Zu viele Lobbyisten unterwegs

Von Rolf Schneider |
Lobbyisten möchten lieber "Interessenvertreter", "Sachverständige" oder "Politikberater" genannt werden. Denn "Lobbyismus" hat eine negative Konnotation. Auch wenn er nicht strafbar ist: Er riecht doch oft nach Korruption. Und er schränkt auch das Grundgesetz ein, meint der Schriftsteller Rolf Schneider.
Das englische Wort Lobby ist sprachverwandt mit dem deutschen Wort Laube. Idyllisch geht es in der Lobby selten zu. Das Wort bezeichnet, nicht bloß im Angelsächsischen, die Empfangshalle eines Hotels. In der werden Gäste umsorgt, weshalb "lobbying" ganz allgemein für Betreuung steht, zumal solche von Politikern. Hier ist der Zweck, was der frühere Flick-Manager von Brauchitsch "politische Landschaftspflege" nannte.

In den Zentren moderner Demokratie gehören Lobbyisten zum allgegenwärtigen Personal. Sie selbst mögen diese Bezeichnung wenig und wollen lieber Interessenvertreter, Sachverständige oder Politikberater heißen. Es geht ihnen um eine "zielgerichtete Beeinflussung von Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung", so ein Sachbuchautor, was, sagt der Hochschullehrer Hans Herbert von Arnim, "im Dunstkreis der Korruption" enden könne. Von Brauchitsch wurde 1987 rechtskräftig verurteilt.

Aber das war die Ausnahme. Lobbyismus mag anrüchig sein, strafbar ist er nicht. Vielmehr wird er akzeptiert, darf sich offiziell registrieren lassen und Ausweise empfangen. Der Präsident des Deutschen Bundestags führt eine einschlägige Liste. Ihr lässt sich entnehmen, dass im Jahre 2010 2.100 Lobbyisten angemeldet waren, gegenwärtig sind es ein paar hundert mehr. Noch einmal die gleiche Anzahl ist nicht angemeldet, doch durchaus vorhanden und hochaktiv.

Der neu gewählte Bundestag hat 631 Abgeordnete. Auf jeden von ihnen kommen rechnerisch acht Lobbyisten. Da jeder Abgeordnete Mitarbeiter beschäftigt, meistens vier, stehen den reichlich dreitausend Entscheidungsträgern fünftausend Lobbyisten gegenüber.

Mächtige Lobby der Pharmazeuten, Banker und Autobauer
Die sind angestellt bei Agenturen, daneben gibt es freischaffende Berater, meist früheres Personal aus Parteivorständen oder Ministerien. Auftraggeber sind gewöhnlich Wirtschaftsunternehmen oder Wirtschaftsverbände, deren Interessen in Legislative und Exekutive gewahrt oder durchgesetzt werden sollen. Das geschieht auf mehreren Wegen: durch Pressearbeit, durch Werbekampagnen, durch öffentliche Veranstaltungen und vor allem durch Einflüsterung. Es kann so weit führen, dass, wie mehrfach geschehen, Textvorlagen einer Lobby wortwörtlich in ein Gesetz übernommen und vom Plenum verabschiedet werden. Auf den Einwand, dies sei eigentlich ein skandalöser Vorgang, wurde entgegnet, die Lobby gebiete über eine größere Sachkenntnis als man selbst.

Gegen die geballte Lobby-Macht mancher Wirtschaftszweige ist schwer ankommen. Voran jene der Pharmazeuten, der Banker und der Autobauer. Man erinnere sich des Geburtstagsessens im Kanzleramt für den Deutsche-Bank-Chef Ackermann. Der ehemalige CSU-Landesgruppenchef und Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, ein gelernter Müller, wird Cheflobbyist für Baustoffe.

Ein Wochenblatt schrieb: "Das Betriebskapital des Lobbyisten ist sein Netzwerk, das im Idealfall die politische Kommandobrücke genauso umspannt wie den Maschinenraum des Regierungsbetriebs: die Referenten und Referatsleiter der Ministerien, die Zuarbeiter in Fraktions- und Abgeordnetenbüros, die Fachbeamten der Länder ..."

Alle Staatsgewalt geht von Lobbyisten aus?
Manchmal geschieht, dass Lobbyisten sich gegenseitig befehden, so die der herkömmlichen und die der alternativen Energieerzeuger. Dies mag für Abwechslung sorgen, meinethalben für Wettbewerb, mit Demokratie hat es nichts zu tun. Viele sehen im Lobbyismus die fünfte Gewalt im Staate, manche gar die vierte, also noch vor der Presse. Ich selbst plädiere dafür, der Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes wolle nicht länger heißen "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", sondern "Alle Staatsgewalt geht von Lobbyisten aus". Oder aber, wir entschließen uns, das Lobbyregister des Bundestagspräsidenten abzuschaffen und alle Lobbytätigkeit zu verbieten, damit Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes wieder uneingeschränkt gültig ist.

Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen unter anderem "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Seine politischen und künstlerischen Lebenserinnerungen fasst er in dem Buch "Schonzeiten. Ein Leben in Deutschland" (2013) zusammen.


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