Zisterzienserkloster in Brandenburg wiederbelebt

"Wir wollen eine Oase sein, wo Menschen auftanken können"

Blick über eine Feuchtwiese voller blühender Hahnenfuß-Blumen auf die Klosteranlage mit der katholischen Kirche vom Kloster in Neuzelle, aufgenommen im Mai 2018
Neuzelle ist die erste Kloster-Neugründung in Ostdeutschland – eine katholische Enklave im evangelischen Brandenburg. © picture alliance / Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa
Von Vanja Budde |
Neuzelle in Brandenburg ist ein kleines Dorf direkt an der Oder. Der Ort ist Gemeinde und Kloster zugleich: 1268 gegründet, 1817 säkularisiert - und 2018 wiedereröffnet. Sechs Zisterziensermönche leben nun dort.
Das Schlaubetal gilt als das schönste Bachtal Brandenburgs. Fahrradwege führen über sanfte eiszeitliche Hügel, durch dichte Wälder, durch Heide, an Mooren und drei Dutzend Seen vorbei. Mehr als 1000 Pflanzenarten gibt es hier, darunter viele Orchideen, Fischotter, Fledermäuse, Fischadler – und jede Menge Kultur und Geschichte. Denn am Rand des idyllischen Naturparks Schlaubetal liegt das Kloster Neuzelle, das immer mehr Gäste anzieht. Vor allem in diesem Jahr, seinem 750-jährigen Jubiläum.
"Mein Name ist Kathrin Schwark ich bin Pächterin von der Bomsdorfer Schlossgaststätte, und ja, unser Publikum ist ganz unterschiedlich, sei es Radtouristen, sei es Touristen, die sich das Kloster unbedingt anschauen wollen, besonders gerade jetzt wo sich natürlich die Mönche dort wieder ansiedeln werden."

100.000 Touristen besuchen Neuzelle jährlich

Die Schwarks betreiben in Schloss Bomsdorf, zehn Kilometer südlich von Neuzelle, eine Gastwirtschaft und eine Pension. Die Rückkehr der Zisterzienser sorge für Interesse an der abgelegenen Region, freut sich Katrin Schwark. 100.000 Touristen besuchen Neuzelle jährlich, Tendenz steigend.
"Man merkt es schon. Die Fragen der Gäste werden immer spezieller, man will unbedingt auf alle Fälle ins Kloster und da mal schauen, ja, ob man vielleicht auch jemanden trifft dort."
Einen der zurückgekehrten Zisterzienser-Mönche nämlich, im weißen Gewand mit schwarzem Überwurf, prima Motiv für ein Selfie. Als im vergangenen Herbst nach 200 Jahren Abstinenz die ersten vier Abgesandten aus dem österreichischen Mutterkloster Heiligenkreuz in Neuzelle auftauchten, gab es einiges Aufsehen. Die Männer wurden auf der Straße bestaunt wie Fabelwesen.

Dorfbewohner haben sich an Mönche gewöhnt

Nach einigem Hin und Her kamen sie im Pfarrhaus unter. Inzwischen haben sich die Dorfbewohner an die Mönche gewöhnt. Und nicht nur Touristen strömen herbei, wenn sie in der Kirche St. Mariä Himmelfahrt im Kloster mehrmals täglich das Chorgebet singen. Eine Besucherin kniet am Weihwasser-Becken und schlägt das Kreuz: Es ist eine katholische Kirche im ehemals protestantischen Brandenburg. Je nach Betrachtungsweise eine Perle des Barocks oder mächtig überladen mit Putten und Heiligenfiguren.
Pater Kilian vor seinem Kloster in Neuzelle
Pater Kilian vor seinem Kloster in Neuzelle© Rocco Thiede / Deutschlandradio
Nach dem Chorgebet sitzt Pater Kilian auf einer Bank am Hang, vor ihm der in Teilen wiederhergestellte barocke Klostergarten mit seiner Orangerie. Pater Kilian, einer der mittlerweile sechs entsandten Mönche, lässt den Blick über die Oderwiesen bis ins Nachbarland Polen schweifen. Ins sehr katholische Nachbarland Polen. Missionieren wollten sie nicht, sagt Pater Kilian, aber sie möchten in den Männern, die sich interessiert zeigen, eine Berufung wecken.
"Es geht hier perspektivisch darum, ein Wachstum dieser Gemeinschaft zu ermöglichen. Jetzt im Moment ist es okay, weil wir alle einen Platz haben und wir dieses Priorat errichten können, aber wir brauchen eine Perspektive, um als klösterliche Gemeinschaft wachsen zu können, und um in diesem Kontext auch Gäste aufnehmen zu können, innerhalb der Klausur und außerhalb der Klausur. Und das geht nicht im Moment."
Aus Platzgründen. Der Orden wird darum neu bauen, in der Nähe von Neuzelle, und ein Pilgerweg soll dann das alte mit dem neuen Kloster verbinden.
"Es ist sehr bewegend, zu sehen, dass es einen Hunger und Durst gibt danach. Denn egal, ob Sie jetzt katholisch sind oder evangelisch oder überhaupt nicht kirchlich konfessionell gebunden, es gibt bestimmte Fragen, mit denen beschäftigt sich der Mensch."
Luftbild der Klosteranlage in Neuzelle im Landkreis Oder-Spree in Brandenburg
Auf drei Seiten umschließen die Klostergebäude einen großen, kopfsteingepflasterten Innenhof.© dpa / picture alliance / Patrick Pleul
Neben der katholischen Gemeinde gibt es auf dem Klostergelände auch eine evangelische Kirche. Pfarrer und Pastor wohnen auf dem Klostergelände quasi Tür an Tür, sie waschen auch schon mal ihre Soutanen gemeinsam in der Waschmaschine. Gabriele Werner von der Besucherinformation ist stolz auf das einträchtige Miteinander der Konfessionen.
"Und also das ist wirklich ein Paradebeispiel hier Neuzelle, die katholische Kirchengemeinde, die evangelische Kirchengemeinde feiern gemeinsam Gottesdienst, sie feiern auch gemeinsam mal ein Gartenfest oder fahren auch gemeinsam weg. Die Mönche haben auch schon Gottesdienst in der evangelischen Kirche abgehalten. Wo hat man das? Hier in Neuzelle!"
Auf drei Seiten umschließen die Klostergebäude einen großen, kopfsteingepflasterten Innenhof, in dem ein Brunnen plätschert. Nach der Säkularisierung 1817 fielen die Klostergüter an den Staat. Nach der Wiedervereinigung rief dann das Land Brandenburg die Stiftung Stift Neuzelle ins Leben, die das Klostergelände verwaltet.

Zeugnisse europäischer Kunst- und Kulturgeschichte

Der studierte Kirchenmusiker Tilmann Schladebach von der Stiftung Stift Neuzelle ist auf dem Weg ins "Himmlische Theater": Für das "theatrum sacrum" wurde in einem der Klostergebäude eigens ein Museum errichtet. Es beherbergt dramatische, fast lebensgroße Holz-Kulissen. Bemalt im 18. Jahrhundert, erzählen sie die Passion Jesu. Ein einzigartiges Zeugnis europäischer Kunst- und Kulturgeschichte.
Tilmann Schladebach zeigt die vom Landesamt für Denkmalschutz sanierte und im kühlen Tiefgeschoss des Museums ausgestellte Kulisse. Jesus im Garten Gethsemane, die farbig bemalten und beschrifteten Holzwände in Perspektive aufgereiht.
"Da geht es um große europäische Traditionen. Die Zisterzienser gehören natürlich dazu, dann geht es um die Tradition des Wort-Bild-Dualismus in der christlichen Kirche, den wir hier wunderbar sehen: Die Worte sind aufgeschrieben und trotzdem sind die Bilder in einer Kulisse erklärt."

St. Mariä blieb Wallfahrtskirche – selbst in der DDR

Jahrhunderte lang haben die Klöster der Zisterzienser Kultur und Geschichte des heutigen Brandenburgs geprägt: In Himmelpfort und Zinna, Jüterbog, Lindow, Boitzenburg, Zehdenick, Ziesar, Doberlug und Mühlberg.
Doch dann schlossen sich die Kurfürsten des Landes der Reformation an: die Mark wurde evangelisch und blieb es bis heute. Nur drei Prozent der Brandenburger bekennen sich zum katholischen Glauben. Anders hier in Neuzelle: Schätzungsweise die Hälfte der 4000 Einwohner sind Katholiken. Die Klosterkirche St. Mariä blieb Wallfahrtskirche, selbst in der DDR. Bis heute hat das Kloster auch in anderer Hinsicht große Bedeutung für den Ort, erzählt der gebürtige Neuzeller Burkhard Jantke. Er verkauft im Museum die Eintrittskarten zum "Himmlischen Theater".
"Es ist ja nicht nur ein geistiges Zentrum hier, es ist ja auch ein wirtschaftliches Zentrum, muss man eindeutig sagen, weil ja auch von dem Kloster selber hier durch die Beschäftigten und natürlich auch durch die Aktivitäten, was jetzt Tourismus betrifft, auch sehr viele Impulse für Neuzelle selbst ausgehen, also gerade auch für Handel und Gewerbe. Ja, es ist sehr wichtig für Neuzelle, das Kloster."
Blick in die Stiftskirche St. Mariä
Kloster Neuzelle gilt als Brandenburgs "Barockwunder".© Deutschlandradio / Vanja Budde
Die prächtige barocke Klosteranlage stiftet Identität. Das Museum, die Stiftung, aber auch die traditionsreiche Klosterbrauerei bieten ganz konkret Arbeitsplätze.
Im spätgotischen Kreuzgang zeugen Wandmalereien vom einstigen Reichtum des Klosters. Der Kreuzgang wurde aufwändig restauriert, ist jetzt für Besucher wieder zugänglich. Seit Anfang der neunziger Jahre sind mehr als 50 Millionen Euro vom Land, Bund und von der EU in die Anlage geflossen. 350.000 Euro macht das Land zusätzlich für die Jubiläumsfeierlichkeiten locker. Nach Ansicht von SPD-Kulturministerin Martina Münch lohnende Ausgaben, weil die ehemaligen Klöster der Zisterzienser die Entwicklung der Region maßgeblich mit geprägt hätten.
"Und ganz wichtig: Sie prägen ja die Orte in unterschiedlicher Weise bis heute als ganz außergewöhnliche Orte mit einem besonderen Geist. Sie sind quasi Kristallisationspunkte der Glaubens- aber auch der Landesgeschichte."

Ein echter Bischof in Brandenburg

Brandenburgs Geschichte ist aber auch sehr vom preußischen Protestantismus geprägt. Deswegen war für Ministerin Münch ein Termin in der Staatskanzlei vergangene Woche etwas Besonderes:
"Dass wir einen echten Bischof, einen leibhaftigen Abt, aus Österreich echte Mönche hier haben und mit ihnen gemeinsam diese Pressekonferenz machen, ist sicher etwas, was es so in dieser Form auch noch nicht gegeben hat in Brandenburg."
Wolfgang Ipolt (M), Bischof des Bistums Görlitz, segnet nach der Klostergründung in Neuzelle das Gebäude des katholischen Pfarrhauses.
Wolfgang Ipolt (M.), Bischof des Bistums Görlitz, segnet nach der Klostergründung in Neuzelle das Gebäude des katholischen Pfarrhauses.© dpa-news / Patrick Pleul
Bischof Wolfgang Ipolt steht dem Bistum Görlitz vor, zu dem Neuzelle gehört. Er hatte die Idee mit der Wiederbelebung des Zisterzienser-Klosters. Das Jubiläumsjahr schien ihm besonders geeignet.
"Es sollte in unserem Bistum ein Ort des Gebetes entstehen, ein Ort, an dem Menschen erstmalig oder auch wieder neu zu Gott finden können. Ich habe die Hoffnung, dass auch die vielen Menschen im Osten Deutschlands, die nicht oder nicht mehr an Gott glauben, sich öffnen können für die Begegnung mit ihm."

Letzte Neugründung vor 30 Jahren

Bischof Ipolt wandte sich an das große Mutterkloster der Zisterzienser, Stift Heiligenkreuz im Wienerwald in Österreich, gegründet anno 1133. Bei Abt Maximilian Heim stieß der Bischof auf offene Ohren.
"750 Jahre nach der Stiftung des Klosters Neuzelle und nach 200 Jahren Unterbrechung gibt es dann in Brandenburg wieder ein aktives Zisterzienserkloster, aber auch für uns Heiligenkreuzer ist eine Neugründung etwas ganz Besonderes. Die letzte war vor 30 Jahren in Bochum-Stiepel, und es ist insgesamt die zehnte Begründung von Heiligenkreuz seit dem Mittelalter."
Pater Maximilian, Abt von Heiligenkreuz, aufgenommen 2018
Pater Maximilian, Abt von Heiligenkreuz © Elisabeth Fuerst
Auf dieser Pressekonferenz verkündeten die Glaubensbrüder überraschend, dass sie das Angebot von Land und Stiftung ausschlagen, ihr neues kleines Kloster in einem Gebäude auf dem Gelände der Klosteranlage zu installieren. Das nutzt derzeit eine Musikschule, sie hätte ausziehen müssen, in Neuzelle gab es deswegen durchaus Gemurre. Überhaupt hätten manche in Neuzelle zu Beginn die Rückkehr der Zisterzienser auch skeptisch gesehen, erzählt Bürgermeister Dietmar Baesler beim Bier in der Klosterschänke.
"Und die Frage ging dann bis dahin: Na ja, wenn man jetzt hier ist und sich wirtschaftlich selber tragen muss, dann übernehmt ihr die Orangerie und übernehmt ihr die ganze Klosteranlage? Geht das alles in eure Hand und alles solche Dinge sind dann hier doch in den Köpfen vorhanden gewesen."

"Wir sind Mönche des 21. Jahrhunderts"

Sorgen, die sich die Betreiber der Orangerie machten, die wie die anderen Gastronomen am Ort vom Kloster und seinen Besuchern abhängig sind. Auch ein Jahr später ist der Abt von Heiligenkreuz immer noch bemüht, solche Bedenken zu zerstreuen:
"Uns war es auch ein Anliegen, nicht irgendwie an eine barocke Tradition anzuknüpfen und uns wie Großgrundbesitzer in eine solche Anlage hineinzusetzen, sondern wirklich zu sagen: Wir sind Mönche des 21. Jahrhunderts und wir möchten ganz nahe bei den Menschen sein, wir wollen keine Wehrburg bauen, sondern eine Oase, wo Menschen auftanken können."
Das Land hilft in Gestalt der Stiftung Neuzelle bei der Suche nach einem geeigneten Grundstück, das Bistum Görlitz werde sich mit einer Million Euro an den Kosten beteiligen, kündigt Bischof Ipolt an.
"Und wir, ich habe die Zusage des Bonifatiuswerkes, das ist ja das Werk für die Katholiken in der Diaspora, und das Bonifatiuswerk hat zugesagt, dass sie diese Sache, auch diese neue Entscheidung unterstützen und mit Fundraising und mit ihren Spenden das zu einem Leuchtturmprojekt im Osten Deutschlands machen werden."

Fromme Spender sind willkommen

Wie schon bei der Gründung von Neuzelle anno 1368 sind fromme Spender willkommen. Die Mönche werden weiterhin regelmäßig ins historische Kloster kommen und dort das Chorgebet singen, so verspricht es der Orden. Auf dass Neuzelle nicht nur ein Leuchtturm der katholischen Kirche in Ostdeutschland werde, sondern auch ein touristisches Highlight in der Region bleibt. Ganz im Sinne von Bürgermeister Dietmar Baesler.
"Und ich glaube, das ist ganz doll wichtig, gerade in der heutigen Zeit, dass sich viele zurückbesinnen sollten, woher man stammt, was man für Wurzeln hat und wofür man eigentlich auf dieser Welt ist und dass man auch erkennt, dass es nicht alles so gut haben wie wir und dass man füreinander da sein muss. Und das sollte man als Grundsatz haben und dann kommen wir auch alle ein Stück weiter."
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