Zerbrechliches Glück
Das Buch beginnt mit einem Paukenschlag: Der junge Li wird dabei erwischt, wie er auf einer öffentlichen Latrine den Kopf durch das Sitzloch steckt, um Frauenhintern zu erspähen. Seine Mutter schämt sich zu Tode.
Der Junge jedoch weiß sein Wissen gewinnbringend zu veräußern: Er erzählt gegen eine Mahlzeit, was er zu Gesicht bekam. Seine Geschäftstüchtigkeit wird ihm einmal großen Reichtum einbringen. Doch noch schreiben wir die Siebzigerjahre. Die Kulturrevolution beginnt und zerstört das fragile Familienglück zweier Brüder, des vorlauten hitzigen Li und seines stillen, schüchternen Bruders Song Gong. Ihr sanftmütiger Adoptivvater wird als Konterrevolutionär verhaftet, gefoltert, schließlich bestialisch zu Tode geprügelt. Eine dramatischere Abrechung mit den Gräueln der Kulturrevolution hat es von einem in China lebenden Autor noch nicht gegeben.
Beide Brüder überleben die Kulturrevolution, verlieren aber die geliebte Mutter und schlagen sich mit allen möglichen Jobs durch. Song Gong, fleißig, angepasst, bescheiden, findet eine Festanstellung in einer Fabrik, vermeintlich lebenslang. Doch dann ändern sich die Zeiten. Plötzlich ist Privatinitiative gefragt, und Li triumphiert. Als Altkleidersammler wird er erst zum reichsten Mann der Kleinstadt, dann der Provinz, lässt die Politiker nach seiner Pfeife tanzen und bekommt, was immer er will.
Lis Aufstieg liest sich wie eine Satire auf die Exzesse der neureichen Oberschicht im heutigen China. Yu Huas Gelächter ist entlarvend. Der Autor ist alles andere als zimperlich. Seine Sprache ist für westliche Leser schockierend drastisch und unverblümt. Seit die Schamhaftigkeit der Mao-Ära unverhohlener Konsumgier gewichen ist, scheuen sich Chinas Autoren nicht, alle Körperfunktionen beim Namen zu nennen.
Einige Geschichten hält man für Erfindungen. Doch Yu Hua übertreibt nur wenig. Ein Beispiel für viele: Während Maos China voreheliche Enthaltsamkeit propagierte, blüht mit der aufkommenden Marktwirtschaft der voreheliche Sex auf. Da die Männer aber weiterhin von ihrer zukünftigen Frau Unberührtheit verlangen, gibt es überall künstliche Jungfernhäutchen zu kaufen. Bruder Li richtet in der Kleinstadt einen landesweiten Schönheitswettbewerb für Jungfrauen aus. Da diese rar sind und sich die Damen zudem den Juroren hingeben, muss ständig für Hymenersatz gesorgt werden ...
All sein Geld kann Glatzkopf Li nicht die Liebe der hübschen Lin Hong verschaffen, die seinen Bruder heiratet. Doch Song Gong zerstört sein Glück aus falsch verstandener Schamhaftigkeit und Minderwertigkeitsgefühlen. Er ist einer aus der Millionenschar, die Chinas Wirtschaftswunder überrollt. Song Gongs Selbstmord wirft seine Frau und seine Bruder kurzfristig aus der Bahn. Doch dann fangen sie sich wieder.
Es ist ein vergiftetes Happy-End, das uns der Schriftsteller anbietet, so, wie sein ganzer Roman eine giftige Chronik des Wandels der chinesischen Gesellschaft ist, konventionell chronologisch und in epischer Breite mit viel Tempo erzählt. Erstaunlich, dass die Zensoren solch einen beißend-ironisch, sarkastisch-bitteren Roman zugelassen haben. Yu Hua selbst erklärt dies mit seinem großen Publikum.
Seine Romane brächten den Verlagen so viel Gewinn, dass man ihn schreiben lasse, was er wolle. Eine Verfilmung allerdings haben die Zensoren verboten.
Besprochen von Johannes Kaiser
Yu Hua: Brüder
Roman, Aus dem Chinesischen von Ulrich Kautz, S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2009,
764 Seiten, 24,95 Euro
Beide Brüder überleben die Kulturrevolution, verlieren aber die geliebte Mutter und schlagen sich mit allen möglichen Jobs durch. Song Gong, fleißig, angepasst, bescheiden, findet eine Festanstellung in einer Fabrik, vermeintlich lebenslang. Doch dann ändern sich die Zeiten. Plötzlich ist Privatinitiative gefragt, und Li triumphiert. Als Altkleidersammler wird er erst zum reichsten Mann der Kleinstadt, dann der Provinz, lässt die Politiker nach seiner Pfeife tanzen und bekommt, was immer er will.
Lis Aufstieg liest sich wie eine Satire auf die Exzesse der neureichen Oberschicht im heutigen China. Yu Huas Gelächter ist entlarvend. Der Autor ist alles andere als zimperlich. Seine Sprache ist für westliche Leser schockierend drastisch und unverblümt. Seit die Schamhaftigkeit der Mao-Ära unverhohlener Konsumgier gewichen ist, scheuen sich Chinas Autoren nicht, alle Körperfunktionen beim Namen zu nennen.
Einige Geschichten hält man für Erfindungen. Doch Yu Hua übertreibt nur wenig. Ein Beispiel für viele: Während Maos China voreheliche Enthaltsamkeit propagierte, blüht mit der aufkommenden Marktwirtschaft der voreheliche Sex auf. Da die Männer aber weiterhin von ihrer zukünftigen Frau Unberührtheit verlangen, gibt es überall künstliche Jungfernhäutchen zu kaufen. Bruder Li richtet in der Kleinstadt einen landesweiten Schönheitswettbewerb für Jungfrauen aus. Da diese rar sind und sich die Damen zudem den Juroren hingeben, muss ständig für Hymenersatz gesorgt werden ...
All sein Geld kann Glatzkopf Li nicht die Liebe der hübschen Lin Hong verschaffen, die seinen Bruder heiratet. Doch Song Gong zerstört sein Glück aus falsch verstandener Schamhaftigkeit und Minderwertigkeitsgefühlen. Er ist einer aus der Millionenschar, die Chinas Wirtschaftswunder überrollt. Song Gongs Selbstmord wirft seine Frau und seine Bruder kurzfristig aus der Bahn. Doch dann fangen sie sich wieder.
Es ist ein vergiftetes Happy-End, das uns der Schriftsteller anbietet, so, wie sein ganzer Roman eine giftige Chronik des Wandels der chinesischen Gesellschaft ist, konventionell chronologisch und in epischer Breite mit viel Tempo erzählt. Erstaunlich, dass die Zensoren solch einen beißend-ironisch, sarkastisch-bitteren Roman zugelassen haben. Yu Hua selbst erklärt dies mit seinem großen Publikum.
Seine Romane brächten den Verlagen so viel Gewinn, dass man ihn schreiben lasse, was er wolle. Eine Verfilmung allerdings haben die Zensoren verboten.
Besprochen von Johannes Kaiser
Yu Hua: Brüder
Roman, Aus dem Chinesischen von Ulrich Kautz, S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2009,
764 Seiten, 24,95 Euro