwaffnung der Milizen herbeizuführen, also die Entwaffnung der Anti-Balaka, der Séléka und der LRA, dieser Milizen, die jetzt die Macht versuchen, in Händen zu halten. Das ist das Erste. Zweitens kann die Europäische Union Fachkräfte, Experten schicken, um die Zivilverwaltung wieder instand zu setzen, damit eben staatliches Leben wieder in Gang kommt. Sie kann drittens den Politikern dabei helfen, mit einer gewissen Gelassenheit ihr Amt auszuüben, damit sie keine Versuchung verspüren, der Verlockung der Waffengewalt nachzugeben, sondern sich ganz in den Dienst eines friedlichen gesellschaftlichen Lebens zu stellen.
Die Kirchen Europas können ebenfalls helfen. Sie können ihren Brüdern und Schwestern in der Zentralafrikanischen Republik zur Hilfe kommen, denn die Liebe ist keine Utopie, sie ist keine Theorie, sondern die Liebe ist konkret. Die Liebe ist ja in Jesus Fleisch geworden, und so muss eben jeder auch diesen Anspruch verspüren, dass man den Brüdern und Schwestern zur Hilfe kommt, nicht nur den Christen, sondern auch den Nicht-Christen, denn das menschliche Leben ist etwas Heiliges. Und uns kommt die Aufgabe zu, von dieser Heiligkeit des Lebens Zeugnis abzulegen, glaubwürdig es zu verkünden, und dadurch den Weg in eine bessere Zukunft zu bereiten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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