IS will "geschichtlich befreiten Raum" schaffen
Die Terrororganisation IS hat in der alten Königsstadt Nimrud im Nordirak gewütet. "Unersetzlich" sei das Kulturgut, das dabei zerstört wurde, sagt der Berliner Archäologe Reinhard Bernbeck. Und mit dem Kulturgut solle auch die Vergangenheit verschwinden.
Reinhard Bernbeck, Archäologe und Vorderasien-Experte an der Freien Universität Berlin, wertet die Zerstörungen von antiken Statuen im irakischen Nimrud als "unersetzlichen Verlust".
Im Deutschlandradio Kultur sagte der Forscher über den Kulturvandalismus durch die Terrororganisation IS: Erst dadurch, dass kulturhistorisch bedeutende Stätten wie die alte Königsstadt Nimrud speziell in der westlichen Welt "mit spezifischen Werten aufgeladen" worden seien, sei ihre Zerstörung für den IS lohnend geworden.
Den Westen gezielt treffen
Im Irak würden regelrechte "Rekrutierungsvideos" kursieren, in denen es darum gehe, den Akt der Zerstörung als etwas Attraktives erscheinen zu lassen. "Hier wird versucht – in Nordost-Syrien und Nordirak – fast die gesamte Vergangenheit, die dort kulturell vorhanden ist, offensichtlich zu zerstören, um einen geschichtlich völlig befreiten Raum zu haben, auf dem man etwas anderes aufbauen kann."
Mit Blick auf die schon länger zurückliegende Zerstörung der Buddha-Figuren durch die Taliban in Afghanistan sagte Bernbeck: "Man kann davon ausgehen, dass das ein Akt war, der eindeutig gegen den Westen gerichtet war. Denn es gab damals aus, ich glaube, New York Bestrebungen, diese Statuen zu kaufen von den Taliban."
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Sie haben es auch in den Nachrichten gehört, was gestern wieder im Irak passiert ist, dass mit Bulldozern IS-Truppen über die antike Stadt Nimrud gerollt sind und diese antiken Stätten einfach plattgewalzt haben. Nicht zum ersten Mal und nicht nur im Irak, dass solche unersätzlichen Kulturschätze, teilweise Jahrtausende alt, einfach vernichtet werden. Und auch wir fragen uns auch nicht zum ersten Mal, welche Motive wohl dahinterstehen, so unersetzbares Kulturgut zu zerstören. Gestern Abend wurde darüber auch auf einer Podiumsveranstaltung in der Berliner FU diskutiert, geleitet hat sie Reinhard Bernbeck. Er ist Professor für vorderasiatische Archäologie an der FU Berlin und jetzt am Telefon, schönen guten Morgen!
Reinhard Bernbeck: Ja, guten Morgen!
von Billerbeck: Nimrud, was für Assoziationen weckt das bei einem Archäologen wie Ihnen, wenn Sie hören, dass da alles zerstört worden ist?
Bernbeck: Zunächst einmal ganz historisch, das war eine der neuassyrischen Hauptstädte in Nordmesopotamien. Das heißt, wir befinden uns da in der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends hauptsächlich geschichtlich. Und das ist eine der auch weitläufig ausgegrabenen Stätten mit vielen Palästen. Und insofern ist, wenn dann dort diese Skulpturen, die dort stehen, zerstört werden, zunächst einmal ein archäologisch unersetzlicher Verlust höchstwahrscheinlich.
von Billerbeck: Waren Sie selber auch dort mal, kennen Sie das?
Bernbeck: Nein, da war ich noch nicht. Ich habe in vielen Ländern des Vorderen Orients gearbeitet, aber nicht im Irak.
von Billerbeck: Wenn man solche Meldungen hört, dass da Terroristen, Militär, Söldner über solche Jahrtausende alten Kulturschätze herfallen, alles zerstören, dann ist man immer so hin- und hergerissen, weil man immer sagt, muss ich mich mehr dafür interessieren oder vergesse ich dann, dass dort so viele Menschen ermordet wurden. Aber warum trifft es eine Gesellschaft doch so im Kern, wenn ihre Kulturgüter zerstört werden?
Bernbeck: Dazu sollte man zunächst einmal einen Schritt zurücktun und fragen: Wenn Objekte, Kulturgüter zerstört werden, woran liegt das? Und ich denke, zunächst einmal muss man sagen: Bevor nicht solche Dinge mit ganz spezifischen Werten richtig aufgeladen worden sind, ist auch ihre Zerstörung wenig lohnend. Das heißt, wenn Sie sich überlegen, warum es zum Beispiel uns jetzt im, sagen wir, grob gesagt, Westen besonders trifft, wenn Objekte aus der neuassyrischen Zeit, also aus der Antike zerstört werden, dann liegt das daran, dass wir eine Kultur des Bewahrens der Antike entwickelt haben, die durchaus ja nicht überall auf der Welt vorhanden ist. Die Leute von IS zerstören ja nun schon seit Längerem ganz andere Objekte, Gebäude, ohne dass wir allzu viel Wert auf deren Zerstörung gelegt haben. Zum Beispiel gab es in Mossul das Grab des Propheten ... oder in Ninive das Grab des Propheten Jona, das auch letzten Sommer schon zerstört wurde, und da ist gar nicht so viel Aufmerksamkeit darauf entstanden.
Zerstörung der Antike
Da sagt man eben, na ja, das ist islamisch und so weiter und so fort, das gehört also in diesen Bereich sowieso schon hinein. Das sind genauso unersätzliche Kulturgüter. Und die Frage ist: Wen will man damit treffen, sozusagen? Die Leute, die diese Zerstörungen durchführen, ich denke, man kann schon sagen ... Hier wird versucht, in diesem Gebiet, in Nordostsyrien und Nordirak, fast die gesamte Vergangenheit, die dort kulturell vorhanden ist, offensichtlich zu zerstören, um einen freien, geschichtlich völlig befreiten sozusagen Raum zu haben, auf dem man irgendetwas anders aufbauen kann. Das ist natürlich grausam, denn es gibt ganz viele Gruppen, die dort auch mit diesen Objekten, die dort vorhanden sind, auch mit den Gebäuden bestimmte Vorstellungen verbinden, und die werden eben davon ganz besonders getroffen. Was Sie sagen, ist auf der anderen Seite ... Also, das hat mit Krieg zu tun. Und da muss man eben sagen, im Krieg wird mit Kulturgütern auf dreierlei Art und Weise umgegangen. Wenn sie in Mitleidenschaft gezogen werden, entweder sie werden komplett zerstört, das ist das, was wir jetzt sehen; oder was ebenfalls sehr viel passiert auch seit der Antike, die werden geraubt. Oder sie gehen auch kaputt. Also, denken Sie nur an ...
von Billerbeck: An die Altstadt von Aleppo zum Beispiel.
Bernbeck: Ja, also, das sind auch Kollateralschäden, dass man sagt, ja, das war ja gar nicht beabsichtigt, also, das Irak-Museum 2003, das ja doch fast komplett zerstört worden ist durch Unachtsamkeit des amerikanischen Militärs. Also, das sind so die drei Phänomene, die man mit Krieg und Kulturgutzerstörung verbinden kann.
von Billerbeck: Ist dieser ... Sie haben ja nun erwähnt, dass wir bestimmte Dinge offenbar stärker zur Kenntnis nehmen als andere, die uns offenbar näher, wichtiger sind oder die wir wegschieben und deshalb irgendwie vergessen, dass die vielleicht genauso kulturhistorisch wichtig sind wie andere. Natürlich denken wir – auch im Westen haben wir gestern, als wir hier darüber nachgedacht haben, auch sofort daran gedacht – an diese Statuen, an die Buddha-Statuen in Afghanistan. Ist dieser Fall, was da gestern passiert ist in Nimrud, eigentlich vergleichbar mit dieser Zerstörung der Buddha-Statuen in Afghanistan? Das war ja für uns auch so ein ganz besonders brutaler Akt, wie die da aus diesen Felswänden rausgesprengt wurden!
Rekrutierungsvideos laden zur Vernichtung ein
Bernbeck: Sie hatten ja die Diskussion gestern an der Freien Universität erwähnt. Ich denke, das kann man nicht komplett vergleichen. Also, wie diese Buddhas in Bamiyan zerstört wurden, da kann man davon ausgehen, das war tatsächlich ein Akt, der war gerichtet eindeutig gegen den Westen. Es gab also aus, ich glaube, New York Bestrebungen, auch diese Statuen zu kaufen von den Taliban. Und dann war das so gemeint gewesen letzten Endes, also, ihr achtet überhaupt nicht auf die Menschen, die hier zugrunde gehen, euch geht es nur um diese Kulturgüter und uns sind die eben nichts wert.
Im Falle dessen, was hier im Irak passiert, muss man sich überlegen, ob nicht zum Beispiel in Form dieser Videos, die online gestellt werden – das ist ja eine sehr starke auch Benutzung des Internets –, Rekrutierung betrieben wird. Das heißt, dass solche Zerstörungen offensichtlich für bestimmte Menschen auch attraktiv sein können. Also, das ist nicht nur so, dass man jemanden treffen und schaden will, sondern das kann genauso gut auch irgendwo die Funktion der Propaganda haben. Und ich glaube, da unterscheidet sich das, was wir heutzutage sehen, sehr deutlich eben von diesen Zerstörungen durch die Taliban.
von Billerbeck: Sie haben schon Unterschiede erwähnt. Gibt es eigentlich auch Unterschiede bei dem Umgang, bei der Zerstörung mit solcher Kunst im Vorderen Orient und Europa?
Bernbeck: Ja. Also, ich denke, in Europa passiert ja nun Kulturzerstörung durchaus auch. Und man muss zunächst einmal sagen, also, da gibt es einmal Kulturzerstörungen im Krieg und das ist das, was wir im Moment im Nordirak sehen. Da muss man – das haben Sie auch schon erwähnt ganz richtig, und das ist eigentlich das Primäre – sehen: Diese Bedingungen sind immer Bedingungen der humanitären Krise zuallererst. Da geht es darum, wenn Sie sich in einem Krieg befinden, Bürgerkrieg oder so was, dass Sie überhaupt erst mal überleben. Also, ich habe selbst in Afghanistan humanitär zeitweise gearbeitet, und da kann man ganz deutlich eben sehen: Kultur, kulturelle Objekte ...
Rückbau von DDR-Relikten
von Billerbeck: Ist zweitrangig.
Bernbeck: ... sind einfach eine Nebensächlichkeit, wenn es darum geht, dass man überhaupt erst mal durchkommt. Und diese Zusammenstellung ... Also, es gibt immer Leute, die dann auch sich darauf spezialisieren, mit diesen kulturellen und identitären Fragen zu umzugehen, dass sie den Feind besonders treffen. Im Frieden ist das eine ganz andere Sache, aber es passiert trotzdem. Wenn Sie daran denken, wie man hier zum Beispiel nach 1989 mit ganz vielen Dingen, die aus der DDR-Zeit überlebt haben, umgegangen ist. Die werden nicht in die Luft gesprengt, aber die bauen wir rück, die nehmen wir auseinander. Denken Sie an die Lenin-Statue in Berlin am Lehniner Platz, die hat man säuberlich auseinandergenommen und hat sie irgendwo in einem Teich versenkt. Und wenn ich jetzt nicht ganz das alles falsch beisammen habe, dann überlegt man jetzt, die wieder da rauszuholen. Also, es ist ja nicht so, dass kulturelle Zerstörungen nur im Krieg und nur irgendwo in der Welt passieren, aber nicht bei uns!
von Billerbeck: Der Archäologe Reinhard Bernbeck von der FU Berlin im "Studio 9"-Gespräch nach den gestrigen Zerstörungen in Nimrud. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Bernbeck: Ja, danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.