Zerstörtes Vertrauen
In ihrem Buch "Immer wieder Dezember" schildert die Schriftstellerin Susanne Schädlich einen Vertrauensbruch: Ihr Onkel Karlheinz Schädlich hatte die gesamte Familie an die Stasi verraten, einschließlich seiner Nichte Susanne. Sie hatte ihm jahrelang vertraut. Im Buch erzählt sie, wie ein solcher Verrat Familien fast zerstören kann, wie er sie selbst zutiefst enttäuscht hat. Durch die Stasi zur Ausreise gezwungen, fühlte sie sich im Westen stets fremd.
Susanne Schädlich ist klein und zierlich, niemand der auffällt, auch niemand, der beim ersten Mal sofort losredet. Susanne Schädlich ist ein vorsichtiger Mensch. Vielleicht war sie schon immer so, aber eins ist sicher: Sie hätte viel Grund, Fremden zu misstrauen.
"Man ist nicht sich so leichtgläubig, hinterfragt die Dinge mehr und wartet einen Moment ab und wägt noch anderes ab, bevor man sich ein Urteil bildet. Skeptischer auch, weil man zu oft gebrannt wurde, Dingen nicht so schnell Vertrauen schenkt, auch Leuten nicht so schnell Vertrauen schenkt. Das hängt natürlich mit dem Onkel zusammen, am Anfang, da hat man gar keinem vertraut, als dieser Verrat einen ereilte."
Ihr Onkel Karlheinz Schädlich war jahrelang hochaktiver Zuträger der Stasi, er schrieb hunderte Berichte, schmiedete Spitzel-Pläne und reiste für den Geheimdienst durch halb Europa.
"Man fragt sich, ob man's hätte merken können zu irgendeiner Zeit."
Susanne Schädlich hat es nicht gemerkt, sie vertraute ihm. Der Onkel - bei der Stasi? Dieser polyglotte, gebildete, weltgewandte Mann? Er war wie ein zweiter Vater für sie.
"Der war halt auch ein Kumpel und konnte auch so reden wie man selber, fühlte sich ein, in meine Probleme damals, pubertäre Probleme, das Erwachsenwerden."
Unterdessen wirkte ihr Onkel daran, dass ihre Familie das Land verlassen musste. Susanne Schädlichs Vater, der Schriftsteller Hans Joachim Schädlich, hatte sich öffentlich gegen die Biermann-Ausbürgerung ausgesprochen und die Stasi hatte dank seines Bruders genug Material gegen ihn.
Es war Dezember 1977. Susanne Schädlich war zwölf, als ihre Eltern ihr mitteilten: Wir reisen aus. Sie und ihre kleinere Schwester hatten nur wenige Tage Zeit, ihre Sachen zu packen. Was sie im Westen erwartete, war mehr als ungewiss.
"Zwölf Jahre - das ist eine lange Zeit, das ist schon zuhause gewesen…"
Zunächst ging es nach Hamburg. Dort hatte die Familie Freunde.
"Da kommt man da in so einem kleinen Lada an, selbst die Einfahrt nach Hamburg, da dachte man schon, ach du lieber Gott, das war wirklich peinlich, das war stigmatisierend geradezu, die Koffer oben drauf, wie die Kinder Israels. Die Leute stehen da und guckten dieses Auto an. So was gab es damals in Hamburg auch nicht jeden Tag, einen Lada, der durch die Innenstadt tuckert."
Es stellte sich schnell ein Gefühl von Fremdheit ein. Vor allem für Susanne Schädlich. Ihre Freundinnen waren in Ostberlin geblieben und wer weiß, ob sie überhaupt Briefe schreiben durften? Gelesen hätte sie die Stasi auf jeden Fall. Ihr Halbbruder war damals 17 und blieb auch im Osten, er schrieb noch ein paar Briefe hinterher, aber irgendwann war der Kontakt nur noch sporadisch.
"Man fühlte sich so unbehaust... Das hat sich lange gehalten, weil die Wurzeln so abrupt gezogen wurden, vor allem für die Kinder, denen von einem Tag auf den anderen die Welt entrissen wurde."
Susanne Schädlich sprach ebenso Deutsch wie ihre neuen Hamburger Mitschüler, aber das war's schon mit den Gemeinsamkeiten. Nur wenige kannten das Land überhaupt, aus dem sie kam.
"Damals, als ich nach Hamburg kam, die hatten von der DDR teilweise noch gar nichts gehört, dass es einen anderen Teil überhaupt gab. Dass da eine Mauer stand, das war ungehört in Hamburg bei meinen gleichaltrigen Schülern."
Susanne Schädlich versuchte es nach der Schule mit einer Lehre, sie fing vieles an, aber nichts gelang. Dann trennten sich auch noch ihre Eltern und wohnten an verschiedenen Orten, die Familie war zerstreut zwischen Hamburg, Düsseldorf und West-Berlin.
Eines Tages war es ihr auch da zu eng. Sie wollte nach Amerika. Sie kannte das Fremdsein gut, aber sie wollte dahin, wo Fremdsein normal ist, weil es zu einer Einwandererkultur gehört.
"In Amerika war es dann so: Man gehörte nicht dazu, man fiel auf, aber alle anderen auch und so fiel man deshalb auch wieder nicht auf und gehörte dennoch dazu. Es war nicht so schwierig, dort fremd zu sein."
Sie hielt sich mit kleineren Jobs über Wasser, fing in Los Angeles ein Studium an und lernte ihren Freund kennen, einen Spanier. Als sie ihr erstes Kind bekamen, wollte er nach Deutschland. Denn hier könne es besser aufwachsen. Susanne Schädlich sträubte sich lange, sie wollte nicht nach 13 Jahren wieder zurück in das Deutschland, in dem sie eine zerrissene Jugend verlebte, doch ihr Freund setzte sich durch. Hinzu kam, dass George W. Bush in den USA an die Macht kam, das war 2001. Das behagte Susanne Schädlich gar nicht, so fiel die Entscheidung für Deutschland leichter.
Ihr Freund fühlt sich wohl hier, er ist Dokumentarfilmer, und ihre inzwischen zwei Söhne sprechen drei Sprachen: englisch, spanisch und deutsch. Das Internationale - das genießt sie.
Für sie war die Zeit im geteilten Deutschland nie wirklich glücklich. Seit einigen Jahren nun wohnt sie im Osten Berlins, sie hat einen Roman geschrieben und eine Biografie über den Geiger Daniel Hope - und jetzt, mit 43, ist sie vielleicht zum ersten Mal richtig zu Hause. 32 Jahre, nachdem sie Ost-Berlin verlassen musste.
Susanne Schädlich: "Immer wieder Dezember", Droemer Verlag, 2009, 240 Seiten
"Man ist nicht sich so leichtgläubig, hinterfragt die Dinge mehr und wartet einen Moment ab und wägt noch anderes ab, bevor man sich ein Urteil bildet. Skeptischer auch, weil man zu oft gebrannt wurde, Dingen nicht so schnell Vertrauen schenkt, auch Leuten nicht so schnell Vertrauen schenkt. Das hängt natürlich mit dem Onkel zusammen, am Anfang, da hat man gar keinem vertraut, als dieser Verrat einen ereilte."
Ihr Onkel Karlheinz Schädlich war jahrelang hochaktiver Zuträger der Stasi, er schrieb hunderte Berichte, schmiedete Spitzel-Pläne und reiste für den Geheimdienst durch halb Europa.
"Man fragt sich, ob man's hätte merken können zu irgendeiner Zeit."
Susanne Schädlich hat es nicht gemerkt, sie vertraute ihm. Der Onkel - bei der Stasi? Dieser polyglotte, gebildete, weltgewandte Mann? Er war wie ein zweiter Vater für sie.
"Der war halt auch ein Kumpel und konnte auch so reden wie man selber, fühlte sich ein, in meine Probleme damals, pubertäre Probleme, das Erwachsenwerden."
Unterdessen wirkte ihr Onkel daran, dass ihre Familie das Land verlassen musste. Susanne Schädlichs Vater, der Schriftsteller Hans Joachim Schädlich, hatte sich öffentlich gegen die Biermann-Ausbürgerung ausgesprochen und die Stasi hatte dank seines Bruders genug Material gegen ihn.
Es war Dezember 1977. Susanne Schädlich war zwölf, als ihre Eltern ihr mitteilten: Wir reisen aus. Sie und ihre kleinere Schwester hatten nur wenige Tage Zeit, ihre Sachen zu packen. Was sie im Westen erwartete, war mehr als ungewiss.
"Zwölf Jahre - das ist eine lange Zeit, das ist schon zuhause gewesen…"
Zunächst ging es nach Hamburg. Dort hatte die Familie Freunde.
"Da kommt man da in so einem kleinen Lada an, selbst die Einfahrt nach Hamburg, da dachte man schon, ach du lieber Gott, das war wirklich peinlich, das war stigmatisierend geradezu, die Koffer oben drauf, wie die Kinder Israels. Die Leute stehen da und guckten dieses Auto an. So was gab es damals in Hamburg auch nicht jeden Tag, einen Lada, der durch die Innenstadt tuckert."
Es stellte sich schnell ein Gefühl von Fremdheit ein. Vor allem für Susanne Schädlich. Ihre Freundinnen waren in Ostberlin geblieben und wer weiß, ob sie überhaupt Briefe schreiben durften? Gelesen hätte sie die Stasi auf jeden Fall. Ihr Halbbruder war damals 17 und blieb auch im Osten, er schrieb noch ein paar Briefe hinterher, aber irgendwann war der Kontakt nur noch sporadisch.
"Man fühlte sich so unbehaust... Das hat sich lange gehalten, weil die Wurzeln so abrupt gezogen wurden, vor allem für die Kinder, denen von einem Tag auf den anderen die Welt entrissen wurde."
Susanne Schädlich sprach ebenso Deutsch wie ihre neuen Hamburger Mitschüler, aber das war's schon mit den Gemeinsamkeiten. Nur wenige kannten das Land überhaupt, aus dem sie kam.
"Damals, als ich nach Hamburg kam, die hatten von der DDR teilweise noch gar nichts gehört, dass es einen anderen Teil überhaupt gab. Dass da eine Mauer stand, das war ungehört in Hamburg bei meinen gleichaltrigen Schülern."
Susanne Schädlich versuchte es nach der Schule mit einer Lehre, sie fing vieles an, aber nichts gelang. Dann trennten sich auch noch ihre Eltern und wohnten an verschiedenen Orten, die Familie war zerstreut zwischen Hamburg, Düsseldorf und West-Berlin.
Eines Tages war es ihr auch da zu eng. Sie wollte nach Amerika. Sie kannte das Fremdsein gut, aber sie wollte dahin, wo Fremdsein normal ist, weil es zu einer Einwandererkultur gehört.
"In Amerika war es dann so: Man gehörte nicht dazu, man fiel auf, aber alle anderen auch und so fiel man deshalb auch wieder nicht auf und gehörte dennoch dazu. Es war nicht so schwierig, dort fremd zu sein."
Sie hielt sich mit kleineren Jobs über Wasser, fing in Los Angeles ein Studium an und lernte ihren Freund kennen, einen Spanier. Als sie ihr erstes Kind bekamen, wollte er nach Deutschland. Denn hier könne es besser aufwachsen. Susanne Schädlich sträubte sich lange, sie wollte nicht nach 13 Jahren wieder zurück in das Deutschland, in dem sie eine zerrissene Jugend verlebte, doch ihr Freund setzte sich durch. Hinzu kam, dass George W. Bush in den USA an die Macht kam, das war 2001. Das behagte Susanne Schädlich gar nicht, so fiel die Entscheidung für Deutschland leichter.
Ihr Freund fühlt sich wohl hier, er ist Dokumentarfilmer, und ihre inzwischen zwei Söhne sprechen drei Sprachen: englisch, spanisch und deutsch. Das Internationale - das genießt sie.
Für sie war die Zeit im geteilten Deutschland nie wirklich glücklich. Seit einigen Jahren nun wohnt sie im Osten Berlins, sie hat einen Roman geschrieben und eine Biografie über den Geiger Daniel Hope - und jetzt, mit 43, ist sie vielleicht zum ersten Mal richtig zu Hause. 32 Jahre, nachdem sie Ost-Berlin verlassen musste.
Susanne Schädlich: "Immer wieder Dezember", Droemer Verlag, 2009, 240 Seiten