"Ziemlich tief verstrickt"
Die Erben der Industriellenfamilie Quandt haben ihr Archiv geöffnet und die Rolle des Unternehmens im Dritten Reich untersuchen lassen. Der Historiker Joachim Scholtyseck sagt im Interview: Familien-Patriarch Günther Quandt war "ein Teil des NS-Regimes".
Katrin Heise: "Der Aufstieg der Quandts – eine deutsche Unternehmerdynastie", so heißt das Buch des Historikers Joachim Scholtyseck. Die Mitglieder der weitverzweigten Industriellenfamilie Quandt waren oder sind – je nachdem, ob die Firmen noch bestehen – beteiligt am Autobauer BMW als auch an der Batteriefirma VARTA und dem Chemieunternehmen ALTANA. Zurück geht der Reichtum auf Günther Quandt und seine Söhne Herbert und Harald. Wie eng die Verstrickung in nationalsozialistische Verbrechen waren, dem widmet sich die umfangreiche, gerade herausgekommene Studie von Scholtyseck. Ihn hatten die Erben Quandts unter anderem das Familienarchiv geöffnet. Ein Dokumentarfilm des NDR aus dem Jahr 2007 hatte die Familie tief getroffen und den Anlass für letztendliche Transparenz gegeben. Joachim Scholtyseck ist Professor für Geschichte an der Universität Bonn, bekannt durch Arbeiten zum Dritten Reich oder auch über auch Robert Bosch. Guten Tag, Herr Scholtyseck!
Joachim Scholtyseck: Guten Tag, Frau Heise!
Heise: Günther Quandt war wegen seiner Batterie- und seiner Waffenherstellung ja ungeheuer wichtig für das Dritte Reich. Wie tief war er verstrickt in das System der Nationalsozialisten?
Scholtyseck: Er war ziemlich tief verstrickt. Vielleicht könnte man sogar sagen: Mehr als verstrickt. Denn verstrickt hört sich immer so etwas an, als ob man unschuldig in das Räderwerk geraten sei, und Günther Quandt, der ja ohnehin schon sehr reich gewesen ist – die Familie war schon vor dem Dritten Reich reich –, hätte sich nicht so stark involvieren müssen, wie er das getan hat. Und diese Involvierung zeigte sich etwa darin, dass er schon direkt nach 1933 diese Sparte der Rüstung, also die deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, aber auch die Dürener Metallwerke, die sehr wichtig waren für die Aluminiumindustrie, wie auch die Mauserwerke in Oberndorf im Schwabenland sehr stark ausgebaut hat. Und das allein zeigt schon, dass er eben auch ein Teil des NS-Regimes wurde.
Heise: Ein Teil wurde ... er profitierte ja auch im großen Maße von Arisierung, hat sich da auch aktiv irgendwie immer erkundigt und geguckt, er profitierte von Zwangsarbeit in hohen Zahlen. Wie sehr entsprach die Nazi-Ideologie aber seiner eigenen? Wie sehr war er Antisemit?
Scholtyseck: Ja, das ist ein ganz interessanter Aspekt. Er hat sich beteiligt, er hat profitiert, er konnte das aber tun, ohne dass er wirklich ein überzeugter Nationalsozialist gewesen wäre. Also, dieser NS-Ideologie stand er eher kritisch sogar gegenüber. National und Sozialismus, das war natürlich eben etwas, was vielen Unternehmern auch etwas fremd war, dieser linke Anteil am Nationalsozialismus, und das hatte er eben auch daran gemerkt, dass er 1933 ein paar Monate von diesen braunen Revolutionären in Haft gesetzt worden war. Aber das bedeutete eben nicht, dass er doch eben in erheblichem Maße mitgemacht hat. Also, kein Nationalsozialist im eigentlichen Sinne und auch kein Antisemit. Das musste man aber auch nicht sein, um eben sich trotzdem dann ohne großes Nachdenken an den Arisierungen zu beteiligen.
Heise: Zu beteiligen und auch reich zu werden. Sie haben eben schon betont, Quandt war auch vorher schon reich. Aber der Grundstock für den Reichtum seiner Erben, der wurde doch im Dritten Reich gelegt, kann man das so sagen?
Scholtyseck: Der Grundstock würde ich nicht sagen. Der Grundstock wurde tatsächlich schon im 19. Jahrhundert gelegt. Aber dieser Reichtum wurde immer weiter vermehrt. Und da machte das Dritte Reich keine Ausnahme. Günther Quandt hat ja in seinen Erinnerungen – die sehr kritisch gesehen werden müssen, weil das sehr selbstrechtfertigend nach 1945 verfasst worden ist – er hat selbst betont, dass er in den ersten Jahren des Dritten Reiches durchaus gut verdient habe. Und das ist eben tatsächlich untertrieben, er hat sehr gut verdient – nicht nur in diesen sogenannten Friedensjahren, sondern auch in den Jahren des Zweiten Weltkrieges, und auch durch die Zwangsarbeit gab es eben einen erheblichen Zugewinn, der nach 1945 dann dazu dienen konnte, ein neues Imperium wieder aufzubauen.
Heise: Sie gucken ja sowohl in die Kaiserzeit zurück als auch dann auf das Entnazifizierungsverfahren beispielsweise und auch auf die Unternehmensentwicklung im Nachkriegsdeutschland. Wie beurteilen Sie eigentlich die Rolle der Söhne, Herbert und Harald Quandt.
Scholtyseck: Ja. Beide Söhne waren natürlich noch vergleichsweise jung. Wenn man sich die Akten anschaut, dann sieht man, dass Günther Quandt tatsächlich der Familienpatriarch war, der das Sagen hatte. Die beiden Söhne standen daher durchaus im Schatten. Harald Quandt ging dann als Soldat in den Zweiten Weltkrieg und spielte unternehmerisch bis 1945 keine Rolle. Aber Herbert Quandt, den er ja als Unternehmensnachfolger auch heranzog, wurde immer stärker in die Betriebe aufgenommen und beteiligte sich auf diese Art und Weise natürlich auch an den Verbrechen des Nationalsozialismus, denn er hatte beispielsweise Personalverantwortung für eine Trockenbatteriefirma – Pertrix in Berlin –, wo es Zwangsarbeiter und auch KZ-Arbeiter gab. Und für die trug er letztlich die Verantwortung.
Heise: Und beide Söhne und ihre Nachkommen beteiligten sich dann eben auch an dem Schweigen nach dem Zweiten Weltkrieg. Über Aufarbeitung der Nazivergangenheit der Unternehmerfamilie Quandt spreche ich mit dem Historiker Joachim Scholtyseck. Herr Scholtyseck, es gab ja eine NDR-Dokumentation aus dem Jahr 2007 und es gab auch eine Familienbiografie von Rüdiger Jungbluth, einem Wirtschaftsjournalisten, also ganz überraschend waren die Erkenntnisse, die Sie jetzt haben, ja nicht. Ihnen gegenüber hat sich diese schweigsame Familie aber ganz anders geöffnet. Welche Quellen standen Ihnen zur Verfügung?
Scholtyseck: Ich habe in diesem Fall multiarchivalisch gearbeitet. Es war schon ein sehr großer Vorteil, dass die Familie mir praktisch unbegrenzten Zutritt zu dem sogenannten Familienarchiv gewährt hat, ...
Heise: Was sie vorher noch nie gemacht hatte.
Scholtyseck: ... was sie vorher noch nie gemacht hatte, und das war auf der einen Seite wichtig, zeigt aber eben auch, dass die Familie nach dem Film umzudenken begann. Und was für mich dann noch wichtiger war, mir wurde zugesichert, dass ich diese Ergebnisse, die ja jetzt eben tatsächlich nicht sehr schön für die Familie sind, dass ich diese Ergebnisse von der Familie unredigiert veröffentlichen darf, und dass dieses sogenannte Familienarchiv dann auch in ein öffentliches Archiv überführt wird, damit die Ergebnisse, die ich vorgelegt habe, auch für die kritische Öffentlichkeit überprüfbar sind.
Heise: Also Sie hatten den Eindruck, dass die Nachkommen – das sind Stefan Quandt und seine Kusine Gabriele Quandt vor allem – dass die tatsächlich an schonungsloser Transparenz – auch schonungslos den eigenen Vätern gegenüber, denn das waren eben Herbert und Harald Quandt – ja, sie wollten wirklich schonungslose Aufklärung?
Scholtyseck: Ja, ob sie das jetzt wirklich wollten, wissen Sie, das ist immer ganz schwer zu sagen. Aber ich hatte für mich persönlich bei meinen Recherchen den Eindruck, dass es eben ihnen, der Familie auch daran gelegen war, alle Fakten auf den Tisch zu bekommen und die eben auch der Öffentlichkeit präsentieren zu können, dass man sagt: Es soll jetzt tatsächlich in vielen Archiven, in allen zugänglichen Archiven soll geforscht werden, was ist denn jetzt nun eigentlich gewesen. Und das ist eben eine Offenheit, die sich stark von dem unterschied, was jahrzehntelang eben so die Familientradition gewesen ist.
Heise: Die Aufarbeitung von solchen Familienunternehmen oder überhaupt von den deutschen Unternehmen, die hat ja so richtig begonnen mit einer umfangreichen Arbeit zur Deutschen Bank – das ist zirka 15 Jahre her. Was war damals eigentlich der Auslöser?
Scholtyseck: Ja, das ist eben auch eine Entwicklung, die man nachvollziehen kann. In den 50er- und 60er-, teilweise auch noch in den 70er-Jahren, da hatten die Unternehmen tatsächlich eben auch Angst, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Man sagte: Warum sollen wir das machen, wenn das andere Unternehmen nicht machen? Das ist die Konkurrenzsituation. In den 70er- und 80er-Jahren änderte sich das natürlich in starkem Maße. Es war auf der einen Seite ein ganz neuer Blick auf die Zwangsarbeit, deren Dimensionen immer deutlicher wurden, und neue Generationen hatten es auch einfacher, wenn man den Großvater untersuchen lässt – das ist immer noch etwas anderes, als wenn man den Vater untersuchen lässt. Also insofern hatte diese Studie über die Deutsche Bank, die Sie erwähnt haben, tatsächlich Pioniercharakter. Andere große Aktienunternehmen sind gefolgt, weniger die Familienunternehmen, das ist natürlich ...
Heise: Die scheinen jetzt aufzuarbeiten. Was ist der Eindruck, oder aus welchem Grund kommt das jetzt zur Häufung? Ich habe beispielsweise Boss erwähnt, auch die C&A, also Brenninkmeijers, lassen in die Archive gucken.
Scholtyseck: Ja, da könnte man sogar noch andere Firmen nennen, etwa Oetker oder Boehringer. Das sind also Familienunternehmen, die jetzt stärker wirklich in den Fokus geraten und eventuell auch Interesse haben, ihre Geschichte aufzuarbeiten. Es ist natürlich immer schwieriger für ein Familienunternehmen, in die eigenen dunklen Zeiten zurückzuschauen, als für eine anonyme Aktiengesellschaft. Da kann man sagen: Ja, das waren die Manager, das waren die Betriebsleiter. Und hier sind es natürlich Familien, die eine Tradition haben, die auch eine Tradition gepflegt haben. Und wenn man da eben feststellt, der Großvater ist vielleicht gar nicht ein so toller Unternehmer gewesen – ich drücke das jetzt mal etwas salopp aus –, dann ist es für Familienunternehmen sicherlich etwas schwieriger als für Aktiengesellschaften und große Publikumsgesellschaften. Aber dieser Trend, der ist tatsächlich, wie Sie gesagt haben, Frau Heise, zu erkennen, und das wird wahrscheinlich auch nicht ausbleiben. Es ist auch gut, dass solche Dinge auf den Tisch kommen und nicht weiter solche weißen Flecken in der Geschichtswissenschaft, gerade der Geschichte des Dritten Reiches, übrigbleiben.
Heise: Was wird mit den Ergebnissen angefangen, die diese Studien dann zeitigen?
Scholtyseck: Also ich denke, dass in der heutigen Zeit unternehmerische Verantwortung genauso wichtig ist wie in Zeiten der Krise und in Zeiten der Diktatur. Und wenn solche Studien dazu beitragen, dass Unternehmen und Familien nur auf dem Papier so etwas wie unternehmerische Verantwortung übernehmen, dann ist das eben ein Zeichen für eine funktionierende Demokratie und eine funktionierende Marktwirtschaft, die auch ein soziales Gewissen haben muss.
Heise: Professor Joachim Scholtyseck, Historiker an der Universität Bonn. Vielen Dank, Herr Scholtyseck, für dieses Gespräch!
Scholtyseck: Gerne, Frau Heise!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Joachim Scholtyseck: Guten Tag, Frau Heise!
Heise: Günther Quandt war wegen seiner Batterie- und seiner Waffenherstellung ja ungeheuer wichtig für das Dritte Reich. Wie tief war er verstrickt in das System der Nationalsozialisten?
Scholtyseck: Er war ziemlich tief verstrickt. Vielleicht könnte man sogar sagen: Mehr als verstrickt. Denn verstrickt hört sich immer so etwas an, als ob man unschuldig in das Räderwerk geraten sei, und Günther Quandt, der ja ohnehin schon sehr reich gewesen ist – die Familie war schon vor dem Dritten Reich reich –, hätte sich nicht so stark involvieren müssen, wie er das getan hat. Und diese Involvierung zeigte sich etwa darin, dass er schon direkt nach 1933 diese Sparte der Rüstung, also die deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, aber auch die Dürener Metallwerke, die sehr wichtig waren für die Aluminiumindustrie, wie auch die Mauserwerke in Oberndorf im Schwabenland sehr stark ausgebaut hat. Und das allein zeigt schon, dass er eben auch ein Teil des NS-Regimes wurde.
Heise: Ein Teil wurde ... er profitierte ja auch im großen Maße von Arisierung, hat sich da auch aktiv irgendwie immer erkundigt und geguckt, er profitierte von Zwangsarbeit in hohen Zahlen. Wie sehr entsprach die Nazi-Ideologie aber seiner eigenen? Wie sehr war er Antisemit?
Scholtyseck: Ja, das ist ein ganz interessanter Aspekt. Er hat sich beteiligt, er hat profitiert, er konnte das aber tun, ohne dass er wirklich ein überzeugter Nationalsozialist gewesen wäre. Also, dieser NS-Ideologie stand er eher kritisch sogar gegenüber. National und Sozialismus, das war natürlich eben etwas, was vielen Unternehmern auch etwas fremd war, dieser linke Anteil am Nationalsozialismus, und das hatte er eben auch daran gemerkt, dass er 1933 ein paar Monate von diesen braunen Revolutionären in Haft gesetzt worden war. Aber das bedeutete eben nicht, dass er doch eben in erheblichem Maße mitgemacht hat. Also, kein Nationalsozialist im eigentlichen Sinne und auch kein Antisemit. Das musste man aber auch nicht sein, um eben sich trotzdem dann ohne großes Nachdenken an den Arisierungen zu beteiligen.
Heise: Zu beteiligen und auch reich zu werden. Sie haben eben schon betont, Quandt war auch vorher schon reich. Aber der Grundstock für den Reichtum seiner Erben, der wurde doch im Dritten Reich gelegt, kann man das so sagen?
Scholtyseck: Der Grundstock würde ich nicht sagen. Der Grundstock wurde tatsächlich schon im 19. Jahrhundert gelegt. Aber dieser Reichtum wurde immer weiter vermehrt. Und da machte das Dritte Reich keine Ausnahme. Günther Quandt hat ja in seinen Erinnerungen – die sehr kritisch gesehen werden müssen, weil das sehr selbstrechtfertigend nach 1945 verfasst worden ist – er hat selbst betont, dass er in den ersten Jahren des Dritten Reiches durchaus gut verdient habe. Und das ist eben tatsächlich untertrieben, er hat sehr gut verdient – nicht nur in diesen sogenannten Friedensjahren, sondern auch in den Jahren des Zweiten Weltkrieges, und auch durch die Zwangsarbeit gab es eben einen erheblichen Zugewinn, der nach 1945 dann dazu dienen konnte, ein neues Imperium wieder aufzubauen.
Heise: Sie gucken ja sowohl in die Kaiserzeit zurück als auch dann auf das Entnazifizierungsverfahren beispielsweise und auch auf die Unternehmensentwicklung im Nachkriegsdeutschland. Wie beurteilen Sie eigentlich die Rolle der Söhne, Herbert und Harald Quandt.
Scholtyseck: Ja. Beide Söhne waren natürlich noch vergleichsweise jung. Wenn man sich die Akten anschaut, dann sieht man, dass Günther Quandt tatsächlich der Familienpatriarch war, der das Sagen hatte. Die beiden Söhne standen daher durchaus im Schatten. Harald Quandt ging dann als Soldat in den Zweiten Weltkrieg und spielte unternehmerisch bis 1945 keine Rolle. Aber Herbert Quandt, den er ja als Unternehmensnachfolger auch heranzog, wurde immer stärker in die Betriebe aufgenommen und beteiligte sich auf diese Art und Weise natürlich auch an den Verbrechen des Nationalsozialismus, denn er hatte beispielsweise Personalverantwortung für eine Trockenbatteriefirma – Pertrix in Berlin –, wo es Zwangsarbeiter und auch KZ-Arbeiter gab. Und für die trug er letztlich die Verantwortung.
Heise: Und beide Söhne und ihre Nachkommen beteiligten sich dann eben auch an dem Schweigen nach dem Zweiten Weltkrieg. Über Aufarbeitung der Nazivergangenheit der Unternehmerfamilie Quandt spreche ich mit dem Historiker Joachim Scholtyseck. Herr Scholtyseck, es gab ja eine NDR-Dokumentation aus dem Jahr 2007 und es gab auch eine Familienbiografie von Rüdiger Jungbluth, einem Wirtschaftsjournalisten, also ganz überraschend waren die Erkenntnisse, die Sie jetzt haben, ja nicht. Ihnen gegenüber hat sich diese schweigsame Familie aber ganz anders geöffnet. Welche Quellen standen Ihnen zur Verfügung?
Scholtyseck: Ich habe in diesem Fall multiarchivalisch gearbeitet. Es war schon ein sehr großer Vorteil, dass die Familie mir praktisch unbegrenzten Zutritt zu dem sogenannten Familienarchiv gewährt hat, ...
Heise: Was sie vorher noch nie gemacht hatte.
Scholtyseck: ... was sie vorher noch nie gemacht hatte, und das war auf der einen Seite wichtig, zeigt aber eben auch, dass die Familie nach dem Film umzudenken begann. Und was für mich dann noch wichtiger war, mir wurde zugesichert, dass ich diese Ergebnisse, die ja jetzt eben tatsächlich nicht sehr schön für die Familie sind, dass ich diese Ergebnisse von der Familie unredigiert veröffentlichen darf, und dass dieses sogenannte Familienarchiv dann auch in ein öffentliches Archiv überführt wird, damit die Ergebnisse, die ich vorgelegt habe, auch für die kritische Öffentlichkeit überprüfbar sind.
Heise: Also Sie hatten den Eindruck, dass die Nachkommen – das sind Stefan Quandt und seine Kusine Gabriele Quandt vor allem – dass die tatsächlich an schonungsloser Transparenz – auch schonungslos den eigenen Vätern gegenüber, denn das waren eben Herbert und Harald Quandt – ja, sie wollten wirklich schonungslose Aufklärung?
Scholtyseck: Ja, ob sie das jetzt wirklich wollten, wissen Sie, das ist immer ganz schwer zu sagen. Aber ich hatte für mich persönlich bei meinen Recherchen den Eindruck, dass es eben ihnen, der Familie auch daran gelegen war, alle Fakten auf den Tisch zu bekommen und die eben auch der Öffentlichkeit präsentieren zu können, dass man sagt: Es soll jetzt tatsächlich in vielen Archiven, in allen zugänglichen Archiven soll geforscht werden, was ist denn jetzt nun eigentlich gewesen. Und das ist eben eine Offenheit, die sich stark von dem unterschied, was jahrzehntelang eben so die Familientradition gewesen ist.
Heise: Die Aufarbeitung von solchen Familienunternehmen oder überhaupt von den deutschen Unternehmen, die hat ja so richtig begonnen mit einer umfangreichen Arbeit zur Deutschen Bank – das ist zirka 15 Jahre her. Was war damals eigentlich der Auslöser?
Scholtyseck: Ja, das ist eben auch eine Entwicklung, die man nachvollziehen kann. In den 50er- und 60er-, teilweise auch noch in den 70er-Jahren, da hatten die Unternehmen tatsächlich eben auch Angst, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Man sagte: Warum sollen wir das machen, wenn das andere Unternehmen nicht machen? Das ist die Konkurrenzsituation. In den 70er- und 80er-Jahren änderte sich das natürlich in starkem Maße. Es war auf der einen Seite ein ganz neuer Blick auf die Zwangsarbeit, deren Dimensionen immer deutlicher wurden, und neue Generationen hatten es auch einfacher, wenn man den Großvater untersuchen lässt – das ist immer noch etwas anderes, als wenn man den Vater untersuchen lässt. Also insofern hatte diese Studie über die Deutsche Bank, die Sie erwähnt haben, tatsächlich Pioniercharakter. Andere große Aktienunternehmen sind gefolgt, weniger die Familienunternehmen, das ist natürlich ...
Heise: Die scheinen jetzt aufzuarbeiten. Was ist der Eindruck, oder aus welchem Grund kommt das jetzt zur Häufung? Ich habe beispielsweise Boss erwähnt, auch die C&A, also Brenninkmeijers, lassen in die Archive gucken.
Scholtyseck: Ja, da könnte man sogar noch andere Firmen nennen, etwa Oetker oder Boehringer. Das sind also Familienunternehmen, die jetzt stärker wirklich in den Fokus geraten und eventuell auch Interesse haben, ihre Geschichte aufzuarbeiten. Es ist natürlich immer schwieriger für ein Familienunternehmen, in die eigenen dunklen Zeiten zurückzuschauen, als für eine anonyme Aktiengesellschaft. Da kann man sagen: Ja, das waren die Manager, das waren die Betriebsleiter. Und hier sind es natürlich Familien, die eine Tradition haben, die auch eine Tradition gepflegt haben. Und wenn man da eben feststellt, der Großvater ist vielleicht gar nicht ein so toller Unternehmer gewesen – ich drücke das jetzt mal etwas salopp aus –, dann ist es für Familienunternehmen sicherlich etwas schwieriger als für Aktiengesellschaften und große Publikumsgesellschaften. Aber dieser Trend, der ist tatsächlich, wie Sie gesagt haben, Frau Heise, zu erkennen, und das wird wahrscheinlich auch nicht ausbleiben. Es ist auch gut, dass solche Dinge auf den Tisch kommen und nicht weiter solche weißen Flecken in der Geschichtswissenschaft, gerade der Geschichte des Dritten Reiches, übrigbleiben.
Heise: Was wird mit den Ergebnissen angefangen, die diese Studien dann zeitigen?
Scholtyseck: Also ich denke, dass in der heutigen Zeit unternehmerische Verantwortung genauso wichtig ist wie in Zeiten der Krise und in Zeiten der Diktatur. Und wenn solche Studien dazu beitragen, dass Unternehmen und Familien nur auf dem Papier so etwas wie unternehmerische Verantwortung übernehmen, dann ist das eben ein Zeichen für eine funktionierende Demokratie und eine funktionierende Marktwirtschaft, die auch ein soziales Gewissen haben muss.
Heise: Professor Joachim Scholtyseck, Historiker an der Universität Bonn. Vielen Dank, Herr Scholtyseck, für dieses Gespräch!
Scholtyseck: Gerne, Frau Heise!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.