Zerbrechliche Beziehung
Fragil wie Glas erweist sich die Beziehung zwischen dem Mittfünfziger Jacob Armacost und seiner 30 Jahre jüngeren Ehefrau Jillian. Beide besitzen eine der bedeutendsten Glasgalerien in New York. Ihre Wege trennten sich, als sich Jakob beim Ankauf eines Hauses, in dem er kostbare Glasfenster vermutete, verspekulierte. Dieser Fehlkauf führte in den finanziellen Ruin.
Ernst-Wilhelm Händler beginnt seinen Roman mit einer rasanten Verfolgungsjagd. Jacob wurde zusammen mit einer Kundin in Mexiko gekidnappt. Zur gleichen Zeit versucht Jillian in Mailand einen Käufer für eine einzigartige Glassammlung zu finden. Während sie alles daran setzt, vier Millionen Dollar aufzutreiben, um die Galerie halten zu können, hofft Jacob darauf, dass seine Frau den Entführern das geforderte Lösegeld zahlt.
Abwechselnd wendet sich Händler in den einzelnen Romankapiteln den unterschiedlichen Schauplätzen zu: Mexiko auf der einen, Mailand und Venedig auf der anderen Seite. Indem er sich in jedem Kapitel jeweils auf eine der beiden Figuren konzentriert, bekommen die beiden zentralen Charaktere Konturen: Er formt sie im Prozess des Erzählens. Gleichzeitig bedient sich Händler aber auch des Glases als Motiv. Um zu erkennen, dass das Glashaus, in dem beide sitzen, längst zerbrochen ist, braucht es nicht viel. Sehr viel mehr liegt Händler an der Analyse der Gegenwart. Er lässt die panoramatischen Eindrücke der Jetztzeit in keinem Bild, sondern in einem Objekt zusammenfließen, für das er im Glas das überzeugende Material findet.
Glas ist ein harter, ein faszinierender Werkstoff, auf den sich die Literatur häufig bezog (Bretons "Nadja") und der stilbildend in den Passagenbauten Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris wurde. Händler, den die Frage beschäftigt, ob sich der Mensch ändern kann, braucht das Glas, um die Verhältnisse, in denen der Mensch verankert ist, durchsichtig zu machen. Es gibt in dem Roman nichts Verborgenes, alles wird in den Bereich des Sichtbaren gestellt. Dies gehört ebenso zu seinen Stärken wie die philosophischen Exkurse, in denen Händler zum Beispiel eine Verbindung zwischen Glas und Geld herstellt. "Die Glasobjekte, sofern sie nicht in Gebrauch waren und Abnutzungsspuren annahmen, sofern sie nicht mutwillig oder versehentlich zerstört wurden, veränderten sich nicht. Genau wie das Geld nutzten sie sich nicht durch den Gebrauch ab, der ihrem Wesen entsprach."
Packend ist dieser Roman, wenn es Händler gelingt, seine scharfsinnigen Einlassungen auf die Gegenwart in eine enge Beziehung zu der erzählten Geschichte zu bringen. Doch eben diese zwingenden Berührungspunkte stellen sich nicht immer her, was an einigen erzählerischen Nebenwegen liegt, die zu begehen es nicht gebraucht hätte. Das ist schade, denn Händler ist ohne Frage einer der gescheitesten Erzähler der deutschen Gegenwartsliteratur, dem es immer wieder gelingt, überzeugende Geschichten zu finden, um vom Ganzen zu handeln. Die Figuren, die er in diesem Roman beschreibt, scheinen sich im freien Fall zu bewegen. Das lässt sie gleichnishaft erscheinen, denn sie sind in ihrer Zerbrechlichkeit Beispiele.
Besprochen von Michael Opitz
Ernst-Wilhelm Händler: Welt aus Glas
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2009
608 Seiten, 25 Euro
Abwechselnd wendet sich Händler in den einzelnen Romankapiteln den unterschiedlichen Schauplätzen zu: Mexiko auf der einen, Mailand und Venedig auf der anderen Seite. Indem er sich in jedem Kapitel jeweils auf eine der beiden Figuren konzentriert, bekommen die beiden zentralen Charaktere Konturen: Er formt sie im Prozess des Erzählens. Gleichzeitig bedient sich Händler aber auch des Glases als Motiv. Um zu erkennen, dass das Glashaus, in dem beide sitzen, längst zerbrochen ist, braucht es nicht viel. Sehr viel mehr liegt Händler an der Analyse der Gegenwart. Er lässt die panoramatischen Eindrücke der Jetztzeit in keinem Bild, sondern in einem Objekt zusammenfließen, für das er im Glas das überzeugende Material findet.
Glas ist ein harter, ein faszinierender Werkstoff, auf den sich die Literatur häufig bezog (Bretons "Nadja") und der stilbildend in den Passagenbauten Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris wurde. Händler, den die Frage beschäftigt, ob sich der Mensch ändern kann, braucht das Glas, um die Verhältnisse, in denen der Mensch verankert ist, durchsichtig zu machen. Es gibt in dem Roman nichts Verborgenes, alles wird in den Bereich des Sichtbaren gestellt. Dies gehört ebenso zu seinen Stärken wie die philosophischen Exkurse, in denen Händler zum Beispiel eine Verbindung zwischen Glas und Geld herstellt. "Die Glasobjekte, sofern sie nicht in Gebrauch waren und Abnutzungsspuren annahmen, sofern sie nicht mutwillig oder versehentlich zerstört wurden, veränderten sich nicht. Genau wie das Geld nutzten sie sich nicht durch den Gebrauch ab, der ihrem Wesen entsprach."
Packend ist dieser Roman, wenn es Händler gelingt, seine scharfsinnigen Einlassungen auf die Gegenwart in eine enge Beziehung zu der erzählten Geschichte zu bringen. Doch eben diese zwingenden Berührungspunkte stellen sich nicht immer her, was an einigen erzählerischen Nebenwegen liegt, die zu begehen es nicht gebraucht hätte. Das ist schade, denn Händler ist ohne Frage einer der gescheitesten Erzähler der deutschen Gegenwartsliteratur, dem es immer wieder gelingt, überzeugende Geschichten zu finden, um vom Ganzen zu handeln. Die Figuren, die er in diesem Roman beschreibt, scheinen sich im freien Fall zu bewegen. Das lässt sie gleichnishaft erscheinen, denn sie sind in ihrer Zerbrechlichkeit Beispiele.
Besprochen von Michael Opitz
Ernst-Wilhelm Händler: Welt aus Glas
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2009
608 Seiten, 25 Euro