"Zu spielen ist das schon sehr schwer"
Man müsse sich die Stücke des Schriftstellers Heinrich von Kleist für die Bühne "sprechenderweise erobern", sagt Regisseur Jan Bosse. Die Sprache sei wahnsinnig kompliziert und mehrschichtig, zugleich seien einem die Figuren mit ihren Problemen und Sehnsüchten nah.
Katrin Heise: Heute ist der 200. Todestag. Die Kleist-Feierlichkeiten streben dem Höhepunkt entgegen, am Kleinen Wannsee in Berlin, wo sich Heinrich von Kleist erschossen hat, wird das Grabmal endlich eingeweiht. Man muss also nicht mehr mit der Machete sich quasi einen Weg bahnen durch das Gestrüpp. Auf der Bühne aber, da bleibt Kleist doch immer wieder, na, sagen wir mal so, schwer zugänglich vielleicht. Seine Stücke sind viel schwieriger, ja, unverständlicher als ihr Klassikerstatus es vermuten lässt, denn er wird ja vielfach aufgeführt. Der Regisseur Jan Bosse hat sich dieser Kleist-Sperrigkeit schon mehrfach gestellt, ob "Amphitryon" oder "Der zerbrochne Krug" oder jüngst eben "Das Käthchen von Heilbronn", Bosse lässt Kleist immer wieder seine Kanten. Und jetzt ist Jan Bosse zu Besuch hier im "Radiofeuilleton", schönen guten Morgen, Herr Bosse!
Jan Bosse: Guten Morgen!
Heise: Das Maxim-Gorki-Theater in Berlin hat ja gerade oder steckt ja gerade mitten drin im Kleist-Festival, hatte sich viel vorgenommen, heute läuft es noch. Sämtliche Stücke von Kleist in Aufführung, Lesungen, Performance, Installationen in den letzten Tagen, heute eben auch noch. Wissen Sie was zur Resonanz außer zu Ihrem "Käthchen", was heute losgegangen ist?
Bosse: Ja, das ist natürlich für mich das Wichtigste, dass das "Käthchen" gut lief, die Premiere und ... Nein, es sind alle Vorstellungen fast sämtlich ausverkauft und es ist eine ganz tolle Atmosphäre an diesem Theater, weil natürlich Festival! Festival ist immer was ganz Spezielles und die Leitung dieses kleinen Festivals hat auch einen ganz tollen Ort geschaffen mit dieser Tronkaburg in der Mitte dieses Gorkis, wo sich immer alle treffen und wo diese Publikumsdiskussionen sind, wo es zum Teil auch heiß herging, auch ein sehr spezielles Publikum zum Teil, Festival-Publikum ist nicht ...
Heise: ... heiß herging, also, es wird richtig über Kleist diskutiert?
Bosse: Da wurde ziemlich diskutiert, auch hart kritisiert, da sind schon ein paar Spezialisten auch, die nicht zum normalen Alltagspublikum gehören.
Heise: Ich habe es gerade schon gesagt: Den Anfang dieses Kleist-Festivals machte Ihr "Das Käthchen von Heilbronn". Joachim Meyerhoff als Hauptmann, Anne Müller als Käthchen. Sie haben zum vierten Mal Kleist inszeniert, also, das heißt, Sie mögen ihn ja offenbar schon sehr gern. Was reizt Sie besonders?
Bosse: Also, der hat mich richtig verfolgt. Es ist ja so, dass diese Stückwahl immer in Absprache mit den Theatern und Dramaturgenideen und eigenen Vorstellungen, Vorschlägen entsteht. Aber es ist schon so, dass über die Jahre der immer wieder kam zu mir, dieser Autor, und es ist ja noch immer unerschöpflich, ich habe ja noch längst nicht alle Stücke gemacht. Das ist schon einer der Wildesten und gleichzeitig Kompliziertesten. Vielleicht ist die Mischung das Tolle.
Heise: Wild, was die Leidenschaft, die Verzweiflung angeht, und kompliziert?
Bosse: Kompliziert, was die Hirnverschraubungen dieser Figuren und die Tiefe und die Rätselhaftigkeit angeht.
Heise: Gleichzeitig, also, lesen kann man die Dramen ja ganz wunderbar und wird dann auch reingezogen. Sie dann aber auf die Bühne zu bringen, ist, denke ich, gar nicht so leicht, weil Kleist ja das Theater nicht unbedingt mitgedacht hat, oder? Heißt das, das macht einem Regisseur das eigentlich leicht, weil er so viel Freiheit hat, oder ist es total kompliziert und schwierig?
Bosse: Gleichzeitig beides, weil auch die Stücke so sehr fremd bleiben und zugleich inhaltlich von den Themen her, von den Problemen der Figuren, von den Visionen oder Utopien dieser Figuren einem sehr nah sind, in der Sehnsucht eher. Zu spielen ist das schon sehr schwer, weil die Sprache wahnsinnig kompliziert ist, wahnsinnig literarisch, mehrschichtig, und man gleichzeitig ja in der Arbeit mit dem Schauspieler immer versucht, das natürlich an sich ranzuziehen, natürlich heutig zu kriegen, natürlich rauszufinden, was meinen die da, es verständlich zu machen. Das Problem ist, dass das Thema von den Kleist-Stücken immer die Unverständlichkeit ist. Und das widerspricht sich so ein bisschen.
Heise: Wie gehen Sie denn da ran? Also, wenn wir mal gerade sagen, die Sprache, wie man sich die Sprache irgendwie zu eigen macht, wenn man die dann auf der Bühne ja brüllen oder stottern oder was weiß ich, hecheln muss, wie auch immer, wie man die also umsetzt. Das heißt, was für eine Erfahrung haben Sie, die Schauspieler, lieben sie diese Herausforderung oder fürchten sie sie eigentlich mehr?
Bosse: Sie lieben sie und gleichzeitig macht das ein bisschen Angst, weil es immer so unerreichbar scheint, also, dass man tatsächlich immer denkt, das ist größer als wir. Und man will da auch hinauf und das nicht herunterziehen einfach nur vom Sockel. Man verbringt sehr viel Zeit am Tisch, ich jedenfalls. Man muss sehr lange lesen, sprechenderweise sich diese Stücke erobern, bevor man überhaupt daran denken kann, dass sie dann spielt. Weil, wenn man da zu früh auf die Bühne mit geht, wird es auch immer fast banal. Wenn man die Situation dafür sucht, ist es eben doch plötzlich doch nur eine Eheszene. Es ist aber immer mehr als nur eine Eheszene oder nur eine Liebes- oder Verratsszene.
Heise: Das heißt, Sie lesen viel, Sie lesen auch viel mit den Schauspielern dann, ja? Also, man sitzt gemeinsam und liest und liest und liest ...
Bosse: Ja, man muss auch unheimlich viel reden, also, das dauert Stunden, ist auch wichtig. Man muss es wirklich durchdringen und das ist die erste Arbeit. Und da gibt es Schauspieler, die brauchen da länger für, es gibt Schauspieler, die sind besser vorbereitet, und andere, die haben nicht die ganze Sekundärliteratur gelesen. Manche haben so einen Kopf voll von Gedanken und manche beschäftigen sich nur konkret mit den Situationen.
Heise: Wenn ... Ich meine, Kleist, von der Sprache her, ja, das ist schwierig, aber andere Klassiker sind ja von der Sprache her auch nicht gerade direkt zugänglich. Was ist jetzt zum Beispiel, warum ist Shakespeare da so viel einfacher?
Bosse: Shakespeare ist scheinbar einfacher, weil die so ... Die Figuren sind saftiger, die Situationen sind einfacher, das ist viel volkstheaterhafter, das ist schon eine ganz andere Zeit, 200 Jahre früher. Das Schwierige bei Shakespeare ist ganz im Unterschied dazu, dass man immer das Gefühl hat, man ist in so einem luftleeren Raum, weil es eben so unbürgerlich und völlig unpsychologisch ist. Der Kleist schreibt schon sehr genau Dialoge, die sind so genau durchkonstruiert, dass man denen auch, wenn man sie einmal erwischt hat, gedanklich, ihnen total folgen kann, ihnen vertrauen kann. Ich glaube, für Schauspieler ist das, wenn die einmal auf so einer Höhe sind von so einem Kleist-Dialog, dann macht das unheimlich Spaß, weil die Sprache einen ja auch trägt, und dann kann das auch abheben.
Heise: Das erleben Sie dann auch, wenn das dann irgendwann ...
Bosse: ... das erlebt man auf Proben, ja, das ist ein fantastischer Moment, wenn das so anfängt zu fliegen und tatsächlich was Drittes entsteht zwischen dem Schauspieler und diesen kruden Texten.
Heise: Dass sich ja offenbar auf Publikum auch überträgt. Ich habe gelesen, Edith Clever, die hat mal den Fünf-Stunden-Monolog "Penthesilea" in Frankreich und auch mal in Spanien aufgeführt, in deutscher Sprache natürlich, und die Leute haben es eigentlich – also, wenige wahrscheinlich, im Publikum – nicht verstanden, aber alle haben zugehört, alle haben sich mittragen lassen. Das ist doch auch verrückt, oder?
Bosse: Wahnsinn, das ist fast wie Musik dann! Komplizierte Zwölftonmusik vielleicht, kann man es vergleichen.
Heise: Ist aber vorstellbar für Sie, dass so was funktioniert, auch tatsächlich sogar als fremde Sprache?
Bosse: Ja, das, was einen ein bisschen befreien könnte, immer diesen wahnsinnig verschraubten labyrinthischen Inhalten zu folgen. Das ist ja schon so, wenn man das nicht kennt und sich das im Theater anguckt – und da ist als Regisseur natürlich auch mein Anspruch, dass man das nicht vorher gelesen haben muss als Zuschauer –, das kommt auch noch dazu, das ist dann eher meine Arbeit, dass das auch noch sozusagen nachvollziehbar sein muss, obwohl es ... Ich finde immer, die Hirne dürfen rauchen. Und ich finde auch, Theater muss anstrengend sein, wenn es unterhaltsam genug ist, dass man sich nicht langweilt.
Heise: Zum 200. Todestag von Heinrich von Kleist ist der Regisseur Jan Bosse zu Gast im "Radiofeuilleton". Er hat Kleist mehrfach inszeniert, darüber unterhalten wir uns gerade. Wir haben es ja schon gesagt, dass auf der einen Seite es sehr kompliziert ist, auf der anderen Seite uns doch auch nahe ist, aber beispielsweise jetzt hier konkret das "Käthchen": Wie haben Sie denn Anne Müller, ja, so ein bisschen nahegebracht, warum dieses Käthchen diesem ungeschlachten Ritter so hinterherläuft?
Bosse: Ganz schwierige Frage. Ich arbeite sehr kollektiv mit so einem Ensemble. Das heißt, se entsteht tatsächlich, ich gebe da nicht viel vor. Ich mache mir natürlich meine Gedanken und wir machen eine Fassung Monate vorher, es gibt Bühnenbildideen, Kostümideen und so weiter, aber eigentlich beginnt die Arbeit tatsächlich gemeinsam mit den Schauspielern an diesem ersten Tag oder in Vorgesprächen beim Kaffee. Aber letztendlich geht es dann los und man hat acht Wochen. Das ist schon eine gemeinsame Annäherung, weil ich auch finde, dass ein Schauspieler, egal, welche Rolle, welches Stück, es sich ganz zu eigen machen muss und ganz persönlich. Und ich will auch sozusagen das Persönlichste auch gedanklich, nicht nur emotional und psychologisch von einem Schauspieler haben und sehen als Regisseur. Und das ist bei dieser Rolle irgendwie ganz einfach, weil in einer Welt, wo alle irgendwie total verstellt sind ... Ich finde einen Ritter zu spielen total schwierig oder ein Gericht oder irgendeine Köhlerhütte oder so Grafen und Gräfinnen. Und dieses Käthchen hat ja in dieser verstellten Welt die schöne, einfache Aufgabe zu wissen, was sie will. Das, was wir alle uns wünschen, die weiß, was sie will. Insofern ist es fast unkompliziert, aber in der Radikalität, in der die das durchzieht, und in der Asozialität und, was das sie kostet sozusagen, wird das dann natürlich sehr schmerzvoll. Und da muss man halt dran. Und ein Problem ist natürlich, man versucht, sich das heranzuziehen, psychologisch zu erklären irgendwie, dass das jemand wie Anne Müller nahe ist. Letztendlich bleibt so ein Rest, den kann man gar nicht erklären, das sollte man auch nicht tun, dann wird das nämlich ganz klein. Das Rätsel, um das es geht, ist sozusagen gar nicht spielbar, auch nicht wirklich denkbar und trotzdem muss sie das verkörpern. wenn man dann so weit ist, dass man so eine Rolle hat und dann so eine Aufführung, dann kann man in den Durchläufen, macht das, glaube ich, ganz großen Spaß oder hat mit der Anne Spaß gemacht, dass die so eine Geheimnisbewahrerin ist. Dass es da etwas gibt, an das alle anderen nicht rankommen, die sich alle beschäftigen müssen mit mir gemeinsam, dass überhaupt ein Theaterabend zustande kommt, dass das funktioniert, dass das spannend ist. Die Anne konnte da durchgehen mit ihrem starken Traum oder auch Fluch, ich weiß, was ich will, aber ich weiß nicht, warum.
Heise: Wie ist das eigentlich mit der Biografie, wenn man diese komplizierten, ja, Personen, Figuren ... Das Leben von Kleist war ja nun auch alles andere als einfach und dieser Charakter ... Also, ist da auch manchmal so des Rätsels Lösung oder sucht man die da, beschäftigt man sich viel mit der, nähert man sich viel über die Biografie?
Bosse: Ich finde das eigentlich den ... Also, wir haben, bei Kleist lohnt es sich am meisten, die Biografie ... Das habe ich richtig mit den Schauspielern, also, fast verlangt, weil, das ist schon ein Schlüssel. Da gibt es so viele Lücken und so viel Unerklärtes auch in dieser Biografie, dass das nicht hilft, um sich alles so logisch zu machen, aber der schreibt sich in seine Figuren, in alle rein und kann auch gar nicht anders. Und dadurch ... Das ist auch Schauspielern unheimlich nahe. Wenn sie diese Biografie lesen in ihrer Wirrheit, auch in diesen Versuchen, in diesen Utopien, die immer wieder zerschellen. Ich meine, der hat das ja wirklich gemacht, was wir alle sozusagen im Kopf täglich machen, der hat tatsächlich dann irgendwie zwei Wochen als Bauer auf einer Insel im Thunersee gelebt, wer macht das schon!
Heise: Ja, sich diesen Hof gekauft und dann gleich wieder gegangen ...
Bosse: ... und dann wieder in den Krieg in Frankreich, aufs Schlachtfeld, und hat es tatsächlich gemacht und nach drei Wochen wieder aufgegeben. Schrecklich auch, aber er hat es gemacht. Es ist sozusagen nicht nur Fatalismus und Depression und Selbstmord, sondern da gibt es einen unglaublichen Versuch zu leben.
Heise: Und ist es das, was Sie auch dazu veranlasst, diese Stücke immer so schroff zu inszenieren, also auch nicht glättend, das darf man nicht glätten?
Bosse: Sollte man nicht glätten. Also, ich fand, das muss man sich stellen, man muss sich auch dem stellen, dass das irgendwie wie nicht fertig ist und nicht ganz funktioniert. Der hat ... Vielleicht ist das so jemand, der nie ganz geschafft hat ... Der hat das nicht hingekriegt. Der wollte ein totales Erfolgsstück schreiben mit "Käthchen" und schafft das aber nicht, dafür ist es viel zu krude und wirr, als dass es tatsächlich ein, sozusagen ein erfolgreicher Blockbuster werden könnte. Der hat es aber auch nicht geschafft, mit dem "Amphitryon" eine Komödie über die Identität zu schreiben, das wird viel zu strange und tatsächlich traumhaft verloren. Also, das ist so, man muss das immer beides erwischen, finde ich.
Heise: Der Regisseur Jan Bosse, er selbst hat Kleist vielfach, wie wir jetzt auch wieder hören konnten, inszeniert und ist nach wie vor fasziniert davon, heute Gast am 200. Todestag von Heinrich von Kleist. Herr Bosse, vielen Dank für den Besuch hier!
Bosse: Danke Ihnen!
Heise: Und Ihr "Käthchen von Heilbronn" kann man hier in Berlin am Maxim Gorki Theater wieder am 6. Dezember anschauen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jan Bosse: Guten Morgen!
Heise: Das Maxim-Gorki-Theater in Berlin hat ja gerade oder steckt ja gerade mitten drin im Kleist-Festival, hatte sich viel vorgenommen, heute läuft es noch. Sämtliche Stücke von Kleist in Aufführung, Lesungen, Performance, Installationen in den letzten Tagen, heute eben auch noch. Wissen Sie was zur Resonanz außer zu Ihrem "Käthchen", was heute losgegangen ist?
Bosse: Ja, das ist natürlich für mich das Wichtigste, dass das "Käthchen" gut lief, die Premiere und ... Nein, es sind alle Vorstellungen fast sämtlich ausverkauft und es ist eine ganz tolle Atmosphäre an diesem Theater, weil natürlich Festival! Festival ist immer was ganz Spezielles und die Leitung dieses kleinen Festivals hat auch einen ganz tollen Ort geschaffen mit dieser Tronkaburg in der Mitte dieses Gorkis, wo sich immer alle treffen und wo diese Publikumsdiskussionen sind, wo es zum Teil auch heiß herging, auch ein sehr spezielles Publikum zum Teil, Festival-Publikum ist nicht ...
Heise: ... heiß herging, also, es wird richtig über Kleist diskutiert?
Bosse: Da wurde ziemlich diskutiert, auch hart kritisiert, da sind schon ein paar Spezialisten auch, die nicht zum normalen Alltagspublikum gehören.
Heise: Ich habe es gerade schon gesagt: Den Anfang dieses Kleist-Festivals machte Ihr "Das Käthchen von Heilbronn". Joachim Meyerhoff als Hauptmann, Anne Müller als Käthchen. Sie haben zum vierten Mal Kleist inszeniert, also, das heißt, Sie mögen ihn ja offenbar schon sehr gern. Was reizt Sie besonders?
Bosse: Also, der hat mich richtig verfolgt. Es ist ja so, dass diese Stückwahl immer in Absprache mit den Theatern und Dramaturgenideen und eigenen Vorstellungen, Vorschlägen entsteht. Aber es ist schon so, dass über die Jahre der immer wieder kam zu mir, dieser Autor, und es ist ja noch immer unerschöpflich, ich habe ja noch längst nicht alle Stücke gemacht. Das ist schon einer der Wildesten und gleichzeitig Kompliziertesten. Vielleicht ist die Mischung das Tolle.
Heise: Wild, was die Leidenschaft, die Verzweiflung angeht, und kompliziert?
Bosse: Kompliziert, was die Hirnverschraubungen dieser Figuren und die Tiefe und die Rätselhaftigkeit angeht.
Heise: Gleichzeitig, also, lesen kann man die Dramen ja ganz wunderbar und wird dann auch reingezogen. Sie dann aber auf die Bühne zu bringen, ist, denke ich, gar nicht so leicht, weil Kleist ja das Theater nicht unbedingt mitgedacht hat, oder? Heißt das, das macht einem Regisseur das eigentlich leicht, weil er so viel Freiheit hat, oder ist es total kompliziert und schwierig?
Bosse: Gleichzeitig beides, weil auch die Stücke so sehr fremd bleiben und zugleich inhaltlich von den Themen her, von den Problemen der Figuren, von den Visionen oder Utopien dieser Figuren einem sehr nah sind, in der Sehnsucht eher. Zu spielen ist das schon sehr schwer, weil die Sprache wahnsinnig kompliziert ist, wahnsinnig literarisch, mehrschichtig, und man gleichzeitig ja in der Arbeit mit dem Schauspieler immer versucht, das natürlich an sich ranzuziehen, natürlich heutig zu kriegen, natürlich rauszufinden, was meinen die da, es verständlich zu machen. Das Problem ist, dass das Thema von den Kleist-Stücken immer die Unverständlichkeit ist. Und das widerspricht sich so ein bisschen.
Heise: Wie gehen Sie denn da ran? Also, wenn wir mal gerade sagen, die Sprache, wie man sich die Sprache irgendwie zu eigen macht, wenn man die dann auf der Bühne ja brüllen oder stottern oder was weiß ich, hecheln muss, wie auch immer, wie man die also umsetzt. Das heißt, was für eine Erfahrung haben Sie, die Schauspieler, lieben sie diese Herausforderung oder fürchten sie sie eigentlich mehr?
Bosse: Sie lieben sie und gleichzeitig macht das ein bisschen Angst, weil es immer so unerreichbar scheint, also, dass man tatsächlich immer denkt, das ist größer als wir. Und man will da auch hinauf und das nicht herunterziehen einfach nur vom Sockel. Man verbringt sehr viel Zeit am Tisch, ich jedenfalls. Man muss sehr lange lesen, sprechenderweise sich diese Stücke erobern, bevor man überhaupt daran denken kann, dass sie dann spielt. Weil, wenn man da zu früh auf die Bühne mit geht, wird es auch immer fast banal. Wenn man die Situation dafür sucht, ist es eben doch plötzlich doch nur eine Eheszene. Es ist aber immer mehr als nur eine Eheszene oder nur eine Liebes- oder Verratsszene.
Heise: Das heißt, Sie lesen viel, Sie lesen auch viel mit den Schauspielern dann, ja? Also, man sitzt gemeinsam und liest und liest und liest ...
Bosse: Ja, man muss auch unheimlich viel reden, also, das dauert Stunden, ist auch wichtig. Man muss es wirklich durchdringen und das ist die erste Arbeit. Und da gibt es Schauspieler, die brauchen da länger für, es gibt Schauspieler, die sind besser vorbereitet, und andere, die haben nicht die ganze Sekundärliteratur gelesen. Manche haben so einen Kopf voll von Gedanken und manche beschäftigen sich nur konkret mit den Situationen.
Heise: Wenn ... Ich meine, Kleist, von der Sprache her, ja, das ist schwierig, aber andere Klassiker sind ja von der Sprache her auch nicht gerade direkt zugänglich. Was ist jetzt zum Beispiel, warum ist Shakespeare da so viel einfacher?
Bosse: Shakespeare ist scheinbar einfacher, weil die so ... Die Figuren sind saftiger, die Situationen sind einfacher, das ist viel volkstheaterhafter, das ist schon eine ganz andere Zeit, 200 Jahre früher. Das Schwierige bei Shakespeare ist ganz im Unterschied dazu, dass man immer das Gefühl hat, man ist in so einem luftleeren Raum, weil es eben so unbürgerlich und völlig unpsychologisch ist. Der Kleist schreibt schon sehr genau Dialoge, die sind so genau durchkonstruiert, dass man denen auch, wenn man sie einmal erwischt hat, gedanklich, ihnen total folgen kann, ihnen vertrauen kann. Ich glaube, für Schauspieler ist das, wenn die einmal auf so einer Höhe sind von so einem Kleist-Dialog, dann macht das unheimlich Spaß, weil die Sprache einen ja auch trägt, und dann kann das auch abheben.
Heise: Das erleben Sie dann auch, wenn das dann irgendwann ...
Bosse: ... das erlebt man auf Proben, ja, das ist ein fantastischer Moment, wenn das so anfängt zu fliegen und tatsächlich was Drittes entsteht zwischen dem Schauspieler und diesen kruden Texten.
Heise: Dass sich ja offenbar auf Publikum auch überträgt. Ich habe gelesen, Edith Clever, die hat mal den Fünf-Stunden-Monolog "Penthesilea" in Frankreich und auch mal in Spanien aufgeführt, in deutscher Sprache natürlich, und die Leute haben es eigentlich – also, wenige wahrscheinlich, im Publikum – nicht verstanden, aber alle haben zugehört, alle haben sich mittragen lassen. Das ist doch auch verrückt, oder?
Bosse: Wahnsinn, das ist fast wie Musik dann! Komplizierte Zwölftonmusik vielleicht, kann man es vergleichen.
Heise: Ist aber vorstellbar für Sie, dass so was funktioniert, auch tatsächlich sogar als fremde Sprache?
Bosse: Ja, das, was einen ein bisschen befreien könnte, immer diesen wahnsinnig verschraubten labyrinthischen Inhalten zu folgen. Das ist ja schon so, wenn man das nicht kennt und sich das im Theater anguckt – und da ist als Regisseur natürlich auch mein Anspruch, dass man das nicht vorher gelesen haben muss als Zuschauer –, das kommt auch noch dazu, das ist dann eher meine Arbeit, dass das auch noch sozusagen nachvollziehbar sein muss, obwohl es ... Ich finde immer, die Hirne dürfen rauchen. Und ich finde auch, Theater muss anstrengend sein, wenn es unterhaltsam genug ist, dass man sich nicht langweilt.
Heise: Zum 200. Todestag von Heinrich von Kleist ist der Regisseur Jan Bosse zu Gast im "Radiofeuilleton". Er hat Kleist mehrfach inszeniert, darüber unterhalten wir uns gerade. Wir haben es ja schon gesagt, dass auf der einen Seite es sehr kompliziert ist, auf der anderen Seite uns doch auch nahe ist, aber beispielsweise jetzt hier konkret das "Käthchen": Wie haben Sie denn Anne Müller, ja, so ein bisschen nahegebracht, warum dieses Käthchen diesem ungeschlachten Ritter so hinterherläuft?
Bosse: Ganz schwierige Frage. Ich arbeite sehr kollektiv mit so einem Ensemble. Das heißt, se entsteht tatsächlich, ich gebe da nicht viel vor. Ich mache mir natürlich meine Gedanken und wir machen eine Fassung Monate vorher, es gibt Bühnenbildideen, Kostümideen und so weiter, aber eigentlich beginnt die Arbeit tatsächlich gemeinsam mit den Schauspielern an diesem ersten Tag oder in Vorgesprächen beim Kaffee. Aber letztendlich geht es dann los und man hat acht Wochen. Das ist schon eine gemeinsame Annäherung, weil ich auch finde, dass ein Schauspieler, egal, welche Rolle, welches Stück, es sich ganz zu eigen machen muss und ganz persönlich. Und ich will auch sozusagen das Persönlichste auch gedanklich, nicht nur emotional und psychologisch von einem Schauspieler haben und sehen als Regisseur. Und das ist bei dieser Rolle irgendwie ganz einfach, weil in einer Welt, wo alle irgendwie total verstellt sind ... Ich finde einen Ritter zu spielen total schwierig oder ein Gericht oder irgendeine Köhlerhütte oder so Grafen und Gräfinnen. Und dieses Käthchen hat ja in dieser verstellten Welt die schöne, einfache Aufgabe zu wissen, was sie will. Das, was wir alle uns wünschen, die weiß, was sie will. Insofern ist es fast unkompliziert, aber in der Radikalität, in der die das durchzieht, und in der Asozialität und, was das sie kostet sozusagen, wird das dann natürlich sehr schmerzvoll. Und da muss man halt dran. Und ein Problem ist natürlich, man versucht, sich das heranzuziehen, psychologisch zu erklären irgendwie, dass das jemand wie Anne Müller nahe ist. Letztendlich bleibt so ein Rest, den kann man gar nicht erklären, das sollte man auch nicht tun, dann wird das nämlich ganz klein. Das Rätsel, um das es geht, ist sozusagen gar nicht spielbar, auch nicht wirklich denkbar und trotzdem muss sie das verkörpern. wenn man dann so weit ist, dass man so eine Rolle hat und dann so eine Aufführung, dann kann man in den Durchläufen, macht das, glaube ich, ganz großen Spaß oder hat mit der Anne Spaß gemacht, dass die so eine Geheimnisbewahrerin ist. Dass es da etwas gibt, an das alle anderen nicht rankommen, die sich alle beschäftigen müssen mit mir gemeinsam, dass überhaupt ein Theaterabend zustande kommt, dass das funktioniert, dass das spannend ist. Die Anne konnte da durchgehen mit ihrem starken Traum oder auch Fluch, ich weiß, was ich will, aber ich weiß nicht, warum.
Heise: Wie ist das eigentlich mit der Biografie, wenn man diese komplizierten, ja, Personen, Figuren ... Das Leben von Kleist war ja nun auch alles andere als einfach und dieser Charakter ... Also, ist da auch manchmal so des Rätsels Lösung oder sucht man die da, beschäftigt man sich viel mit der, nähert man sich viel über die Biografie?
Bosse: Ich finde das eigentlich den ... Also, wir haben, bei Kleist lohnt es sich am meisten, die Biografie ... Das habe ich richtig mit den Schauspielern, also, fast verlangt, weil, das ist schon ein Schlüssel. Da gibt es so viele Lücken und so viel Unerklärtes auch in dieser Biografie, dass das nicht hilft, um sich alles so logisch zu machen, aber der schreibt sich in seine Figuren, in alle rein und kann auch gar nicht anders. Und dadurch ... Das ist auch Schauspielern unheimlich nahe. Wenn sie diese Biografie lesen in ihrer Wirrheit, auch in diesen Versuchen, in diesen Utopien, die immer wieder zerschellen. Ich meine, der hat das ja wirklich gemacht, was wir alle sozusagen im Kopf täglich machen, der hat tatsächlich dann irgendwie zwei Wochen als Bauer auf einer Insel im Thunersee gelebt, wer macht das schon!
Heise: Ja, sich diesen Hof gekauft und dann gleich wieder gegangen ...
Bosse: ... und dann wieder in den Krieg in Frankreich, aufs Schlachtfeld, und hat es tatsächlich gemacht und nach drei Wochen wieder aufgegeben. Schrecklich auch, aber er hat es gemacht. Es ist sozusagen nicht nur Fatalismus und Depression und Selbstmord, sondern da gibt es einen unglaublichen Versuch zu leben.
Heise: Und ist es das, was Sie auch dazu veranlasst, diese Stücke immer so schroff zu inszenieren, also auch nicht glättend, das darf man nicht glätten?
Bosse: Sollte man nicht glätten. Also, ich fand, das muss man sich stellen, man muss sich auch dem stellen, dass das irgendwie wie nicht fertig ist und nicht ganz funktioniert. Der hat ... Vielleicht ist das so jemand, der nie ganz geschafft hat ... Der hat das nicht hingekriegt. Der wollte ein totales Erfolgsstück schreiben mit "Käthchen" und schafft das aber nicht, dafür ist es viel zu krude und wirr, als dass es tatsächlich ein, sozusagen ein erfolgreicher Blockbuster werden könnte. Der hat es aber auch nicht geschafft, mit dem "Amphitryon" eine Komödie über die Identität zu schreiben, das wird viel zu strange und tatsächlich traumhaft verloren. Also, das ist so, man muss das immer beides erwischen, finde ich.
Heise: Der Regisseur Jan Bosse, er selbst hat Kleist vielfach, wie wir jetzt auch wieder hören konnten, inszeniert und ist nach wie vor fasziniert davon, heute Gast am 200. Todestag von Heinrich von Kleist. Herr Bosse, vielen Dank für den Besuch hier!
Bosse: Danke Ihnen!
Heise: Und Ihr "Käthchen von Heilbronn" kann man hier in Berlin am Maxim Gorki Theater wieder am 6. Dezember anschauen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.