Aus der Leere wollten sie Neues schaffen
Sie malten mit Farbe, aber ohne Formen, experimentierten mit Licht und Schatten, mit Feuer und Wasser. Die Künstler der ZERO-Gruppe bewegten sich gleichsam am Nullpunkt der Malerei. Im Berliner Martin-Gropius-Bau sind nun 200 Werke prominenter Vertreter der Bewegung zu sehen - darunter Heinz Mack, Otto Piene, Günther Uecker und Yves Klein.
"Sowohl Otto Piene als auch ich haben relativ bald erkannt, dass das, was wir alles gelernt hatten, eigentlich schon auf der Welt geschehen war. Und da kam dann die Erkenntnis auf: Wir müssen das alles vergessen, was wir gelernt haben. Und wir müssen einen Versuch machen, ganz von vorne zu beginnen, den Anfang suchen. Und das in einer Situation, wo der Horror vacui, die Leere um uns herum war. In dieser Leere erste Entdeckungen zu machen, Experimente zu machen und einen neuen Anfang zu finden, das war ein ganz wesentliches Moment."
So tat sich Heinz Mack 1958 mit Otto Piene, später auch mit Günther Uecker zusammen, um aus dieser Leere heraus Neues zu schaffen. Sie malten mit Farbe, aber ohne Formen. Sie experimentierten mit Licht und Schatten, mit Feuer und Wasser, blieben im klassischen Rahmen oder bauten jenseits des Bildes skurrile Apparaturen. Eine Aufbruchsbewegung in der Kunst, der über die Kerngruppe Piene, Mack und Uecker hinaus viele internationale Künstler zugerechnet werden. 40 Künstler von ihnen hat man ausgewählt und zeigt nun 200 ihrer Werke - in einer Ausstellung, die kein Rückblick sein will, betont Mattijes Visser, Gründungsdirektor der ZERO foundation
"Es ist nicht eine Retrospektive. Ich denke jetzt an Otto Piene – es liegt daran, dass er meint ZERO ist eine Haltung, eine Vision und diese hat er nie verloren. Und dank aller Info und aller Gespräche die wir mit ihm geführt haben, meinen wir, dass wir mit dieser Ausstellung eine ZERO Ausstellung gemacht haben, die nicht retrospektiv ist, sondern die gemacht wird mit den gleichen Ideen, Konzepte, Gefühlen aus der ZERO Zeit."
So begibt sich der Besucher im Martin Gropius Bau nicht auf einen chronologisch geordneten Rundgang, durchläuft keine einzelnen Künstlern gewidmeten Räume. Ja, man hat sogar auf die Schilder neben den Werken verzichtet.
Werke von Yves Klein in Blau, Orange oder Weiß
Urheber und Jahrgang kann man in einem begleitenden Booklet nachlesen. Nach Themen wie Farbe, Licht, Struktur, Bewegung geordnet versucht man stattdessen konzentriert zu fassen, was ZERO ausmacht. Zurück auf "Null" bedeutete vor allem, zu reduzieren. Sich etwa in der Malerei auf nur eine Farbe zu beschränken - oder gar keine zu benutzen. So nimmt man auch Yves Klein in den Kreis der ZERO Künstler hinein und zeigt einen Raum mit monochromen Bildern. Gemalt in seinem berühmten, intensiven Blau, aber auch frühe Werke in Orange oder ganz in Weiß. Daniel Moquay, verheiratet mit Yves Kleins Witwe Rotraut
"Wenn sie dieses weiße Bild sehen, mehr ZERO als das, geht doch nicht. Aber er hat noch mehr ZERO-Zeichen gesetzt – etwa indem er nicht figürlich gemalt. Es ging ihm nur um die Farbe."
Andere ZERO-Künstler befassen sich mit der Leinwand und dem, was man daraus machen kann, außer sie zu bemalen. Zerschlitzen zum Beispiel, wie der Italiener Lucio Fontana. Oder das Leinen in- und übereinander schieben, Muster hineinstanzen, Nägel hineintreiben. Das ist vor allem ein Faible von Günther Uecker – er machte die Arbeit mit dem Hammer statt dem Pinsel zu einer Art Markenzeichen. Manchmal versetzt Uecker diese Nagelformationen in Bewegung und baut kreisende Nagelmühlen, die er gern auch mal hinterleuchtet. Ein Spiel mit dem Licht, mit Schatten und Spiegelungen, das auch Heinz Mack gern spielt. Bei den von der Decke baumelnden Stäben eines Lichtgitters, aber auch im Lichtraum, den er 1964 gemeinsam mit Otto Piene und Günther Uecker für die Documenta 3 einrichtete – ein Raum voll kinetischer Apparaturen, voller Projektionen und Reflektionen.
"Was wäre das ganze Leben ohne Licht, ein Leben in Dunkelheit – das ist ja gar nicht vorstellbar. Es ist wesentliches Lebenselixier. Und es ist auch das wesentliche Element für die Kunst. Einmal hat die Farbe die Bedeutung, dass sie im Grunde Licht ist, denn wenn ich das Licht ausmache ist keine Farbe mehr da, dann ist das immateriell. Was ist bei der Skulptur zu sagen? Kein geringerer als Picasso etwa hat formuliert: Alles was eine Skulptur macht, spielt sich auf ihrer Oberfläche ab. Und was spielt sich auf der Oberfläche ab? Das ist das Licht, was der Skulptur ihren Glanz gibt und ihre Bedeutung."
Leuchtende Skulpturen, flackernde Konstruktionen, sie machen die Strahlkraft dieser Ausstellung aus - genauso wie die vielen unscheinbareren Dinge. Die kleinen Erhebungen auf einer sonst weißen Leinwand, die zum faszinierenden Zentrum eines Nichts werden. Die Streifen und Quadrate als Wandbemusterung, die das Auge des Betrachters mit vibrierenden Effekten verwirren. So entfaltet ZERO gerade in dieser Reduziertheit bis heute eine faszinierende Wirkung. Und es wundert nicht, dass sie in diesen Zeiten des Umbruchs und der Krise ein Revival erlebt. Es ist das Verdienst der Ausstellungsmacher, diese Faszination jenseits des Hypes zu vermitteln.
Mit einem Konzept, das klug die Ebene Null erkundet, das Leerräume schafft, verdichtet und so einen Blick zurück nach vorn ermöglicht. Den Blick auf eine Kunstrichtung, die aus dem Nichts Neues schöpfte.