"Zu groß, um Zwerge abzubilden"

Rolf Giesen im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Der Regisseur Peter Jackson hat seine "Hobbit"-Verfilmung in 3D vorgelegt - die Zuschauer sind überwältigt. Das aber reicht nach Einschätzung des Animationsfilmkenners Rolf Giesen nicht. 3D helfe zwar, alles intensiver zu machen, doch für das Kino der Gefühle sei diese Technik zu groß.
Liane von Billerbeck: Heute ist es so weit: Nach der erfolgreichen "Herr der Ringe"-Trilogie kommt nun auch "Der Hobbit. Eine unerwartete Reise", also der erste Teil dieser Geschichte, in unsere Kinos. Vorschusslorbeeren gab es ohne Ende, ob sie berechtigt sind, darüber wollen wir mit dem Filmwissenschaftler Rolf Giesen sprechen. Er ist der deutsche Kenner des fantastischen, das Animations-, des Trickfilms und auch der technischen Entwicklung: Filmwissenschaftler, Sachbuchautor und der deutsche Kenner von fantastischem und Animationsfilm. Er lebt und unterrichtet in Berlin und Peking. Zum Glück ist er jetzt hier, und er hat den "Hobbit" - fast möchte man sagen: selbstverständlich - schon gesehen. Guten Tag, Herr Giesen!

Rolf Giesen: Ja, schönen guten Morgen, hallo!

von Billerbeck: Wie hat's Ihnen denn nun gefallen in Jacksons "Hobbit"?

Giesen: Während ich den Film sah, war ich überwältigt, hingerissen, alle zehn Minuten eine neue Action-Sequenz, zum Denken kam man natürlich gar nicht, zum Fühlen kam man gar nicht. Es war, es stürzte alles auf einen ein. Nur, als ich das Kino verließ, war in mir eine gähnende Leere, es war stereoskopisch, aber ich fühlte keine Tiefe. Und zum Schluss dachte ich: 'Diese Technik ist zu groß, um Zwerge abzubilden.'

von Billerbeck: Aber diese Zwerge - so habe ich das, glaube ich, bei Dietmar Dath in der "FAZ" gelesen -, die könnten ja so 'was sein wie in der Gegenwart die Klimaflüchtlinge, wenn die da zurückwollen in ihre Burg. Es wäre also möglich, dass man mit denen durchaus Mitleid, Mitgefühl, Empathie empfinden könnte. Wieso passiert das nicht?

Giesen: Weil das alles ein großes ökonomisches und technologisches Unternehmen ist. Und das Ganze ist eigentlich ein Gimmick, um uns auf, ja, eine Virtualisierung, auf ein neues Zeitalter vorzubereiten. Ein wesentlicher Baustein wie es "Jurassic Park" war, wie es "Lord of the Rings" war. All dies soll uns mit guter Unterhaltung in dieses neue Zeitalter ...

von Billerbeck: Anfüttern?

Giesen: ... ja, hinüberbringen und uns anfüttern, ja.

von Billerbeck: Nun wird ja sehr viel - wir sprechen gleich darüber -, nun wird ja sehr viel über diese Technik geredet. Dass da jetzt wieder ... Also, es wird natürlich in 3D gedreht und es werden 48 Bilder statt bisher 24, an die wir gewöhnt sind, pro Sekunde gezeigt. Was heißt das eigentlich, was macht das mit dem Zuschauer, was bedeutet das?

Giesen: Man probiert, in dem analogen, in dem ursprünglich analogen Medium Kino eine größere technologische Umwandlung zu vollziehen. Das alles soll intensiver und realistischer sein. Die Amerikaner, aber auch die Neuseeländer denken ja nicht in Stilisierung, sie wollen alles ganz realistisch, auch die Fantasy muss porentief sein, man muss die Poren sehen des Schauspielers, auch der digitalen Figuren fast, möchte ich sagen. Alles muss life like sein. Und diese Technik trägt dazu bei. Aber das ist auch dann ein gewisser Widerspruch, weil das Medium Kino an sich das gar nicht mehr hergibt. An sich ist das auch schon eine Überleitung sozusagen, diese Technik ist zu groß, nicht nur für Zwerge, sondern sie ist eigentlich auch zu groß für's Kino!

von Billerbeck: Auch für den Zuschauer, der damit überfordert ist, oder ...

Giesen: Nein, der ist glänzend unterhalten. Also, die Leute während der Vorführung sind ja wie betäubt. Die sind wie betäubt, als hätten sie eine Droge genommen. Nur, wie gesagt, wenn man rausgeht, könnte man gar nicht sagen, warum man so großartig unterhalten wurde.

von Billerbeck: Nun haben Sie gesagt, die Technik ist zu groß für die Zwerge und auch fürs Kino. Was heißt denn das fürs Kino, was heißt das auch für die Zuschauer des Kinos?

Giesen: Das Kino hätte - wie auch die Musikindustrie - darauf achten müssen, sich nicht vollständig der Digitalisierung anzuempfehlen. Also nicht sofort auf diesen Zug aufzuspringen. Denn damit hat sie natürlich ein gewisses Monopol aufgegeben, das nun von Crossmedia-Strukturen übernommen wird. Eigentlich sind diese Dinge besser im Computerspiel, in interaktiven Szenarien aufgehoben, wo der Zuschauer sich selber, der User sich selber dann in Mittelerde hineinstürzen kann. Das ist der Sinn aller Digitalisierung. Der Sinn aller Digitalisierung ist, zu globalisieren, Netzwerke zu bilden, interaktiv zu machen. Ein Medium kann da gar nicht mehr autark sein. Und darum wird das Kino ... Es hat immer noch einen ganz hohen Stellenwert dafür, aber es hat nicht mehr das Monopol der laufenden Bilder.

von Billerbeck: Aber erklären Sie uns das: Sie sagen, das Kino hätte sich dieser Technologie nicht so hingeben müssen, also - daraus schließe ich - hätte sich vielleicht sogar dieser Technologie verweigern müssen. Aber geht so 'was? Das ist ja wie mit bestimmten Erfindungen, wo man sagt, die Wissenschaftler sollen sie bitte nicht in die Welt bringen, weil: Die sind gefährlich. Wenn eine Erfindung da ist, dann wird sie genutzt, das gilt doch auch für diese.

Giesen: Das gilt auch für diese und sie ist ja sehr gut aufgehoben in einem neuen Medium, das wir erst mal als Computer kennen. Die Forschungen laufen natürlich viel weiter, wir befinden uns ja noch in der Steinzeit dieser neuen Medien. Das müssen wir uns vorstellen, das ist ja nicht das Ende, das ist erst der Anfang! Was uns erwarten wird, ist wahrscheinlich, sind große Vernetzungen auch - wahrscheinlich - noch mit dem menschlichen Gehirn. Aber darüber zu spekulieren, das sollten wir nicht tun. Das Kino wie das Theater und Ähnliche müssen sich besinnen darauf, was sie …, worin sie die Stärken haben. Das ist natürlich, Geschichten zu erzählen, Empathie zu erzeugen. Da braucht man nicht die riesige Technologie. Es gibt kleine Filme, die können das viel, viel besser und können viel mehr im Zuschauer erzeugen als ein 500-Millionen-Dollar-Mammutstück. Das ist dann ganz interessant.

von Billerbeck: Das heißt, Sie bedauern, dass das Kino eigentlich das aufgegeben hat, was es ausgemacht hat, dass es Gefühle beim Zuschauer erzeugen kann?

Giesen: Ja, das ist sicher richtig. Das wird die Digitalisierung nicht schaffen. Die Digitalisierung wird etwas anderes machen: Es wird probieren, Gefühle künstlich zu erzeugen. Das ist natürlich ein großes Forschungsgebiet. Aber das Kino erzählt Geschichten mit Empathie. Und interessanterweise: Ich sehe, wie toll diese digitalen Figuren sind, vor allem der Gollum ist in diesem Stück viel besser als in den vorhergegangenen Filmen. Man sieht also schon den Quantensprung, den die Technologie gemacht hat. Aber ich merke eine Distanz zu dieser Figur, ich merke eine gewisse ...

von Billerbeck: Bei Ihnen oder bei den Machern?

Giesen: Ja, bei mir, bei mir, bei mir. Und das, denke ich, wird manchen Zuschauern ähnlich gehen wie mir.

von Billerbeck: Nun haben Sie gesagt, die Gefühle, die eigentlich das Monopol des Kinos waren, des Films, wie wir ihn kennen aus dem analogen Zeitalter, die wird man möglicherweise künstlich erzeugen. Was meinen Sie: Man wird also ein Kabel direkt ins Gehirn, um das also richtig physiologisch zu erzeugen, oder wohin geht das?

Giesen: Das ist natürlich reine Science Fiction und reine Spekulation. Aber sicher ist das menschliche Gehirn Terra incognita und als Interface für Virtualisierung und Digitalisierung sehr gut geeignet. Auch um uns zu absorbieren in Fantasy-Welten. Insofern: Ich wurde mal gefragt: "Ist ein Film wie 'Der Hobbit', ist das Eskapismus?" Und ich sage: "Vordergründig ja, aber hintergründig erfahren wir vielleicht mehr über unsere Zukunft, über das, was uns erwartet, wenn wir hinter die Kulissen dieser neuen Technologie blicken." Ich glaube, das ist sehr wichtig, darüber eine Diskussion zu führen. Nicht vordergründig über den Film.

von Billerbeck: Nun, wenn man über das Thema Zukunft des Kinos, Zukunft des Films, Zukunft dieser Medien spricht, dann muss man ja fragen: Wo wird die entstehen? Sie unterrichten in Peking, in China also. Gerade ist von einem großen Boom des Filmemachens in Neuseeland geschwärmt worden.

Giesen: Das ist natürlich, das ist reines Marktgeschrei. Ich kenne die Kollegen Neuseelands sehr gut und ich kenne die Kollegen in Los Angeles und San Francisco. San Francisco, eine riesige Firma, Lucasfilm, Industrial Light & Magic, das waren die Marktführer, die haben nun aufgegeben. Die haben sozusagen sich an Disney verkauft. Das war von Lucas eine sehr weise Geste, denn - Sie haben es mir selber erzählt: "Wir können", sagen sie, "mit den Preisen in Indien und China und Asien nicht mehr konkurrieren. Die machen da nur noch zehn Prozent dessen aus, was wir verlangen müssen. Die sind wesentlich teurer, aber die Software ist so wohlfeil, die man kreiert hat, dass man sie dort in Asien viel billiger anbieten kann." Das heißt: Indem diese großen Szenarien jetzt technologisch entworfen werden, ist die Abschaffung der eigenen Betriebe längst schon präjudiziert. Jackson ist ein sehr kluger Mann und hat es - auch mit deutschen Geldern nebenbei, mit deutschen Fondsgeldern - in Neuseeland sehr clever und sehr smart angelegt. Aber er muss auch aufpassen, dass die Revolution nicht die eigenen Kinder frisst. Auch er wird neue Marktstrategien fahren müssen. Und letztlich wird er nicht überleben. Es werden andere kommen, Jüngere, Wendigere ...

von Billerbeck: Chinesen, Asiaten.

Giesen: Wahrscheinlich! Das Pendel schwingt zurück. Zum Beispiel: die Chinesen haben das mechanische Zeitalter verschlafen, 250 Jahre. Sonst waren sie immer da in der Weltgeschichte. Aber jetzt, das wird sich ... Die neue Zeit wird sich ihnen öffnen und wird zu ihrem Vorteil arbeiten. Und diese Software ist ... Die können Sie downloaden. Und ein Film, der heute 500 Millionen Dollar, eine Trilogie, die heute 500 Millionen Dollar kostet, wird vielleicht in zehn Jahren auch nur noch fünf Millionen Dollar kosten in der Herstellung, oder man kann es am "heimischen PC" - hätte ich gesagt in Anführungsstrichen sehr pauschal formuliert - durchführen.

von Billerbeck: Einschätzungen des Filmwissenschaftlers Rolf Giesen vor dem heutigen Filmstart vom "Hobbit". Danke für das Gespräch!

Giesen: Danke auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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