Zucker der Armen
Der Süßstoff war zunächst als Zucker der Armen beliebt und verspottet zugleich. Zwischenzeitlich wurde er verboten, im Krieg wieder zugelassen. Seit 130 Jahren schon ringen die alteingesessene Zucker- und die aufstrebende Süßstoffindustrie um die Gunst der Genießer: Seit am 27. Februar 1879 in den USA die Entdeckung des Saccharin durch einen deutschen Gastwissenschaftler bekannt gegeben wurde.
Schon für die ersten Menschen galt als wichtige Überlebensregel: Süße Früchte kann man essen, Bitteres dagegen ist giftig und gefährlich. Die Wissenschaft hat gezeigt: Schokolade macht glücklich! Babys finden wir "süß", und die Kosenamen für Geliebte sind voller Zucker oder Honig ...
Der reale Zuckergenuss aber war bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa nur den Reichen vorbehalten. Fünf Kilogramm Rohrzucker aus Übersee waren so teuer wie ein Kilo Gold. Das änderte sich erst, als man Zucker auch aus Rüben gewinnen konnte. Und noch mehr, als es einen künstlichen Ersatz gab:
"Kristall-Saccharin – 450-mal so süß wie Zucker!"
... so stand es auf jeder Packung aus der Fahlberg’schen Saccharin-Fabrik. Der deutsche Chemiker Constantin Fahlberg hatte den ersten synthetischen Süßstoff entdeckt – in den USA, wo er als Gastwissenschaftler an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore arbeitete, im chemischen Labor von Ira Remsen. Und wie oft in der Wissenschaftsgeschichte spielte der Zufall eine entscheidende Rolle:
Fahlberg war dabei, die Oxidation von Kohlenwasserstoffen aus Teer zu untersuchen. Abends bemerkte er einen stark süßen Geschmack an Händen und Armen. Am 27. Februar 1879 informierten Fahlberg und Remsen die Öffentlichkeit über ihre Entdeckung des "Benzoesäuresulfimid". Dabei hieß es – nur in einem Nebensatz:
"Diese Säure schmeckt angenehm süß, sogar süßer als Rohrzucker."
Offenbar hatten beide den wirklichen Wert der Entdeckung eines Süßstoffes gar nicht erkannt. Erst Jahre später ließ Fahlberg sich das Herstellungsverfahren patentieren, den Namen "Saccharin" schützen und in Magdeburg die erste Süßstofffabrik der Welt bauen. 1887 kam Saccharin auf den Markt, als weißes Pulver – der "Zucker der armen Leute", wie ihn die Süßstofffabrikanten anpriesen:
"Die ärmsten Schichten der Bevölkerung (…) erhalten jetzt in dem Saccharin ein Gewürz, das ihnen (…) die Möglichkeit giebt, ihre Speisen und Getränke ohne fühlbare Vertheuerung wohlschmeckend zu machen."
Das aber machte die Zuckerindustrie "sauer". Die mächtigen preußischen "Zuckerbarone" fürchteten um ihre Einnahmen und erwirkten von der Reichsregierung schließlich – 1898 – das 1. Süßstoffgesetz. Darin hieß es:
"Die Verwendung künstlicher Süßstoffe bei der Herstellung von Nahrungs- und Genussmitteln ist als Verfälschung (…) anzusehen."
... und darauf stand Gefängnis oder Geldstrafe. Damit sollten vor allem die so genannten "Wein- und Bierpanscher" gestoppt werden. Privat durfte man sich weiterhin das Leben mit Saccharin versüßen. Erst im zweiten Gesetz von 1902 erreichte die Zuckerindustrie dann ein generelles Süßstoffverbot: Nun konnten nur noch Diabetiker den Stoff bekommen – mit einer amtlichen Erlaubnis und nur in Apotheken!
"Unter solchen Umständen macht der Beruf eines Chemikers wenig Freude."
... seufzte Constantin Fahlberg 1903 in einem Vortrag über sein Lebenswerk. Aber wie bei allen Prohibitionen blühte nun der Schmuggel. Erst im Ersten Weltkrieg, als der Zucker knapp wurde, hob man die restriktiven Bestimmungen in Deutschland wieder auf. Und einen völligen Umschwung gab es dann nach dem Zweiten Weltkrieg:
"Die süße Alternative für Gesundheitsbewusste" – "Genuss ohne Reue" – "Echter Geschmack und zero Zucker"
Bei Diabetikern, aber auch bei denen, die nicht dick werden und doch nicht auf Süßes verzichten möchten, sind Saccharin und die neueren Süßstoffe heute begehrt, weil sie praktisch keine Kalorien haben. Allerdings wurde von Anfang an schon heftig über eine mögliche Schädlichkeit diskutiert, wie ein Wort des amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt von 1901 zeigt.
"Jeder, der sagt, Saccharin sei schädlich, ist ein Idiot."
... schließlich bekomme er es täglich von seinem Leibarzt. Aber die kritischen Stimmen sind nie ganz verstummt. In den 70er Jahren standen Süßstoffe sogar im Verdacht, Krebs auszulösen. Doch die Untersuchungen haben sich als wissenschaftlich nicht haltbar erwiesen. Trotzdem gelten sie heute nicht als "Lebensmittel", sondern als "Zusatzstoffe" und müssen daher geprüft und zugelassen werden.
Denn im Alltag begegnet einem Saccharin nicht nur als Zuckerersatz im Kaffee oder Kuchen, sondern auch in Medikamenten, kosmetischen Artikeln und in unzähligen Lebensmitteln als Konservierungsstoff und Geschmacksverstärker. Überall wo "E954" drauf steht, ist Saccharin drin.
Der reale Zuckergenuss aber war bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa nur den Reichen vorbehalten. Fünf Kilogramm Rohrzucker aus Übersee waren so teuer wie ein Kilo Gold. Das änderte sich erst, als man Zucker auch aus Rüben gewinnen konnte. Und noch mehr, als es einen künstlichen Ersatz gab:
"Kristall-Saccharin – 450-mal so süß wie Zucker!"
... so stand es auf jeder Packung aus der Fahlberg’schen Saccharin-Fabrik. Der deutsche Chemiker Constantin Fahlberg hatte den ersten synthetischen Süßstoff entdeckt – in den USA, wo er als Gastwissenschaftler an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore arbeitete, im chemischen Labor von Ira Remsen. Und wie oft in der Wissenschaftsgeschichte spielte der Zufall eine entscheidende Rolle:
Fahlberg war dabei, die Oxidation von Kohlenwasserstoffen aus Teer zu untersuchen. Abends bemerkte er einen stark süßen Geschmack an Händen und Armen. Am 27. Februar 1879 informierten Fahlberg und Remsen die Öffentlichkeit über ihre Entdeckung des "Benzoesäuresulfimid". Dabei hieß es – nur in einem Nebensatz:
"Diese Säure schmeckt angenehm süß, sogar süßer als Rohrzucker."
Offenbar hatten beide den wirklichen Wert der Entdeckung eines Süßstoffes gar nicht erkannt. Erst Jahre später ließ Fahlberg sich das Herstellungsverfahren patentieren, den Namen "Saccharin" schützen und in Magdeburg die erste Süßstofffabrik der Welt bauen. 1887 kam Saccharin auf den Markt, als weißes Pulver – der "Zucker der armen Leute", wie ihn die Süßstofffabrikanten anpriesen:
"Die ärmsten Schichten der Bevölkerung (…) erhalten jetzt in dem Saccharin ein Gewürz, das ihnen (…) die Möglichkeit giebt, ihre Speisen und Getränke ohne fühlbare Vertheuerung wohlschmeckend zu machen."
Das aber machte die Zuckerindustrie "sauer". Die mächtigen preußischen "Zuckerbarone" fürchteten um ihre Einnahmen und erwirkten von der Reichsregierung schließlich – 1898 – das 1. Süßstoffgesetz. Darin hieß es:
"Die Verwendung künstlicher Süßstoffe bei der Herstellung von Nahrungs- und Genussmitteln ist als Verfälschung (…) anzusehen."
... und darauf stand Gefängnis oder Geldstrafe. Damit sollten vor allem die so genannten "Wein- und Bierpanscher" gestoppt werden. Privat durfte man sich weiterhin das Leben mit Saccharin versüßen. Erst im zweiten Gesetz von 1902 erreichte die Zuckerindustrie dann ein generelles Süßstoffverbot: Nun konnten nur noch Diabetiker den Stoff bekommen – mit einer amtlichen Erlaubnis und nur in Apotheken!
"Unter solchen Umständen macht der Beruf eines Chemikers wenig Freude."
... seufzte Constantin Fahlberg 1903 in einem Vortrag über sein Lebenswerk. Aber wie bei allen Prohibitionen blühte nun der Schmuggel. Erst im Ersten Weltkrieg, als der Zucker knapp wurde, hob man die restriktiven Bestimmungen in Deutschland wieder auf. Und einen völligen Umschwung gab es dann nach dem Zweiten Weltkrieg:
"Die süße Alternative für Gesundheitsbewusste" – "Genuss ohne Reue" – "Echter Geschmack und zero Zucker"
Bei Diabetikern, aber auch bei denen, die nicht dick werden und doch nicht auf Süßes verzichten möchten, sind Saccharin und die neueren Süßstoffe heute begehrt, weil sie praktisch keine Kalorien haben. Allerdings wurde von Anfang an schon heftig über eine mögliche Schädlichkeit diskutiert, wie ein Wort des amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt von 1901 zeigt.
"Jeder, der sagt, Saccharin sei schädlich, ist ein Idiot."
... schließlich bekomme er es täglich von seinem Leibarzt. Aber die kritischen Stimmen sind nie ganz verstummt. In den 70er Jahren standen Süßstoffe sogar im Verdacht, Krebs auszulösen. Doch die Untersuchungen haben sich als wissenschaftlich nicht haltbar erwiesen. Trotzdem gelten sie heute nicht als "Lebensmittel", sondern als "Zusatzstoffe" und müssen daher geprüft und zugelassen werden.
Denn im Alltag begegnet einem Saccharin nicht nur als Zuckerersatz im Kaffee oder Kuchen, sondern auch in Medikamenten, kosmetischen Artikeln und in unzähligen Lebensmitteln als Konservierungsstoff und Geschmacksverstärker. Überall wo "E954" drauf steht, ist Saccharin drin.