Taiwans Intellektuelle setzen auf Diversität
Während die Oppositionspartei KMT in Taiwan den Schulterschluss mit Peking sucht, setzen Intellektuelle auf die bunte Vielfalt des Landes. Auch deshalb ist dort die schwul-lesbische Literatur schon längst im Mainstream angekommen.
Das demokratische Taiwan steht unter festlandchinesischem Druck wie kaum je zuvor, doch die dortige Zivilgesellschaft antwortet darauf nicht etwa mit ethnisch orientiertem Fundamentalismus, sondern mit Stolz auf eben jene demokratischen Werte, die man sich hier seit der Aufhebung des Kriegsrechts 1987 erkämpft hat. Die Partei des damaligen Regimes - 1949 mit Chiang Kai-shek auf die Insel gekommene antikommunistische "Nationalchinesen" - probt derweil den Schulterschluss mit dem früheren Erzfeind in Peking, verbunden im gleichen autoritären Nationalismus.
Diversität - Synonym einer offenen Gesellschaft
Taiwans Schriftsteller und Intellektuelle positionieren sich deshalb deutlich mit einer Thematisierung der gesellschaftlichen Vielfalt der Insel. Es ist also kein Zufall, dass gerade die schwul-lesbische Literatur hier längst - und asienweit einmalig - im literarischen Mainstream angekommen ist als bestes Beispiel einer gesellschaftlichen Diversität, die absolut positiv gesehen wird.
Begonnen hatte das bereits 1983, als erstmals ein Coming-Out-Roman erschien, dessen Autor Pai Hsien-lang Homosexualität quasi als Vorlage nahm, um die vom rigiden Konfuzianismus geprägten Hierarchien zu demaskieren. Chen Fang-Min, Taiwans zur Zeit angesehenster Literaturwissenschaftler, der sich regelmäßig auch in gesellschaftliche Debatte einbringt, weist darauf hin, dass dieser frühe Ansatz, den Umgang mit Sexualität als Lackmustest für den gesamtgesellschaftlichen zu definieren, die hiesige Literatur bis heute prägt. "Der Begriff 'Diversität' ist bei uns weder Schlagwort noch das Vokabular einer Minderheit. Im Gegenteil: Es ist geradezu zum Synonym einer offenen Gesellschaft geworden."
Zivilgesellschaft auf chinesisch
Taiwans prominentester Lyriker, der 31-jährige Rob Lo Yuchia, ist deshalb nicht nur offen homosexuell, sondern sieht in der Thematisierung von Außenseiterpositionen auch einen Gewinn für die Mehrheitsgesellschaft: "Nur in Anerkenntnis unserer Unterschiede und individuellen Nuancen erkennen wir den fundamentalen Unterschied zwischen einer freien Bürgergesellschaft und der Parteidiktatur, die auf der anderen Seite des Meeres in Festlandchina herrscht. Natürlich darf dann bei den Gedichten nicht Didaktik vorherrschen, sondern eine Ästhetik, die ebenso ernsthaft ist wie spielerisch."
Unser Autor Marko Martin hat bei einem Besuch in Taiwans Hauptstadt Taipeh mit beiden Intellektuellen gesprochen sowie mit dem Soziologen Michael Hsin-huang Hsiao, dem nichts Geringeres gelungen ist, als für den vermeintlich rein westlichen Begriff der "Zivilgesellschaft" das entsprechende Pendant in chinesischer Sprache zu finden.