Zerrissenes Land, zerrissene Gefühlswelt

Rezensiert von Carsten Hueck |
Róbert Hász stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien. In seinem satirischen neuen Roman "Für alle Ewigkeit" spiegelt der Autor in der Hauptfigur Livius die Geschichte und Zerrissenheit seiner Heimat wider. Zunächst folgt Livius als Soldat einem rätselhaften Befehl, der ihn an die Einöde kettet. Zum Schluss entschließt er sich zur Flucht und wagt einen Neuanfang.
Die Handlung des Romans beginnt in einer Weinlaube, einer engen, eingezäunten Idylle. Dort trifft Livius, die Hauptfigur, seine Jugendliebe Antonia. Zärtlich ist das Verhältnis der beiden geschildert, sinnlich ohne kitschig zu sein. Am Ende des Buches blickt Livius, inzwischen Leutnant und desertiert, auf das "sich ins Unendliche ausdehnende Meer".

Um vom kleinen, doch verminten Paradies ins Weite, Offene zu gelangen, braucht der Held im neuen Roman von Hász knapp dreihundert Seiten. "Für alle Ewigkeit" ist der zweite Roman des 1964 in der Voivodina, im ehemaligen Jugoslawien, geborenen Autors. Seine Heimat verließ er zu Beginn der 90er Jahre, als der Vielvölkerstaat zerfiel. Hász lebt seitdem im ungarischen Szeged.

"Für alle Ewigkeit" – im Original trägt das Buch den Titel "Végvár" ("Grenzfestung") ist ein satirischer Heimatroman ohne feste Topographie. Eine tiefgründige, melancholische Liebesgeschichte. Und eine beklemmende Parabel für die menschliche Existenz, atmosphärisch in deutlicher Nähe zu Kafkas "Das Schloß". Keine Stadt wird von Hász genannt, das Land bleibt unerwähnt. Doch legen die Namen der Figuren nahe, dass Schauplatz eine jugoslawische Teilrepublik ist, die sich im Kriegszustand mit ihrem Nachbarn befindet. Die mumifizierte Erscheinung eines weißuniformierten Marschalls ist eindeutig als Hommage an Tito zu verstehen.

Livius, Sohn eines pensionierten Geschichtsprofessors, bricht sein Studium ab und meldet sich freiwillig zum Militär. Er liebt Antonia, fühlt sich aber auch zu ihrer geheimnisvollen Halbschwester Cecil hingezogen. Zerrissen wie sein Heimatland ist seine Gefühlswelt. Zwei Wochen vor dem Ende des Wehrdienstes wird Leutnant Livius angewiesen, eine Nachricht in einen abgelegenen Grenzdistrikt zu bringen. Einen Routineauftrag, nimmt er an. Nach mühseliger Reise empfängt ihn der Befehlshaber einer abgelegenen Bergfestung. Und eröffnet dem Leutnant, dass die überbrachte Nachricht nichts weiter besagt, als dass Livius auf unabsehbare Zeit seinem Kommando unterstellt ist. Am Ende der Welt, fernab irgendeiner Zivilisation.

Der Schock ist groß, die Verwirrung wächst. Denn Livius bemerkt sehr schnell, dass in der Festung ein entspannter Schlendrian herrscht. Niemand außer dem befehlshabenden Oberst trägt eine Waffe, es gibt keinen erkennbaren militärischen Auftrag. Keinen Kontakt zur Außenwelt, kein Telefon, keine Post, keinen Besuch. Dafür aber ausgezeichnete Verpflegung und einen Meisterkoch, der jeden Morgen herrlichste Zutaten in der Küche vorfindet. Er will nicht wissen, woher sie kommen, aus Angst, die Versorgung dadurch zu gefährden.

Die Soldaten machen sich keine Gedanken über Sinn und Zweck ihres Daseins vor Ort. Sie kommen leidlich miteinander aus, simulieren Alltag, richten sich in der irrationalen Situation ein. Jegliches Zeitgefühl kommt ihnen abhanden. Livius stößt auf verschiedene Erklärungsmodelle für die absurde Situation: die einen begreifen sich als Auserwählte Gottes, andere sehen sich als Versuchskaninchen von Außerirdischen.

Der Oberst führt den Verlust des Realitäts- und Zeitgefühls auf Nervengasattacken unsichtbarer Feinde zurück. Auch Livius wird langsam eingelullt, versinkt in Erinnerungen. In der Bergfestung sind Traum und Realität kaum voneinander zu unterscheiden. Doch schließlich gelingt es Livius, hinter das Geheimnis dieses Ortes zu kommen. Er entschließt sich zu fliehen, um ein Leben, frei von Lügen und den Lasten der Vergangenheit zu leben.

Hász spiegelt in der Entwicklung des Leutnants geschickt und vielfältig die Geschichte Jugoslawiens wider. Ob Livius tatsächlich ein Neuanfang gelingt, bleibt offen.


Róbert Hász: Für alle Ewigkeit
Aus dem Ungarischen übersetzt von Christina Kunze.
Verlag Klett-Cotta.
288 Seiten. 19,50 Euro.