Zeugnis einer verworrenen Existenz

Als er 22 war, bemerkten seine Schwester und der Kritiker Joachim Kaiser, er schriebe ein bisschen wie Thomas Mann. Rachel Salamander, heute Herausgeberin der "Literarischen Welt", forderte den jungen Maxim Biller auf, wie Kafka zu schreiben: "Wenn schon Paranoia, dann richtig dick."
Kein Wunder, dass der angehende Autor - jüdisch und mit zehn Jahren aus Prag nach Deutschland gekommen - nicht nur seine Paranoia, sondern recht schnell auch seinen Größenwahn zu kultivieren begann. Die monatliche "Hass-Kolumne" beim seinerzeit angesagten Szene-Blatt "Tempo" machte ihn berühmt. Seit 1990 veröffentlicht er regelmäßig Erzählungen, Romane und Essays. Froh aber ist der vielseitige Autor dabei nicht geworden.
Woran das liegt, versucht er in seinem neuen Buch "Der gebrauchte Jude", einem "Selbstporträt", darzustellen.

"Draußen war Deutschland und drinnen war ich", heißt es dort. So benennt der mittlerweile 49-jährige Biller den Grundton seiner Betrachtungen: Es gibt Deutschland und es gibt ihn, den Juden. Er sitzt in einem Zug, rast durch die Gegend und stellt fest, dass er nirgendwo ankommt. Außer in der Literatur.

Billers Erkenntnis, "Judesein war Schriftstellersein", wurde bereits formuliert, bevor er eigenhändig einen Stift halten konnte. Und dass Deutschland es Immigranten und Minderheiten nicht leicht macht - nun auch das überrascht nicht wirklich. Schlicht ist des Autors übergreifender Eindruck: Die Deutschen sind blond, haben seit jeher ein Problem mit Juden, doch bräuchten sie diese, um zu wissen, wer sie selber sind. In Billers Fall kann man den Satz auch umdrehen: Er braucht die Deutschen, um zu (er)klären, wer er ist.

Zu lesen sind seine Szenen der Erinnerung - viele beziehen sich auf die 80er- und 90er-Jahre - unterhaltsam. Schreiben kann Biller: larmoyant, aufsässig, gemein, witzig, pointiert. Die Jüdische Gemeinde wird von ihm ebenso durch den Kakao gezogen wie die Redaktion der Wochenzeitung "Die Zeit", kleinbürgerliche Gettomentalität genauso persifliert wie großbürgerliches und nur scheinbar aufgeklärtes Denken.

Das Buch ist Zeugnis einer verworrenen Existenz. Biller stilisiert sich als literarische Figur, deren Kern das Judesein ist. "Der Jude" ist aber Klischee - nicht nur für Gojim. Der Autor beruft sich auf Philip Roth, Saul Bellow, Mordechai Richler - jüdisch-amerikanische Schriftsteller, die ihm als literarische Vorbilder dienen. Interessant, dass er den Versuch eigener Selbst(er)findung von ihnen ableitet und nicht von deutsch-jüdischen Autoren – von Jakob Wassermann etwa, der seinen "Weg als Deutscher und Jude" beschrieb, von Peter Weiss, der auch aus Prag kam, oder von Jurek Becker aus Polen. Aber die passen irgendwie nicht in die Welt des Maxim Biller. Fortwährend konstruiert der sich die Realität passend zur eigenen Befindlichkeit. Natürlich kann er nicht anders. Muss er auch nicht. Denn "Der gebrauchte Jude" ist eben nicht Billers Autobiografie, sondern - wie es der Untertitel kenntlich macht - ein "Selbstporträt". Ein Bildnis, das zeigt, wie jemand sich selbst sieht und wie er gerne gesehen werden möchte.

Die Doppeldeutigkeit des Titels entspricht dem Inhalt. Der "gebrauchte" Jude ist der, den man benötigt, der zum Nachdenken anregt, der Gefühle stimuliert. Zugleich ist er "Second hand", nicht neu und nicht originell.

Besprochen von Carsten Hueck

Maxim Biller: "Der gebrauchte Jude. Selbstporträt".
Kiepenheuer&Witsch, Köln, 2009. 173 S., 16,95 Euro

Service:
Maxim Biller, geboren 1960, studierte in München Literaturwissenschaft und Journalismus. Bekannt wurde er in den 1980-er Jahren als Kolumnist der Zeitschrift "Tempo". 1990 debütierte er als Schriftsteller mit dem Erzählband "Wenn ich einmal reich und tot bin". Biller schreibt Romane, Essays, Erzählungen, Dramen und Kinderbücher. Er hat auch eine CD mit eigenen Songs veröffentlicht. 1994 erhielt er den Tukan Preis der Stadt München (für die beste belletristische Neuerscheinung des Jahres), 1999 den Theodor Wolff Preis (Journalistenpreis der deutschen Zeitungen).