"Noch sterbe ich nicht! Ich habe noch viel zu sagen!"
Marianne Faithfull ist kein einfacher Mensch. Das beruht auf ihrer Karriere, die von etlichen Tiefschlägen gezeichnet ist. Deutlich geprägt von diesen Tiefschlägen ist auch ihr neues Album "Negative Capability". Und im Interview spricht sie dann auch noch über einen "guten Tod".
"Tut mir leid, aber ich habe Fieber und schwitze. Können sie den Ventilator auf mich richten? Und machen Sie schnell mit ihren Fragen. Es geht mir nicht gut…"
Eigentlich gehört Marianne Faithfull ins Bett und aus dem kommt sie gerade: Sie empfängt im Pyjama, mit Morgenmantel, hochrotem Kopf und zerzaustem Haar. Eine kranke Frau, die kaum laufen kann, nach Luft japst, schlecht hört und selbst auf Komplimente äußerst gereizt reagiert. Etwa wenn man ihr neues Album mit dem Spätwerk eines Leonard Cohen oder Johnny Cash vergleicht, weil es von geballter Lebenserfahrung und Intensität zeugt. Da springt einem die 71-Jährige fast ins Gesicht.
"Noch sterbe ich nicht! Ich mag zwar so aussehen und bei mir stimmt einiges nicht, aber so alt bin ich nicht. Ich habe noch viel zu sagen. Also, da kommt noch mehr."
"Je mehr man kämpft, desto schlimmer ist es"
"Negative Capability", ihr 21. Album, sei nicht ihr letztes, sagt La Faithfull. Und sei es nur, weil sie ihr Apartment in Paris finanzieren müsse. Eine mondäne Altbauwohnung voller Bücher, Kunst, Fotos, aber auch welken Blumen und Essensresten. Die – so die Hausherrin – verlasse sie selten. Und hier schreibe sie melancholische, autobiographische Texte über verflossene Lover und Freunde wie Anita Pallenberg, die Ex von Keith Richards. Die sei einen "guten Tod" gestorben. Und den wünscht sie auch für sich selbst.
"Ein guter Tod ist, wenn man einfach loslassen kann. Das ist es, was ich beobachtet habe – etwa bei Anita. Unter einem harten Tod verstehe ich, wenn man dagegen ankämpft und Widerstand leistet. Was ganz normal und menschlich ist. Keiner will sterben. Aber je mehr man kämpft, desto schlimmer ist es. Und ich hoffe, ich kann loslassen."
Der rote Faden? – Die schwermütigen Gedanken
Schwermütige Gedanken, die sich wie ein roter Faden durch ein Album ziehen, das – so sagt sie – vielleicht ein bisschen zu negativ geraten ist. Und mit dem sie ihr Publikum auf eine echte Probe stellt. Etwa mit Stücken wie "They Come At Night", das sich den Terroranschlägen vom November 2015 widmet – einer Welt voller Hass, die die Ikone der Swinging Sixties nicht versteht.
"Ich war genau hier. Und so entsetzt und geschockt, dass ich den Song geschrieben habe – über die Rückkehr der Nazis. Eben Trump, ISIS und diese schreckliche Frau in England – die sind überall. Aber wir müssen halt weitermachen. Wir haben keine Wahl."
Ein Song, der mit Mark Lanegan entstand – einer von vielen prominenten Gästen auf diesem Album, zu denen auch Nick Cave und der Singer/Songwriter Ed Harcourt zählen. Mit ihnen hat Faithfull ein altmodisches, stimmungsvolles Stück Seventies-Rock aufgenommen – warm, harmonisch, melodramatisch. Mit Klavier, akustischen Gitarren und Streichern. Aber auch Neuinterpretationen ihrer Klassiker "Witches' Song" und "As Tears Go By" – die mittlerweile dritte und definitive Version ihres Welthits von 1964.
Und dann auch noch eine Schulter-OP
"Es scheint wirklich so, oder? Wobei mich das nicht überrascht. Nach all der Zeit, fällt es einem leichter, die Essenz eines Stückes rüberzubringen. Und ich will daraus keine große Sache machen. Es ist immer noch ein toller Song."
Wirklich viel ist ihr in dieser Verfassung und mit dieser Laune nicht zu entlocken. Über die Rolling Stones, zu deren Entourage sie Ende der 60er zählte, will sie nicht reden, über Paris und ihre Gesundheit auch nicht. Sie lässt nur durchschimmern, dass sie wegen einer Schulter-OP nicht touren kann. Und dann wird sie durch das Klingen ihres Telefons erlöst. Es ist ihre Stylistin – womit die Audienz beendet ist. Nächstes Mal kriegt sie einen Kaktus statt Blumen.