Zionismus - ein vulgärer Nationalismus?
John Rose, Brite jüdischer Abstammung, stellt in seinem Buch "Mythen des Zionismus" alles in Frage, was der israelischen politischen Elite heilig ist. Und er kommt in seiner Analyse zu dem Ergebnis: "Der Zionismus ist das Problem, seine Beseitigung die Voraussetzung für Frieden im Nahen Osten und für arabisch-jüdische Versöhnung in Palästina". Rose vermag zwar nützliche Anstöße für die Debatte um die Zukunft des Nahen Ostens geben, doch in seiner Analyse verfällt er in ein einfaches Schwarz-Weiß-Denken.
Die Idee zu diesem Buch – das schreibt der britische Soziologe John Rose, Jahrgang 1945 – kam ihm im Sommer 2002 "nach schamlos rassistischen Äußerungen" von Israels früherem Premierminister Ehud Barak. Barak, der Lügen als Eigenheit arabischer Kultur bezeichnete, und Rose dachte: "Projizierte er nicht auf seinen Feind etwas, das seinen eigenen Überzeugungen zugrunde liegt?" Sprich: Ist Verlogenheit vielleicht eher ein Wesenszug israelischer und zionistischer Politik in Nahost?
Einen ersten Beleg für diese These hatte Rose rasch bei der Hand: Als Premier (1999-2001) stellte Barak seine Bemühungen um den "Friedensprozess" heraus; zur selben Zeit erhöhte sich jedoch die Zahl illegaler jüdischer Siedlungen im Westjordanland.
Um seine These zu beweisen, legt der Brite jüdischer Abstammung jetzt eine ins Deutsche übersetzte, 333-seitige Darstellung des Nahost-Konflikts aus konsequent Israel-kritischer Perspektive vor. (Das Original erschien 2004 auf Englisch.)
Mit Sachkenntnis, Lust an der Kontroverse und rhetorischem Geschick skizziert der Autor das "Lügengebäude" des Zionismus als staatstragender Ideologie, um es im selben Zug zu demontieren.
Fundament des Zionismus – schreibt Rose – seien religiöse und politische Mythen, etwa: Palästina sei um 1900 ein "Land ohne Volk" gewesen; die Bibel habe den Juden, die knapp 2000 Jahre im "Exil" leben mussten, den "Auftrag" zur Besiedlung gegeben; nun behaupte sich das kleine Israel unter feindlichen Nachbarn wie David gegen Goliath. Doch nicht ein Mythos, meint der Autor, beruhe auf Fakten; der Zionismus, seines Mantels aus Legenden beraubt, sei vulgärer Nationalismus. In seinem Buch hat John Rose die wirkungsmächtigsten Mythen seziert.
Um seine Thesen zu bekräftigen, unternimmt der Verfasser Exkurse in die Vergangenheit. Weit spannt er den Bogen: von den Zentren einer "judaeo-arabischen Kultur" vor 1300 Jahren zum Palästina der Osmanen und dem der Briten; vom Schtetl in Osteuropa bis ins gelobte Land Amerika; von der Französischen Revolution mit ihrem Versprechen der Emanzipation bis zur Russischen Revolution und dem Massenexodus sowjetischer Juden ab 1980; von Theodor Herzl bis zu David Ben Gurion. Ben Gurion, Israels erster Ministerpräsident (geboren 1886 in Polen), ist laut Rose der "größte Mythenbildner des Zionismus", ein "Faktenverdreher" ohne Beispiel. Nicht wichtig sei – so zitiert Rose Ben Gurion – ob eine Geschichte auf einem wahren Bericht beruhe; "wichtig ist, dass die Juden seit der Errichtung des ersten Tempels an sie glaubten".
Nach seinen Analysen kommt Autor John Rose anfangs zu richtigen Befunden: "Der Schatten der palästinensischen Flüchtlinge muss ihn [den israelischen Staat] unweigerlich für immer verfolgen, physisch, politisch, moralisch, psychologisch und letztendlich militärisch." Oder: "Die PLO war das negative andere Ich des jüdischen Staats." Oder: "Der Selbstmordattentäter ist manchmal wahrhaftig der Flüchtling, dem die Heimkehr nicht erlaubt worden ist." Auch Roses Feststellung, der Zionismus berufe sich zu Unrecht auf jüdische Religion und Geschichte, das expansive Vorgehen in Palästina sei nicht zu legitimieren, kann man nur zustimmen. Aber die Schlussfolgerung, so glaubhaft sie klingen mag, scheint fragwürdig: "Der Zionismus ist das Problem, seine Beseitigung die Voraussetzung für Frieden im Nahen Osten und für arabisch-jüdische Versöhnung in Palästina." Das stimmt, wenn auch nur zur Hälfte. Denn kein kritisches Wort fällt über aggressiven palästinensischen Nationalismus, über das – auch durch EU-Millionen genährte – Gewaltpotential perspektivloser Massen.
John Rose gibt mit seinem Buch so provokante wie nützliche Anstöße für die Debatte um die Zukunft des Nahen Ostens, er setzt neue Standards. Zu danken sind ihm außerdem die ausführlichen Verweise auf andere, wichtige Experten und deren Texte.
Aber leider, Roses Werk zeigt auch deutliche Schwächen: Der Autor karikiert die vielgestaltige Landschaft israelischer Politik stereotyp mit dem Begriff "Zionismus". In diesem Schwarzweißbild sind Israels Juden (sofern sie nicht in Fundamentalopposition zum Staat stehen) als "Zionisten" die Bösen, die Palästinenser die Guten. Rose bezweifelt sogar das Existenzrecht eines jüdischen Staats in Palästina (eines Rechts, das historisch-moralisch vielleicht fragwürdig, politisch aber gegeben ist); er hofft realitätsfern auf "ein jüdisches Leben in Palästina ohne einen zionistischen Staat".
Der Autor, so steht es im Klappentext, ist führendes Mitglied der britischen Socialist Workers Party. Vielleicht deshalb gibt er sich – von schönen epischen Passagen abgesehen – in der Wortwahl deutlich klassenkämpferisch. Insgesamt fehlt der Darstellung die Strenge und Geradlinigkeit einer guten wissenschaftlichen Arbeit: Rose springt hin und her, er streut Namen, Daten, Quellen, er schweift ab, wird blumig im Stil. Die Fakten betrachtet der Verfasser nicht vorurteilsfrei; er verwertet sie im Dienst seiner Thesen. So ist das Werk nur in Teilen Monographie, dann wieder politische Polemik, Streit- und Kampfschrift, kurz (mit Autors Worten): ein "Beitrag zur Befreiung Palästinas".
"Für mich war vordringlich, die Mythengebäude des Zionismus einzureißen", schreibt John Rose; das Buch solle der historischen Wahrheit zum Durchbruch verhelfen. Das tut es. Aber nur bedingt.
John Rose: Mythen des Zionismus. Stolpersteine auf dem Weg zum Frieden.
Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning
Rotpunktverlag, Zürich 2006
333 Seiten, 24 Euro
Einen ersten Beleg für diese These hatte Rose rasch bei der Hand: Als Premier (1999-2001) stellte Barak seine Bemühungen um den "Friedensprozess" heraus; zur selben Zeit erhöhte sich jedoch die Zahl illegaler jüdischer Siedlungen im Westjordanland.
Um seine These zu beweisen, legt der Brite jüdischer Abstammung jetzt eine ins Deutsche übersetzte, 333-seitige Darstellung des Nahost-Konflikts aus konsequent Israel-kritischer Perspektive vor. (Das Original erschien 2004 auf Englisch.)
Mit Sachkenntnis, Lust an der Kontroverse und rhetorischem Geschick skizziert der Autor das "Lügengebäude" des Zionismus als staatstragender Ideologie, um es im selben Zug zu demontieren.
Fundament des Zionismus – schreibt Rose – seien religiöse und politische Mythen, etwa: Palästina sei um 1900 ein "Land ohne Volk" gewesen; die Bibel habe den Juden, die knapp 2000 Jahre im "Exil" leben mussten, den "Auftrag" zur Besiedlung gegeben; nun behaupte sich das kleine Israel unter feindlichen Nachbarn wie David gegen Goliath. Doch nicht ein Mythos, meint der Autor, beruhe auf Fakten; der Zionismus, seines Mantels aus Legenden beraubt, sei vulgärer Nationalismus. In seinem Buch hat John Rose die wirkungsmächtigsten Mythen seziert.
Um seine Thesen zu bekräftigen, unternimmt der Verfasser Exkurse in die Vergangenheit. Weit spannt er den Bogen: von den Zentren einer "judaeo-arabischen Kultur" vor 1300 Jahren zum Palästina der Osmanen und dem der Briten; vom Schtetl in Osteuropa bis ins gelobte Land Amerika; von der Französischen Revolution mit ihrem Versprechen der Emanzipation bis zur Russischen Revolution und dem Massenexodus sowjetischer Juden ab 1980; von Theodor Herzl bis zu David Ben Gurion. Ben Gurion, Israels erster Ministerpräsident (geboren 1886 in Polen), ist laut Rose der "größte Mythenbildner des Zionismus", ein "Faktenverdreher" ohne Beispiel. Nicht wichtig sei – so zitiert Rose Ben Gurion – ob eine Geschichte auf einem wahren Bericht beruhe; "wichtig ist, dass die Juden seit der Errichtung des ersten Tempels an sie glaubten".
Nach seinen Analysen kommt Autor John Rose anfangs zu richtigen Befunden: "Der Schatten der palästinensischen Flüchtlinge muss ihn [den israelischen Staat] unweigerlich für immer verfolgen, physisch, politisch, moralisch, psychologisch und letztendlich militärisch." Oder: "Die PLO war das negative andere Ich des jüdischen Staats." Oder: "Der Selbstmordattentäter ist manchmal wahrhaftig der Flüchtling, dem die Heimkehr nicht erlaubt worden ist." Auch Roses Feststellung, der Zionismus berufe sich zu Unrecht auf jüdische Religion und Geschichte, das expansive Vorgehen in Palästina sei nicht zu legitimieren, kann man nur zustimmen. Aber die Schlussfolgerung, so glaubhaft sie klingen mag, scheint fragwürdig: "Der Zionismus ist das Problem, seine Beseitigung die Voraussetzung für Frieden im Nahen Osten und für arabisch-jüdische Versöhnung in Palästina." Das stimmt, wenn auch nur zur Hälfte. Denn kein kritisches Wort fällt über aggressiven palästinensischen Nationalismus, über das – auch durch EU-Millionen genährte – Gewaltpotential perspektivloser Massen.
John Rose gibt mit seinem Buch so provokante wie nützliche Anstöße für die Debatte um die Zukunft des Nahen Ostens, er setzt neue Standards. Zu danken sind ihm außerdem die ausführlichen Verweise auf andere, wichtige Experten und deren Texte.
Aber leider, Roses Werk zeigt auch deutliche Schwächen: Der Autor karikiert die vielgestaltige Landschaft israelischer Politik stereotyp mit dem Begriff "Zionismus". In diesem Schwarzweißbild sind Israels Juden (sofern sie nicht in Fundamentalopposition zum Staat stehen) als "Zionisten" die Bösen, die Palästinenser die Guten. Rose bezweifelt sogar das Existenzrecht eines jüdischen Staats in Palästina (eines Rechts, das historisch-moralisch vielleicht fragwürdig, politisch aber gegeben ist); er hofft realitätsfern auf "ein jüdisches Leben in Palästina ohne einen zionistischen Staat".
Der Autor, so steht es im Klappentext, ist führendes Mitglied der britischen Socialist Workers Party. Vielleicht deshalb gibt er sich – von schönen epischen Passagen abgesehen – in der Wortwahl deutlich klassenkämpferisch. Insgesamt fehlt der Darstellung die Strenge und Geradlinigkeit einer guten wissenschaftlichen Arbeit: Rose springt hin und her, er streut Namen, Daten, Quellen, er schweift ab, wird blumig im Stil. Die Fakten betrachtet der Verfasser nicht vorurteilsfrei; er verwertet sie im Dienst seiner Thesen. So ist das Werk nur in Teilen Monographie, dann wieder politische Polemik, Streit- und Kampfschrift, kurz (mit Autors Worten): ein "Beitrag zur Befreiung Palästinas".
"Für mich war vordringlich, die Mythengebäude des Zionismus einzureißen", schreibt John Rose; das Buch solle der historischen Wahrheit zum Durchbruch verhelfen. Das tut es. Aber nur bedingt.
John Rose: Mythen des Zionismus. Stolpersteine auf dem Weg zum Frieden.
Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning
Rotpunktverlag, Zürich 2006
333 Seiten, 24 Euro