Zombiefilme tragen "gesellschaftliche Apokalypse-Metapher in sich"

Marcus Stiglegger im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
Der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger betont die Vielfältigkeit des immer beliebter werdenden Zombie-Film-Genres. Für ihn zeigt der in Hamburg stattfindende Untoten-Kongress aber auch, dass ein Höhepunkt der Popularisierung erreicht ist.
Stephan Karkowsky: Wenn die Kulturstiftung des Bundes zum Untoten-Kongress nach Hamburg lädt, dann sind die Zombies endgültig in der Hochkultur angekommen: Literatur, Kunst, Film und Wissenschaft werden drei tolle Tage auf Kampnagel munter vermischt unter der Fragestellung: Wann beginnt Leben und wann ist es zu Ende? Debattieren werden darüber Mediziner, Ethiker, Philosophen, Biologen, Künstler und natürlich Filmwissenschaftler wie der Siegener Privatdozent Dr. Marcus Stiglegger. Stiglegger lehrt an den Universitäten Siegen, Mainz, Mannheim und an der internationalen Filmhochschule Köln. Herr Stiglegger, guten Tag!

Marcus Stiglegger: Guten Tag!

Karkowsky: Auf diesem Kongress gibt es Vorträge über den Schlaf als Bruder des Todes, über die Endlichkeit des Lebens über die Kunst des Sterbens und über die Frage: Wäre unser Leben eigentlich besser ohne den Tod? Auch Sie sitzen auf einem Podium gemeinsam mit dem Berliner Horrorfilmer Jörg Buttgereit und reden über das Genre des Zombiefilms und warum es nicht totzukriegen ist. Erklären Sie doch mal einem, der noch nie einen gesehen hat, was da passiert in einem klassischen Zombiefilm.

Stiglegger: Also, der moderne Begriff des Zombies bezeichnet eigentlich einen wieder zum Leben erwachten Toten, der dann gewissermaßen nach Menschenfleisch hungrig auf die Suche geht ...

Karkowsky: Fragt man sich in diesen Filmen, warum?

Stiglegger: ... nach Opfern. Unter Umständen werden Gründe dafür gegeben, das reicht natürlich von irgendwelchen medizinischen Experimenten, die schief laufen, über okkulte Flüche, die sich auf die Weise auswirken, außerirdische Sonden, die Viren freigesetzt haben – es gibt zum Teil sehr hanebüchene Erklärungen natürlich dafür, aber der wesentliche Punkt ist, denke ich, das wieder zum Leben erwachte Tote.

Karkowsky: Und die gehen dann los und fressen gesunde Menschen?

Stiglegger: Genau. Und infizieren sie mitunter, denn wenn diese Menschen die Zombieattacke überleben, dann werden sie selbst zu lebenden Toten, und – genau, und so geht das seinen Kreislauf.

Karkowsky: Und wie kann man diese lebenden Toten, diese Zombies loswerden?

Stiglegger: In den modernen Varianten ab dem Ende der 60er-Jahre werden die dann durch eine Zerstörung des Gehirns, also einen Kopfschuss eliminiert und in jedem Film wird das dann neu gelernt von den Leuten. Weil die Leute im Film natürlich nie einen Zombiefilm gesehen haben, müssen sie dann immer erst mal mehrfach den Körper durchlöchern, bis sie verstehen: Ach so, das Gehirn muss es sein!

Karkowsky: Ah ja! Eine der Säulen dieses Kongresses in Hamburg ist George A. Romeros "Die Nacht der lebenden Toten". War das 1968 der allererste Zombiefilm?

Stiglegger: Nein. Romeros "Nacht der lebenden Toten" ist die Modernisierung des Zombiefilms. Es gibt bereits in den 30er-Jahren sehr berühmte Zombiefilme wie zum Beispiel "White Zombie" oder "Revolt of the Zombies", das sind zum Teil Filme mit Stars wie Bela Lugosi, diese klassischen Gothic-inspirierten Horrorfilme – die ja eher Gruselfilme noch sind – haben eine etwas andere Variante des Zombiemythos zu Grunde liegen.

Karkowsky: Sehen Sie denn Gründe dafür, warum George A. Romero gerade 68 mit einem solchen Stoff punkten konnte? Warum ist er gerade dann damit gekommen?

Stiglegger: Ja, das hat natürlich sehr stark mit den politischen Verflechtungen in dieser Zeit zu tun, das ist natürlich nicht nur die Aufbruchstimmung durch die Studentenrevolte und so weiter, sondern es geht natürlich auch um den Protest gegen den Vietnamkrieg – viele Szenen in dem Film "Nacht der lebenden Toten" sind orientiert an einer bestimmten Form von Gewaltpolitik, die aber auch kritisiert und bloßgestellt wird in diesem Film. Romero ist ja wirklich ein liberaler, eigentlich linker Filmemacher, der natürlich die Gewaltlösung als eine totalitäre, diktatorische Lösung zunächst mal kritisiert.

Karkowsky: Ich dachte immer, Zombiefilme verherrlichen Gewalt!

Stiglegger: Da muss man extrem differenzieren, denn speziell Romeros Filme haben sehr unterschiedliche Formen von Gewalt. Es gibt natürlich zunächst mal die Überlebenden, die natürlich die Gewalt einsetzen müssen, um – gegen die Zombies – um natürlich nicht selbst zu Opfern zu werden.

Andererseits aber gibt es zum Beispiel immer wieder Vigilantenfiguren, also so eine art Selbstjustiz-Trupps, die sich einen Spaß daraus machen, die lebenden Toten zu erlegen, und das wird auch durchaus negativ dann dargestellt. Es gibt kritische Darstellungen von Gewalt und natürlich auch legitimisierte Gewalt.

Karkowsky: Und Zombiefilme polarisieren ungemein. Die Kritiker sagen, sie sind dumm, sie sind inhaltsleer, meist ging es nur darum, möglichst effektvoll Kannibalismus zu inszenieren, also zu zeigen, wie Zombies Menschen lebendig auffressen, dabei die Knochen knacken hören, zu sehen, wie Eingeweide rausgerissen werden, jede Menge Angstgeschrei – das ist ästhetisch minderwertig bis abstoßend. Die Amerikaner sagen "pulp" dazu, also auch Schundliteratur. Was gefällt Ihnen daran?

Stiglegger: Es geht nicht so sehr um das Gefallen, weil ich denke, das sind sehr starke Metaphern, die eben mit einer Form des Körperhorrors arbeiten. Also man muss dann unterscheiden. Es gibt natürlich, sagen wir mal, atmosphärische Horrorfilme, die so über eine gruselige Atmosphäre funktionieren, und es gibt Filme, die über Körperhorror funktionieren. Und das ist nicht immer ein Qualitätsmerkmal, also es heißt nicht, dass das unsubtilere in dieser Hinsicht das schlechtere ist.

Filme von David Cronenberg und George Romero gelten ja heute wirklich weithin als Klassiker, und das völlig zu Recht. Es gibt sehr unterschiedlichen Umgang natürlich damit. Es gibt nach dem Erfolg der Romero-Filme, der ja mit "Zombie" einen Film immerhin machte, der in Deutschland die Goldene Leinwand bekam - weil er so erfolgreich war 1979 - kam ja gleich "Woodoo – die Schreckensinsel der Zombies" aus Italien.

Dieser Film funktioniert dann wieder ganz anders, der hat dann einen – statt diesen soziologisch-politischen Aspekten hat der eher einen sensationellen Aspekt in der Inszenierung. Und das wird dann auch unter Umständen kritisierbar. Aber auch da ist es mittlerweile so, dass sich die Zeiten natürlich geändert haben, dass diese Filme heute wiederum als Prototypen und Klassiker gelten müssen, weil sie sehr viel Einfluss hatten auf spätere Werke.

Karkowsky: Sie hören den Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger. Herr Stiglegger, der Popcorn kauende, spät pubertierende DVD-Gucker, der sich ganz mutig fühlt, weil er auch in den schlimmsten Szenen hinschaut und lacht, der sucht doch im Zombiefilm keine politische Botschaft, oder?

Stiglegger: Ja, das würde ich auch bezweifeln, wobei ich jetzt schon wieder annehmen würde, dass dieser Konsument vermutlich "Resident Evil" spielen würde, bevor er sich Filme anguckt, weil das an ...

Karkowsky: ... und danach den Film guckt!

Stiglegger: ... möglicherweise, aber ich glaube, das Medium Film ist für diese Generation gar nicht mehr so maßgeblich. Aber andererseits ist es so, dass natürlich die Grunddispositionen, die diese Filme haben, und das geht ja meistens wirklich darum, dass also die Regierung irgendetwas verheimlicht hat und das dann schief läuft, und dass natürlich der Durchschnittsbürger zum Opfer wird, zum potentiellen.

Diese Grundmodelle sind natürlich bereits eigentlich kritische Modelle, wenn auch sehr einfach, und das nimmt man schon war, und das nimmt man auch – egal wie unreflektiert jetzt der Zuschauer ist.

Karkowsky: Können Sie denn als Filmwissenschaftler erklären, was am Abschlachten, Köpfe abreißen und auffressen unterhaltsam ist?

Stiglegger: Es gibt natürlich diese Angstlust, die oft thematisiert wird. Das heißt also, die Auseinandersetzung mit Urängsten, die stellvertretend in Filmerlebnissen verarbeitet werden können. Stellvertretend heißt, dass eben keine unmittelbare Gefahr für den Konsumenten besteht. Man kann sich symbolisch damit auseinandersetzen, und das ist natürlich ein gewisser Gewinn, psychologisch gesehen.

Karkowsky: Da war ja in den letzten Jahren verstärkt zu hören, die Zombies sind die neuen Vampire, also gemeint war, Zombiefilme könnten bald ähnlich erfolgreich sein wie das Vampirgenre. Wenn das wahr wäre, was würde es über die Gesellschaft aussagen?

Stiglegger: Ich denke mal, beides sind wiederkehrende Tote, aber da hören die Ähnlichkeiten auf, denn das Vampirgenre ist ja sehr stark sexualisiert, das ist sehr stark in eine neoromantische Richtung entwickelt worden, wie die "Twilight"-Filme und deren Erfolg zeigen, während eben die Zombiefilme wirklich diese gesellschaftliche Apokalypse-Metapher in sich tragen. Es ist also – der Vampirmythos und der Zombiemythos sind unterschiedlich geartete Metaphern. Die stehen für unterschiedliche Modelle, und deswegen, würde ich sagen, ist nicht zu erwarten, dass sich das ablöst, denn beide Mythen bestehen quer durch die Filmgeschichte. Die sind nie so gewesen, dass das eine das andere überlagert hätte.

Karkowsky: Aber es ändert sich was. Der Zombiefilm galt jahrelang als Underground. Die Vampirfilme, die sind schon lange im Fernsehen, der Zombiefilm erst seit Kurzem. In Großbritannien etwa, da lief erfolgreich die Serie "Dead Set" – haben Sie sicher gesehen –, die ganze Welt besteht aus Zombies, nur ins abgeschirmte Big-Brother-Studio sind die noch nicht eingedrungen und belagern das, sehr lustig. In den USA ist "The walking Dead" angelaufen. MTV produziert eine Serie namens "Death Valley". Zombies im Fernsehen – geht das nicht zulasten der Radikalität von Zombiefilmen?

Stiglegger: Ja, sicher. Da geht es natürlich um eine extreme Popularisierung der Metapher. Das heißt natürlich einerseits, dass diese Metapher erkannt wurde in einem großen Umfang und natürlich nutzbar wird. Ein Motiv wie das Zombiemotiv hält sich deswegen so lange – deswegen wäre ja auch diese These damit belegt –, je besser es an den Zeitgeist anschlussfähig ist.

Und wir leben nun in einer Zeit, die diese apokalyptischen Strömungen sehr stark popularisiert hat, und dadurch die Zombiemetapher zu einem ihrer Ausdrucksbilder, zu einem ihrer Ikonen erklärt hat. Und deswegen funktioniert das momentan sehr gut.

Karkowsky: Und so einen Blockbuster wie "Zombieland" – spielte ja 60 Millionen Dollar ein im Kino und hatte ja mit Bill Murray und Woody Harrelson durchaus große Stars an Bord. Was ist Ihre Prognose? Wird der Zombiefilm Mainstream?

Stiglegger: Also ich habe das Gefühl – aber das soll jetzt nicht das Negativ darstellen, dass also die Tatsache, dass zum Beispiel so ein Kongress jetzt stattfindet in Hamburg, ein bisschen schon kennzeichnet, dass hier ein Höhepunkt erreicht ist. Ich würde nicht sagen, dass jetzt noch viel mehr Popularisierung erwartet werden kann, sondern wir sind jetzt schon natürlich in der Reflexion und Selbstreflexion. "Zombieland" ist ja eine Parodie auf Zombiefilme.

Das heißt, die Parodie ist meistens auch ein Anzeichen dafür, dass, wie soll man sagen, eine Abnutzung natürlich eingetreten ist, dass also die Ernsthaftigkeit der Metapher hinterfragt werden kann. Und natürlich gibt es immer wieder Phasen, die das ermöglichen, aber hier, denke ich, ist ein Zeichen, dass wir uns momentan auf dem Höhepunkt befinden dieser Tendenz.

Karkowsky: Sie sind nicht totzukriegen, die Zombiefilme, über die Privatdozent Dr. Marcus Stiglegger am Samstag die Besucher eines Kongresses auf Kampnagel in Hamburg unterrichten wird. Der Kongress beginnt heute, läuft bis übermorgen, er heißt: "Die Untoten – Live Sciences and Pulp Fiction" und wird veranstaltet von der Kulturstiftung des Bundes in Kooperation mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft. Herr Stiglegger, danke für das Gespräch!

Stiglegger: Vielen Dank!
Mehr zum Thema