Zöpel: Auswärtiges Amt hat Zeit des Nationalsozialismus verdrängt
Eine neue Studie zeigt, wie das Auswärtige Amt in die Verbrechen des NS-Regime involviert war. Bislang habe es aber wenig Interesse gegeben, dem Thema nachzugehen, sagt der ehemalige parlamentarische Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Christoph Zöpel.
Marietta Schwarz: Die meisten Ministerien, Institutionen und Unternehmen in Deutschland haben ihre NS-Vergangenheit aufgearbeitet. Allein das Auswärtige Amt tat dies nicht, bis Joschka Fischer als Außenminister 2005 eine entsprechende Historikerkommission einsetzte. Die Studie dieser Kommission ist bereits veröffentlicht worden, am Donnerstag wird sie nun offiziell übergeben. Neue Namen tauchen zwar nicht darin auf, dafür wird eine Kontinuität des Verdrängens deutlich. Aus Berlin Mario Dobovisek.
Am Telefon bin ich jetzt mit Christoph Zöpel verbunden. Er war für die SPD drei Jahre lang bis 2002 Staatssekretär im Außenministerium unter Joschka Fischer – guten Morgen, Herr Zöpel!
Christoph Zöpel: Einen guten Morgen, Frau Schwarz! Sagen Sie parlamentarischer Staatssekretär dazu, denn es gibt die beamteten, die aus dem Hause kommen.
Schwarz: Gut. Herr Zöpel, kein Außenminister vor Joschka Fischer hat sich mit der Vergangenheit dieses Ministeriums beschäftigt, die, wie wir jetzt wieder sehen, doch sehr belastet ist. War da kein Aufarbeitungswilliger oder durfte der nicht?
Zöpel: Also verboten war das ganz sicherlich nicht, aber auffällig ist – und es gibt ja Dokumente über die Geschichte des Auswärtigen Amtes, zum Beispiel, das habe ich gelesen, aus Anlass ihres 125-jährigen Bestehens, wo die Geschichte fast ausschließlich aus der Sicht der beamteten Diplomaten geschrieben wird, wo ausgeklammert wird, ja bis hin zu Ministern der Geschichte, soweit ich das in Erinnerung habe –, zum 125-jährigen Bestehen kam nur einmal Stresemann vor.
Und die Zeit des Nationalsozialismus wird mit allgemeinen, fast irreführenden Vokabeln verdrängt. Zum Beispiel steht über diese Zeit zu lesen: In dieser Zeit gab es politischen Einfluss. Sie werden verstehen, dass ein Demokrat bei der Formulierung schon ein kräftiges Stirnrunzeln bekommt, und so ging es mir auch in den Kontakten. Es hat wenig Interesse gegeben, dieser Frage nachzugehen. Ich habe das hin und wieder Menschen auch erzählt.
Schwarz: Wenig Interesse sagen Sie, selbst ein Willy Brandt schwieg als Außenminister, was Frank-Walter Steinmeier gerade ausdrücklich kritisiert hat. Wie erklären Sie sich das?
Zöpel: Ich glaube, in den Berichten, die wir jetzt lesen, gibt es eine Erklärung für dieses Verhalten von Willy Brandt. Er war der erste Sozialdemokrat, also die anderen Sozialdemokraten nach 1966, die überhaupt in Deutschland Minister wurden. Es ging um die Anerkennung dieser Partei, und obwohl Willy Brandt zweifellos eine sehr souveräne Persönlichkeit war, hat er sicherlich auch damit gekämpft, dass er nicht noch zusätzlich diskreditiert wurde aus Fakten, die schon für den Mainstream der Personen im Auswärtigen Amt nicht besonders salonfähig waren. Nämlich er war Emigrant und er war uneheliches Kind, und ich schätze, dass Willy Brandt da einige Zurückhaltung hatte, nun diesen Kampf zu beginnen. Ich halte es nicht für unberechtigt, das heute zu kritisieren, auch ein Willy Brandt konnte Fehler gemacht haben.
Schwarz: Joschka Fischer spricht auch von Mumien – so werden wohl die Ehemaligen im Auswärtigen Amt genannt. Schwebte deren Geist noch lange Zeit über dem Amt, haben sie, wenn auch indirekt, die Aufarbeitung in irgendeiner Weise verhindert?
Zöpel: Es macht immer wenig Sinn zu fragen, ob ein Einzelner da jetzt in einem konkreten Fall was getan hat. Es gibt eine Grundtendenz in diesem Hause, dass es sich gegen Einflüsse von außen – und dazu gehören auch Minister, dazu gehören die parlamentarischen Staatssekretäre, die man Staatsminister nennt, das gehört dazu.
Und es gab in jüngerer Zeit – und das war für mich eine Frage des fast täglichen Erschreckens in den drei Jahren, weil ich daran vorbeiging –, es gibt auf der Ebene des Ministers an der Wand Namen von verstorbenen Mitgliedern des Auswärtigen Amtes, zunächst diejenigen, die wegen ihres Engagements gegen den Faschismus zu Tode kamen, hingerichtet wurden, und fast übergangslos kommt dann die Erinnerung an Namen von Diplomaten, die, sagen wir, bei dem Attentat in Stockholm dort auch aus politischen Gründen umgekommen sind, aber auch von Diplomaten, die durch einen Flugzeugabsturz ums Leben kamen im Bosnienkrieg. Und diese Gleichsetzung zwischen dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus und solchen tragischen Situationen, das hat mich bedrückt.
Und das dokumentiert, dass bis heute eine fehlende Bereitschaft da ist, diese Geschichte zu erklären, und das korrespondiert mit einem Korpsgeist, der dort herrscht, eine Abdrängung von jedem Einfluss von außen, der in Zeiten der Demokratie halt tragisch wird, und zeigt aber, wie Korpsgeist doch dazu führen kann, sich anzupassen im Rückblick auf die Zeit des Faschismus.
Schwarz: Guido Westerwelle will Konsequenzen aus dem Bericht ziehen, haben wir eben gehört, er soll zur Pflichtlektüre für alle Beamten werden. Reicht das aus?
Zöpel: Ja, ich will eine sehr weitgehende Überlegung starten. Ich glaube, es ist ein Fehler, dass das Auswärtige Amt ein Bundesministerium besonderer Art ist, mit einer eigenen Ausbildung. Ich glaube, das ist in doppelter Hinsicht ein Anachronismus. Ich meine, im Auswärtigen Amt sollten Bundesbeamte tätig werden, die mit derselben Ausbildung in allen anderen Ministerien auch tätig sein können, es sollte dort ein reger Wechsel stattfinden, was es gibt.
Und die andere Seite davon: Es ist heute auch nicht mehr an der Zeit, dass nur ein Auswärtiges Amt ganz besondere Erfahrungen in internationalen und globalen Beziehungen hat, eigentlich müssten alle Bundesministerien in der Lage sein, global zu agieren und dazu ausgebildet zu sein. Eine wirklich klare Lösung wäre, den auswärtigen Dienst genauso auszubilden wie alle anderen Bundesministerien und gleich zu behandeln.
Und ich mache noch einen Schritt weiter: Ich glaube, es ist ein Anachronismus, dass ein Bundesministerium sich auf 125 Jahre bezieht. Die demokratischen Ministerien bei uns sind – im Auswärtigen Amt in diesem Fall – 1951 gegründet worden als demokratische Bundesministerien, und wer seine Geschichte auf Bismarck zurückführt, kommt ganz schnell in die Versuchung, die Tragödie des Faschismus zu verschleiern, denn sonst kann man nicht richtig feiern.
Also diese beiden Änderungen würde ich vornehmen: Die Gründung von 1951 und nicht 1871 und Beamte des Auswärtigen Amts sollten genauso ausgebildet werden und auswechselbar sein mit den anderen Bundesbehörden.
Schwarz: Christoph Zöpel, ehemaliger parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt, über den Bericht der Historikerkommission zur NS-Vergangenheit. Herr Zöpel, Ihnen herzlichen Dank!
Zöpel: Ich danke Ihnen auch!
Am Telefon bin ich jetzt mit Christoph Zöpel verbunden. Er war für die SPD drei Jahre lang bis 2002 Staatssekretär im Außenministerium unter Joschka Fischer – guten Morgen, Herr Zöpel!
Christoph Zöpel: Einen guten Morgen, Frau Schwarz! Sagen Sie parlamentarischer Staatssekretär dazu, denn es gibt die beamteten, die aus dem Hause kommen.
Schwarz: Gut. Herr Zöpel, kein Außenminister vor Joschka Fischer hat sich mit der Vergangenheit dieses Ministeriums beschäftigt, die, wie wir jetzt wieder sehen, doch sehr belastet ist. War da kein Aufarbeitungswilliger oder durfte der nicht?
Zöpel: Also verboten war das ganz sicherlich nicht, aber auffällig ist – und es gibt ja Dokumente über die Geschichte des Auswärtigen Amtes, zum Beispiel, das habe ich gelesen, aus Anlass ihres 125-jährigen Bestehens, wo die Geschichte fast ausschließlich aus der Sicht der beamteten Diplomaten geschrieben wird, wo ausgeklammert wird, ja bis hin zu Ministern der Geschichte, soweit ich das in Erinnerung habe –, zum 125-jährigen Bestehen kam nur einmal Stresemann vor.
Und die Zeit des Nationalsozialismus wird mit allgemeinen, fast irreführenden Vokabeln verdrängt. Zum Beispiel steht über diese Zeit zu lesen: In dieser Zeit gab es politischen Einfluss. Sie werden verstehen, dass ein Demokrat bei der Formulierung schon ein kräftiges Stirnrunzeln bekommt, und so ging es mir auch in den Kontakten. Es hat wenig Interesse gegeben, dieser Frage nachzugehen. Ich habe das hin und wieder Menschen auch erzählt.
Schwarz: Wenig Interesse sagen Sie, selbst ein Willy Brandt schwieg als Außenminister, was Frank-Walter Steinmeier gerade ausdrücklich kritisiert hat. Wie erklären Sie sich das?
Zöpel: Ich glaube, in den Berichten, die wir jetzt lesen, gibt es eine Erklärung für dieses Verhalten von Willy Brandt. Er war der erste Sozialdemokrat, also die anderen Sozialdemokraten nach 1966, die überhaupt in Deutschland Minister wurden. Es ging um die Anerkennung dieser Partei, und obwohl Willy Brandt zweifellos eine sehr souveräne Persönlichkeit war, hat er sicherlich auch damit gekämpft, dass er nicht noch zusätzlich diskreditiert wurde aus Fakten, die schon für den Mainstream der Personen im Auswärtigen Amt nicht besonders salonfähig waren. Nämlich er war Emigrant und er war uneheliches Kind, und ich schätze, dass Willy Brandt da einige Zurückhaltung hatte, nun diesen Kampf zu beginnen. Ich halte es nicht für unberechtigt, das heute zu kritisieren, auch ein Willy Brandt konnte Fehler gemacht haben.
Schwarz: Joschka Fischer spricht auch von Mumien – so werden wohl die Ehemaligen im Auswärtigen Amt genannt. Schwebte deren Geist noch lange Zeit über dem Amt, haben sie, wenn auch indirekt, die Aufarbeitung in irgendeiner Weise verhindert?
Zöpel: Es macht immer wenig Sinn zu fragen, ob ein Einzelner da jetzt in einem konkreten Fall was getan hat. Es gibt eine Grundtendenz in diesem Hause, dass es sich gegen Einflüsse von außen – und dazu gehören auch Minister, dazu gehören die parlamentarischen Staatssekretäre, die man Staatsminister nennt, das gehört dazu.
Und es gab in jüngerer Zeit – und das war für mich eine Frage des fast täglichen Erschreckens in den drei Jahren, weil ich daran vorbeiging –, es gibt auf der Ebene des Ministers an der Wand Namen von verstorbenen Mitgliedern des Auswärtigen Amtes, zunächst diejenigen, die wegen ihres Engagements gegen den Faschismus zu Tode kamen, hingerichtet wurden, und fast übergangslos kommt dann die Erinnerung an Namen von Diplomaten, die, sagen wir, bei dem Attentat in Stockholm dort auch aus politischen Gründen umgekommen sind, aber auch von Diplomaten, die durch einen Flugzeugabsturz ums Leben kamen im Bosnienkrieg. Und diese Gleichsetzung zwischen dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus und solchen tragischen Situationen, das hat mich bedrückt.
Und das dokumentiert, dass bis heute eine fehlende Bereitschaft da ist, diese Geschichte zu erklären, und das korrespondiert mit einem Korpsgeist, der dort herrscht, eine Abdrängung von jedem Einfluss von außen, der in Zeiten der Demokratie halt tragisch wird, und zeigt aber, wie Korpsgeist doch dazu führen kann, sich anzupassen im Rückblick auf die Zeit des Faschismus.
Schwarz: Guido Westerwelle will Konsequenzen aus dem Bericht ziehen, haben wir eben gehört, er soll zur Pflichtlektüre für alle Beamten werden. Reicht das aus?
Zöpel: Ja, ich will eine sehr weitgehende Überlegung starten. Ich glaube, es ist ein Fehler, dass das Auswärtige Amt ein Bundesministerium besonderer Art ist, mit einer eigenen Ausbildung. Ich glaube, das ist in doppelter Hinsicht ein Anachronismus. Ich meine, im Auswärtigen Amt sollten Bundesbeamte tätig werden, die mit derselben Ausbildung in allen anderen Ministerien auch tätig sein können, es sollte dort ein reger Wechsel stattfinden, was es gibt.
Und die andere Seite davon: Es ist heute auch nicht mehr an der Zeit, dass nur ein Auswärtiges Amt ganz besondere Erfahrungen in internationalen und globalen Beziehungen hat, eigentlich müssten alle Bundesministerien in der Lage sein, global zu agieren und dazu ausgebildet zu sein. Eine wirklich klare Lösung wäre, den auswärtigen Dienst genauso auszubilden wie alle anderen Bundesministerien und gleich zu behandeln.
Und ich mache noch einen Schritt weiter: Ich glaube, es ist ein Anachronismus, dass ein Bundesministerium sich auf 125 Jahre bezieht. Die demokratischen Ministerien bei uns sind – im Auswärtigen Amt in diesem Fall – 1951 gegründet worden als demokratische Bundesministerien, und wer seine Geschichte auf Bismarck zurückführt, kommt ganz schnell in die Versuchung, die Tragödie des Faschismus zu verschleiern, denn sonst kann man nicht richtig feiern.
Also diese beiden Änderungen würde ich vornehmen: Die Gründung von 1951 und nicht 1871 und Beamte des Auswärtigen Amts sollten genauso ausgebildet werden und auswechselbar sein mit den anderen Bundesbehörden.
Schwarz: Christoph Zöpel, ehemaliger parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt, über den Bericht der Historikerkommission zur NS-Vergangenheit. Herr Zöpel, Ihnen herzlichen Dank!
Zöpel: Ich danke Ihnen auch!