"Zu stolz, um nicht mutig zu sein"

Von ihren vielen Büchern sind nur noch drei lieferbar. Ricarda Huchs Standardwerk "Die Romantik" ist vergessen. Zu Unrecht findet die Münchner Autorin Barbara Bronnen, die sich in ihrem Porträt den letzten Lebensjahren der großen deutschen Schriftstellerin widmet, die sie im Spannungsfeld von Faschismus und Nachkriegs-Deutschland verbrachte.
Von den 12000 Seiten ihrer Gesammelten Werke sind nur drei Bücher lieferbar. Und obwohl die Romantik im Augenblick ein Thema ist, das es in die Bestsellerlisten schafft, ist Ricarda Huchs Standard-Werk "Die Romantik" ungelesen und vergessen. Zu Unrecht findet die Münchner Au¬torin Barbara Bronnen, die sich in ihrem Porträt den letzten Lebensjahren der großen deutschen Schriftstellerin widmet.

Alfred Döblin schrieb der Kollegin, die vor 60 Jahren, am 17. November 1947 starb, den berührendsten Nachruf: "Mut war ihr selbstverständlich. Sie war, wie es sich für Naturen ihrer Art gehört, viel zu stolz, um nicht mutig zu sein." Döblin war gemeinsam mit Ricarda Huch Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre Mitglied in der Berliner Akademie der Künste. 1926 hatte man sie als erste Frau in die neu gegründete Sektion für Dichtkunst gewählt. 1933 verlässt sie diese Institution unter Protest. Sie weigert sich, die von Gottfried Benn verfasste Ergebenheitsresolution an die neue Macht zu unterschreiben. Sie lässt sich nicht umstimmen, gibt dem Druck, der auf sie ausgeübt wurde, nicht nach. 1933 beginnt die innere Emigration der damals viel gelesenen, hoch angesehenen Schriftstellerin, die sich zu diesem Zeitpunkt in schwierigen finanziellen Verhältnissen befindet.

Barbara Bronnen hat sich auf die Spurensuche gemacht, sich mit der Zeit beschäftigt, die in den vorhandenen Ricarda-Huch-Biografien nicht im Zentrum steht. Sie entwirft das Bild der späten Jahre einer Schriftstellerin, die sich nicht anpasst, die mutig Rassenhass und Dummheit die Stirn bietet, die aber nicht ans Emigrieren denkt. Sie kann das Land nicht verlassen, nicht nur, weil sie sich dafür schon zu alt, sondern vor allem, weil sie sich zu deutsch, weil sie sich einem idealen Deutschtum verpflichtet fühlt.

Es geht in diesem kenntnisreichen und empha¬ti¬schen Buch vor allem um die Jahre, die Ricarda Huch in Jena verbringt, wohin sie ihrer Tochter und dem Schwiegersohn folgt. Mit 72 Jahren baut sie sich ein neues Leben auf, sie zieht drei Mal um, findet neue Freunde, gründet mit Gleichgesinnten einen Stammtisch – und muss ein zweijährigen Verfahren überstehen, in dem man ihr und ihrem Schwiegersohn "heimtückische Angriffe auf Staat und Partei" vorwirft. Andrerseits nimmt sie zum 80. Geburtstag 1942 – was sie sich später nicht verzeihen wird – den Wilhelm-Raabe-Preis an, 30.000 Euro, "eine steuerfreie Schenkung des NS-Staates".

Die Ambivalenz, die Kom¬promisse spart Barbara Bronnen nicht aus, eine Ambivalenz, die vor allem auch Ricarda Huchs Nachkriegsle¬ben in der sowjetisch besetzten Zone betrifft. Sie wird von der russischen Besatzungsmacht hofiert, von den neuen Machthabern geschätzt – und fällt für kurze Zeit der Idee anheim, sie müsse politisch wirken. Die Erfahrung von neuer Zensur und Bevormundung führt dazu, dass sie 1947 unter demütigen¬den Umständen die SBZ verlässt. Kurz vorher war sie auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongress noch die Ehrenvorsitzende gewesen.

Die Anstrengung der Flucht hat die 83-Jährige nicht mehr überstanden. Für ihren Zusammenbruch war jedoch nicht nur die Mühsal der geheimen Fahrt von Berlin nach Hessen, nicht nur Kälte und Schlaflosigkeit verantwortlich, vor allem lag ihr das letzte Buch auf der Seele, das sie sich vorgenommen hatte zu schreiben, und dass sie nicht fertig bekam: ein Gedenkbuch für all die Menschen, die den Widerstand gegen die Nazis mit dem Leben bezahlen mussten.

Rezensiert von Manuela Reichart

Barbara Bronnen:
"Fliegen mit gestutzten Flügeln" – Die letzten Jahre der Ricarda Huch 1933-1947

Arche Verlag, Zürich-Hamburg, 2007
188 S., 19,90 Euro
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