Zettelbotschaften an der Mauer

"Die Gefahr war ihnen bewusst"

07:40 Minuten
Auf einem Kassiber steht handschriftlich: "Ich hätte eine Bitte! Würden Sie so gut sein und mir ein Paar nahtlose Strümpfe über die 'Mauer' werfen? Bei uns gibt es so schlecht welche. Größe 9,5, nich allzu hell. Im Voraus besten Dank, Ihr Freund!"
Stärker als die Angst war der Hang zu Luxusgütern aus dem Westen. Hier eine geheime Zettelbotschaft, die 1961 ihren Weg über die Berliner Mauer fand. © Stiftung Berliner Mauer, Schenkung von Christa Arndt
Hanno Hochmuth im Gespräch mit Britta Bürger |
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Sie baten um nahtlose Strümpfe, Kugelschreiber, Schnürsenkel oder Zigaretten. Nach dem Mauerbau warfen Ostberliner geheime Zettelbotschaften auf die andere Seite – trotz striktem Kontaktverbots. Offenbar halfen die Westberliner gerne aus.
Ohne Datum, ohne Namen: Acht kleine Papierzettel, so genannte "Kassiber" belegen, dass nach dem Mauerbau geheime Nachrichten ihren Weg von Ost nach West gefunden haben. DDR-Grenzposten haben sie vermutlich in der zweiten Jahreshälfte 1961 heimlich über die Mauer geworfen. Auf Westberliner Seite hat ein Anwohner der Bernauer Straße einige Kassiber aufgesammelt.
Zum 60. Jahrestag des Mauerbaus hat das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam diese Zettel auf dem Bildungsportal "Chronik der Mauer" veröffentlicht.
"Denen war schon klar, dass sie was sehr Gefährliches machen", betont der Historiker Hanno Hochmuth. "Aber was noch wichtiger war, war der Hang zu guten amerikanischen Zigaretten, die es dann in Ostberlin von einem Tag auf den anderen nicht mehr gab."
In Handschrift steht auf einem aus einem Kalender gerissenen Zettel: "Leider darf ich keine Adresse angeben. Deshalb passen Sie bitte auf, wenn ich wieder hier Wache stehe. Nochmals besten Dank. Ihr Freund!"
Die Gefahr einer solchen Nachricht war den Schreibenden bewusst.© Stiftung Berliner Mauer, Schenkung von Christa Arndt

Der Tonfall der Botschaften

Nur DDR-Grenzpolizisten konnten noch nah an die Mauer heran – und nutzen ihre Position. "Zwischen den Zeilen kann man lesen, dass die Menschen in Ost und West noch zusammenhielten", erklärt Hochmuth. So unterschrieben DDR-Grenzsoldaten ihre Botschaften an den "Klassenfeind" mit "Ihr Freund". Die Westberliner unterschrieben ihre Antwort mit "Ihre Freunde". "Das heißt", so Hochmuth, "sie taten etwas, das überhaupt nicht zur politischen Großwetterlage des Kalten Krieges passte."
Indirekt lässt sich rekonstruieren, dass die Westberliner die Wünsche erfüllt haben, in Antwortzettelchen bedanken sich die Ostberliner überschwänglich. Was Hochmuth interessant findet: Auf Westberliner Seite seien es Polizisten gewesen, die diese Bestellungen bearbeitet hätten. Neben "Bestellungen" landeten allerdingsauch Witzbotschaften und spöttische Gedichte auf der anderen Seite der Mauer.
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