Zerstören und imitieren
Barbaren - das waren in der Antike für die Griechen alle Nicht-Griechen. Die Römer übernahmen diese Unterscheidung. Doch bis heute verbindet sich mit dem Wort "Barbaren" das Bild von unzivilisierten, rauen, gewalttätigen Völkern. Dabei versuchten die zahlreichen Angreifer Roms, die römische Kultur und Zivilisation zu imitieren, wie jetzt die Ausstellung "Rom und die Barbaren" in Venedig zeigt.
Jean-Jacques Aillagon: "Diese Ausstellung deckt eintausend Jahre Geschichte ab. Das ist vor allem dann ein sehr langer Zeitraum, wenn in diesen tausend Jahren ein Weltreich untergeht und neue Reiche entstehen. Behandelt wird der Zeitraum vom ersten Jahrhundert vor bis zum neunten Jahrhundert nach Christus. Da ist sehr viel geschehen in Europa. Das alte römische Reich brach vollkommen auseinander."
Jean-Jacques Aillagon ist seit einigen Monaten oberster Chef von Versailles. Doch bevor er noch von Jacques Chirac auf den Posten des Generaldirektors des größten Schlosses von Europa berufen wurde, organisierte der französische Kunsthistoriker, bis vor kurzem Direktor des Palazzo Grassi in Venedig, eine Mega-Ausstellung. Die Zahlen sprechen für sich: Um die Kultur der sogenannten Barbaren auf 300 Quadratmetern Ausstellungsfläche vorzustellen, wurden rund 1.700 Exponate aus 24 Ländern und zirka 200 Museen und Sammlungen zusammengeliehen, darunter Skulpturen, Waffen, Grabschmuck, Reliefs, Münzen und so weiter. Der Versicherungswert beläuft sich auf mehrere hundert Millionen Euro.
Jean-Jacques Aillagon: "Die Völkerbewegungen, die schon vor dem Untergangs Roms im Jahr 476 begannen, führten zur Bildung der europäischen Identität. Ein wunderbares Thema, um im Palazzo Grassi, der ja heute dem französischen Milliardär und Sammler zeitgenössischer Kunst, Francois Pinault, gehört, wieder eine prächtige Kunstschau zu zeigen. Wie zu den Zeiten, als der Palazzo FIAT gehörte und die hier organisierten Ausstellungen international für Aufsehen sorgten. Das Interessante an dieser Ausstellung? Die Völker, die immer wieder als Barbaren bezeichnet werden, orientierten sich an der römischen Hochkultur."
Das wird gleich zu Beginn der Ausstellung deutlich. Am Anfang des Besichtigungs-Parcours wird der Besucher darüber aufgeklärt, dass die nichtrömischen Völker, Barbaren genannt, Rom zwar erobern wollten, aber seine hoch entwickelte Kultur verehrten und imitierten. Das wird klar, wenn man sich den in der Ausstellung komplett gezeigten Grabschatz eines Makromannischen Fürsten anschaut, der im Gebiet zwischen Elbe und Oder lebte, also weit jenseits des Limes, der nach antikem Verständnis die zivilisierte von der barbarischen Welt trennte: Der Goldschmuck orientiert sich in Form und Dekoration eindeutig an römischen Vorbildern. Auch der Hildesheimer Schatz zeigt, wie sich die sogenannten Barbaren vom römischen Geschmack beeinflussen ließen.
Bei dem Wort Barbaren denkt man immer noch an unzivilisierte Völker, die nur Tod und Zerstörung brachten und Rom plünderten - wie es der westgotische König Alarich im Jahr 410 tat. Der heilige Augustinus beschwor den Fall der Welthauptstadt als das Ende der menschlichen Geschichte überhaupt, weiß der Althistoriker Adriano La Regina:
"Man muss sich vergegenwärtigen, dass wir noch heute die Barbaren genannten Völker im schlechten Licht ihrer antiken Gegner sehen. Als Barbaren bezeichneten die Griechen ursprünglich alle Nichtgriechen, deren Sprache ihnen unverständlich und rau tönend vorkam. Daraus entwickelte sich der verächtliche Nebensinn des Rohen, Ungebildeten. Barbaren, das waren die Anderen, die Fremden."
Die Römer, das erklärt die Ausstellung, nannten sich anfangs selbst noch Barbaren, wie man es bei dem Dichter Plautus nachlesen kann. Das änderte sich erst dann, als griechische Sprache und Bildung in Italien Mode wurden.
In hellenistischer Zeit galten als Barbaren alle Völker, die von der griechisch-römischen Bildung unbeeinflusst waren oder dieses Kulturniveau noch nicht erreicht hatten - zum Beispiel die Germanen, die nach den Vorstellungen der Römer in Fellen bekleidet in tiefen Wäldern jenseits des Limes hausten. Interessant ist, und eine eigene Ausstellungssektion nimmt sich dieses Themas an, dass die christlichen Byzantiner wie auch die christlichen Westeuropäer das Wort Barbaren gleichbedeutend für Ungläubige nutzten.
Adriano La Regina: "Die Ausstellung zeigt eine Vielzahl antiker Monumente, darunter Sarkophage und Reliefs, auf denen die Barbaren als bebartete wilde Männer zu sehen sind. Die alten Römer unterschieden nicht zwischen Kelten und Hunnen, zwischen Goten, Germanen, Alanen und den vielen anderen Völkern, die politisch und militärisch den Untergang des römischen Reiches herbeiführten."
Beim Gang durch die barocken Säle des Palazzo Grassi, der sich direkt am Canal Grande erhebt, fällt auf, dass alle vermeintlich barbarischen Völker Rom als Vorbild begriffen - nicht nur im Schmuckdesign und in seiner Prachtentfaltung. In der Kunstschau werden zwei Persönlichkeiten gegenüber gestellt, die in Bildung und Kultur unterschiedlicher nicht sein können: der römische Kaiser Marc Aurel, ein Intellektueller auf dem Thron, dargestellt in einer prächtigen Büste aus purem Gold, und Karl der Große. Ein Mann, der so gut wie gar nicht lesen und schreiben konnte, der aber von der Idee einer Wiedergeburt des römischen Reiches als christliche Nation besessen war - und dabei das antike Staatsvorbild klar vor Augen hatte.
Rom, das antike Weltreich, seine Pracht und Kultur, das ist das Fazit der großen Kulturausstellung in Venedig, war den nichtrömischen Völkern politischer Gegner und kulturelles Vorbild in einem. Das beste Beispiel dafür sind die vermeintlich barbarischen Westgoten: Sie ließen sich in Norditalien nieder, übernahmen nahezu komplett die römische Kultur und gaben sich wie Römer. Nur auf ihre wilden Bärte, die für die Bürger des untergegangenen Reiches ein Unding waren, wollten sie nicht verzichten.
Service:
Die Ausstellung "Rom und die Barbaren" ist noch bis zum 20. Juli 2008 im Palazzo Grassi in Venedig zu sehen.
Jean-Jacques Aillagon ist seit einigen Monaten oberster Chef von Versailles. Doch bevor er noch von Jacques Chirac auf den Posten des Generaldirektors des größten Schlosses von Europa berufen wurde, organisierte der französische Kunsthistoriker, bis vor kurzem Direktor des Palazzo Grassi in Venedig, eine Mega-Ausstellung. Die Zahlen sprechen für sich: Um die Kultur der sogenannten Barbaren auf 300 Quadratmetern Ausstellungsfläche vorzustellen, wurden rund 1.700 Exponate aus 24 Ländern und zirka 200 Museen und Sammlungen zusammengeliehen, darunter Skulpturen, Waffen, Grabschmuck, Reliefs, Münzen und so weiter. Der Versicherungswert beläuft sich auf mehrere hundert Millionen Euro.
Jean-Jacques Aillagon: "Die Völkerbewegungen, die schon vor dem Untergangs Roms im Jahr 476 begannen, führten zur Bildung der europäischen Identität. Ein wunderbares Thema, um im Palazzo Grassi, der ja heute dem französischen Milliardär und Sammler zeitgenössischer Kunst, Francois Pinault, gehört, wieder eine prächtige Kunstschau zu zeigen. Wie zu den Zeiten, als der Palazzo FIAT gehörte und die hier organisierten Ausstellungen international für Aufsehen sorgten. Das Interessante an dieser Ausstellung? Die Völker, die immer wieder als Barbaren bezeichnet werden, orientierten sich an der römischen Hochkultur."
Das wird gleich zu Beginn der Ausstellung deutlich. Am Anfang des Besichtigungs-Parcours wird der Besucher darüber aufgeklärt, dass die nichtrömischen Völker, Barbaren genannt, Rom zwar erobern wollten, aber seine hoch entwickelte Kultur verehrten und imitierten. Das wird klar, wenn man sich den in der Ausstellung komplett gezeigten Grabschatz eines Makromannischen Fürsten anschaut, der im Gebiet zwischen Elbe und Oder lebte, also weit jenseits des Limes, der nach antikem Verständnis die zivilisierte von der barbarischen Welt trennte: Der Goldschmuck orientiert sich in Form und Dekoration eindeutig an römischen Vorbildern. Auch der Hildesheimer Schatz zeigt, wie sich die sogenannten Barbaren vom römischen Geschmack beeinflussen ließen.
Bei dem Wort Barbaren denkt man immer noch an unzivilisierte Völker, die nur Tod und Zerstörung brachten und Rom plünderten - wie es der westgotische König Alarich im Jahr 410 tat. Der heilige Augustinus beschwor den Fall der Welthauptstadt als das Ende der menschlichen Geschichte überhaupt, weiß der Althistoriker Adriano La Regina:
"Man muss sich vergegenwärtigen, dass wir noch heute die Barbaren genannten Völker im schlechten Licht ihrer antiken Gegner sehen. Als Barbaren bezeichneten die Griechen ursprünglich alle Nichtgriechen, deren Sprache ihnen unverständlich und rau tönend vorkam. Daraus entwickelte sich der verächtliche Nebensinn des Rohen, Ungebildeten. Barbaren, das waren die Anderen, die Fremden."
Die Römer, das erklärt die Ausstellung, nannten sich anfangs selbst noch Barbaren, wie man es bei dem Dichter Plautus nachlesen kann. Das änderte sich erst dann, als griechische Sprache und Bildung in Italien Mode wurden.
In hellenistischer Zeit galten als Barbaren alle Völker, die von der griechisch-römischen Bildung unbeeinflusst waren oder dieses Kulturniveau noch nicht erreicht hatten - zum Beispiel die Germanen, die nach den Vorstellungen der Römer in Fellen bekleidet in tiefen Wäldern jenseits des Limes hausten. Interessant ist, und eine eigene Ausstellungssektion nimmt sich dieses Themas an, dass die christlichen Byzantiner wie auch die christlichen Westeuropäer das Wort Barbaren gleichbedeutend für Ungläubige nutzten.
Adriano La Regina: "Die Ausstellung zeigt eine Vielzahl antiker Monumente, darunter Sarkophage und Reliefs, auf denen die Barbaren als bebartete wilde Männer zu sehen sind. Die alten Römer unterschieden nicht zwischen Kelten und Hunnen, zwischen Goten, Germanen, Alanen und den vielen anderen Völkern, die politisch und militärisch den Untergang des römischen Reiches herbeiführten."
Beim Gang durch die barocken Säle des Palazzo Grassi, der sich direkt am Canal Grande erhebt, fällt auf, dass alle vermeintlich barbarischen Völker Rom als Vorbild begriffen - nicht nur im Schmuckdesign und in seiner Prachtentfaltung. In der Kunstschau werden zwei Persönlichkeiten gegenüber gestellt, die in Bildung und Kultur unterschiedlicher nicht sein können: der römische Kaiser Marc Aurel, ein Intellektueller auf dem Thron, dargestellt in einer prächtigen Büste aus purem Gold, und Karl der Große. Ein Mann, der so gut wie gar nicht lesen und schreiben konnte, der aber von der Idee einer Wiedergeburt des römischen Reiches als christliche Nation besessen war - und dabei das antike Staatsvorbild klar vor Augen hatte.
Rom, das antike Weltreich, seine Pracht und Kultur, das ist das Fazit der großen Kulturausstellung in Venedig, war den nichtrömischen Völkern politischer Gegner und kulturelles Vorbild in einem. Das beste Beispiel dafür sind die vermeintlich barbarischen Westgoten: Sie ließen sich in Norditalien nieder, übernahmen nahezu komplett die römische Kultur und gaben sich wie Römer. Nur auf ihre wilden Bärte, die für die Bürger des untergegangenen Reiches ein Unding waren, wollten sie nicht verzichten.
Service:
Die Ausstellung "Rom und die Barbaren" ist noch bis zum 20. Juli 2008 im Palazzo Grassi in Venedig zu sehen.