Zirkus-Performance in Hamburg

Inzest in der Manege

Die Performancekünstlerin Florentina Holzinger bei "The Greatest Show on Earth" in der Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg
Die Performancekünstlerin Florentina Holzinger bei "The Greatest Show on Earth" in der Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg © dpa / picture alliance / Markus Scholz
Von Alexander Kohlmann |
"The Greatest Show on Earth" haben die Macher des diesjährigen Kampnagel-Sommerfestivals in Hamburg versprochen - und zum Auftakt einen "Internationalen Performance-Zirkus für das 21. Jahrhundert" angekündigt.
Tatsächlich hat der französische Künstler Philippe Quesne eine Manege in eine der großen Kampnagel-Hallen gebaut, die sehr stark an das erinnert, was als kollektiver Traum vom "Zirkus" durch die Kulturgeschichte geistert.
Eine runde Zuschauertribüne, bei der man den anderen Besuchern die ganze Show über direkt ins Gesicht schauen kann. Blinckende Lampen, Nebel - und ein Trapez, das von der Decke herunter hängt. Dazu die elektronische Musik der Frankfurter Band "Les Trucs" und ein Stelldichein der Internationalen Performance-Szene.
Brav hintereinander, Nummer für Nummer, spulen die internationalen Künstler ihr Programm ab. Und mit jeder neuen Station verflüchtigt sich leider spürbar die anfangs tatsächlich aufkommende Zirkus-Atmosphäre. Denn im Gegensatz zu den Sensationen des 19. Jahrhunderts verlangen viele Performances von heute nach Reflexion und Innehalten. Bei aller äußeren Ähnlichkeit, zum Beispiel im Zurschau-Stellen der Körper, ist der Performance-Zirkus auf einen mitdenkenden und reflektierenden Zuschauer ausgelegt, der vielleicht auch mal etwas länger bei einer Nummer verweilt.

Maskuline Tänze

Bei Eisa Jocson zum Beispiel, die Performerin aus Manila tänzelt im Disney-Dornröschen-Kostüm über die Bühne, als eine Art Fleisch gewordener Prinzessinnen-Albtraum unserer kollektiven Phantasie - bevor sie sich die blaue Bluse vom Leib reißt und sich in engen Klamotten in eine Art Sex-Maschine verwandelt, die die extrem maskulinen Tänze in philippinischen Schwulenbars imitiert.
Lange Nachsinnen kann man über dieses geschickte Ausloten und Überschreiten der Geschlechterrollen nicht, denn schon in der nächsten Nummer erobern Hendrik Quast und Maika Knoblich mit ihrer Tiershow die Bühne, ein echter Hund und eine Katze, von den Künstlern liebevoll synchronisiert, tänzeln und springen im fröhlichen Dialog über die Bühne.

Vögeln im Jenseits

Und dann sind da noch Florentina Holzinger & Vincent Riebeek. Das berüchtigte Performance Duo aus Amsterdam verwandelt sich in ein untotes Artistenpaar, das seine inzestuösen Kunststücke auch im Jenseits in der Manege fortsetzt. Schwarz geschminkt, versehrt und verschmutzt steigen sie noch einmal in das Trapez, vögeln über den Köpfen der Zuschauer mit Plastik-Penis und viel akrobatischem Geschick - und lassen uns eine düstere Geschichte von Gewalt und Begierde erahnen.
Da möchte man gerne innehalten und die Bilder sortieren, aber in der Show lauert längst die nächste Attraktion. Nein, als Zirkusnummern taugen diese komplexe Arbeiten nicht, dann lieber für jede einzeln eine Halle oder Kammer reservieren, als eine Art begehbares, übergroßes Kuriositäten-Kabinett.
Informationen der Kulturfabrik Kampnagel über "The Greatest Show on Earth"