Zentralrat der Muslime: Staatsvertrag mit Muslimen muss Ziel der Islamkonferenz sein
Der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek (FDP),
fordert als Ziel der Islamkonferenz einen Staatsvertrag über die Gleichberechtigung des Islams mit anderen Religionsgemeinschaften. Das klare Bekenntnis zum Grundgesetz sei für den Zentralrat selbstverständlich. Es gelte auch im Konfliktfall zwischen Scharia und Rechtsstaat, sagte Mazyek.
Deutschlandradio Kultur: Mit der ersten deutschen Islamkonferenz waren anscheinend alle zufrieden, teilweise geradezu euphorisch. Teilnehmer sprachen von einem Meilenstein im christlich-islamischen Dialog. Herr Mazyek, war das am Mittwoch ein gelungener Start?
Aiman Mazyek: Das war ein gelungener Start, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass zum ersten mal die Bundesregierung mit den Muslimen sprach und nicht über die Muslime.
Deutschlandradio Kultur: Ziel soll ja nun ein Gesellschaftsvertrag sein. Warum ist der gut und wichtig für die Muslime?
Mazyek: Ja, das ist ein Ziel, das auch ein bisschen in der Vergangenheit – so haben wir das Gefühl gehabt, als es zur Konferenz hin ging – aus den Augen verloren worden ist. Es geht wirklich darum den Islam in das deutsche Staatswesen, auch in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Es geht darum, ihn als gleichberechtigte Religionsgemeinschaft anzuerkennen. Das ist natürlich ein hehres Ziel. Das sollte irgendwo am Ende dann stehen. Und da hin müssen wir arbeiten. Das Zweite ist: Es ist völlig in Ordnung, dass wir eine Diskussion benötigen. Ich stehe dazu und das sage ich auch immer wieder. Wir brauchen eine Diskussion, wie wir traditionelle Werte der Scharia sozusagen in Einklang bringen mit den modernen Menschenrechten, mit der Rechtsstaatlichkeit, mit Demokratie. Das ist eine ganz wichtige spannende Diskussion.
Deutschlandradio Kultur: Aber es gibt vielleicht ein kleines Problem, wenn wir über einen Gesellschaftsvertrag reden, denn hierzulande gibt es gleich fünf Organisationen, die Teile der Muslime in Deutschland repräsentieren. Es gibt 69 muslimische Verbände. Da stellt sich die Frage: Ziehen denn alle bei dieser Debatte an einem gemeinsamen Strang?
Mazyek: Also, wir haben eigentlich eine ganz gute Ausgangslage jetzt. Die vier muslimischen Dachverbände, ich rede jetzt nicht von der Alevitischen Organisation, die müsste man noch mal extra behandeln, die auch an dem Tisch saßen an der Islamkonferenz, haben sich sozusagen zu einer losen Plattform zusammengetan und versuchen mit einer Stimme zu sprechen. Diese vier Verbände repräsentieren nahezu über 80 Prozent der Moscheen in Deutschland. Wir haben zwischen 2300 und 2500 Moscheen in Deutschland – da gehen die Zahlen ein bisschen auseinander – fast 2000 davon werden von diesen vier Dachverbänden repräsentiert oder repräsentieren diese Moscheen. Das heißt nicht, dass außerhalb kein Islam stattfindet, aber das muslimische originäre Wesen, das findet vor allen Dingen in den Moscheen statt.
Deutschlandradio Kultur: Da sind aber nur die Organisierten. Und da befürchten Sie jetzt im Laufe dieser Konferenz, also in den nächsten zwei, drei Jahren, keinen vielstimmigen Chor? Sie werden also einheitlich auftreten?
Mazyek: Das ist auch die Ankündigung. Insbesondere der größte Dachverband, DiTi B, hat das ja gestern noch mal ganz deutlich in der Pressekonferenz gesagt und auch angekündigt, dass wir hier gemeinsam auftreten. Wir treten auch in einigen Bundesländern gemeinsam auf und haben auch zum Teil da schon Geschäftsordnungen begründet, zum Beispiel als Ansprechpartner in Nordrhein-Westfalen in Sachen IRU, islamischer Religionsunterricht.
Deutschlandradio Kultur: Wir lassen trotzdem an der Stelle nicht ganz locker, denn innerhalb Ihrer Organisation gibt es unterschiedliche Strömungen. Im Zentralrat der Muslime in Deutschland ist auch die Muslimbruderschaft IGD, also die Islamische Gemeinschaft in Deutschland, vertreten. Dieser Verein wird vom Verfassungsschutz als islamistische Organisation eingestuft. Welche Interessen vertreten Sie denn eigentlich?
Mazyek: Wir haben 21 Dachverbände in unserem Zentralrat. Davon sind einige – zwei oder drei sind es, glaube ich –, die werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz heißt ja noch lange nichts oder man kann keine Rückschlüsse ziehen, wie dieser Verein auch wirklich generiert oder wie er sich verhält. Für uns ist die Trennlinie, sozusagen die rote Linie ist überschritten, wenn ein Mitglied sich strafrechtlich oder gegen das deutsche Grundgesetz bewegt. Das ist aber diesen Verbänden nicht nachzuweisen. Sonst hätten auch die Sicherheitsbehörden entsprechend schon eingeschritten.
Deutschlandradio Kultur: Die IGD will aber die muslimische Gesellschaft in Deutschland.
Mazyek: Wie gesagt: Es wird der IGD einiges unterstellt. Sie ist vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Tatsache aber, dass bisher kein Verbotsantrag gestellt wurde, zeigt auch, dass dort der Beobachtungsstatus vorherrscht, aber – ähnlich wie beispielsweise die PDS, die ja auch vom Verfassungsschutz beobachtet wird – dann nicht gleich die Schlussfolgerung gemacht wird, dass sie dann verboten wird. So ist das bei einigen muslimischen Verbänden. Und übrigens, wir haben da auch schon gehandelt. Es gab einen Verband bei uns. Der hat gewisse Affinitäten zur Scientology gehabt. Wir haben ihm nahegelegt, diese Verbindung bitte abzubrechen. Er hat es nicht getan und er musste dann austreten. Das heißt, wir haben schon auch Konsequenzen gezogen. Wir sind da hart.
Deutschlandradio Kultur: Gut. Nur zum Verständnis: Sie fordern also nicht die Schaffung einer islamischen Gesellschaft in Deutschland?
Mazyek: Im Gegenteil. Das klare Bekenntnis zum Grundgesetz ist ja auch mannigfaltig von unserer Seite geäußert worden, nicht zuletzt in der Islamischen Charta, wo wir auch versucht haben theologisch eine Handreichung auszuarbeiten, dass Muslime auch verstehen. Wie ist das denn? Kann ich ein loyaler Bürger sein und gleichzeitig nach dem Koran leben? Da sagen wir eindeutig: Ja. Und da gibt es natürlich auch Prämissen, die wir einzuhalten haben, beispielsweise dass wir so genannte Einschränkungen vornehmen. Wir haben zum Beispiel deutlich gemacht, dass Ehe und Prozessrecht, das Grundgesetz, dass wir das hundertprozentig anerkennen, auch wenn vielleicht in der Sharia das eine oder andere da anders ausgelegt ist. Da zieht das Grundgesetz.
Deutschlandradio Kultur: Also, eine ganze Menge Fragen, die in den nächsten zwei, drei Jahren noch mal besprochen werden müssen. Jetzt stellt sich uns noch eine andere Frage, nämlich: Nur zehn bis 15 Prozent der rund drei Millionen in Deutschland lebenden Muslime sind in diesen Organisationen eingebunden. Das heißt umgekehrt, 85 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime sind nicht organisiert. Haben Sie überhaupt einen legitimen Vertretungsanspruch bei den Gesprächen?
Mazyek: Islamisches Leben findet nun mal originär in den Moscheen statt. Wenn wir diskutieren über die Problematik, dass Muslime besser die Sprache, dass sie Deutsch lernen müssen, wenn wir über islamischen Religionsunterricht reden, die Ausbildung von Imamen, Seelsorge, wo ist denn das alles lokalisiert? Wo ist das denn verortet? Das ist in den Moscheen verortet. Das heißt, hier handelt es sich vorrangig um diese Themen, Probleme und Herausforderungen, die in den Moscheegemeinden auch zu lösen sind, und zwar – das hoffen wir – im Rahmen eines Dialogprozesses in der Islamkonferenz. Man kann nicht den organisierten Muslimen den Vorwurf machen, dass sie organisiert sind, und den Rest, der nicht organisiert ist, dann sozusagen als Argument liefern.
Deutschlandradio Kultur: In der Kritik stand allerdings die Zusammensetzung der Islamkonferenz am Mittwoch. Es seien viel zu viel islamkritische Menschen am Tisch gewesen. Es sei kein Querschnitt der islamischen Gesellschaft in Deutschland dort am Tisch gewesen. War das ein Geburtsfehler?
Mazyek: Ersteres stimmt. Es geht nicht darum, dass wir Islamkritiker ausschalten wollen, im Gegenteil, wir brauchen die sogar als Korrektiv. Die Frage ist nur: Wir möchten ja im Rahmen der Islamkonferenz irgendwann den Islam integrieren als gleichberechtigten Bestandteil auf der Grundlage eines Gesellschaftsvertrages, eines Staatsvertrags, wie auch immer. Und das kann ich dann nur wirklich mit originär zwei Partnern, einerseits dem Staat auf der einen Seite und der andere, die Religionsgemeinschaften. Da jetzt noch einen Chor von Islamkritikern mit reinzunehmen, das kann durchaus dazu führen, dass wir dann am Ende nur noch diskutieren um Reformen im Islam, die wir ja brauchen, und die Frage ist: Soll die Islamkonferenz ein Diskussionsklub sein oder soll er nicht Reformen oder, sagen wir mal, Wegbereiter sein von Entscheidungsgrundlagen, wo der Staat sagen kann, so und so machen wir das und so und so kann es aussehen, dass Religionsgemeinschaften gleichberechtigt hier sind.
Deutschlandradio Kultur: Ziel ist natürlich immer die Integration aller in diese Gesellschaft. Da gibt es im Moment sicherlich Probleme. Zumindest in der Öffentlichkeit hat man das Gefühl, dass diese Integrationsfragen noch nicht gelöst sind. Wo würden Sie denn den Hebel ansetzen von Ihrer Seite aus? Was können Sie einbringen?
Mazyek: Wir müssen der Mehrheitsgesellschaft noch deutlicher machen, dass die Muslime hier in diesem Land kein Exklusivrecht einfordern. Sie möchten Teil dieser Gesellschaft sein, nicht mehr und nicht weniger. Sie möchten ihre Rechte einnehmen. Sie möchten aber auch ihre Pflichten tun. Das ist, glaube ich, was an Message rausgehen muss. Das Zweite ist: Integration ist keine Einbahnstraße. Auch die Mehrheitsgesellschaft muss erkennen, sie muss auch auf die Muslime zugehen. Sie muss anerkennen, dass 3,5 Millionen Muslime unter uns leben, nicht erst seit gestern, sondern teilweise seit 40, 50 Jahren, und dass sich da natürlich auch die Gesellschaft verändert, auch als solches. Ich glaube, da haben einige, insbesondere auch konservative Kreise, so ihre Schwierigkeiten, sich dessen überhaupt bewusst zu werden. Und dann verschließt man sich diesem Umstand und dieser Situation und macht das dann fest und sagt: Einige Straßen in Frankfurt oder in Berlin, ja, die sind ja schon völlig türkisiert.
Deutschlandradio Kultur: Ja, aber ist das Misstrauen, was vorhanden ist, nicht vielleicht berechtigt, wenn man zum Beispiel gar nicht weiß, was in Koranschulen gelehrt wird?
Mazyek: Also, ich kann durchaus verstehen, wenn der normale deutsche Bürger – in Anführungsstrichen – Angst hat, wenn es um Islamthemen geht. Das, was ich höre, was im Ausland passiert an außenpolitischen Verwerfungen, Terror, und, und, und, ganz ehrlich, da kriege ich selbst Angst, ich selbst kriege Angst vor diesen so genannten Muslimen. In der Tat haben die Muslime da eine ganze Menge zu leisten. Sie stehen unter einem starken Rechtfertigungsdruck, obgleich der nicht berechtigt ist. Es ist wie ein Damoklesschwert, das da über uns schwebt. Vor jeder Diskussion, vor jeder Auseinandersetzung muss man sozusagen schon wieder ein Bekenntnis ablegen zum Grundgesetz, ein Bekenntnis zu Gewaltlosigkeit. Das ist bei uns so selbstverständlich. Es ist aber typisch für unsere Diskussion, dass das immer wieder stets von den Muslimen eingefordert wird, dass er das tut.
Deutschlandradio Kultur: Aber das Problem sehen Sie doch schon, dass es in den Koranschulen beispielsweise Imame gibt, die Sachen lehren, die nichts mit dem Grundgesetz zu tun haben.
Mazyek: Dieses Problem sehe ich. Und ich bin selbst Leidtragender von solchen Auseinandersetzungen. Ich habe in der Vergangenheit immer wieder Hassmails bekommen, auch von religiösen Eiferern. Ich kenne das Problem, dass es durchaus da und dort Imame gibt, die nicht nur einen radikalen Islam predigen, sondern die vor allen Dingen eine große Schuld aufnehmen, dass sie nämlich den Islam für politische oder sonstige Dinge instrumentalisieren. Das ist durchaus ein Phänomen. Damit müssen sich Muslime noch wesentlich mehr auseinandersetzen. Oder auch auf der globalen Ebene mal betrachtet: Wir haben ein Problem, wir Muslime, dass Nihilismus, dekadentes Gedankengut sich teilweise bis in den Kern des islamischen Denkens hineingesetzt hat. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, also, Stichwort Selbstmordattentate oder andere Dinge mehr. Da müssen die Theologen wesentlich mehr bringen. Das allein schaffen wir nicht. Wir haben verschiedene Foren, Akademien, Internet usw., wo das gemacht wird.
Deutschlandradio Kultur: Es würde doch vielleicht helfen, wenn man dem Vorschlag des Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber folgt, der sagt, in Moscheen sollte Deutsch gesprochen werden.
Mazyek: Schauen Sie, das ist genau wieder die gleiche Attitüde. Das ist das, was zum Beispiel der Zentralrat der Muslime auch gesagt hat. Es soll selbstverständlich sein, dass zum Beispiel islamische Predigten zum Freitagsgebet auf Deutsch gehalten werden. In vielen Moscheen findet das doch schon statt. Aber wenn es von einer Seite des Ministerpräsidenten Stoiber kommt, mit erhobenem Zeigefinger, der sich in der Vergangenheit, gerade was Aussagen zum Islam angeht, einiges zu schulden hat kommen lassen, ich erinnere nur an das BILD-Interview, wo er dann die Unterscheidung gemacht hat zwischen Christentum – friedliebend – und Islam = gewalttätig, ungefähr in dieser Richtung ging das, dann macht das den Anschein, als würde er zum ersten mal so eine Forderung bringen. Er möge sich doch einfach mal auseinandersetzen, was in der muslimischen Community darüber diskutiert worden ist. Dann würde er feststellen, dass zum Beispiel der Zentralrat es war, der vor zwei Jahren schon bereits auf die Diskussion, Freitagspredigt auf Deutsch oder nicht, gesagt hat: Ja selbstverständlich. Und das findet auch schon statt. Imame müssen hier in Deutschland ausgebildet werden. Sie müssen in Deutsch ausgebildet werden, dass sie hier mit den Muslimen, mit der Jugend sprechen. In welcher Sprache sollen sie denn sprechen? In Türkisch, in Arabisch?
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, wenn diese Jugendlichen in die Schule gehen, dann würden Sie schon Islamunterricht dort in deutscher Sprache und unter staatlicher Kontrolle fordern?
Mazyek: Wir fordern das seit 20 Jahren. Wir sind in Vorleistung getreten in Nordrhein-Westfalen mit einem Kurrikulum von Pädagoginnen und Pädagogen. Ausgewiesenen Lehrerinnen, die haben schon für die erste, zweite, dritte und vierte Klasse ein Kurrikulum erstellt. Wir sagen das schon seit langem, dass unser verbrieftes Grundrecht, nämlich dass nach Art. 73 auch für die Muslime Religionsunterricht in deutschen Schulen unter deutscher Schulaufsicht in deutscher Sprache stattfinden muss.
Deutschlandradio Kultur: Und alle machen dann mit?
Mazyek: Also, wir als Verband machen mit, die DiTIiB macht mit, VIKZ macht mit und der Islamrat auch. Und wir haben in der Tat eine, wenn man so will, wunderbare Ausgangslage, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, wo sich die eben genannten vier Dachverbände zusammengetan haben und sich angeboten haben als Ansprechpartner in Sachen islamischer Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen und sich sogar eine Art Geschäftsordnung gegeben haben, dass sie auch das koordinieren. Das steht jetzt an. Die nordrhein-westfälische Landesregierung ist am Zug. Der Ball ist bei ihnen.
Deutschlandradio Kultur: Ein anderes Problem ist die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Die ist nun in der deutschen Verfassung verankert. Setzen sich die muslimischen Dachverbände auch bedingungslos dafür ein? Was tun sie dafür, dass das vielleicht auch weiter vorangetrieben wird?
Mazyek: Wir haben eine wunderbare Studie gerade hinter uns von der Konrad-Adenauer-Stiftung, wo aufgearbeitet wird, dass die Frau mit Kopftuch ja eine mündige, eine liberale, eine moderate aufgeklärte Frau sein kann. Und, oha, da geht ein Ruck und ein Raunen durch unser Land nach dem Motto, die Kopftuchfrau, die muss ja unterdrückt sein, die muss ja vom Mann, was weiß ich, in die Küche gezwängt werden. Dieses Bild stimmt so nicht. Aber dass es Unterdrückung in muslimischen Familien gibt, dass es die in manchen muslimischen Ländern, in Regionen gibt, wo ein patriarchales System herrscht...
Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir in Deutschland. Das ist ja bis in die dritte, vierte Generation hinein so, dass sich inzwischen doch viel radikalere Strömungen wieder ausbilden.
Mazyek: Ob das radikaler ist, weiß ich nicht, aber dass wir Unterdrückung von Frau haben, das möchte ich ja gar nicht in Abrede stellen. Aber ob es einen islamischen Hintergrund hat, das möchte ich doch stark in Zweifel ziehen. Das, denke ich, sind entweder soziale, kulturelle und sonstige oder Machogehabe von irgendwelchen Männern usw. Das sind übrigens Phänomene, die wir auch in der Mehrheitsgesellschaft haben. Unterdrückung der Frau ist ja kein Phänomen von muslimischer Kultur.
Deutschlandradio Kultur: Es wird aber nie religiös begründet. Und das passiert manchmal.
Mazyek: Ja, es passiert manchmal. Genau da müssen wir differenzieren. Wenn es manchmal passiert, dann müssen wir den Mann oder die Stelle wirklich beim Schopfe packen und sagen, wie kommst du da drauf. Weil es gibt mindestens genauso viel, wenn nicht wesentlich mehr auch Begründbarkeiten aus dem Koran und sonst wo abgeleitet, wo ganz deutlich wird, dass die Gleichstellung der Frau ein Gebot auch unserer Religion ist.
Deutschlandradio Kultur: Das hört sich aber so an, als ob Sie einen erheblichen Klärungsbedarf noch innerhalb der unterschiedlichen Strömungen innerhalb der muslimischen Gesellschaft haben.
Mazyek: Einverstanden, ist geschenkt, ja.
Deutschlandradio Kultur: Wir sprachen die Schule schon an. Wann wird es gemeinsamen Unterricht zum Beispiel im Sport oder im Schwimmen von muslimischen und nicht muslimischen Kindern geben?
Mazyek: Ich weiß nicht, warum dieses Thema so hoch kolportiert wird. Sportunterricht ist selbstverständlich. Muslimische Mädchen und Jungs...
Deutschlandradio Kultur: Aus Ihrem Verständnis heraus.
Mazyek: Ja.
Deutschlandradio Kultur: Aber es ist nicht so weit verbreitet. Ich denke da an Berlin oder an Frankfurt, wo es an Schulen große Probleme damit gibt.
Mazyek: Ja, es gibt einige muslimische Familien, die darauf großen Wert legen, dass der Schwimmunterricht getrennt ist. Das heißt, die sagen nicht, meine Tochter oder unsere Mädchen sollen nicht zum Schwimmunterricht. Sie möchten aber gerne, dass das getrennt ist, weil sie da aus religiösen Erwägungen die Geschlechtertrennung haben wollen, auch aus Kleidungsgründen und so weiter. Aber der Sportunterricht ist eigentlich davon befreit.
Deutschlandradio Kultur: Und wie sieht es aus im Biologieunterricht, im Geschichtsunterricht?
Mazyek: Natürlich, selbstverständlich, ich meine, ich hab doch auch die Schulbank gedrückt. Und dann sagen wir als Appell an unsere muslimischen Eltern: Da müsst ihr hin. Ihr müsst zum Klassenpflegschaftsabend hingehen. Und dann, wenn der Lehrer das diskutiert, wie er den Sexualunterricht machen will, und das wird immer wieder mit den Eltern zuerst diskutiert, da bringt euch ein! Ich sehe keinen Widerspruch zwischen einem islamischen Bewusstsein und der Tatsache, dass wir Sexualunterricht bekommen – im Gegenteil, das gehört zusammen.
Deutschlandradio Kultur: Plaudern wir ein bisschen aus dem Nähkästchen und kommen damit zurück zur Islamkonferenz. Welche konkreten Vorschläge werden Sie in den nächsten Runden machen? Was werden Sie vorschlagen? Oder auch die andere Frage gleich dazu: Was fordern Sie von der deutschen Seite?
Mazyek: Also, ich habe mit Freude vernommen, dass Innenminister Schäuble davon gesprochen hat, dass es ein offener Prozess sein wird, dass er ergebnisoffen ist. Daraus schließen wird, dass doch auch an der Konzeption, an der Machart, auch an der Zusammenstellung der Personen sich da noch eine Menge in der Zukunft verändern wird. Die wichtigste Forderung ist wirklich, den Islam als gleichwertige Religionsgemeinschaft innerhalb unserer Gesellschaft anzuerkennen. Das ist, glaube ich, das vorrangige Ziel. Und die ganzen Punkte, die da anstehen, ob das nun Religionsunterricht ist, die Ausbildung von Imamen, wie wir das juristisch packen, wird der Islam so was wie eine Körperschaft des öffentlichen Rechts werden, analog zu den Kirchen, oder wird es etwas Neues geben, wie soll das juristisch ausgestaltet werden, das ist wirklich alles Inhalt der Islamkonferenz. Das ist ein wirklich offener Prozess. Ich kann Ihnen nicht sagen, also das und das wird es werden, aber da möchten wir uns einbringen, insbesondere in den Arbeitsgruppen. Da möchten wir uns auch beteiligen.
Deutschlandradio Kultur: Spielt da die Frage der Diskrepanz zwischen Toleranz und der Beharrung auf religiösen Gefühlen auch eine Rolle? Anders herum gefragt: Immer wieder beklagen ja gerade die Muslime die Verletzung ihrer religiösen Gefühle. Sind die Muslime da empfindlicher? Muss da die deutsche Gesellschaft, die christliche Gesellschaft vielleicht mehr Toleranz an den Tag legen?
Mazyek: Vielleicht anders herum. Vielleicht sind auch die christlichen Bürger da etwas abgestumpfter, was jetzt zum Beispiel auch die Verletzung ihrer Religion angeht. Ich finde, ein angenehmes Phänomen war nach dem Karikaturenstreit, dass wirklich größtenteils die Muslime in Europa und auch in Deutschland zivilisiert demonstriert haben, zivilisiert ihre Empörung, ihren Protest zum Ausdruck gebracht haben. Und im Anschluss haben wir auch eine ganz fruchtbare Diskussion gehabt. Wir haben gesagt: Pressefreiheit, Kunstfreiheit, Meinungsfreiheit ist ein sehr hohes Gut. Da wird nicht dran gerüttelt. Das ist auch unsere muslimische Position. Auf der anderen Seite müssen wir doch auch diskutieren über, wie sieht es denn aus um die Respektfähigkeit der Gesellschaft gegenüber Religion? Aber das ist doch eine spannende Sache. Diese Diskussion soll nicht abgebrochen werden, sondern soll weitergehen. Da sind auch unsere Medienvertreter natürlich gefragt, da mitzureden, mitzudiskutieren.
Deutschlandradio Kultur: Wenn wir noch mal auf eine konkrete Ebene runter kommen: Es gibt immer häufiger oder immer wieder Imame, die auch als Friedensrichter auftreten, die innerhalb muslimischer Gemeinschaften auch Recht sprechen. Da hat die Polizei dann, wie man nachlesen kann, nicht mehr so viel zu sagen, wird wieder weggeschickt. Da scheint der Koran wichtiger zu sein als das Grundgesetz. Das ist doch ein untragbarer Zustand.
Mazyek: Also, wenn sie sich als Friedensstifter auftun, dann ist das ja ein tragbarer Zustand zunächst einmal.
Deutschlandradio Kultur: Wenn sie Frieden schaffen.
Mazyek: Wenn sie Frieden schaffen, ja.
Deutschlandradio Kultur: Und wenn er sich auf den Koran beruft und nicht auf das Grundgesetz?
Mazyek: Das ist ja kein Widerspruch. Ich meine, in einem Streit, da kommt die Tochter und sagt, hör mal, ich werde hier ständig von meinem Bruder drangsaliert, ich muss in die Küche und ich muss dies und jenes, aber ich möchte gerne studieren und arbeiten. Ja, es ist kein konstruierter Fall, das gibt es.
Deutschlandradio Kultur: Das kann auch umgekehrt sein.
Mazyek: Und dann beruft sich Vater oder was weiß ich was, auf den Koran. Und dann sagt er: Hier, wo steht das denn? Steht nirgendwo drin. Insofern ist das eine ganz gute Sache. Und in dem Moment, wo man sozusagen sich auch Koranischen Geboten nähert und sagt, so steht das im Koran, dies mach, jenes, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht lügen, du sollst, was weiß ich, deine Eltern usw. achten, das sind ja die Gebote, die wir auch aus dem Christentum kennen, dann ist das doch etwas Gutes.
Deutschlandradio Kultur: Wenn keine Parallelgesellschaft entsteht!
Mazyek: Ja, die Parallelgesellschaft, das ist in der Tat ein Phänomen und ein Problem. Aber das hat ja weniger mit der Auslegung des Korans zu tun, als dass sich viele, auch Muslime, in die Ghettos zurückziehen, dass sie sich nicht mehr nach draußen trauen oder dass sie sagen, es hat sowieso keinen Sinn dieser Austausch. In dieser westlichen Gesellschaft möchte man uns nicht haben. Das, was wir an Signalen immer wieder hören von Politik und Gesellschaft, das sind ja nicht immer nur Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltungen und so, sondern das sind ja teilweise ganz knallige Vorwürfe und Unterstellungen. Und das hat natürlich auch zur Wirkung, dass einige sich zurückziehen und manche nutzen das natürlich auch aus. Sie sagen, schaut her, diese Gesellschaft will euch nicht. Kommt her zu mir, wir machen hier unseren eigenen Islam auf, agitieren, missbrauchen das auch. Es ist also auch Wasser auf den Mühlen von Fundamentalisten, die dann natürlich bestens da gedeihen können, ja.
Deutschlandradio Kultur: Herr Mazyek, zum Schluss wollen wir noch mal auf andere Schlagzeilen dieser Woche zurückkommen. Die Mozart-Oper "Idomeneo" wird in Berlin abgesetzt. Die ARD verschiebt die Ausstrahlung des Fernsehfilms "Wut". Sind wir in Deutschland inzwischen so weit, dass Grundrechte aus purer Angst vor möglichem Terror, ganz provozierend gefragt, aufgegeben werden?
Mazyek: Das ist wirklich eine hysterische Diskussion, die wir in der Hinsicht haben und ich kann auch nicht verstehen, warum die Oper abgesetzt wird. Ich gehe gerne in Oper und kann nur jedem empfehlen das auch zu tun. Ehrlich gesagt, ich habe das eher als einen Kniefall vor den Sicherheitsbehörden gesehen, als einen Kniefall vor vermeintlichen religiösen Eiferern oder Terroristen. Es ist zum Teil eine Phantomdiskussion, die wir haben. Es gibt keinen konkreten Hinweis auf irgendeine religiöse Gruppe, die da sagt, so, jetzt machen wir dies oder jenes. Und es wird eine hysterische Veranstaltung da draus. Und das Schlimme ist, man kann sich noch nicht mal um das Stück streiten. Also, ich kenne es ja gar nicht. Ich möchte mich gerne damit auseinandersetzen.
Deutschlandradio Kultur: Sie würden es sich also angucken?
Mazyek: Ja, auch gerade, um dieses Spannungsverhältnis, was ich gerade ansprach, zwischen Würde und Respektierung der Religion auf der anderen Seite und die Wahrung des Grundrechts der Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit, das muss weiter diskutiert werden. Aber das können jetzt gar nicht, weil das einfach hier abgesetzt wird und das fällt dann ins Wasser. Das finde ich eigentlich sehr schade.
Deutschlandradio Kultur: Also, Sie würden es gern anschauen, möglicherweise mit Freunden, vielleicht mit der Familie. Würden Sie denn auch Mitglieder der Muslimbruderschaft mitnehmen?
Mazyek: Na, das ist jetzt eine konstruierte Veranstaltung. Ich kenne übrigens auch kein Mitglied der Muslimbruderschaft. Es wird immer gesagt, dass diese oder jene Organisation Muslimbruderschaft wäre. Man sagt, das steht der vielleicht nahe, aber so der Muslimbruder, der ist mir noch nicht begegnet.
Deutschlandradio Kultur: Sie selbst sind in Aachen geboren. Ihr Vater stammt aus Syrien, ihre Mutter aus Deutschland. Sie haben in Aachen und Kairo studiert, leben mit ihrer Familie und ihren drei Kindern in der Nähe von Aachen, sind aktives Mitglied der FDP. In welcher Welt fühlen Sie sich zu Hause?
Mazyek: Also, ich habe nur eine Welt. Und das ist diese. Also, ich kenne keine Welt in der Moschee oder in der Welt da draußen. Das ist meine Welt. Das ist meine Gesellschaft, meine deutsche Gesellschaft. Und ich bin stolz, dass ich verschiedene kulturelle Hintergründe habe, aber ich bin nicht so ein Schizophrener, der sagt, es gibt ein Leben in der Moschee und ein Leben da draußen. Es ist ein und dieselbe.
Deutschlandradio Kultur: Herr Mazyek, wir danken ganz herzlich für das Gespräch.
Deutschlandradio Kultur: Mit der ersten deutschen Islamkonferenz waren anscheinend alle zufrieden, teilweise geradezu euphorisch. Teilnehmer sprachen von einem Meilenstein im christlich-islamischen Dialog. Herr Mazyek, war das am Mittwoch ein gelungener Start?
Aiman Mazyek: Das war ein gelungener Start, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass zum ersten mal die Bundesregierung mit den Muslimen sprach und nicht über die Muslime.
Deutschlandradio Kultur: Ziel soll ja nun ein Gesellschaftsvertrag sein. Warum ist der gut und wichtig für die Muslime?
Mazyek: Ja, das ist ein Ziel, das auch ein bisschen in der Vergangenheit – so haben wir das Gefühl gehabt, als es zur Konferenz hin ging – aus den Augen verloren worden ist. Es geht wirklich darum den Islam in das deutsche Staatswesen, auch in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Es geht darum, ihn als gleichberechtigte Religionsgemeinschaft anzuerkennen. Das ist natürlich ein hehres Ziel. Das sollte irgendwo am Ende dann stehen. Und da hin müssen wir arbeiten. Das Zweite ist: Es ist völlig in Ordnung, dass wir eine Diskussion benötigen. Ich stehe dazu und das sage ich auch immer wieder. Wir brauchen eine Diskussion, wie wir traditionelle Werte der Scharia sozusagen in Einklang bringen mit den modernen Menschenrechten, mit der Rechtsstaatlichkeit, mit Demokratie. Das ist eine ganz wichtige spannende Diskussion.
Deutschlandradio Kultur: Aber es gibt vielleicht ein kleines Problem, wenn wir über einen Gesellschaftsvertrag reden, denn hierzulande gibt es gleich fünf Organisationen, die Teile der Muslime in Deutschland repräsentieren. Es gibt 69 muslimische Verbände. Da stellt sich die Frage: Ziehen denn alle bei dieser Debatte an einem gemeinsamen Strang?
Mazyek: Also, wir haben eigentlich eine ganz gute Ausgangslage jetzt. Die vier muslimischen Dachverbände, ich rede jetzt nicht von der Alevitischen Organisation, die müsste man noch mal extra behandeln, die auch an dem Tisch saßen an der Islamkonferenz, haben sich sozusagen zu einer losen Plattform zusammengetan und versuchen mit einer Stimme zu sprechen. Diese vier Verbände repräsentieren nahezu über 80 Prozent der Moscheen in Deutschland. Wir haben zwischen 2300 und 2500 Moscheen in Deutschland – da gehen die Zahlen ein bisschen auseinander – fast 2000 davon werden von diesen vier Dachverbänden repräsentiert oder repräsentieren diese Moscheen. Das heißt nicht, dass außerhalb kein Islam stattfindet, aber das muslimische originäre Wesen, das findet vor allen Dingen in den Moscheen statt.
Deutschlandradio Kultur: Da sind aber nur die Organisierten. Und da befürchten Sie jetzt im Laufe dieser Konferenz, also in den nächsten zwei, drei Jahren, keinen vielstimmigen Chor? Sie werden also einheitlich auftreten?
Mazyek: Das ist auch die Ankündigung. Insbesondere der größte Dachverband, DiTi B, hat das ja gestern noch mal ganz deutlich in der Pressekonferenz gesagt und auch angekündigt, dass wir hier gemeinsam auftreten. Wir treten auch in einigen Bundesländern gemeinsam auf und haben auch zum Teil da schon Geschäftsordnungen begründet, zum Beispiel als Ansprechpartner in Nordrhein-Westfalen in Sachen IRU, islamischer Religionsunterricht.
Deutschlandradio Kultur: Wir lassen trotzdem an der Stelle nicht ganz locker, denn innerhalb Ihrer Organisation gibt es unterschiedliche Strömungen. Im Zentralrat der Muslime in Deutschland ist auch die Muslimbruderschaft IGD, also die Islamische Gemeinschaft in Deutschland, vertreten. Dieser Verein wird vom Verfassungsschutz als islamistische Organisation eingestuft. Welche Interessen vertreten Sie denn eigentlich?
Mazyek: Wir haben 21 Dachverbände in unserem Zentralrat. Davon sind einige – zwei oder drei sind es, glaube ich –, die werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz heißt ja noch lange nichts oder man kann keine Rückschlüsse ziehen, wie dieser Verein auch wirklich generiert oder wie er sich verhält. Für uns ist die Trennlinie, sozusagen die rote Linie ist überschritten, wenn ein Mitglied sich strafrechtlich oder gegen das deutsche Grundgesetz bewegt. Das ist aber diesen Verbänden nicht nachzuweisen. Sonst hätten auch die Sicherheitsbehörden entsprechend schon eingeschritten.
Deutschlandradio Kultur: Die IGD will aber die muslimische Gesellschaft in Deutschland.
Mazyek: Wie gesagt: Es wird der IGD einiges unterstellt. Sie ist vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Tatsache aber, dass bisher kein Verbotsantrag gestellt wurde, zeigt auch, dass dort der Beobachtungsstatus vorherrscht, aber – ähnlich wie beispielsweise die PDS, die ja auch vom Verfassungsschutz beobachtet wird – dann nicht gleich die Schlussfolgerung gemacht wird, dass sie dann verboten wird. So ist das bei einigen muslimischen Verbänden. Und übrigens, wir haben da auch schon gehandelt. Es gab einen Verband bei uns. Der hat gewisse Affinitäten zur Scientology gehabt. Wir haben ihm nahegelegt, diese Verbindung bitte abzubrechen. Er hat es nicht getan und er musste dann austreten. Das heißt, wir haben schon auch Konsequenzen gezogen. Wir sind da hart.
Deutschlandradio Kultur: Gut. Nur zum Verständnis: Sie fordern also nicht die Schaffung einer islamischen Gesellschaft in Deutschland?
Mazyek: Im Gegenteil. Das klare Bekenntnis zum Grundgesetz ist ja auch mannigfaltig von unserer Seite geäußert worden, nicht zuletzt in der Islamischen Charta, wo wir auch versucht haben theologisch eine Handreichung auszuarbeiten, dass Muslime auch verstehen. Wie ist das denn? Kann ich ein loyaler Bürger sein und gleichzeitig nach dem Koran leben? Da sagen wir eindeutig: Ja. Und da gibt es natürlich auch Prämissen, die wir einzuhalten haben, beispielsweise dass wir so genannte Einschränkungen vornehmen. Wir haben zum Beispiel deutlich gemacht, dass Ehe und Prozessrecht, das Grundgesetz, dass wir das hundertprozentig anerkennen, auch wenn vielleicht in der Sharia das eine oder andere da anders ausgelegt ist. Da zieht das Grundgesetz.
Deutschlandradio Kultur: Also, eine ganze Menge Fragen, die in den nächsten zwei, drei Jahren noch mal besprochen werden müssen. Jetzt stellt sich uns noch eine andere Frage, nämlich: Nur zehn bis 15 Prozent der rund drei Millionen in Deutschland lebenden Muslime sind in diesen Organisationen eingebunden. Das heißt umgekehrt, 85 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime sind nicht organisiert. Haben Sie überhaupt einen legitimen Vertretungsanspruch bei den Gesprächen?
Mazyek: Islamisches Leben findet nun mal originär in den Moscheen statt. Wenn wir diskutieren über die Problematik, dass Muslime besser die Sprache, dass sie Deutsch lernen müssen, wenn wir über islamischen Religionsunterricht reden, die Ausbildung von Imamen, Seelsorge, wo ist denn das alles lokalisiert? Wo ist das denn verortet? Das ist in den Moscheen verortet. Das heißt, hier handelt es sich vorrangig um diese Themen, Probleme und Herausforderungen, die in den Moscheegemeinden auch zu lösen sind, und zwar – das hoffen wir – im Rahmen eines Dialogprozesses in der Islamkonferenz. Man kann nicht den organisierten Muslimen den Vorwurf machen, dass sie organisiert sind, und den Rest, der nicht organisiert ist, dann sozusagen als Argument liefern.
Deutschlandradio Kultur: In der Kritik stand allerdings die Zusammensetzung der Islamkonferenz am Mittwoch. Es seien viel zu viel islamkritische Menschen am Tisch gewesen. Es sei kein Querschnitt der islamischen Gesellschaft in Deutschland dort am Tisch gewesen. War das ein Geburtsfehler?
Mazyek: Ersteres stimmt. Es geht nicht darum, dass wir Islamkritiker ausschalten wollen, im Gegenteil, wir brauchen die sogar als Korrektiv. Die Frage ist nur: Wir möchten ja im Rahmen der Islamkonferenz irgendwann den Islam integrieren als gleichberechtigten Bestandteil auf der Grundlage eines Gesellschaftsvertrages, eines Staatsvertrags, wie auch immer. Und das kann ich dann nur wirklich mit originär zwei Partnern, einerseits dem Staat auf der einen Seite und der andere, die Religionsgemeinschaften. Da jetzt noch einen Chor von Islamkritikern mit reinzunehmen, das kann durchaus dazu führen, dass wir dann am Ende nur noch diskutieren um Reformen im Islam, die wir ja brauchen, und die Frage ist: Soll die Islamkonferenz ein Diskussionsklub sein oder soll er nicht Reformen oder, sagen wir mal, Wegbereiter sein von Entscheidungsgrundlagen, wo der Staat sagen kann, so und so machen wir das und so und so kann es aussehen, dass Religionsgemeinschaften gleichberechtigt hier sind.
Deutschlandradio Kultur: Ziel ist natürlich immer die Integration aller in diese Gesellschaft. Da gibt es im Moment sicherlich Probleme. Zumindest in der Öffentlichkeit hat man das Gefühl, dass diese Integrationsfragen noch nicht gelöst sind. Wo würden Sie denn den Hebel ansetzen von Ihrer Seite aus? Was können Sie einbringen?
Mazyek: Wir müssen der Mehrheitsgesellschaft noch deutlicher machen, dass die Muslime hier in diesem Land kein Exklusivrecht einfordern. Sie möchten Teil dieser Gesellschaft sein, nicht mehr und nicht weniger. Sie möchten ihre Rechte einnehmen. Sie möchten aber auch ihre Pflichten tun. Das ist, glaube ich, was an Message rausgehen muss. Das Zweite ist: Integration ist keine Einbahnstraße. Auch die Mehrheitsgesellschaft muss erkennen, sie muss auch auf die Muslime zugehen. Sie muss anerkennen, dass 3,5 Millionen Muslime unter uns leben, nicht erst seit gestern, sondern teilweise seit 40, 50 Jahren, und dass sich da natürlich auch die Gesellschaft verändert, auch als solches. Ich glaube, da haben einige, insbesondere auch konservative Kreise, so ihre Schwierigkeiten, sich dessen überhaupt bewusst zu werden. Und dann verschließt man sich diesem Umstand und dieser Situation und macht das dann fest und sagt: Einige Straßen in Frankfurt oder in Berlin, ja, die sind ja schon völlig türkisiert.
Deutschlandradio Kultur: Ja, aber ist das Misstrauen, was vorhanden ist, nicht vielleicht berechtigt, wenn man zum Beispiel gar nicht weiß, was in Koranschulen gelehrt wird?
Mazyek: Also, ich kann durchaus verstehen, wenn der normale deutsche Bürger – in Anführungsstrichen – Angst hat, wenn es um Islamthemen geht. Das, was ich höre, was im Ausland passiert an außenpolitischen Verwerfungen, Terror, und, und, und, ganz ehrlich, da kriege ich selbst Angst, ich selbst kriege Angst vor diesen so genannten Muslimen. In der Tat haben die Muslime da eine ganze Menge zu leisten. Sie stehen unter einem starken Rechtfertigungsdruck, obgleich der nicht berechtigt ist. Es ist wie ein Damoklesschwert, das da über uns schwebt. Vor jeder Diskussion, vor jeder Auseinandersetzung muss man sozusagen schon wieder ein Bekenntnis ablegen zum Grundgesetz, ein Bekenntnis zu Gewaltlosigkeit. Das ist bei uns so selbstverständlich. Es ist aber typisch für unsere Diskussion, dass das immer wieder stets von den Muslimen eingefordert wird, dass er das tut.
Deutschlandradio Kultur: Aber das Problem sehen Sie doch schon, dass es in den Koranschulen beispielsweise Imame gibt, die Sachen lehren, die nichts mit dem Grundgesetz zu tun haben.
Mazyek: Dieses Problem sehe ich. Und ich bin selbst Leidtragender von solchen Auseinandersetzungen. Ich habe in der Vergangenheit immer wieder Hassmails bekommen, auch von religiösen Eiferern. Ich kenne das Problem, dass es durchaus da und dort Imame gibt, die nicht nur einen radikalen Islam predigen, sondern die vor allen Dingen eine große Schuld aufnehmen, dass sie nämlich den Islam für politische oder sonstige Dinge instrumentalisieren. Das ist durchaus ein Phänomen. Damit müssen sich Muslime noch wesentlich mehr auseinandersetzen. Oder auch auf der globalen Ebene mal betrachtet: Wir haben ein Problem, wir Muslime, dass Nihilismus, dekadentes Gedankengut sich teilweise bis in den Kern des islamischen Denkens hineingesetzt hat. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, also, Stichwort Selbstmordattentate oder andere Dinge mehr. Da müssen die Theologen wesentlich mehr bringen. Das allein schaffen wir nicht. Wir haben verschiedene Foren, Akademien, Internet usw., wo das gemacht wird.
Deutschlandradio Kultur: Es würde doch vielleicht helfen, wenn man dem Vorschlag des Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber folgt, der sagt, in Moscheen sollte Deutsch gesprochen werden.
Mazyek: Schauen Sie, das ist genau wieder die gleiche Attitüde. Das ist das, was zum Beispiel der Zentralrat der Muslime auch gesagt hat. Es soll selbstverständlich sein, dass zum Beispiel islamische Predigten zum Freitagsgebet auf Deutsch gehalten werden. In vielen Moscheen findet das doch schon statt. Aber wenn es von einer Seite des Ministerpräsidenten Stoiber kommt, mit erhobenem Zeigefinger, der sich in der Vergangenheit, gerade was Aussagen zum Islam angeht, einiges zu schulden hat kommen lassen, ich erinnere nur an das BILD-Interview, wo er dann die Unterscheidung gemacht hat zwischen Christentum – friedliebend – und Islam = gewalttätig, ungefähr in dieser Richtung ging das, dann macht das den Anschein, als würde er zum ersten mal so eine Forderung bringen. Er möge sich doch einfach mal auseinandersetzen, was in der muslimischen Community darüber diskutiert worden ist. Dann würde er feststellen, dass zum Beispiel der Zentralrat es war, der vor zwei Jahren schon bereits auf die Diskussion, Freitagspredigt auf Deutsch oder nicht, gesagt hat: Ja selbstverständlich. Und das findet auch schon statt. Imame müssen hier in Deutschland ausgebildet werden. Sie müssen in Deutsch ausgebildet werden, dass sie hier mit den Muslimen, mit der Jugend sprechen. In welcher Sprache sollen sie denn sprechen? In Türkisch, in Arabisch?
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, wenn diese Jugendlichen in die Schule gehen, dann würden Sie schon Islamunterricht dort in deutscher Sprache und unter staatlicher Kontrolle fordern?
Mazyek: Wir fordern das seit 20 Jahren. Wir sind in Vorleistung getreten in Nordrhein-Westfalen mit einem Kurrikulum von Pädagoginnen und Pädagogen. Ausgewiesenen Lehrerinnen, die haben schon für die erste, zweite, dritte und vierte Klasse ein Kurrikulum erstellt. Wir sagen das schon seit langem, dass unser verbrieftes Grundrecht, nämlich dass nach Art. 73 auch für die Muslime Religionsunterricht in deutschen Schulen unter deutscher Schulaufsicht in deutscher Sprache stattfinden muss.
Deutschlandradio Kultur: Und alle machen dann mit?
Mazyek: Also, wir als Verband machen mit, die DiTIiB macht mit, VIKZ macht mit und der Islamrat auch. Und wir haben in der Tat eine, wenn man so will, wunderbare Ausgangslage, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, wo sich die eben genannten vier Dachverbände zusammengetan haben und sich angeboten haben als Ansprechpartner in Sachen islamischer Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen und sich sogar eine Art Geschäftsordnung gegeben haben, dass sie auch das koordinieren. Das steht jetzt an. Die nordrhein-westfälische Landesregierung ist am Zug. Der Ball ist bei ihnen.
Deutschlandradio Kultur: Ein anderes Problem ist die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Die ist nun in der deutschen Verfassung verankert. Setzen sich die muslimischen Dachverbände auch bedingungslos dafür ein? Was tun sie dafür, dass das vielleicht auch weiter vorangetrieben wird?
Mazyek: Wir haben eine wunderbare Studie gerade hinter uns von der Konrad-Adenauer-Stiftung, wo aufgearbeitet wird, dass die Frau mit Kopftuch ja eine mündige, eine liberale, eine moderate aufgeklärte Frau sein kann. Und, oha, da geht ein Ruck und ein Raunen durch unser Land nach dem Motto, die Kopftuchfrau, die muss ja unterdrückt sein, die muss ja vom Mann, was weiß ich, in die Küche gezwängt werden. Dieses Bild stimmt so nicht. Aber dass es Unterdrückung in muslimischen Familien gibt, dass es die in manchen muslimischen Ländern, in Regionen gibt, wo ein patriarchales System herrscht...
Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir in Deutschland. Das ist ja bis in die dritte, vierte Generation hinein so, dass sich inzwischen doch viel radikalere Strömungen wieder ausbilden.
Mazyek: Ob das radikaler ist, weiß ich nicht, aber dass wir Unterdrückung von Frau haben, das möchte ich ja gar nicht in Abrede stellen. Aber ob es einen islamischen Hintergrund hat, das möchte ich doch stark in Zweifel ziehen. Das, denke ich, sind entweder soziale, kulturelle und sonstige oder Machogehabe von irgendwelchen Männern usw. Das sind übrigens Phänomene, die wir auch in der Mehrheitsgesellschaft haben. Unterdrückung der Frau ist ja kein Phänomen von muslimischer Kultur.
Deutschlandradio Kultur: Es wird aber nie religiös begründet. Und das passiert manchmal.
Mazyek: Ja, es passiert manchmal. Genau da müssen wir differenzieren. Wenn es manchmal passiert, dann müssen wir den Mann oder die Stelle wirklich beim Schopfe packen und sagen, wie kommst du da drauf. Weil es gibt mindestens genauso viel, wenn nicht wesentlich mehr auch Begründbarkeiten aus dem Koran und sonst wo abgeleitet, wo ganz deutlich wird, dass die Gleichstellung der Frau ein Gebot auch unserer Religion ist.
Deutschlandradio Kultur: Das hört sich aber so an, als ob Sie einen erheblichen Klärungsbedarf noch innerhalb der unterschiedlichen Strömungen innerhalb der muslimischen Gesellschaft haben.
Mazyek: Einverstanden, ist geschenkt, ja.
Deutschlandradio Kultur: Wir sprachen die Schule schon an. Wann wird es gemeinsamen Unterricht zum Beispiel im Sport oder im Schwimmen von muslimischen und nicht muslimischen Kindern geben?
Mazyek: Ich weiß nicht, warum dieses Thema so hoch kolportiert wird. Sportunterricht ist selbstverständlich. Muslimische Mädchen und Jungs...
Deutschlandradio Kultur: Aus Ihrem Verständnis heraus.
Mazyek: Ja.
Deutschlandradio Kultur: Aber es ist nicht so weit verbreitet. Ich denke da an Berlin oder an Frankfurt, wo es an Schulen große Probleme damit gibt.
Mazyek: Ja, es gibt einige muslimische Familien, die darauf großen Wert legen, dass der Schwimmunterricht getrennt ist. Das heißt, die sagen nicht, meine Tochter oder unsere Mädchen sollen nicht zum Schwimmunterricht. Sie möchten aber gerne, dass das getrennt ist, weil sie da aus religiösen Erwägungen die Geschlechtertrennung haben wollen, auch aus Kleidungsgründen und so weiter. Aber der Sportunterricht ist eigentlich davon befreit.
Deutschlandradio Kultur: Und wie sieht es aus im Biologieunterricht, im Geschichtsunterricht?
Mazyek: Natürlich, selbstverständlich, ich meine, ich hab doch auch die Schulbank gedrückt. Und dann sagen wir als Appell an unsere muslimischen Eltern: Da müsst ihr hin. Ihr müsst zum Klassenpflegschaftsabend hingehen. Und dann, wenn der Lehrer das diskutiert, wie er den Sexualunterricht machen will, und das wird immer wieder mit den Eltern zuerst diskutiert, da bringt euch ein! Ich sehe keinen Widerspruch zwischen einem islamischen Bewusstsein und der Tatsache, dass wir Sexualunterricht bekommen – im Gegenteil, das gehört zusammen.
Deutschlandradio Kultur: Plaudern wir ein bisschen aus dem Nähkästchen und kommen damit zurück zur Islamkonferenz. Welche konkreten Vorschläge werden Sie in den nächsten Runden machen? Was werden Sie vorschlagen? Oder auch die andere Frage gleich dazu: Was fordern Sie von der deutschen Seite?
Mazyek: Also, ich habe mit Freude vernommen, dass Innenminister Schäuble davon gesprochen hat, dass es ein offener Prozess sein wird, dass er ergebnisoffen ist. Daraus schließen wird, dass doch auch an der Konzeption, an der Machart, auch an der Zusammenstellung der Personen sich da noch eine Menge in der Zukunft verändern wird. Die wichtigste Forderung ist wirklich, den Islam als gleichwertige Religionsgemeinschaft innerhalb unserer Gesellschaft anzuerkennen. Das ist, glaube ich, das vorrangige Ziel. Und die ganzen Punkte, die da anstehen, ob das nun Religionsunterricht ist, die Ausbildung von Imamen, wie wir das juristisch packen, wird der Islam so was wie eine Körperschaft des öffentlichen Rechts werden, analog zu den Kirchen, oder wird es etwas Neues geben, wie soll das juristisch ausgestaltet werden, das ist wirklich alles Inhalt der Islamkonferenz. Das ist ein wirklich offener Prozess. Ich kann Ihnen nicht sagen, also das und das wird es werden, aber da möchten wir uns einbringen, insbesondere in den Arbeitsgruppen. Da möchten wir uns auch beteiligen.
Deutschlandradio Kultur: Spielt da die Frage der Diskrepanz zwischen Toleranz und der Beharrung auf religiösen Gefühlen auch eine Rolle? Anders herum gefragt: Immer wieder beklagen ja gerade die Muslime die Verletzung ihrer religiösen Gefühle. Sind die Muslime da empfindlicher? Muss da die deutsche Gesellschaft, die christliche Gesellschaft vielleicht mehr Toleranz an den Tag legen?
Mazyek: Vielleicht anders herum. Vielleicht sind auch die christlichen Bürger da etwas abgestumpfter, was jetzt zum Beispiel auch die Verletzung ihrer Religion angeht. Ich finde, ein angenehmes Phänomen war nach dem Karikaturenstreit, dass wirklich größtenteils die Muslime in Europa und auch in Deutschland zivilisiert demonstriert haben, zivilisiert ihre Empörung, ihren Protest zum Ausdruck gebracht haben. Und im Anschluss haben wir auch eine ganz fruchtbare Diskussion gehabt. Wir haben gesagt: Pressefreiheit, Kunstfreiheit, Meinungsfreiheit ist ein sehr hohes Gut. Da wird nicht dran gerüttelt. Das ist auch unsere muslimische Position. Auf der anderen Seite müssen wir doch auch diskutieren über, wie sieht es denn aus um die Respektfähigkeit der Gesellschaft gegenüber Religion? Aber das ist doch eine spannende Sache. Diese Diskussion soll nicht abgebrochen werden, sondern soll weitergehen. Da sind auch unsere Medienvertreter natürlich gefragt, da mitzureden, mitzudiskutieren.
Deutschlandradio Kultur: Wenn wir noch mal auf eine konkrete Ebene runter kommen: Es gibt immer häufiger oder immer wieder Imame, die auch als Friedensrichter auftreten, die innerhalb muslimischer Gemeinschaften auch Recht sprechen. Da hat die Polizei dann, wie man nachlesen kann, nicht mehr so viel zu sagen, wird wieder weggeschickt. Da scheint der Koran wichtiger zu sein als das Grundgesetz. Das ist doch ein untragbarer Zustand.
Mazyek: Also, wenn sie sich als Friedensstifter auftun, dann ist das ja ein tragbarer Zustand zunächst einmal.
Deutschlandradio Kultur: Wenn sie Frieden schaffen.
Mazyek: Wenn sie Frieden schaffen, ja.
Deutschlandradio Kultur: Und wenn er sich auf den Koran beruft und nicht auf das Grundgesetz?
Mazyek: Das ist ja kein Widerspruch. Ich meine, in einem Streit, da kommt die Tochter und sagt, hör mal, ich werde hier ständig von meinem Bruder drangsaliert, ich muss in die Küche und ich muss dies und jenes, aber ich möchte gerne studieren und arbeiten. Ja, es ist kein konstruierter Fall, das gibt es.
Deutschlandradio Kultur: Das kann auch umgekehrt sein.
Mazyek: Und dann beruft sich Vater oder was weiß ich was, auf den Koran. Und dann sagt er: Hier, wo steht das denn? Steht nirgendwo drin. Insofern ist das eine ganz gute Sache. Und in dem Moment, wo man sozusagen sich auch Koranischen Geboten nähert und sagt, so steht das im Koran, dies mach, jenes, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht lügen, du sollst, was weiß ich, deine Eltern usw. achten, das sind ja die Gebote, die wir auch aus dem Christentum kennen, dann ist das doch etwas Gutes.
Deutschlandradio Kultur: Wenn keine Parallelgesellschaft entsteht!
Mazyek: Ja, die Parallelgesellschaft, das ist in der Tat ein Phänomen und ein Problem. Aber das hat ja weniger mit der Auslegung des Korans zu tun, als dass sich viele, auch Muslime, in die Ghettos zurückziehen, dass sie sich nicht mehr nach draußen trauen oder dass sie sagen, es hat sowieso keinen Sinn dieser Austausch. In dieser westlichen Gesellschaft möchte man uns nicht haben. Das, was wir an Signalen immer wieder hören von Politik und Gesellschaft, das sind ja nicht immer nur Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltungen und so, sondern das sind ja teilweise ganz knallige Vorwürfe und Unterstellungen. Und das hat natürlich auch zur Wirkung, dass einige sich zurückziehen und manche nutzen das natürlich auch aus. Sie sagen, schaut her, diese Gesellschaft will euch nicht. Kommt her zu mir, wir machen hier unseren eigenen Islam auf, agitieren, missbrauchen das auch. Es ist also auch Wasser auf den Mühlen von Fundamentalisten, die dann natürlich bestens da gedeihen können, ja.
Deutschlandradio Kultur: Herr Mazyek, zum Schluss wollen wir noch mal auf andere Schlagzeilen dieser Woche zurückkommen. Die Mozart-Oper "Idomeneo" wird in Berlin abgesetzt. Die ARD verschiebt die Ausstrahlung des Fernsehfilms "Wut". Sind wir in Deutschland inzwischen so weit, dass Grundrechte aus purer Angst vor möglichem Terror, ganz provozierend gefragt, aufgegeben werden?
Mazyek: Das ist wirklich eine hysterische Diskussion, die wir in der Hinsicht haben und ich kann auch nicht verstehen, warum die Oper abgesetzt wird. Ich gehe gerne in Oper und kann nur jedem empfehlen das auch zu tun. Ehrlich gesagt, ich habe das eher als einen Kniefall vor den Sicherheitsbehörden gesehen, als einen Kniefall vor vermeintlichen religiösen Eiferern oder Terroristen. Es ist zum Teil eine Phantomdiskussion, die wir haben. Es gibt keinen konkreten Hinweis auf irgendeine religiöse Gruppe, die da sagt, so, jetzt machen wir dies oder jenes. Und es wird eine hysterische Veranstaltung da draus. Und das Schlimme ist, man kann sich noch nicht mal um das Stück streiten. Also, ich kenne es ja gar nicht. Ich möchte mich gerne damit auseinandersetzen.
Deutschlandradio Kultur: Sie würden es sich also angucken?
Mazyek: Ja, auch gerade, um dieses Spannungsverhältnis, was ich gerade ansprach, zwischen Würde und Respektierung der Religion auf der anderen Seite und die Wahrung des Grundrechts der Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit, das muss weiter diskutiert werden. Aber das können jetzt gar nicht, weil das einfach hier abgesetzt wird und das fällt dann ins Wasser. Das finde ich eigentlich sehr schade.
Deutschlandradio Kultur: Also, Sie würden es gern anschauen, möglicherweise mit Freunden, vielleicht mit der Familie. Würden Sie denn auch Mitglieder der Muslimbruderschaft mitnehmen?
Mazyek: Na, das ist jetzt eine konstruierte Veranstaltung. Ich kenne übrigens auch kein Mitglied der Muslimbruderschaft. Es wird immer gesagt, dass diese oder jene Organisation Muslimbruderschaft wäre. Man sagt, das steht der vielleicht nahe, aber so der Muslimbruder, der ist mir noch nicht begegnet.
Deutschlandradio Kultur: Sie selbst sind in Aachen geboren. Ihr Vater stammt aus Syrien, ihre Mutter aus Deutschland. Sie haben in Aachen und Kairo studiert, leben mit ihrer Familie und ihren drei Kindern in der Nähe von Aachen, sind aktives Mitglied der FDP. In welcher Welt fühlen Sie sich zu Hause?
Mazyek: Also, ich habe nur eine Welt. Und das ist diese. Also, ich kenne keine Welt in der Moschee oder in der Welt da draußen. Das ist meine Welt. Das ist meine Gesellschaft, meine deutsche Gesellschaft. Und ich bin stolz, dass ich verschiedene kulturelle Hintergründe habe, aber ich bin nicht so ein Schizophrener, der sagt, es gibt ein Leben in der Moschee und ein Leben da draußen. Es ist ein und dieselbe.
Deutschlandradio Kultur: Herr Mazyek, wir danken ganz herzlich für das Gespräch.