Zerstörtes Kulturerbe in Syrien

Jähes Ende einer 1000-jährigen Blütezeit

Die größtenteils zerstörte Altstadt von Aleppo nach dem 22. Oktober 2014.
Die größtenteils zerstörte Altstadt von Aleppo nach dem 22. Oktober 2014. © Uno/Unitar
Von Klaus Englert · 06.02.2015
Das Berliner Architekturforum Aedes lädt heute zu einer Tagung, um über Strategien für den Wiederaufbau der Altstadt von Aleppo zu beraten. Nicht das einzige gefährdete Weltkulturerbe in Syrien, das unser Interesse verdient, meint der Architekturkritiker Klaus Englert.
Das antike Apameia war einst eine der größten Städte der Menschheit. Hier lebten 500.000 Menschen, darunter 117.000 freie Männer, wie der römische Statthalter in der Spätantike schrieb. Die nordsyrische Stadt, eine Wiege west-östlicher Zivilisation, war von den unterschiedlichsten Kulturen geprägt.
Anfangs wurde Apameia vom griechischen Feldherrn Alexander dem Großen erobert, danach ins Seleukidenreich einverleibt. Die meisten Spuren finden sich aus der Zeit römischer Kolonialherrschaft: Denn immerhin 500 Jahre lang stand die syrische Großstadt unter römischem Einfluss.
Aber auch die Byzantiner und die nachfolgenden persischen Sassaniden haben die Entwicklung von Apameia beeinflusst. Insgesamt war es eine lange, sehr lange Geschichte, die Apameia bis zum Beginn der muslimischen Herrschaft seit dem 7. Jahrhundert prägte.
Erst seit den 30er- und verstärkt seit den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts interessierten sich westliche Archäologen für die einst blühende Metropole. Doch diese Zeit ist vorbei. Noch vor drei Jahren forschten mehr als 100 ausländische und viele syrische Ausgrabungsteams in Nordsyrien. Entlang der zwei Kilometer langen römischen Säulenstraße Apameias legte man Schicht um Schicht frei, um der Stadt ihre Geheimnisse zu entlocken.
Unter langer, mühevoller Arbeit wurden römische Tempel und Bäder, Paläste und Kirchenbauten, Aquädukte und Stadtmauern, ein großes Theater und eine Agora vom Staub der Geschichte befreit, ebenso eine seleukidische Zitadelle und eine ottomanische Moschee.
Freies Schussfeld für die Panzer
Doch die Baudenkmäler Apameias, die von der 1000-jährigen kulturellen Blütezeit künden, sind jäh bedroht. Syrische Panzer wurden auf einem Hügel in Stellung gebracht. Granaten flogen über das Ruinenfeld und schlugen in der Zitadelle ein. Bulldozer brachen Öffnungen in die Mauern, um freies Schussfeld für die Panzer zu schaffen.
Nach den Verwüstungen durch die syrische Armee veröffentlichte die UNO Ende 2014 eine Untersuchung der syrischen Weltkulturerbestätten, gestützt auf Satellitenbilder. Allein in Apameia konnten die Forscher elf stark beschädigte Baudenkmäler ausmachen. Es ist zu befürchten, dass Gemäuer aus drei Jahrtausenden unwiederbringlich zerstört sind.
In Sekunden wird ein Kulturerbe zerschossen, für dessen Aufbau viele Generationen gearbeitet haben. Bewaffnete, organisierte Banden tun das übrige, indem sie nach unentdeckten Schätzen graben und das Raubgut im Ausland verscherbeln. Auf den Satellitenbildern sind große Raubgrabungslöcher erkennbar, der Boden Apameias ist durchlöchert wie ein Sieb.
Vernehmbarer Protestschrei
Als die Taliban im März 2001 die 2.500 Jahre alten Buddha-Statuen im afghanischen Bamiyan sprengten, ging durch die internationalen Medien ein allseits vernehmbarer Protestschrei. Heute sind nicht zwei Buddha-Statuen bedroht, heute sind im Kernland Assyrien 1800 archäologische Stätten von Kriegshandlungen direkt betroffen. Stätten, die von den wissenschaftlichen und künstlerischen Errungenschaften unserer Zivilisation künden.
Ist in diesen Tagen ein ähnlicher Protestschrei zu hören? Fehlanzeige. Die Medien berichten lieber von den technologischen Wunderdingen aus Silicon Valley, von Windows 10, von den allerneuesten i-Phones und Apps, von der angeblichen Revolution der Welt durch Larry Page.
Eines steht fest: Es wird die Arbeit künftiger Generationen von Forschern und Architekten bedürfen, um zu heilen, was noch zu heilen ist. Sie werden die Arbeit fortsetzen, die andernorts schon längst begonnen hat, in den ehemaligen Kriegszonen von Kabul (Afghanistan), Prishtina (Kosovo), Mostar (Herzegowina) oder Birzeit (Palaestina). Ob das eine Meldung in den Medien wert sein wird, steht in den Sternen.
Klaus Englert, Architekturkritiker, schreibt für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und den Hörfunk.
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Klaus Englert© privat
Er war Kurator der Ausstellung "Architektenstreit. Brüche und Kontinuitäten beim Wiederaufbau in Düsseldorf" (Stadtmuseum Düsseldorf) und der Wanderausstellung von "Neue Museen in Spanien".
Klaus Englert veröffentlichte die Bücher "Jacques Derrida" und "New Museums in Spain".
Informationen des Architekturforums Aedes zur Fachtagung "Die Altstadt von Aleppo − Strategien für den Wiederaufbau" am 6.2.2015 in Berlin
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