Das kann auch in Deutschland passieren
Nach der Brandkatastrophe im Nationalmuseum von Rio de Janeiro mahnt der Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, Markus Hilgert, auch in Deutschland für den Fall möglicher Unglücke vorzubeugen und Kulturgüter besser zu schützen. Arroganz sei fehl am Platz.
Große Teile des 200 Jahre alten Nationalmuseums und seines Archivs in Rio de Janeiro sind am vergangen Sonntag durch ein Feuer zerstört worden. Die Sammlung des Nationalmuseums umfasste mehr als 20 Millionen Objekte von unschätzbarem Wert. Zu ihnen zählten unter anderem der größte je in Brasilien entdeckte Meteorit, der älteste menschliche Schädel Amerikas (12.000 Jahre alt), das erste komplette Dinosaurier-Fossil Brasiliens, eine Sammlung griechischer, etruskischer Vasen und ägyptischer Mumien sowie eine wertvolle wissenschaftliche Bibliothek. Das meiste davon dürfte zerstört worden sein.
Vorbeugung ist wichtig
Der Verlust sei eine Katastrophe für Brasilien, sagte Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder im Deutschlandfunk Kultur. Der frühere Direktor des Vorderasiatischen Museums im Berliner Pergamonmuseum engagiert sich in zahlreichen Institutionen, die sich dem Schutz von Kulturgütern in Kriegen, Krisen und Katstrophen verschrieben haben und ist unter anderem Mitglied im Disaster Risk Management Committee des Internationalen Museumsrates ICOM. Er glaube, dass man Katastrophen nicht verhindern könne, aber deren Folgen abmildern könne.
Im Fall von Rio de Janeiro sei bekannt gewesen, dass es Defizite beim Brandschutz gegeben habe und die verlorenen Objekte seien nicht ausreichend dokumentiert gewesen. "Man lernt an einem solchen Fall, was man tun sollte und hätte tun sollen, um die Folgen einer solchen Katastrophe nach Möglichkeit zu mindern." Es gebe in Deutschland anlässlich des Brandes in Rio de Janeiro keinen Grund für Arroganz, sagte Hilgert. Er empfiehlt stattdessen, sich auf mögliche Unglücke auch hierzulande vorzubereiten. (gem)
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Der Brand im Nationalmuseum in Rio de Janeiro hat fast den kompletten Bestand des Hauses zerstört. Im Moment besagen erste Schätzungen, dass maximal zehn Prozent noch in einem Zustand sind, in dem sie gerettet werden können. Nicht unwichtig ist, dass man das besonders genau nicht weiß, weil es auch Probleme mit der Dokumentation gibt. Was man auch noch nicht weiß, aber was immer eindeutiger erscheint, ist, dass das eine Katastrophe war, die durchaus verhinderbar gewesen wäre.
Deshalb ist natürlich längst Streit entbrannt in Brasilien und deshalb sind viele Menschen dort auch sehr wütend. Wir wollen diesen Fall zum Anlass nehmen, um über die Sicherheit unserer Kulturgüter und das, was man dafür tun kann, mit Markus Hilgert zu reden. Er ist der Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, war zuvor viele Jahre Direktor des vorderasiatischen Museums im Berliner Pergamon-Museum, und er ist – was in diesem Zusammenhang wichtig ist – unter anderem auch Mitglied im Komitee für Katastrophenrisikomanagement des Internationalen Museumsrates ICOM. Schönen guten Morgen, Herr Hilgert!
Markus Hilgert: Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Ich habe es gesagt, in Brasilien sind viele Menschen aus dem Kulturbereich, aber auch ganz normale Bürger, sehr, sehr wütend. Macht Sie das auch wütend, was in Rio passiert ist?
Hilgert: Mich macht das vor allen Dingen traurig, weil der Verlust dieses Museums, der Verlust der Objekte für das Land, für die Menschen im Land wirklich eine Katastrophe ist. Und man fragt sich natürlich immer, hätte man das verhindern können? Und ich bin mir nicht sicher, ob man wirkliche Katastrophen verhindern kann, aber man kann natürlich die Folgen der Katastrophen verhindern.
Ich glaube, dass im Falle von Rio de Janeiro bekannt gewesen ist, dass es Defizite beim Brandschutz gegeben hat. Es stellt sich jetzt heraus, dass es ganz offensichtlich keine umfängliche Dokumentation der Objekte gegeben hat, das ist bei 20 Millionen Objekten auch wirklich schwierig. Aber man lernt an einem solchen Fall, was man tun sollte oder hätte tun sollen, um die Folgen einer solchen Katastrophe nach Möglichkeit zu mindern.
Notfallpläne sind wichtig
Kassel: Es stellt sich natürlich aber die Frage, könnte so etwas auch bei uns passieren? Als arroganter Europäer denke ich natürlich, na ja, gut, ich will niemandem was Böses antun, es war Brasilien, bei uns ist alles ganz anders. Aber ist auch alles viel besser?
Hilgert: Ich glaube, es gibt keinen Anlass zur Arroganz. Ich glaube, dass in einem Land wie Deutschland, in dem es so viele kulturbewahrende Einrichtungen gibt, die nicht nur in der Verantwortung der Länder oder des Bundes liegen, sondern die auch in kommunaler Trägerschaft sind, dass in einem solchen Land es absolut notwendig ist, über Notfallpläne, Notfallmaßnahmen nachzudenken, dass es wichtig ist, sich darauf vorzubereiten, dass eine solche Katastrophe immer eintreten kann.
Und ich glaube, dass auch in Deutschland, obwohl wir sehr hohe Brandschutzstandards haben, nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zu einer Havarie kommt. Wir können Naturkatastrophen nicht ausschließen und deswegen wünsche ich mir eigentlich ein sehr viel stärkeres Bewusstsein für die Notwendigkeit von Notfallplänen und Notfallmaßnahmen. Es gibt in Deutschland seit einigen Jahren die Notfallverbünde, wo kulturbewahrende Einrichtungen zusammen mit den Trägern, dem Katastrophenschutz und den Feuerwehren zusammenarbeiten, um wirklich auch für den Katastrophenfall gerüstet zu sein.
Kassel: Es hat zwei große Katastrophen in Museen beziehungsweise Archiven gegeben, den Brand in der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar und den Einsturz des Kölner Stadtarchives. Da habe ich sofort gesagt, als wir uns vorher schon darüber unterhalten haben, na gut, der Bau einer U-Bahn und so ein Unglück, das kann niemand vorhersehen, da kann man jetzt sagen, das ist schlimm, aber niemand hat Fehler gemacht – auf Seiten der Kultur, ich meine jetzt nicht die Kölner Stadtverwaltung. Und Sie haben ja schon gesagt, das sehen Sie auch nicht ganz so, also auch selbst auf so eine unwahrscheinliche Katastrophe kann man sich besser vorbereiten, als es der Fall war?
Hilgert: Natürlich. Man kann immer versuchen, die Risiken zu minimieren. Das kann baulich geschehen, das kann in der Unterbringung von Objekten geschehen. Magazinierung ist ein wichtiges Thema, welche Art von Schränken verwendet man, es gibt feuerfeste Schränke, es gibt sicher auch bauliche Maßnahmen, die im Falle eines Erdbebens beispielsweise verhindern können, dass ganze Objektbestände ausgelöscht werden.
Aber grundsätzlich ist es tatsächlich so: Man kann Katastrophen nicht verhindern, man muss davon ausgehen, dass so etwas passieren kann, und man muss ja auch davon ausgehen, das nicht immer Friede herrscht. Das heißt, wir sollten auch vorbereitet sein auf Krisensituationen, die durch soziale Unruhen oder eben militärische Konflikte entstehen. Deswegen sind Bergungsorte so wichtig, deswegen sind Evakuierungspläne so wichtig und deswegen ist es auch wichtig, eine Priorisierung vorzunehmen, was wollen wir im Katastrophenfall wirklich unbedingt physisch schützen und wo reicht uns beispielsweise eine digitale Dokumentation.
Fehlendes Risikobewusstsein
Kassel: Aber wenn Sie sagen, auch Dinge, die gemacht werden können, werden auch manchmal nicht gemacht, auch in Deutschland nicht. Von feuerfesten Schränken bis zu anderen Fällen, die Sie zum Teil erwähnt haben. Liegt das nur am Geld oder liegt es auch an einem mangelnden Risikobewusstsein?
Hilgert: Ich glaube, es liegt an beidem. Ich glaube in der Tat, dass vielfach ein Risikobewusstsein fehlt. Wir leben in einem Land, das vergleichsweise sicher ist, wir leben in einem Land, das nicht sehr häufig von großen, universalen Naturkatastrophen heimgesucht wird und wir leben seit 70 Jahren im Frieden. Das hat meines Erachtens auch dazu geführt, dass man etwas behäbig geworden ist, was diesen Bereich angeht, deswegen plädiere ich sehr dafür, dass man sich dieses Thema stärker anschaut, dass man zum Beispiel die Bemühungen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in diesem Bereich ernst nimmt und unterstützt.
Und dass man aber auch auf lokaler Ebene zivilgesellschaftlich versucht, entsprechende Maßnahmen vorzubereiten. Wir haben so oft über Palmyra gesprochen in den letzten Jahren, was da an Evakuierungsmaßnahmen vor dem Angriff des Islamischen Staates stattgefunden hat, hat auf der Grundlage solcher Notfallpläne stattgefunden, in die die Zivilbevölkerung einbezogen gewesen ist, und ich glaube, das sind Modelle, von denen wir lernen können. Und wenn es etwas Gutes zu lernen gibt aus einer solchen Katastrophe, dann ist es das, dass es gut ist, sich vorzubereiten, vorbereitet zu sein, damit man eben keinen Vollverlust von Kulturgütern erfährt, die für die kulturelle Identität eines Landes und einer Gesellschaft so entscheidend sind.
Kassel: Aber hat in Rio auch die internationale Gemeinschaft versagt? Ist es eine internationale Aufgabe, auch solche Kulturgüter zu schützen, wie die, die da verloren gegangen sind?
Hilgert: Es ist zunächst einmal eine nationale Aufgabe, denn diese Kulturgüter sind nationale Kulturgüter und befinden sich deswegen in der Verantwortlichkeit des jeweiligen Staates. Ich glaube, jetzt kommt es darauf an, dass die internationale Gemeinschaft, dass Netzwerke wie der Internationale Museumsrat bereitstehen, um zu helfen.
Denn gerade jetzt, in den ersten Stunden, in den ersten Tagen nach der Katastrophe muss sehr viel gemacht werden, die Objekte müssen numeriert werden, müssen dokumentiert werden. Ich hoffe sehr, dass die Kolleginnen und Kollegen in Brasilien uns dann auch sagen, wie wir helfen können und was konkret getan werden kann.
Dialog auf Augenhöhe
Kassel: Wir haben tatsächlich. unter anderem wir beide, aber auch ganz allgemein ist viel gesprochen worden über Palmyra in den letzten Jahren, das haben Sie erwähnt. Unter anderem auch wir beide und andere haben sehr viel gesprochen über Restitution in den letzten Jahren. Wie formuliere ich das jetzt, ohne dass es zu arrogant klingt, aber man stellt sich doch auch die Frage, wenn es darum geht, was geben europäische Museen zurück an die Länder, aus denen die Werke jeweils stammen, die Objekte. Kann man nicht in Zukunft vielleicht auch damit argumentieren, na ja, in Europa sind sie aber sicherer als anderswo?
Hilgert: Um Gottes willen, das würde ich nie sagen, weil das ja eine Art von neokolonialer Arroganz ist, die wir ja versuchen zu überwinden. Ich glaube, dass man die mögliche Rückgabe von Objekten nicht an das Argument knüpfen kann, dort kann man nicht für die Objekte sorgen. Das ist ja ein Argument, was beispielsweise auch immer wieder im illegalen Handel mit Kulturgütern genannt wird, was ich für wirklich dumm und arrogant halte.
Nein, entscheidend ist, glaube ich, dass wir dafür sorgen, dass in den Ländern, in die wir möglicherweise Objekte zurückgeben, Infrastrukturen museal, archival vorhanden sind, die es uns erlauben oder die es den Ländern vor Ort erlauben, diese Objekte entsprechend zu schützen, aber auch zu vermitteln. Ich glaube, das ist unsere große Aufgabe, wenn wir über die Bearbeitung unseres gemeinsamen kolonialen Erbes sprechen, dass wir dafür sorgen, dass dieser Dialog auf Augenhöhe dazu führt, dass es wirklich zu einem Teilen von Kulturerbe kommt. Und das heißt eben auch das Teilen der Infrastrukturen, der Instrumente, die notwendig sind, um zu vermitteln und eben wirklich auch dafür zu sorgen, dass die Menschen vor Ort an diesem Kulturerbe teilhaben können.
Kassel: Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, relativ frisch gebackener noch, vielen Dank für Ihren Besuch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.