Zivilcourage

Tugce ist ein großes Vorbild

Vor dem Offenbacher Klinikum, in dem Tugce A. liegt, haben Menschen Kerzen und Bilder aufgestellt.
Tausende haben in Offenbach öffentlich um Tugce A. getrauert. © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Von Ludger Fittkau |
Sie wollte helfen - und musste sterben. Tugce A. könnte so etwas wie eine säkulare Jugend-Heilige werden. Weil sie verkörpert, wonach sich gerade Heranwachsende sehnen: Mut, Zivilcourage, Selbstlosigkeit. Ein Kommentar.
Mut, Zivilcourage, Selbstlosigkeit - Begriffe, mit denen seit Tagen viele Tausend tieftraurige Menschen ihre Bewunderung für Tugce Albayrak ausdrücken. In den sozialen Netzwerken im Internet und frierend auf den Straßen von Offenbach, Gießen oder Wiesbaden.
"Wir sind heute alle Tugce." Dieses Plakat am Freitagabend bei der bisher größten Mahnwache für das Gewaltopfer in Offenbach drückt zunächst einmal Mitgefühl und Solidarität mit der Familie aus. Die Angehörigen trafen am Freitag die bittere Entscheidung, am 23. Geburtstag Tugces die lebenserhaltenden Maßnahmen für die Frau im irreversiblen Koma zu beenden. Tugce Albayrak ist tot. Doch viele junge Menschen insbesondere in Hessen und in den sozialen Netzwerken identifizieren sich stark mit ihr - auch das sagt der Satz "Wir sind heute alle Tugce".
Tugces Tod ist eine tiefgehende soziale Irritation
In unserer weitgehend post-heroischen Gesellschaft verkörpert Tugce Tugenden, die gerade für Jugendliche Vorbildfunktion haben: Eine hübsche junge Frau mit türkischem Migrationshintergrund, die vor ihrem gewaltsamen Tod auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft war. Eine beliebte Ethik-Studentin, die Lehrerin werden wollte und sicher auch eine gute Pädagogin geworden wäre, da sie ja durch ihr beherztes Handeln im öffentlichen Raum einen starken Gerechtigkeitssinn offenbarte. Eine junge Frau, die sich auch nicht von alkoholisierten Männergruppen einschüchtern lässt, die in einer McDonalds-Toilette Mädchen so drangsalieren, dass die laut um Hilfe schreien.
Das Schicksals Tugces holt auch andere selbstlose Menschen wieder aus tiefen Schichten des kollektiven Gedächtnisses zurück, die ihr Eintreten für andere im öffentlichen Raum mit dem Leben bezahlen mussten – ob in Berlin, München oder anderswo.
Von den Ereignissen geht eine schlichte Botschaft aus
In einer Gesellschaft, die sich im Grundsatz darauf verständigt hat, dass der Staat das Gewaltmonopol hat und sich die Menschen nicht gegenseitig auf offener Straße erschlagen, sind Ereignisse wie der Tod Tugces eine tiefgehende soziale Irritation. Die Zivilgesellschaft im Internet oder auf den Straßen Hessens reagiert – verstört, zornig und traurig.
"Keine Gewalt" - das die Botschaft, die von den Mahnwachen in Offenbach und anderswo ausgeht. Eine schlichte Botschaft, die angesichts von Tugces Tod dennoch die einzig richtige ist. Eine säkulare Gesellschaft überlässt Heiligsprechungen und Märtyrer-Verehrung den Religionsgemeinschaften. Das ist gut so. Aber Tugce könnte so etwas wie eine säkulare Jugend-Heilige werden. Weil sie eben so viel verkörpert, wonach sich gerade Heranwachsende sehnen: Mut, Zivilcourage, Selbstlosigkeit. Tugce ist ein großes Vorbild.
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