Zu Lebzeiten bereits ein Mythos
Vor 90 Jahren wurde Federico Fellini geboren. Der Regisseur von "8 1/2", "Roma" und "Stadt der Frauen" war bereits zu Lebzeiten ein Star, mit dem jeder Schauspieler drehen wollte. Fellini-Filme wurden zur Marke für traumhaft bunte Fantasiewelten.
Frank Meyer: Am 20. Januar 1920 ist Federico Fellini in Rimini zur Welt gekommen, also vor fast 90 Jahren. Zuerst hat Fellini als Journalist und Karikaturist gearbeitet, zum Film ist er über das Drehbuchschreiben gekommen.
Er war zehn Jahre lang Drehbuchautor und Regieassistent, bis er seinen ersten eigenen Film herausgebracht hat: 1950, "Lichter des Varieté" hieß der Film. Und damit begann der Mythos Fellini, und dem war unsere Autorin Claudia Wheeler in Italien auf der Spur. Jetzt ist sie hier bei uns im Studio.
Claudia Wheeler, wie standen denn die anderen Filmleute zu Fellini? Wahrscheinlich muss man fragen, wie groß war ihre Bewunderung für ihn?
Claudia Wheeler: Also die Bewunderung muss man sagen war fast schon grenzenlos. Also Fellini war bereits zu Lebzeiten ein Mythos. Man kann seine Popularität und seine Beliebtheit vielleicht mit der von Woody Allen vergleichen. Also jeder wollte wenigstens einmal in einem Fellini-Film mitspielen, egal wie klein die Rolle auch gewesen wäre. Und sobald sich herumgesprochen hatte, dass Fellini wieder einen neuen Film vorbereitet, standen die Telefone nicht mehr still.
Regisseure wie Steven Spielberg, Martin Scorsese oder Terry Gilliam, der gerade mit seinem "Kabinett des Dr. Parnassus" im Kino ist, die sind extra nach Rom gefahren, um ihm bei den Dreharbeiten zuzuschauen. Und wenn man sich zum Beispiel die Filme von Terry Gilliam anschaut, auch seinen neuesten, diese Mischung aus Albtraumwelten, traumartigen Welten und Realität, dieser bunte Bilderbogen, den er da aufspannt, da sieht man ganz deutlich, wie er von Fellini beeinflusst wurde. Oder auch Martin Scorsese, der heute noch seine großen Filmepen wie beispielsweise "Gangs of New York" in aufwendigen Kulissen dreht - und Fellini hat seine Filme ja ausschließlich in der Kulisse gedreht.
Und bestimmt ist es kein Zufall, dass beide Regisseure, also Terry Gilliam und Martin Scorsese, mit Dante Ferretti zusammengearbeitet haben. Das war lange Jahre der Szenenbildner von Fellini, und den habe ich vor einigen Monaten in Rom getroffen:
Dante Ferretti: "Er war ein großer Künstler. Ein großer Träumer. Für einen Szenenbildner gibt es nichts Größeres, als für Fellini zu arbeiten. Er war mein Mentor. Ich habe auch mit Pasolini und anderen großen Regisseuren gearbeitet, aber Fellini hat mir viele Türen geöffnet. Durch ihn habe ich Martin Scorsese kennengelernt und Terry Gilliam. Wenn ich in Amerika erzähle, dass ich mit Fellini und Pasolini zusammengearbeitet habe, sind alle immer unglaublich beeindruckt. Fellini war schon immer ein Mythos."
Meyer: Dante Ferretti, der Szenenbildner von Federico Fellini. Das war jetzt der Blick zurück, Claudia Wheeler, schauen wir doch mal in die Gegenwart. Wie ist das heute mit der Popularität von Fellini in der Filmwelt, wenn wir nach Italien schauen? Junge italienische Regisseure, ist für die Fellini noch eine Größe?
Wheeler: Absolut. Fellini ist heute noch das Vorbild vieler junger italienischer Regisseure. Wenn wir uns die beiden letzten italienischen Filme anschauen, die international auch für Aufregung gesorgt haben, also "Gomorrha" und "Il Divo", beides Regisseure, die Mitte/Ende 30 sind, beide haben in Interviews immer wieder gesagt, dass sie Filmregisseure geworden sind, nachdem sie Fellinis "8 1/2" gesehen haben.
Also da sieht man, dass Fellini heute noch eine Ikone des italienischen Kinos ist. Und eine Sache, die sicherlich auch noch zum Mythos von Fellini beigetragen hat, ist die Tatsache, dass er selber zur Marke geworden ist. Also sein Name ist wirklich Programm. Wenn man sich zum Beispiel Übersetzungen ins Deutsche seiner Filmtitel anschaut, dann heißt es eben, "Fellinis 8 1/2", "Fellinis Roma", "Fellinis Stadt der Frauen", also nicht der Schauspieler wird hier zur Marke, sondern der Regisseur selber. Und das haben, glaube ich, nur ganz wenige Regisseure geschafft.
Meyer: Und woran liegt das? Woran liegt das, dass diese Filme bis heute so eine Strahlkraft haben? Wie sind die überhaupt entstanden, diese Filme?
Wheeler: Ja, das war schon ziemlich außergewöhnlich, weil Federico Fellini nie ein Skript hatte oder ein fertiges Drehbuch. Er hatte eine Idee, dann hat er seine ganze Filmcrew zusammengetrommelt und hat angefangen zu drehen. Und der eigentliche Film, die Handlung, die ist Tag für Tag entstanden. Er kam morgens um neun Uhr in sein Büro, hat sich an die Schreibmaschine gesetzt, die Texte für die Schauspieler geschrieben, und dann ging es los.
Also weder das Filmteam noch Fellini selber wussten, wie geht der Film weiter, wie hört er auf. Und Nicola Piovani, der Filmkomponist, der die letzten drei Filme musikalisch inszeniert hat für Fellini, hat das Filmset ganz schön beschrieben. Das können wir ja mal hören:
Nicola Piovani: "Sie müssen sich das Filmset von Fellini als etwas völlig Anormales vorstellen - mit vielen Komparsen, einem großen Orchester, einfach mit unglaublich vielen Menschen. Normalerweise ist es am Set immer sehr laut, und wenn der Regisseur sagt 'Action!', wird es im ganzen Studio ruhig. Bei Fellini passierte genau das Gegenteil. Denn er hatte keinen Drehplan. Es war alles improvisiert. Während er also über die nächste Szene nachdachte, war es am Set mucksmäuschenstill. Sobald er aber sagte 'Action!', fingen alle an, wie wild herumzuschreien, und Fellini schrie am lautesten, gab Anweisungen. Die Schauspieler, die ganz neu dabei waren, waren völlig überfordert von diesem Chaos. Doch das war Fellinis Art, Kino zu machen. Sein Set war ein riesiger Vergnügungspark."
Meyer: Der Filmkomponist Nicola Piovani. Das klang fast wie ein Zirkus gerade, diese Setbeschreibung von ihm. Fellini hat sich ja auch selber so als Zirkusdirektor gesehen, das war seine Lieblingsrolle?
Wheeler: Das war seine Lieblingsrolle. Er selber war seit seiner Kindheit fasziniert vom Zirkus, und diese Faszination, finde ich, spürt man eigentlich in fast jedem Fellini-Film. Dieses Chaotische, dieses Bunte, diese skurrilen Figuren, die bei ihm auch immer wieder auftauchen. Und man spürt einfach diese Liebe, diesen Spaß am Filmemachen, am Geschichtenerzählen. Und 90 Minuten lang taucht man als Besucher wirklich ein in ganz fantastische Welten.
Und wenn man dann versuchen will, einen Film von Fellini mal kurz zusammenzufassen, ist das schier unmöglich, weil es ein Puzzle ist aus ganz verschiedenen Geschichten, aus kleinen Anekdoten, die sich dann zu einem großen Fresko aufspannen. Und in seinem Film "8 1/2" hat er das eigentlich zum ersten Mal so wirklich auf die Spitze getrieben. 1963 war da die Premiere, und die Filmkritik hat damals schon von einem Meisterwerk gesprochen, weil er hier wirklich zum ersten Mal alle Konventionen über Bord wirft und einen Film schafft, in dem wirklich Fantasie und Realität fließend ineinander übergehen.
Meyer: Und Sie haben vorhin schon gesagt, dass all diese Filme in künstlichen Kulissen entstanden sind, in Studios, immer in der römischen Filmstadt Cinecittà. Er ist ganz selten rausgegangen an Originalschauplätze, Federico Fellini, warum das?
Wheeler: Ja, Fellini hat diese Künstlichkeit des Studios für seine Filme gebraucht, kann man schon fast sagen, die ja selber sehr künstlich sind. Und ihm ging es auch nicht darum, eine Landschaft, einen Straßenzug oder eine Häuserzeile eins zu eins nachzubauen, es ging ihm immer um seinen ganz eigenen Blick auf die Dinge.
Er hat also, auch wenn er gesagt hat, ich drehe "Roma", den Film, er hat nicht Rom nachgebaut, es gab immer kleine Veränderungen. Er hat daraus auch nie einen Hehl gemacht. Er hat den Zuschauern gezeigt, ich bin im Filmset, das dürft ihr auch sehen. Und diese Methode, die er hatte, ich bin im Studio, ich drehe hier etwas Künstliches, ich baue meine eigene Welt, das hat er dem Zuschauer auch kundgetan, er hat es also zum Thema gemacht. Und er selber hat in einem Interview seine Liebe, seine Faszination für das Filmstudio einmal so beschrieben:
Federico Fellini: "Für mich gibt es nichts Anregenderes, nichts Erregenderes als ein leeres Studio. Wenn ich in diesem riesigen, leeren, schmucklosen Raum stehe, dann ist das für mich ein faszinierender Moment, ein Moment der wahren Erregung. Und wenn ich mir vorstelle, dass diese Leere in einigen Tagen mit einem Garten, einem Wald, einem Palast oder einer Kirche aufgefüllt sein wird, ist es eine Befriedigung. Den gleichen Reiz empfindet wohl ein Autor vor einer weißen Seite oder ein Maler vor einer Leinwand.
In Cinecittà kann ich meine Sachen genau so machen, wie ich sie mir vorstelle. Im Freien gibt es viel mehr Zufälle, Ungenauigkeiten. Alleine das Licht: Das Licht ist die Seele des Kinos. Draußen scheint die Sonne und zur Sonne kann man nicht sagen: etwas mehr nach links, mehr nach rechts, weniger stark, ausmachen. Also, für mich, für meine Filme besteht die absolute Notwendigkeit, im Studio zu drehen."
Meyer: Federico Fellini über die Arbeit in seinem Lieblingsstudio. Am 20. Januar wäre der italienische Regisseur 90 Jahre alt geworden. Deshalb sprechen wir hier heute im Deutschlandradio Kultur über diesen Kinozauberer mit Claudia Wheeler. Und Sie haben vorhin beschrieben, wie das funktioniert hat, Filmemachen bei Fellini, dass er morgens in seinem Büro saß und erst mal den Text geschrieben hat. Und wenn man sich vorstellt, die ganze Filmmannschaft steht bereit und wartet, das ist ja wahrscheinlich auch gerade besonders teuer, auf diese Art Filme zu machen. Wie leicht oder wie schwer ist denn Fellini an das Geld für seine Filme gekommen?
Wheeler: Ja, alle haben auf Fellini gewartet bis auf die italienischen Produzenten, kann man sagen, weil die haben natürlich immer gehofft, dass Fellini endlich mal an Originalschauplätzen dreht. Aber das hat er eben nicht getan. Und international hatte er wirklich große Erfolge gefeiert. Seinen ersten Oscar bekam er mit 34 für "La Strada", das war 1954, und er bekam noch weitere vier Oscars, den letzten für sein Lebenswerk 1993, und trotzdem musste Fellini mit dem Klingelbeutel wie ein Bettler, wie er es selbst mal beschrieben hat, bei den Produzenten anklopfen und um Geld bitten, weil sie einfach gesagt haben: Du musst mir ein Skript vorlegen, ich will wissen, wie viel das kostet. Und beides konnte er nicht einlösen. Und er war auch jemand, der keine Kompromisse gemacht hat. Er hat sich auf nichts eingelassen. Beispielsweise wollten die Produzenten unglaublich gerne, dass er einen zweiten Teil von "La Dolce Vita" dreht, weil das sein auch kommerziell erfolgreichster Film war. Das hat er aber nicht gemacht.
Meyer: Da wundert man sich ja, dass er da nicht die Nase voll hatte von Italien, von diesem Mühsam-mit-dem-Klingelbeutel-Rumziehen und nach Hollywood gegangen ist, wo er wahrscheinlich auch hätte drehen können, wo man ihn mit Kusshand empfangen hätte. Warum hat er das nie gemacht?
Wheeler: Also Hollywood hat ihm den roten Teppich ausgerollt. Die Produzenten haben gesagt: Wenn Sie nach Amerika kommen, bekommen Sie einen Blankoscheck, Sie können hier jeden Film drehen, den Sie wollen, Geld spielt keine Rolle. Da fragt man sich auch: Ja, warum? Er hat es nie getan, er hat nie einen Film außerhalb Italiens gedreht. Und warum, das hat er mal ganz charmant begründet:
Fellini: "Es ist ein anderes Land, mit anderen Mythen, anderen Lebensgewohnheiten. Ich habe keinen Bezug dazu, weil ich nicht dort geboren bin. Ich finde, jeder sollte grundsätzlich nur die Dinge erzählen, die er kennt, die er gelebt oder erlebt hat. Ich würde mich völlig hilflos fühlen, wenn ich einen Film über eine Gesellschaft machen müsste, die ich nicht kenne. Mit Menschen, die sich anders kleiden, anders essen und eine andere Sprache sprechen. Diese alltäglichen Lebensgewohnheiten wie Blicke, freundschaftliche Gesten, das Anzünden einer Zigarette - all das kann ich nicht authentisch nachvollziehen. Ich denke, dass man wirklich nur die Dinge erzählen kann, die man auch kennt."
Meyer: Der Filmregisseur Federico Fellini sagt da gerade: "Ich denke, dass man wirklich nur die Dinge erzählen kann, die man auch kennt." Ist man da beim Kern seines Filmemachens mit diesem Satz, Erzählen von den Dingen, die man kennt, oder bei ihm vielleicht besser von den Dingen, von denen man träumt?
Wheeler: Genau, von den Dingen, von denen man träumt. Er ist selber zu Lebzeiten von Journalisten immer wieder mit der gleichen Frage man muss schon fast sagen belästigt worden. Immer wollten die Journalisten wissen: Was für eine Botschaft wollen Sie mit Ihren Filmen vermitteln? Und er hat immer gesagt: Wissen Sie, ich bin Filmregisseur, ich habe Spaß am Filmemachen, ich kann nichts anderes. Natürlich ist das Koketterie, man muss aber auf der anderen Seite auch sagen, dass er es immer vermieden hat, sich einen politischen Stempel aufdrücken zu lassen. Er hat sich überhaupt nicht politisch einordnen lassen, und dazu können wir mal den italienischen Filmhistoriker Mario Sesti hören:
Mario Sesti: "Er war ein Anarchist. Völlig immun gegen jede Vereinnahmung. Das war schon ziemlich ungewöhnlich in einer Zeit, als sich in Europa zwei ganz starke ideologische Blöcke gegenüberstanden. Und er hat sich weder zu der einen, noch zu der anderen Seite bekannt. Das haben ihm die Kritiker oft vorgeworfen. Aber das ist auch die Stärke von Fellini: Er hat sich von jeder Ideologie, von allen Stilrichtungen und Zwängen befreit. Er ist immer nur von sich ausgegangen, vom Individuum, und hat daraus ein ganzes Universum entwickelt. In Italien gibt es niemanden, der von sich behaupten könnte, er sei ein Nachfolger Fellinis."
Meyer: Der italienische Filmhistoriker Mario Sesti. Man kann aber auch nicht sagen, dass Fellini jetzt - er war zwar ein unideologischer Filmregisseur, ganz bestimmt, aber man spürt doch in seinen Filmen ganz stark gesellschaftliche Stimmungen, auch Trauer über die Dinge, die vergehen. Also man hat ja doch den Eindruck, da ist ein wacher Filmregisseur auch mit politischen Interessen am Werk, oder?
Wheeler: Das auf jeden Fall. Er hat immer auch in vielen seiner Filme die italienische Gesellschaft kritisch hinterfragt. Auch wenn er beispielsweise ein Ereignis wie die Ermordung von Aldo Moro jetzt nicht zum Anlass genommen hat, einen Film zu drehen, so spürt man doch auch immer wieder die Kritik an der italienischen Gesellschaft.
Meyer: Vor 90 Jahren wurde das italienische Filmgenie Federico Fellini geboren. Unsere Autorin Claudia Wheeler hat sich mit ihm beschäftigt. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Er war zehn Jahre lang Drehbuchautor und Regieassistent, bis er seinen ersten eigenen Film herausgebracht hat: 1950, "Lichter des Varieté" hieß der Film. Und damit begann der Mythos Fellini, und dem war unsere Autorin Claudia Wheeler in Italien auf der Spur. Jetzt ist sie hier bei uns im Studio.
Claudia Wheeler, wie standen denn die anderen Filmleute zu Fellini? Wahrscheinlich muss man fragen, wie groß war ihre Bewunderung für ihn?
Claudia Wheeler: Also die Bewunderung muss man sagen war fast schon grenzenlos. Also Fellini war bereits zu Lebzeiten ein Mythos. Man kann seine Popularität und seine Beliebtheit vielleicht mit der von Woody Allen vergleichen. Also jeder wollte wenigstens einmal in einem Fellini-Film mitspielen, egal wie klein die Rolle auch gewesen wäre. Und sobald sich herumgesprochen hatte, dass Fellini wieder einen neuen Film vorbereitet, standen die Telefone nicht mehr still.
Regisseure wie Steven Spielberg, Martin Scorsese oder Terry Gilliam, der gerade mit seinem "Kabinett des Dr. Parnassus" im Kino ist, die sind extra nach Rom gefahren, um ihm bei den Dreharbeiten zuzuschauen. Und wenn man sich zum Beispiel die Filme von Terry Gilliam anschaut, auch seinen neuesten, diese Mischung aus Albtraumwelten, traumartigen Welten und Realität, dieser bunte Bilderbogen, den er da aufspannt, da sieht man ganz deutlich, wie er von Fellini beeinflusst wurde. Oder auch Martin Scorsese, der heute noch seine großen Filmepen wie beispielsweise "Gangs of New York" in aufwendigen Kulissen dreht - und Fellini hat seine Filme ja ausschließlich in der Kulisse gedreht.
Und bestimmt ist es kein Zufall, dass beide Regisseure, also Terry Gilliam und Martin Scorsese, mit Dante Ferretti zusammengearbeitet haben. Das war lange Jahre der Szenenbildner von Fellini, und den habe ich vor einigen Monaten in Rom getroffen:
Dante Ferretti: "Er war ein großer Künstler. Ein großer Träumer. Für einen Szenenbildner gibt es nichts Größeres, als für Fellini zu arbeiten. Er war mein Mentor. Ich habe auch mit Pasolini und anderen großen Regisseuren gearbeitet, aber Fellini hat mir viele Türen geöffnet. Durch ihn habe ich Martin Scorsese kennengelernt und Terry Gilliam. Wenn ich in Amerika erzähle, dass ich mit Fellini und Pasolini zusammengearbeitet habe, sind alle immer unglaublich beeindruckt. Fellini war schon immer ein Mythos."
Meyer: Dante Ferretti, der Szenenbildner von Federico Fellini. Das war jetzt der Blick zurück, Claudia Wheeler, schauen wir doch mal in die Gegenwart. Wie ist das heute mit der Popularität von Fellini in der Filmwelt, wenn wir nach Italien schauen? Junge italienische Regisseure, ist für die Fellini noch eine Größe?
Wheeler: Absolut. Fellini ist heute noch das Vorbild vieler junger italienischer Regisseure. Wenn wir uns die beiden letzten italienischen Filme anschauen, die international auch für Aufregung gesorgt haben, also "Gomorrha" und "Il Divo", beides Regisseure, die Mitte/Ende 30 sind, beide haben in Interviews immer wieder gesagt, dass sie Filmregisseure geworden sind, nachdem sie Fellinis "8 1/2" gesehen haben.
Also da sieht man, dass Fellini heute noch eine Ikone des italienischen Kinos ist. Und eine Sache, die sicherlich auch noch zum Mythos von Fellini beigetragen hat, ist die Tatsache, dass er selber zur Marke geworden ist. Also sein Name ist wirklich Programm. Wenn man sich zum Beispiel Übersetzungen ins Deutsche seiner Filmtitel anschaut, dann heißt es eben, "Fellinis 8 1/2", "Fellinis Roma", "Fellinis Stadt der Frauen", also nicht der Schauspieler wird hier zur Marke, sondern der Regisseur selber. Und das haben, glaube ich, nur ganz wenige Regisseure geschafft.
Meyer: Und woran liegt das? Woran liegt das, dass diese Filme bis heute so eine Strahlkraft haben? Wie sind die überhaupt entstanden, diese Filme?
Wheeler: Ja, das war schon ziemlich außergewöhnlich, weil Federico Fellini nie ein Skript hatte oder ein fertiges Drehbuch. Er hatte eine Idee, dann hat er seine ganze Filmcrew zusammengetrommelt und hat angefangen zu drehen. Und der eigentliche Film, die Handlung, die ist Tag für Tag entstanden. Er kam morgens um neun Uhr in sein Büro, hat sich an die Schreibmaschine gesetzt, die Texte für die Schauspieler geschrieben, und dann ging es los.
Also weder das Filmteam noch Fellini selber wussten, wie geht der Film weiter, wie hört er auf. Und Nicola Piovani, der Filmkomponist, der die letzten drei Filme musikalisch inszeniert hat für Fellini, hat das Filmset ganz schön beschrieben. Das können wir ja mal hören:
Nicola Piovani: "Sie müssen sich das Filmset von Fellini als etwas völlig Anormales vorstellen - mit vielen Komparsen, einem großen Orchester, einfach mit unglaublich vielen Menschen. Normalerweise ist es am Set immer sehr laut, und wenn der Regisseur sagt 'Action!', wird es im ganzen Studio ruhig. Bei Fellini passierte genau das Gegenteil. Denn er hatte keinen Drehplan. Es war alles improvisiert. Während er also über die nächste Szene nachdachte, war es am Set mucksmäuschenstill. Sobald er aber sagte 'Action!', fingen alle an, wie wild herumzuschreien, und Fellini schrie am lautesten, gab Anweisungen. Die Schauspieler, die ganz neu dabei waren, waren völlig überfordert von diesem Chaos. Doch das war Fellinis Art, Kino zu machen. Sein Set war ein riesiger Vergnügungspark."
Meyer: Der Filmkomponist Nicola Piovani. Das klang fast wie ein Zirkus gerade, diese Setbeschreibung von ihm. Fellini hat sich ja auch selber so als Zirkusdirektor gesehen, das war seine Lieblingsrolle?
Wheeler: Das war seine Lieblingsrolle. Er selber war seit seiner Kindheit fasziniert vom Zirkus, und diese Faszination, finde ich, spürt man eigentlich in fast jedem Fellini-Film. Dieses Chaotische, dieses Bunte, diese skurrilen Figuren, die bei ihm auch immer wieder auftauchen. Und man spürt einfach diese Liebe, diesen Spaß am Filmemachen, am Geschichtenerzählen. Und 90 Minuten lang taucht man als Besucher wirklich ein in ganz fantastische Welten.
Und wenn man dann versuchen will, einen Film von Fellini mal kurz zusammenzufassen, ist das schier unmöglich, weil es ein Puzzle ist aus ganz verschiedenen Geschichten, aus kleinen Anekdoten, die sich dann zu einem großen Fresko aufspannen. Und in seinem Film "8 1/2" hat er das eigentlich zum ersten Mal so wirklich auf die Spitze getrieben. 1963 war da die Premiere, und die Filmkritik hat damals schon von einem Meisterwerk gesprochen, weil er hier wirklich zum ersten Mal alle Konventionen über Bord wirft und einen Film schafft, in dem wirklich Fantasie und Realität fließend ineinander übergehen.
Meyer: Und Sie haben vorhin schon gesagt, dass all diese Filme in künstlichen Kulissen entstanden sind, in Studios, immer in der römischen Filmstadt Cinecittà. Er ist ganz selten rausgegangen an Originalschauplätze, Federico Fellini, warum das?
Wheeler: Ja, Fellini hat diese Künstlichkeit des Studios für seine Filme gebraucht, kann man schon fast sagen, die ja selber sehr künstlich sind. Und ihm ging es auch nicht darum, eine Landschaft, einen Straßenzug oder eine Häuserzeile eins zu eins nachzubauen, es ging ihm immer um seinen ganz eigenen Blick auf die Dinge.
Er hat also, auch wenn er gesagt hat, ich drehe "Roma", den Film, er hat nicht Rom nachgebaut, es gab immer kleine Veränderungen. Er hat daraus auch nie einen Hehl gemacht. Er hat den Zuschauern gezeigt, ich bin im Filmset, das dürft ihr auch sehen. Und diese Methode, die er hatte, ich bin im Studio, ich drehe hier etwas Künstliches, ich baue meine eigene Welt, das hat er dem Zuschauer auch kundgetan, er hat es also zum Thema gemacht. Und er selber hat in einem Interview seine Liebe, seine Faszination für das Filmstudio einmal so beschrieben:
Federico Fellini: "Für mich gibt es nichts Anregenderes, nichts Erregenderes als ein leeres Studio. Wenn ich in diesem riesigen, leeren, schmucklosen Raum stehe, dann ist das für mich ein faszinierender Moment, ein Moment der wahren Erregung. Und wenn ich mir vorstelle, dass diese Leere in einigen Tagen mit einem Garten, einem Wald, einem Palast oder einer Kirche aufgefüllt sein wird, ist es eine Befriedigung. Den gleichen Reiz empfindet wohl ein Autor vor einer weißen Seite oder ein Maler vor einer Leinwand.
In Cinecittà kann ich meine Sachen genau so machen, wie ich sie mir vorstelle. Im Freien gibt es viel mehr Zufälle, Ungenauigkeiten. Alleine das Licht: Das Licht ist die Seele des Kinos. Draußen scheint die Sonne und zur Sonne kann man nicht sagen: etwas mehr nach links, mehr nach rechts, weniger stark, ausmachen. Also, für mich, für meine Filme besteht die absolute Notwendigkeit, im Studio zu drehen."
Meyer: Federico Fellini über die Arbeit in seinem Lieblingsstudio. Am 20. Januar wäre der italienische Regisseur 90 Jahre alt geworden. Deshalb sprechen wir hier heute im Deutschlandradio Kultur über diesen Kinozauberer mit Claudia Wheeler. Und Sie haben vorhin beschrieben, wie das funktioniert hat, Filmemachen bei Fellini, dass er morgens in seinem Büro saß und erst mal den Text geschrieben hat. Und wenn man sich vorstellt, die ganze Filmmannschaft steht bereit und wartet, das ist ja wahrscheinlich auch gerade besonders teuer, auf diese Art Filme zu machen. Wie leicht oder wie schwer ist denn Fellini an das Geld für seine Filme gekommen?
Wheeler: Ja, alle haben auf Fellini gewartet bis auf die italienischen Produzenten, kann man sagen, weil die haben natürlich immer gehofft, dass Fellini endlich mal an Originalschauplätzen dreht. Aber das hat er eben nicht getan. Und international hatte er wirklich große Erfolge gefeiert. Seinen ersten Oscar bekam er mit 34 für "La Strada", das war 1954, und er bekam noch weitere vier Oscars, den letzten für sein Lebenswerk 1993, und trotzdem musste Fellini mit dem Klingelbeutel wie ein Bettler, wie er es selbst mal beschrieben hat, bei den Produzenten anklopfen und um Geld bitten, weil sie einfach gesagt haben: Du musst mir ein Skript vorlegen, ich will wissen, wie viel das kostet. Und beides konnte er nicht einlösen. Und er war auch jemand, der keine Kompromisse gemacht hat. Er hat sich auf nichts eingelassen. Beispielsweise wollten die Produzenten unglaublich gerne, dass er einen zweiten Teil von "La Dolce Vita" dreht, weil das sein auch kommerziell erfolgreichster Film war. Das hat er aber nicht gemacht.
Meyer: Da wundert man sich ja, dass er da nicht die Nase voll hatte von Italien, von diesem Mühsam-mit-dem-Klingelbeutel-Rumziehen und nach Hollywood gegangen ist, wo er wahrscheinlich auch hätte drehen können, wo man ihn mit Kusshand empfangen hätte. Warum hat er das nie gemacht?
Wheeler: Also Hollywood hat ihm den roten Teppich ausgerollt. Die Produzenten haben gesagt: Wenn Sie nach Amerika kommen, bekommen Sie einen Blankoscheck, Sie können hier jeden Film drehen, den Sie wollen, Geld spielt keine Rolle. Da fragt man sich auch: Ja, warum? Er hat es nie getan, er hat nie einen Film außerhalb Italiens gedreht. Und warum, das hat er mal ganz charmant begründet:
Fellini: "Es ist ein anderes Land, mit anderen Mythen, anderen Lebensgewohnheiten. Ich habe keinen Bezug dazu, weil ich nicht dort geboren bin. Ich finde, jeder sollte grundsätzlich nur die Dinge erzählen, die er kennt, die er gelebt oder erlebt hat. Ich würde mich völlig hilflos fühlen, wenn ich einen Film über eine Gesellschaft machen müsste, die ich nicht kenne. Mit Menschen, die sich anders kleiden, anders essen und eine andere Sprache sprechen. Diese alltäglichen Lebensgewohnheiten wie Blicke, freundschaftliche Gesten, das Anzünden einer Zigarette - all das kann ich nicht authentisch nachvollziehen. Ich denke, dass man wirklich nur die Dinge erzählen kann, die man auch kennt."
Meyer: Der Filmregisseur Federico Fellini sagt da gerade: "Ich denke, dass man wirklich nur die Dinge erzählen kann, die man auch kennt." Ist man da beim Kern seines Filmemachens mit diesem Satz, Erzählen von den Dingen, die man kennt, oder bei ihm vielleicht besser von den Dingen, von denen man träumt?
Wheeler: Genau, von den Dingen, von denen man träumt. Er ist selber zu Lebzeiten von Journalisten immer wieder mit der gleichen Frage man muss schon fast sagen belästigt worden. Immer wollten die Journalisten wissen: Was für eine Botschaft wollen Sie mit Ihren Filmen vermitteln? Und er hat immer gesagt: Wissen Sie, ich bin Filmregisseur, ich habe Spaß am Filmemachen, ich kann nichts anderes. Natürlich ist das Koketterie, man muss aber auf der anderen Seite auch sagen, dass er es immer vermieden hat, sich einen politischen Stempel aufdrücken zu lassen. Er hat sich überhaupt nicht politisch einordnen lassen, und dazu können wir mal den italienischen Filmhistoriker Mario Sesti hören:
Mario Sesti: "Er war ein Anarchist. Völlig immun gegen jede Vereinnahmung. Das war schon ziemlich ungewöhnlich in einer Zeit, als sich in Europa zwei ganz starke ideologische Blöcke gegenüberstanden. Und er hat sich weder zu der einen, noch zu der anderen Seite bekannt. Das haben ihm die Kritiker oft vorgeworfen. Aber das ist auch die Stärke von Fellini: Er hat sich von jeder Ideologie, von allen Stilrichtungen und Zwängen befreit. Er ist immer nur von sich ausgegangen, vom Individuum, und hat daraus ein ganzes Universum entwickelt. In Italien gibt es niemanden, der von sich behaupten könnte, er sei ein Nachfolger Fellinis."
Meyer: Der italienische Filmhistoriker Mario Sesti. Man kann aber auch nicht sagen, dass Fellini jetzt - er war zwar ein unideologischer Filmregisseur, ganz bestimmt, aber man spürt doch in seinen Filmen ganz stark gesellschaftliche Stimmungen, auch Trauer über die Dinge, die vergehen. Also man hat ja doch den Eindruck, da ist ein wacher Filmregisseur auch mit politischen Interessen am Werk, oder?
Wheeler: Das auf jeden Fall. Er hat immer auch in vielen seiner Filme die italienische Gesellschaft kritisch hinterfragt. Auch wenn er beispielsweise ein Ereignis wie die Ermordung von Aldo Moro jetzt nicht zum Anlass genommen hat, einen Film zu drehen, so spürt man doch auch immer wieder die Kritik an der italienischen Gesellschaft.
Meyer: Vor 90 Jahren wurde das italienische Filmgenie Federico Fellini geboren. Unsere Autorin Claudia Wheeler hat sich mit ihm beschäftigt. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!