Sprecherin und Sprecher: Simone Kabst und Michael Rotschopf
Regie: Roman Neumann
Ton: Andreas Stoffels
Redaktion: Dorothea Westphal
Steine, Menschen, Bienen
29:48 Minuten
Nur einmal sei er in den Urlaub gefahren, ansonsten habe er seine freie Zeit mit Schreiben verbracht, erzählt Norbert Scheuer. Noch bis vor Kurzem war er hauptberuflich Systemprogrammierer bei der Telekom. Seine Bücher kreisen um seinen Wohnort Kall in der Eifel.
"Ich mag sein Schreiben, ich höre seinen Ton gern, ich mag den Duktus, in dem er spricht", sagt Hubert Winkels, Literaturredakteur des Deutschlandfunk. Er kennt Norbert Scheuer und sein Werk seit Jahren und ist Mitglied der Jury, die Scheuer im Herbst 2019 den Wilhelm-Raabe-Preis verliehen hat: "Ich finde, er kann mit großer Empathie und Liebe eben auch von Menschen sprechen."
Äußere und innere Landschaften
Norbert Scheuer lebt in Keldenich, einem kleinen Dorf, das zur Gemeinde Kall gehört und in der Eifel liegt, rund eine Stunde von Köln entfernt. Seine Romane spielen hier: in Kall und in der Umgebung.
"Also," erzählt Scheuer, "ich beschreibe nicht eins zu eins, so wie Kall aussieht, oder sagen wir mal der Garten hier aussieht, wenn wir aus dem Fenster rausgucken, sondern es wandelt sich sozusagen um in eine Geschichte. Und diese Geschichte hat dann ein Eigenleben. Und deswegen sind es sowohl äußere als auch innere Landschaften, und äußere und innere Orte."
Hubert Winkels meint dazu: "Es ist ein fantastisches Universum, das er nach und nach aufgebaut hat. Und es ist so weltläufig wie New-York-Romane von jüdischen Erzählern aus Brooklyn."
Und Patrick Bahners, Kritiker und Korrespondent für Geisteswissenschaften der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, findet: "Er arbeitet eigentlich überhaupt nicht mit Effekten des Pittoresken. Es sind Eifelromane, aber es ist nicht so, dass man die Bücher lesen sollte, weil sie mit Lokalkolorit einen hinein ziehen, sondern es ist dann schon die Fähigkeit, mit der Sprache eine immanente Glaubwürdigkeit zu erzeugen."
Schreibender Systemprogrammierer
Norbert Scheuer war von Beruf zunächst Elektriker. Er ging dann zur Abendschule und studierte physikalische Technik und Philosophie und wurde Systemprogrammierer bei der Telekom. Bis zu seiner Rente. Schriftsteller wurde er parallel zum Telekomjob, weil die Philosophie Fragen aufwarf, die sich mit ihren Mitteln nicht beantworten ließen.
"Sie sind besser aushaltbar. Und zwar deswegen, weil während des Schreibens, wenn ich eine Geschichte erzähle, gibt es natürlich Fragen, die eine Rolle spielen, die quasi subkutan in dem Text sind und von mir dann unbewusst behandelt werden. Das ist dann auch das Schöne, dass man Texte schreibt, die mehr bedeuten, als man eigentlich sagen kann."
Auf der Zufahrtsstraße wächst Gras. Neben dem verschlossenen Werkstor ist der Maschendraht zur Seite gedrückt für einen erzwungenen Durchgang, den offenbar Partygänger und Fossiliensammler nutzen. Der aufgelassene Steinbruch gehörte zu dem Zementwerk, in dem der junge Norbert Scheuer zum Elektriker ausgebildet wurde.
"Diese Zeit als Elektriker war sehr prägend für mich, weil auch die Arbeit in einem Zementwerk etwas ganz Außergewöhnliches ist."
Allmählich erobert sich die Natur das aufgegebene Industriegelände zurück. Hier spielt der Roman "Der Steinesammler".
Birken, Nadelhölzer und Büsche haben sich im ehemaligen Steinbruch angesiedelt und eine Atmosphäre geschaffen, die zwischen romantisch und wild changiert. Norbert Scheuer erwähnt, dass hier in den steilen Felsen sogar ein Uhu siedelt, der auch in dem Roman "Der Steinesammler" einen Auftritt hat. Natürlich sei es laut in dem Steinbruch gewesen, gestaubt habe es auch, aber im Grunde sei ein Steinbruch, auch wenn er betrieben wird, kein schlechter Ort.
Die Grauköpfe als Inspirationsquelle
Auch wenn in Scheuers Romane sein eigenes Leben einfließt, so sind sie doch nicht autobiographisch: "Wie ich das mache, ist ein großes Rätsel, auch für mich. Ich zerteile und zerstückle, was an meinem Leben ist, in ganz viele Teile und die übergebe ich dann Figuren. Das ist ungefähr so wie ein Puppenspieler, der die Fäden in der Hand hält. Ich bestimme so rationale Sachen wie Plots und was so passiert, da kann ich mitreden als Erzähler. Aber was sonst noch da passiert, das ist sozusagen etwas, was für mich selbst unsichtbar ist und was am Ende dann aber vorhanden ist."
Norbert Scheuers Lieblingscafé liegt am Bahnhof Kall im Eingangsbereich eines großen Supermarktes. Hier sitzen die Grauköpfe, erzählt Scheuer.
"Also die sitzen morgens immer hier und zwar hier vorn an dem Tisch an der Hinterwand unter dem Spiegel. Es sind so sechs bis zehn, manchmal auch noch mehr, ältere Herren, die aus irgendwelchen Dörfern hier in der Umgebung hierhin kommen und hier Kaffee trinken und sich unterhalten und über Gott und die Welt reden."
Diese Grauköpfe, die schon in einem früheren Roman aus der Supermarkt-Cafeteria heraus die Ereignisse in Kall kommentiert haben, sollen angeblich den letzten Roman "Winterbienen" inspiriert haben.
Bomben und Bienen
"Bienen!", sagt Hubert Winkels. " Man fragt sich immer, wie kann jemand so intensiv die Kenntnis verarbeiten, die es auf diesem Feld gibt, und das auch noch erzählerisch locker umsetzen?"
Doch es geht nicht nur um Bienen. Die Geschichte ist mit historischen Bezügen angereichert.
Norbert Scheuer sagt dazu: "Also es ist so, dass hier in der Eifel die Bauern tatsächlich Flüchtlinge zur belgischen Grenze gebracht haben, mit den unterschiedlichsten Methoden, und sie haben dafür auch Geld verlangt, zweihundert bis dreihundert Reichsmark. Das ist nicht viel, dafür, dass man sein Leben riskiert."
In den "Winterbienen" beginnt das Tagebuch des Egidius Arimond im Winter 1944. Arimond war früher Lehrer gewesen, wurde dann vorzeitig aus dem Schuldienst entlassen - wohl wegen seiner Epilepsie - und lebt nun von den Erträgen seiner Bienenzucht.
Als Epileptiker ist Arimond vom Militärdienst freigestellt, was ihm das Leben retten mag. Andererseits bedroht die Krankheit sein Leben - nach dem Denken der Nazis ist Arimond nur ein nutzloser Schmarotzer, der vernichtet gehört. So ist die Lage, während über die Eifel die Bomber und Jagdflugzeuge der Alliierten in das Reich einfliegen. Es fliegen auch Arimonds Bienen.
"Und natürlich gab's hier auch einen Imker, der Tagebuch geführt hat. Dieses Tagebuch ist eigentlich die Inspirationsquelle für meinen Roman. Denn dieser Imker schreibt irgendwann in diesem Tagebuch, er geht raus in dem Frühjahr und die Bienen kommen und gleichzeitig schildert er die feindlichen Bomber, die zu dem Zeitpunkt schon über die Eifel geflogen sind. Und diese Kombination, auf der einen Seite die bedrohlichen Bomber und dann die Idylle der Bienenzucht, diese zwei Sachen haben mich inspiriert, dann den Roman zu schreiben."
Der Kritiker Patrick Bahners: "Etwas besonders Schönes an diesem Buch finde ich, was einen so richtig erfreuen kann, ist, dass er überhaupt nicht auf den normalen Kunstzucker sozusagen der Spannungsdramaturgie setzt, dass man bei jeder Nebenfigur zum Beispiel darauf angewiesen ist: Was wird denn aus der? Es gibt eben eine Lebensechtheit gerade darin, dass manche Figuren auch wieder aus dem Blickfeld verschwinden."