Berliner Baupolitik im Zielkonflikt
Der Protest hat nicht geholfen. Die Bäume im Innenhof in der Pintschstraße 9 werden gefällt. © Deutschlandradio / Thilo Schmidt
Zwischen Klimaschutz und Wohnungsbau
06:15 Minuten
Günstige Wohnungen oder Klimaschutz? Die Berliner Regierung steckt in einem Zielkonflikt. Im dicht besiedelten Bezirk Friedrichshain wurden nun gesunde Bäume gefällt. Trotz der Proteste von Anwohnern.
Der zur Straße hin offene Hof - eine Grünfläche mit einem Dutzend Pappeln - ist eingezäunt. Eine Sicherheitsfirma bewacht das Gelände. In den Tagen zuvor gab es hier noch Proteste, junge Menschen sind auf die Bäume geklettert, um zu verhindern, dass die Bäume gefällt werden.
Jetzt dröhnen die Motorsägen und ein Häcksler, der kleinere Äste zu Streu zerschneidet. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft WBM errichtet hier, in der Pintschstraße im Stadtteil Friedrichshain, 29 Wohnungen.
„Also maximale Bebauung. Es bleiben minimale Flächen übrig", sagt Ursula Stauffer von einer Bürgerinitiative. Es bleibe nur noch eine Feuerwehrzufahrt und Platz für die Mülltonnen. "Es wird überhaupt keine Grünflächen mehr geben. Diese riesengroßen, überhaushohen Bäume, die total gesund sind, werden jetzt abgesägt.“
„Also maximale Bebauung. Es bleiben minimale Flächen übrig", sagt Ursula Stauffer von einer Bürgerinitiative. Es bleibe nur noch eine Feuerwehrzufahrt und Platz für die Mülltonnen. "Es wird überhaupt keine Grünflächen mehr geben. Diese riesengroßen, überhaushohen Bäume, die total gesund sind, werden jetzt abgesägt.“
Protest der Anwohner
Ursula Stauffer wohnt direkt gegenüber, sie ist eine der Anwohnerinnen, die seit Jahren gegen die Pläne der WBM wettern. "Wir sind hier am dichtesten besiedelt von ganz Berlin und eigentlich eines der dichtbesiedelsten Gebiete europäischer Städte. Wir brauchen Grünflächen.“
Berlin braucht aber auch günstigen Wohnraum. Und für den sollen, so der politische Wille, die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sorgen.
„Wir sind zum Bauen von Wohnungen verpflichtet", sagt Karen Jeratsch, Pressesprecherin der WBM. "Das gibt die Kooperationsvereinbarung 'Leistbare Mieten' aus dem Jahr 2017 her. Dazu müssen wir freie Flächen und Baupotentiale nutzen.“
Zielkonflikt in der Stadtlandschaft
Günstige Wohnungen einerseits und Natur- und Klimaschutz – Berlin hat den Klimanotstand ausgerufen – andererseits: ein Konflikt, bei dem es auf den ersten Blick kein Gut und kein Böse gibt, auch und gerade für die neuen, alten Koalitionspartner in Berlin, SPD, Grüne und Linkspartei. Aber: Die SPD will „ohne Denkverbote“ viel bauen – und die Grünen wollen so wenig Flächen wie möglich versiegeln.
„Es gibt viele Interessen in einer Stadt, die alle ihre Daseinsberechtigung haben", sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Antje Kapek. Entscheidend sei, die nicht gegeneinander auszuspielen, sondern in Einklang miteinander zu bringen.
"Deshalb", so Kapek, "setzen wir uns unter anderem dafür ein, dass Grünflächen, die besondere Funktionen haben, auch in den Katalog der Sozialen Infrastruktur aufgenommen werden, den sogenannten SIKo-Katalog, damit sie künftig besser geschützt werden können.“
Die WBM sagt: Kein Verzicht möglich
Das Gebäude, das die WBM hier baut, soll aus Holzverbundstoffen entstehen. Dach und Fassade sollen begrünt werden. Auf den Standort könne man aber nicht verzichten, sagt WBM-Sprecherin Karen Jeratsch. Alternativen wie die Aufstockung bestehender Gebäude, die auch die Bürgerinitiative vorgeschlagen hatte, seien nicht machbar.
„Nicht nur die Wirtschaftlichkeit, sondern auch die Höhe und die Statik spielen da eine große Rolle", sagt Karen Jeratsch. Aufstocken sei nicht immer möglich. "Das Potential ist deutlich weniger als kommuniziert."
Bauland ist teuer
Ein weiteres Problem: In den Innenstadtlagen ist der Preis für Bauland um bis zu tausend Prozent gestiegen. Darum sind die städtischen Wohnungsbaugesellschaften darauf angewiesen, auf Grundstücken zu bauen, die ihnen schon gehören.
"Fremde Grundstücke, die uns nicht gehören, müssten erst angekauft werden", erklärt die Vertreterin der Wohnungsbaugesellschaft. "Und die sind in den vergangenen Jahren so teuer geworden – da hat sich eine sehr dynamische Preisentwicklung ergeben –, dass da ein sozialer Wohnungsbau kaum wirtschaftlich abzubilden ist."
Bürgerinitiative sieht andere Möglichkeiten
Wenn Stadtmenschen protestieren, weil in ihrer Nachbarschaft Wohnungen gebaut werden, gelten sie schnell als „Nimbys“, eine Abkürzung für „Not im my neighbourhood“ – also "Nicht in meiner Nachbarschaft". Bauen ja, aber nicht hier.
Ursula Stauffer von der Bürgerinitiative sagt, das stimme nicht. Man sei gar nicht gegen Wohnungsbau und Nachverdichtung. "In der Storkower Straße wurde jetzt ein Aldi gebaut: Das ist ein Erdgeschossgebäude! Warum wird so einer Discounterkette nicht vorgeschrieben, dass die da gleich ein Mietshaus drüberbauen müssen?", fragt sie.
Stauffer fährt fort: "Es gäbe so viele Möglichkeiten, hier in Berlin diese Nachverdichtungen nicht durchzuführen. Und da hat anscheinend weder die Politik noch eben die städtischen Wohnungsbaugesellschaften irgendeine Art von Fantasie. Die ziehen knallhart ihr Ding durch."
Grüne wollen keinen Koalitionszwist
Aus der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus heißt es unter der Hand, man habe bis zuletzt gehofft, die WBM noch von der Bebauung des Hofes abbringen zu können – dass der Drops nun aber gelutscht sei.
Einen Konflikt mit der SPD, was Umfang und Art des Bauens betrifft, sieht Antje Kapek, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, nicht wirklich. Allerdings sieht sie den Bedarf, sich weiterzuentwickeln. "Es gibt auch neue Formen des Bauens, die in sich schon versuchen, eine eigene Grünplanung mitzudenken. All das wird international diskutiert – und da hat Berlin, glaube ich, noch ordentlich nachzuholen. Ich wünsche mir für die jetzt kommende neue Legislatur, dass wir uns auch trauen, innovatives, grünes, ökologisches Bauen sehr viel stärker auf die Agenda zu setzen."
Transparente hängen noch am Bauzaun
In der Pintschstraße in Friedrichshain flattern bunte Wimpel und Transparente einsam am Bauzaun. Darauf zu lesen sind nur noch Fragmente wie „… werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann“.
Jenseits des Zauns lärmt der Häcksler weiter. Ähnliche Proteste gibt es auch gegen Wohnungsbauprojekte andernorts in der Stadt. Ulrich Schiller ist Geschäftsführer der Howoge, ebenfalls eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft. Er sagt, es sei sehr schwierig, "dass nicht die Menschen gehört werden können, die zukünftig einmal hier wohnen werden. Das heißt, uns fehlt im Grunde die Unterstützung derer, für die wir den Wohnraum schaffen.“