Zeugnisse der Tattoo-Szene

Von Wolfram Nagel |
Das Museum für Völkerkunde in Dresden zeigt die Sonderausstellung "Unter die Haut". Im japanischen Palais sind Fotos von Herbert Hoffmann zu sehen, einem der bekanntesten Tätowierkünstler Europas. Seine Milieu-Studien sind einzigartige Zeugnisse der Tattoo-Szene zwischen den 50er und 80er Jahren.
Der Begriff "Tätowieren" ist abgeleitet vom Wort "tatauieren" und meint nichts anderes, als das Einstechen von Mustern mit Nadeln bei gleichzeitigem Einbringen von Farbstoff in die Haut. Diese Stich-tatauierung gab es früher in vielen Teilen der Erde, etwa bei den Polynesiern und vor allem aber bei den Maoris auf Neuseeland. Um seinen sozialen Stand kenntlich zu machen, hatte ein Maori-Häuptling, das ganze Gesicht mit Spiralen tatauiert. In Europa kam derlei Schmuck im 16. Jahrhundert bei Seeleuten auf. Ertranken sie bei einem Schiffsunglück, wiesen die christlichen Motive auf ihre Religion hin. Auch Herbert Hoffmann, der im Hamburger Stadtteil St. Pauli, einen der ältesten Tattoo-Läden betrieben hat, trägt typische Seemannszeichen auf seinen Händen:
Hoffmann: "Ich habe immer meine Bilderbuchmenschen bewundert, weil sie die Hände tätowiert hatten... Und natürlich nahe liegend für mich warn ja diese nautischen Motive. Und so habe ich Glaube, Liebe, Hoffnung mit dem Schriftband Hamburg auf die eine Hand tätowieren lassen und auf die andere Hand die Kompassrose."
Im 19. Jahrhundert kamen dann so genannte Tätowier-Salons auf, wo sich auch Soldaten und Arbeiter bebildern ließen. Im vorigen Jahrhundert jedoch war dieser Körperschmuck lange als Knastkunst verpönt. Selbst in der Nachkriegszeit gehörten Mut und auch etwas Besessenheit dazu, sich mit Nadel und Tusche Bilder unter die Haut stechen zu lassen, erzählt der 87-Jährige. Schon als junger Soldat in der Wehrmacht hätte er sich gerne tätowieren lassen. Das aber sei unmöglich gewesen.
Hoffmann: "Ich musste warten, bis ich aus der Kriegesgefangenschaft zurück gekommen bin. Und habe dann in Hof an der Saale einen Straßenfeger kennen gesehen, der die Hände tätowiert hatte, und ich stürzte mich förmlich auf ihn.. .und sagte, ich muss tätowiert werden, wo kann ich das machen."
Herbert Hoffmann bekam nicht nur sein erstes Tattoo, er begann sich auch für die Lebensgeschichten der Tätowierten zu interessieren. Er selbst stammt aus einer gut bürgerlich hinterpommerschen Familie. Dort hatte er schon als Kind Leute bewundert, die an den Armen tätowiert waren - meist Matrosen oder Arbeiter. Solche Menschen aus der untersten Gesellschaftsschicht traf er später auch in Hamburg oder Westberlin, wie Oscar Manischewski und seine ebenfalls tätowierte Frau.

Hoffmann: "Er lebte in einer ganz primitiven Hinterhauswohnung an der Köpenicker Straße dicht an der Mauer. Man sieht es hier auf dem Bild, nackte Wände, kein Schmuck. Sie waren wirklich außerordentlich arm. Sie waren Schausteller gewesen..."
Etwa 40.000 Menschen hat Herbert Hoffmann mit den unterschiedlichsten Motiven tätowiert.
Darunter waren auch Vertreter des Mittelstands. Tätowieren ist eine Obszession und nicht standesgebunden, sagt er. So hatte sich der Hamburger Regierungsrat Hubert Fritz Clotten den gesamten Körper mit Schlangen, Frauengesichtern, einem federgeschmückten Indianerkopf und Pflanzenornamenten verzieren lassen. Kopf, Hals, Hände und Füße blieben frei, um in der Öffentlichkeit nicht aufzufallen. Ganz ähnlich war es mit einem bekannten Schuhfabrikanten, der sich einen kunstvoll gehäkelten Slip tätowieren ließ.

Hoffmann: "Aus gesellschaftlicher Rücksichtnahme hat er eben die Teile frei gelassen, die man öfter sehen konnte, und so hat er sich dann eben die Hose tätowieren lassen, unter den Fußsohlen und unter den Achselhöhlen...Das Verlangen nach Tätowierungen ist praktisch in der gesamten Menschheit verbreitet... viele brauchen es einfach für ihr Wohlbefinden, Akademiker genauso wie Frauen."
Weit über 2000 Fotografien solcher Bilderbuchmenschen befinden sich in dem noch kaum erschlossenen Archiv Herber Hoffmanns. Mehr zufällig stießen die Dresdner Galeristen Gebr. Lehmann vor ein paar Jahren in Hamburg auf die bisher kaum veröffentlichten Fotos. Seitdem gibt es eine enge Zusammenarbeit, sagt Mitkuratorin Karola Matschke von der Galerie Lehmann:

"Die erste Ausstellung in Dresden vor zwei Jahren war sehr erfolgreich, da ist man natürlich interessiert, das weiter zeigen zu können.... Das ist, mit den jeweiligen Texten dazu ein unschätzbares Zeitdokument der Nachkriegszeit zwischen Schmunzeln und Tristesse, und wenn man diese persönliche Geschichte noch dazu bekommt, ist es ein Zugang, den man woanders nicht so einfach findet."
Fotodokumente, wie sie Herbert Hoffmann seit den 50er Jahren in deutschen Großstädten gesammelt hat, sind sonst nur aus ethnologischen Sammlungen bekannt. Und so ergänzt die Sonderausstellung "Unter die Haut” auch die laufende Hauptausstellung des Museums für Völkerkunde mit dem Titel Haut und Hülle – vom Schmücken und Kleiden. In ihr sind bspw. originale Tattoos der Maori neben geschmückten Körpern aus allen Regionen der Erde zu sehen. Claus Deimel, Direktor der staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsens.
"In traditionellen Stammesgesellschaften ist die Tätowierung, die Körperhautschmückung eingebettet in die Geschichte...in Europa hat sich das durch den Individualismus erst wieder herausgeprägt und zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz gefunden. Das sind Parallelen, aber man kann nicht sagen, dass die Tätowierung hier bei uns kulturell in dem Sinne gewesen ist, wie es bei den Maori noch heute ist."
Der eigentliche Höhepunkt der aus der Flower-Power-Bewegung kommenden Tatoo-Mode sei längst überschritten, sagt der Ethnologe. Auch in Ostdeutschland, wo es bis zur Wende kein einziges öffentliches Studio gegeben hat, ist der Markt gesättigt.

Deimel: "Ich glaube, es führt eher zu temporären Körperbemalungen, dass man sich für zwei, drei Monate den Körper bemalt und das wieder abwaschen kann und sich dann zu neuen Zeichnungen entscheiden könnte."
Der heute in der Schweiz lebende Tätowierkünstler und Fotograf Herbert Hoffmann arbeitet zur Zeit an einem Buch über sein "Tattoo-Leben" . Darin soll ein Grossteil der Fotografien und Zeichnungen enthalten sein. Was aber aus seiner fotografischen Sammlung wird, ist, wie er selbst sagt, noch völlig ungewiss.

Die Ausstellung "Unter die Haut" ist vom 18. Januar bis 26. Februar 2006 zu sehen.