Wenn ich ein Gemälde fünf, zehn Jahre im Depot vergesse und das wieder raushole, dann ist das normalerweise in einem sehr guten Zustand. Wenn ich eine computerbasierte Installation ungesehen ins Depot schiebe und nach sieben Jahren wieder raushole, dann ist vermutlich auf den Festplatten nichts mehr vorhanden: Die elektronischen und digitalen Künste sind viel stärker von unserer Aufmerksamkeit und ständigen Überwachung abhängig.
ZKM-Tagung "Just in Time"
Nam June Paiks Videowand "Internet Dream" besteht aus 52 Monitoren, die unterschiedliche Einzelbilder und ein großes Ganzes zeigen. Es ist eine Herausforderung, die Technik intakt zu halten. © picture-alliance / dpa / dpaweb / Martin Schutt
Höchste Zeit, fragile Kunst zu retten
07:13 Minuten
Elektronische und digitale Kunst sei unfassbar fragil, sagt Margit Rosen. Die Abteilungsleiterin am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien mahnt, Museen müssten sich sehr beeilen, um elektronische und digitale Kunstwerke zu erhalten.
Im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) treffen sich bei der Konferenz "Just in Time" Menschen, die sich um elektronische und digitale Medienkunst kümmern: Bei Videokunst gehen Bänder kaputt, bei computerbasierten Werken sind Bauteile und Software nicht für die Ewigkeit gemacht. Ob und wie fragile Medienkunstwerke restauriert und gerettet werden können, ist das zentrale Thema der Tagung in der badischen Stadt.
„Für manche Werke ist es sicherlich schon zu spät", sagt Margit Rosen, die am ZKM die "Abteilung Wissen - Sammlung, Archive und Forschung“ leitet. "Aber ansonsten würde ich sagen, wir kommen gerade noch rechtzeitig“, also just in time. Das gelte sowohl für Videobänder als auch für Kathodenstrahlröhren und computerbasierte Werke, über die bei dem Treffen gesprochen worden sei, sagt Rosen.
Zersetzung und Mangel an Ersatzteilen
Videobänder seien seit Ende der 60er-Jahre produziert worden: Im schlimmsten Fall reißen sie, und auch die Magnetisierung nimmt über die Zeit ab. „Das heißt, man muss sich sehr beeilen, um die historischen Bänder jetzt noch zu digitalisieren", sagt Rosen. "Sonst wird einfach alles weg sein.“
Ein zweites Beispiel derart gefährdeter Kunst seien große Videokunstinstallation wie etwa die von Nam June Paik. Sie bestehen aus Kathodenstrahlröhren, die skulptural eingebaut sind. Hier sei das Problem, dass Kathodenstrahlröhren nicht mehr hergestellt würden, 2010 habe die letzte Fabrik weltweit zugemacht.
"Das heißt, es gibt auch keine Ersatzteile mehr – dafür müssen Lösungen gefunden werden“, mahnt Rosen an. „Sonst sind ein Großteil der wichtigen Videoinstallationen weltweit in öffentlichen und privaten Sammlungen vermutlich in 20 Jahren nicht mehr ausstellbar.“
Nachholbedarf an Museen
Während im akademischen Bereich schon seit 20 Jahren über die Erhaltung und die Herausforderungen dabei diskutiert werde, komme das Thema erst jetzt in den Museen an: „Wir hatten heute Vormittag zwei Präsentationen, wo gezeigt wurde, wie jetzt in den Museen Media Labs oder Stationen zur Digitalisierung aufgebaut werden“, sagt Rosen.
„Aber gesehen auf die Fläche in Deutschland und auf die Menge der Museen ist die Anzahl der Labs mit der technischen Ausstattung, aber auch die Anzahl der Personen, die die Expertise haben, sehr überschaubar“, stellt sie fest. „Ich glaube, in ganz Europa gibt es im Moment zehn Restauratoren, sich auf digitale Kunst spezialisiert haben.“
Inzwischen hätten die Menschen zu Hause schon eine kleine medienarchäologische Sammlung und würden deswegen die Probleme kennen. Für Museen sei das aber viel dramatischer, weil sie Kunstwerke für die nächsten Generationen erhalten sollten. „Der technologische Wandel ist extrem schnell. Es gibt bald keine Ersatzteile mehr, auch das technologische Wissen verschwindet.“
Ständige Aufmerksamkeit benötigt
„Diese Art von Kunst braucht eine ganz andere Art von Aufmerksamkeit und auch andere Ressourcen“, spricht Rosen institutionelle Fragen an.
Sie appelliert an die Museen und ihre Finanziers, das Problem ernst zu nehmen: Es gehe darum, Stellen zu schaffen, damit die ausgebildeten Restauratoren sich in der angemessenen Zeit mit den Werken zu befassen.
„Aber es geht zum Teil auch um eine Umwälzung von, ich möchte fast sagen, von Machtverhältnissen innerhalb von Museen", fügt sie an.
Speziell bei solchen Werken sei es notwendig, "dass von Anfang an Restauratoren und Informatiker schon in den Ankaufsverhandlungen einbezogen werden: Dass klar ist, können wir das Werk beschaffen? Kann man es erhalten? Zu welchen Bedingungen?"
Es müsse ein ständiges Gespräch geben, aber noch sei das anders: Im Grunde werde der Ankauf noch ohne die Kompetenz der Restauratoren erledigt.
(mfu)