Zerstörte Filmträume

Von Katja Weber |
Mehr als 50 Jahre sind vergangen, seit die damals 29-jährige Schwedin Anita Ekberg in Fellinis "La Dolce Vita" Marcello Mastroianni den Kopf verdreht hat – tanzend im Trevi-Brunnen. Jetzt war die ehemalige Sexgöttin auf dem Talent Campus der Berlinale, um dem Filmnachwuchs aus ihrem Leben zu erzählen.
Anita Ekbergs Haar ist noch immer lang und sehr sehr blond, ihre früher schon raue Stimme ist mittlerweile recht dunkel. Die 82-Jährige trägt einen klassischen, schwarzen Anzug, ein schwarzes Shirt und bequeme Schuhe – allerdings welche mit Absatz, so viel Divenhaftigkeit muss sein. Die Bühne betritt sie am Arm des Moderators, sie hat ihre Krücke dabei, wegen der Probleme mit der Hüfte.

Trotzdem: Sie hat sichtlich Spaß daran, in ihrem Anekdotenschatz zu kramen und dies und das rauszuholen. Und: Erfreulicherweise reagiert sie überhaupt nicht genervt auf Fragen nach den Dreharbeiten mit Frederico Fellini und Marcello Mastroianni. Wer befürchtet hatte, sie würde solche Fragen nach dem Motto: "Fellini, schön und gut, aber ich hab doch noch so viele andere Filme gemacht!" Aber ganz im Gegenteil: Anita Ekberg steuert von Anfang an beharrlich auf "La Dolce Vita" und die Szene im Trevi-Brunnen zu, die Szene, die sie berühmt gemacht hat. Sie berichtet, wie Fellini Ende der 50er-Jahre auf sie aufmerksam wurde, als sie gerade für Dreharbeiten in Rom war:

"”Ich hatte ein Mercedes Cabriolet, mein Haar flatterte beim Fahren. Und er sah mich rumfahren.""

Fellini habe sie gesehen, aufgespürt und unbedingt mit ihr arbeiten wollen. Sie wollte das Skript sehen, sagt sie, aber er hätte keins gehabt. Die Dialoge würden eben beim Dreh entstehen. Er habe sie bekniet, ihr Blumen geschenkt und am Ende war sie dabei – obwohl die Blumen schon welk gewesen seien. Solche Spitzen oder vielleicht auch Legenden erzählt sie am laufenden Meter. Auch zur wichtigsten Szene von "La Dolce Vita" – der Szene am Trevi-Brunnen. Erinnern wir uns:

Anita Ekberg schlendert in der Rolle des Filmstars Sylvia mitten in der Nacht durch römische Gässchen, sieht den Brunnen und ist – ganz Naturkind – vollkommen verzaubert von ihm. In ihrem atemberaubenden schwarzen Abendkleid mit enger Korsage, die Schultern und Rücken freilässt, stürzt sie sich in die Fluten. Ihr Oberkörper ist einfach enorm: extrem schmale Taille, Wahnsinnsbüste, unglaubliche Statik! Sie lockt den ungläubig am Rand stehenden Marcello zu sich.

Hier ruft Eva, das ewige Weib, die Fluten rauschen, Marcello wird magisch zu ihr gezogen, sie macht eine Geste, als ob sie ihn tauft, er betet sie an – eine heiße Szene, sehr erotisch. Wer aber gehört hat, was Anita Ekberg heute zu den Dreharbeiten zu berichten hatte, wird sie nie mehr so sehen können. Die Dreharbeiten waren wohl alles andere als heiß:

"Wir haben im Januar gedreht. Und Marcello hatte solche Angst davor ins Wasser zu gehen – und zwar zu Recht, es war eiskalt! Also hat er mindestens eine Flasche Wodka getrunken."

Mastroianni sei dann so voll gewesen, dass er der Länge nach ins Wasser gefallen sei. Und zwar nicht nur einmal.

Empört reckt Anita Ekberg beim Erzählen drei Finger der linken Hand nach oben. Zum Schluss sei dann selbst der Regisseur ungeduldig geworden:

"”Fellini sagte: Wirst du wohl deinen Arsch hierher bewegen?!""

Bei der Veranstaltung heute im Hebbel am Ufer wird die Szene gezeigt, nachdem Anita Ekberg von den frostigen Dreharbeiten erzählt hat – und sofort sehen die Zuschauer Mastroianni nicht mehr im Rausch der Hormone, sondern schlicht total betrunken. Und Ekberg ist keine Wassernymphe mehr, sondern schockgefrostet unter der Fontäne. Wir lernen: Die Berlinale schafft nicht nur Filmträume – sie zerstört sie auch.